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Editionsbericht
Literatur: Bab
Literatur:
Freie Bühne für modernes Leben (1890 -) – Die neue Rundschau (1904 -)
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Texte zur Baudelaire-Rezeption
Texte zur Verlaine-Rezeption
Texte zur George-Rezeption
Denn auch George ist durchaus ein Willensmensch, ein Ethischer, ein aktiv Grundierter, – es ist eben so übliche wie gründliche Verkennung, seine aristokratische Gebärde für den Ausdruck bloß abwehrenden Artistentums, ihn selber für einen schlimm-genügsamen Ästheten zu halten. In seinen marmorkühl gemeißelten Wort-Bildsäulen glüht tief innen ein gebietender, fast erzieherischer Wille. Der Wunsch, ein Beispiel, ein Kulturvorbild aufzurichten, ist nicht erst in den neuen "Zeitgedichten" plötzlich sichtbar geworden – irgendwie war die ganze Haltung des Mannes davon bestimmt, ein ethisches Pathos tönte auch aus seinen sensualistischen vollkommensten Klanggebilden. Das Gefühl seiner Mission, seines erwählten Künstlertums, seiner einsamen Führerschaft ist – war bisher (denn im "Siebenten Ring" gibt es ein paar ganz, willensbefreite, blumenhaft rein aus dem Lebensgefühl wachsende Lieder) – das eigenste und einzigste Thema seiner Poesie. – Und so wird man auch Wert und Gewicht der Dehmelschen Persönlichkeit gar nicht an seinen vollendetsten Gedichten messen dürfen, an den paar kleinen Abend- und Einschlafliedern, in denen Natur so rein erklingt, wie sie je aus den Worten eines Verlaine oder eines Mörike klang. Solche einzelne lyrische Perlen rundet zuweilen auch das Talent minder großer Menschen. Die menschliche Bedeutung der Dehmelschen Kunst ruht ganz auf diesem ethischen-religiös Pathos, diesem "zur ganzen Welt" hingerissenen Gestaltungstrieb; alles verführende, aller Sieg und alle Kraft Dehmels ruht in diesem prophetischen Orgiasmus, der wie ein feuriger Strom durch Dehmels Lebenswerk hinschießt, der ihm jede Erfahrung glühend macht und umschmilzt zu der hämmernden Wucht seiner Worte, zu dem wildfreien Gang seiner eigengesetzlichen Rhythmen. – – Die Übermacht eines großen Willens ist es, die der Kunst Dehmels und Georges vor der Lyrik noch so begabter Zeitgenossen den königlichen Rang sichert, und diese selbe mächtige Willensspannung muß überall als das organische Gebrechen dieser großen Künstler hervortreten, wo dieser Wille noch nicht ganz Natur geworden ist, noch nicht gefühlsmäß sicher arbeitet, sondern in Stößen des angespannten Bewußtseins durchbricht. Diese Verletzung der künstlerischen Gefühlsharmonie durch eine ungelöste, realpolitische Gebärde wird natürlich am schärfsten, am unerträglichsten von denen empfunden, deren Temperament die Willens- und Handelsart des betreffenden [1065] Künstlers an sich fremd ist. So komme ich nur bei wenigen Georgeschen Gedichten zu einem ganz reinen Genuß, weil mich natürliche Antipathie hellhörig macht für diesen Ton angespannt gesteigerter Weihe, wissentlicher Herablassung, in dem der Dichter mit Gott und Mensch und Ding verkehrt. (Und nur ganz selten, wenn einmal der Stoff diese aristokratische Tonart rechtfertigt – wie in den unvergleichlich schönen "Lachenden Herzen" – klingt mir Georges Melodie ganz naturhaft rein.) Andern scheinen wieder völlig unerträglich die plebejischen Ausbrüche Dehmels, das jähe Hineinreißen naturalistischer Bestandteile in seinen Vers, seine "Geschmacklosigkeiten", wie sie es nennen. Aber es kann bei einem Mann von Dehmels ästhetischem Wissen und Gewissen natürlich nicht von einfachen stilistischen Entgleisungen die Rede sein. Hier handelt es sich um das notwendige Korrelat zum Georgeschen Hochmut: