Text
Editionsbericht
Werkverzeichnis
Literatur: Werfel
Literatur: "1913"
Nun ich die Korrekturen dieses Buches vor mir habe, faßt mich der furchtbare Schrecken, das in Ordnung und Folge zu sehn, was als Einzelnes mich so oft mit dem Unglück der Abirrung, des Fernseins vom Wesen, dem Unglück der Falschheit aller Realisierung erfüllt hat.
Warum stelle ich denn da das Erscheinen nicht ein und schreibe sogar noch ein Nachwort? K. H. nennt das Ich-Politik. Zugegeben! Aber es sei erlaubt, einige Tröstungen hieherzusetzen.
Wenn Wert irgendeinem menschlichen Werke zugesprochen werden kann, so doch jedenfalls nur dem
notwendigen, d. h. dem Werke, das nicht unterbleiben könnte, ohne daß die
Welt aufgehört hätte, zu bestehen.
Dies Notwendige geschieht in jeder Existenz als Tragik, Schicksal. Im Gang des Menschenlebens zeigt es sich als Mord, Entführung, Schwur und Wohltat, also in allen Taten – (Du mein großer, entrückter Kapellmeister!) – deren es kein sich Erwehren gibt. Einzig dem schöpferischen Menschen ist das Bewußtsein des Notwendigen gegeben, denn sein Leben allein spielt sich nicht als äußeres Schicksal ab. Die Katastrophen und Erschütterungen, durch die im normalen Menschen der göttliche, unfaßbare Willen handelt und die diesem gar nicht zu Bewußtsein kommen, im Dichter bestehn sie rund, für sich, als kontrollierbare Wahnsinne als jenes entformteste und daher wahrhaftigste Außersichsein, um dessent[124]willen der gnadenlose Philosoph die Dichter aus dem Reiche vertreibt.
Der Dichter weiß, daß er in seinen uferlosen Erhebungen dem Leben am
nächsten ist, er hat kein Mißtrauen gegen sie, er weiß mehr, als der Systematiker
von der Eitelkeit allen Erkennens und erreicht bald die verzückteste Weisheit, daß
"nichts verstehn", reif sein heißt. Er müßte sich selbst leugnen, wenn
er nicht etwa dem alltäglichen Herrn mißtraute, den er im Leben bedeutet,
sondern dem Engel seiner gnadenreichen Stunden. Er weiß aber sehr gut, daß
die Brandung dieser Stunden allein das Notwendige seines Lebens an den Strand wirft, das, wenn
es auch erst in alle Bäder der Eitelkeit und Gemeinheit getaucht wird, um Gedicht zu werden,
dennoch gottgewollt ist.
Auch bedrückt die Frage sehr: Kann ein Werk zu Ende sein? Die Vollkommenheit ist natürlich das, was aller Form und allem sich verändernden Leben widerspricht.
Maß einer Menschlichkeit und Kunst ist gewiß der Jammer und die Unzufriedenheit, mit der der Schaffende dem Urbild nahezukommen strebt. Aber dieses liegt im Unendlichen und so sind auch Faust und die Brüder Karamassow nicht fertig.
Die Vollendung einer Arbeit ist immer Lüge, Erlahmen der Ehrlichkeit, Selbstbetrug und Einschlummern.
Wer aber ist nicht jung und tut das Eine vom Herzen, um das Andere zu nennen, in der angstvollen Lebenszeit. –
[125] Eins wäre noch zu sagen: Trotzdem diese Gedichte noch tief dort unten stehn, wo die Wahrheit eben erst zu atmen beginnt, scheinen sie mir für die Menschen dennoch wichtig zu sein, weil sie Sendung haben.
Sie reden in mancherlei Gestalten nur von Einem. Von dem permanenten Existenz-Bewußtsein, das ist Frömmigkeit.
Wir, die wir in den Wirrwar dieser Erdenteleologie, in den Betrieb und die mindere
durchsichtige Kausalität gestoßen sind, vergessen nur allzurasch das
unausdenkliche, ungeheure Wort: Wir sind. Ich glaube, daß alles menschlich Hohe,
die Güte, die Freude, der Jubel, der Schmerz, die Einsamkeit, das Ideal,
bloß aus diesem ewigen undurchdringlichen gewaltigen Existenz-Bewußtsein sich erheben
können.
Der Mensch, der noch niemals vor den Firmamenten zusammenbrach, ist auch noch niemals gut gewesen.
Wenn nur ein von dem fürchterlichsten Fluch Erden-Arbeit zerriebenes Herz, durch diese Gedichte hindurch, sich der Welt näherte, bin ich glücklich.
Das Buch "Wir sind" ist das erste in der Steigerung von Büchern, die einmal,
als ein Werk den Titel Das Paradies tragen sollen.
Leipzig, im Frühjahr 1913
Der Verfasser
Erstdruck und Druckvorlage
Franz Werfel: Wir sind. Neue Gedichte.
Leipzig: Wolff 1913, S. 123-125.
Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck
(Editionsrichtlinien).
URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Werfel_Wir_sind_1913.pdf
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/009023986
Werkverzeichnis
Verzeichnisse
Raabe, Paul (Hrsg.): Index Expressionismus.
Bibliographie der Beiträge in den Zeitschriften und Jahrbüchern
des literarischen Expressionismus. 1910-1925.
18 Bde. Nendeln, Liechtenstein: Kraus-Thomson 1972.
Bd. 4 (= Serie A: Alphabetischer Index, Teil 4), S. 2777-2789.
Raabe, Paul: Die Autoren und Bücher des literarischen Expressionismus.
Ein bibliographisches Handbuch in Zusammenarbeit mit Ingrid Hannich-Bode.
Zweite, verbesserte und um Ergänzungen und Nachträge 1985-1990 erweiterte Auflage.
Stuttgart: Metzler 1992.
Stock, Karl F. / Heilinger, Rudolf / Stock, Marylène:
Personalbibliographien österreichischer Dichterinnen und Dichter.
Von den Anfängen bis zur Gegenwart.
Bd. 3. 2. Aufl. München: Saur 2002.
S. 1796-1803: Franz Werfel.
Spalek, John M. / Hawrylchak, Sandra H.: Franz Werfel.
Bibliography of German Editions.
München: Saur 2009.
selbständige Veröffentlichungen.
Lexikon deutsch-jüdischer Autoren.
Bd. 20. Berlin u.a.: de Gruyter 2012.
S. 301-325: Art. Franz Werfel.
Werfel, Franz: Der Weltfreund.
Gedichte.
Berlin-Charlottenburg: Juncker o.J. [1911].
URL: https://archive.org/details/3322507
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/008714504
Werfel, Franz: Wir sind.
Neue Gedichte.
Leipzig: Wolff 1913.
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/009023986
URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Werfel_Wir_sind_1913.pdf
PURL: http://digital.slub-dresden.de/id495400998 [Sechstes bis achtes Tausend 1914]
Werfel, Franz: Einander.
Oden Lieder Gestalten.
Leipzig: Wolff 1915.
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/006851767
PURL: http://digital.slub-dresden.de/id490642160 [2. Aufl. 1915]
Werfel, Franz: Gesänge aus den drei Reichen.
Ausgewählte Gedichte.
Leipzig: Wolff 1917 (Der jüngste Tag, 29/30).
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/006295199
URL: https://archive.org/details/gefngeausdendre00werfgoog [2. Aufl. 1917]
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Ein offener Brief an Kurt Hiller.
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URL: https://de.wikisource.org/wiki/Die_neue_Rundschau
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/007392290
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Notiz zu einer Poetik.
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[PDF]
URL: https://de.wikisource.org/wiki/Die_Aktion
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/000506488
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URL: http://digital.slub-dresden.de/id501807373
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Prosa, Tagebücher, Aphorismen, literarische Nachträge.
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Literatur: Werfel
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Beiträge zur Jahrestagung der Franz Werfel-StipendiatInnen am 23. und 24. März 2012 in Wien.
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Edition
Lyriktheorie » R. Brandmeyer