wie diesem der aristokratische Geist, das Gefühl von anderer hoher Art sein mit seiner besten Kraft auch die Gefahr der Überheblichkeit bringt, so schließt Dehmels demokratischer Grundzug, das Bewußtsein Genosse, Führer, Vorkämpfer im Menschheitszuge zu sein, die demagogische Gefahr ein. Der Wunsch, verständlich zu sein, teilnehmen zu lassen, der Wille, das "tua res agitur" jedem Menschen in jedem Augenblick klar zu halten, dieser, gewiß meist unbewußt wirkende, Trieb ist es, der Dehmel oft zu prosaischen Deutlichkeiten, zu brutalen Ausbrüchen aus seiner eigentlichen Form heraus verführt. Mir persönlich sind alle diese Unreinheiten sehr leicht zu überwinden, weil meine Seele ganz mit dem mächtigen Grundstrom von Richard Dehmels innerstem Pathos geht. Belehrt durch die Schwierigkeiten, die mir der Geist Georgescher Poesie bereitet, muß ich aber zugestehen, daß nicht jedem, auch nicht jedem Poesie-Empfänglichen, heute die Brüche der Dehmelschen Form so leicht zu überwinden sein können. – Wir haben in diesen Zweien die vielleicht größten, sicher die kulturell produktivsten Lyriker der deutschen Gegenwart vor uns; und doch – –
George und Dehmel haben sich in wundervollen Liedern als vollendete Künstler bewährt, so vollendet wie Dauthendey oder Liliencron, Hofmannsthal oder Rilke. Aber gerade da, wo ihre größere Kraft liegt: jenes Prophetische, Erbauende, Bauende, das sie noch über diese Meister erhebt – gerade da finden wir in ihrer künstlerischen Form einen Makel wieder, den wir in den niederen Kreisen des lyrischen Berges längst zurückgelassen glaubten: Einbruch des nackten Willens, Dreinrede des zielenden Verstandes in die reine Gefühlsentfaltung. Die bedenklichen Mittel adelt hier freilich der höchste Zweck – immerhin, die letzte Harmonie bleibt verweigert. Ich denke, was die Besten einer Zeit nicht leisten können, das wird man als den Mangel der Zeit ansprechen dürfen. Unsere Zeit, die ganz Kampf und Ringen zu einer neuen Religion, einem neuen Ethos, einer kulturellen Harmonie ist, kann auch ihren stärksten Geistern auf den Weg zum neuen Gott nur eine heilige Unruhe mitgeben, einen Trieb zu suchen, zu Versuchen, eine Leidenschaft, die noch voll Argwohn, Anspannung, ewiger Wach[1066]samkeit ist. Noch kann der größten Kraft nicht jene sichere Ruhe, jene Wegsicherheit mit geschlossenen Augen gesellt sein, die auch im weitesten Kreise, noch bei der höchsten Aufgabe die volle Harmonie des Gebildes gewährt. Wachen und arbeiten ist alles, was dieses Geschlecht vermag – und gerade mit ihrem Unvollkommenen bedeuten Dehmel und George sicher das letzte Wort dieser Zeit. Die ganze Göttlichkeit einer neuen Welt mit heiterster Gefühlssicherheit aus sich heraus zu bilden, solch Goethisches Werk mag vielleicht Kommenden wieder gelingen. Wenn auch der höchste weitestgerichtetste Schaffenstrieb nicht mehr von gespanntem Bewußtsein, sondern von wahllosem Gefühl gehalten wird, – nicht mehr ein Wollen, sondern ein Müssen scheint, dann erst wird das ganz große und ganz reine Werk gelingen. So ist es in Rilkes schönen Versen verheißen:
Wie ist das klein, womit wir ringen –
was mit uns ringt, wie ist das groß.
Ließen wir ähnlicher den Dingen
von immer Größren uns bezwingen,
wir würden weit und namenlos.
Erstdruck und Druckvorlage
Die neue Rundschau.
1909, Juli, S. 1058-1066.
Unser Auszug: S. 1064-1066.
Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck
(Editionsrichtlinien).
Die neue Rundschau online
URL: https://de.wikisource.org/wiki/Die_neue_Rundschau
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/007392290
Literatur: Bab
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