Wilhelm Dilthey

 

 

Goethe und die dichterische Phantasie.

 

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Editionsbericht
Werkverzeichnis
Literatur

 

Die Phantasie des Dichters, ihr Verhältnis zu dem Stoff der erlebten Wirklichkeit und der Überlieferung, zu dem, was frühere Dichter geschaffen haben, die eigentümlichen Grundgestalten dieser schaffenden Phantasie und der dichterischen Werke, welche aus dieser Beziehung entspringen: das ist der Mittelpunkt aller Literaturgeschichte. Und die Erforschung der dichterischen Phantasie ist die naturgemäße Grundlegung des wissenschaftlichen Studiums der poetischen Literatur und ihrer Geschichte. Denn jeder Zweig der Wissenschaften von den menschlich-gesellschaftlichen Zuständen erwächst nach seiner eigenen, durch keine Theorie vorher anzugebenden Regel aus der Verknüpfung psychologischer und vergleichend-historischer Einsichten. Seine Ergebnisse werden um so brauchbarer sein, je reiner die psychologischen Einsichten die Aufeinanderfolge der wirklichen wenn auch verwickelten psychischen Tatsachen ausdrücken.

 

 

1.

Wir haben über den Vorgang, in welchem die einzelnen dichterischen Schöpfungen Goethes entstanden, den wünschenswertesten Aufschluß. Wir verdanken das dem Interesse, welches Goethe selber in späteren [138] Lebenstagen an den Erinnerungen über die Entstehung seiner Werke, an dem nachträglichen Erwägen der schöpferischen Vorgänge in ihm genommen hat, als Nachdenken und Betrachtung das Übergewicht in ihm gewannen und die ästhetische Kritik der spekulativen Philosophie seine Werke unter ihrer Sonde hatte. Mit reiner und sicherer Wahrhaftigkeit hat er aufgefaßt und aufbewahrt, und so sind auch diese seine Mitteilungen im klarsten Einklang mit dem, was wir aus den übrigen Quellen festzustellen imstande sind.

'Alle meine Gedichte', berichtet er, 'sind Gelegenheitsgedichte, sie sind durch die Wirklichkeit angeregt und haben darin Grund und Boden. Von Gedichten, aus der Luft gegriffen, halte ich nichts.' 'Allgemein und poetisch wird ein spezieller Fall eben dadurch, daß ihn ein Dichter behandelt.' 'Was ich nicht lebte und was mir nicht auf die Nägel brannte und zu schaffen machte, habe ich auch nicht gedichtet und ausgesprochen. Liebesgedichte habe ich nur gemacht, wenn ich liebte.'

Daß aus solchen Keimen seine Schöpfungen erwuchsen, verteidigt er hartnäckig gegen die Neigung, denselben Ideen unterzulegen; hieraus leitet er schön und wahr das Inkommensurable in ihnen ab; hiervon geht er aus, wenn er den Unterschied seines dichterischen Schaffens von der Art wie Schiller arbeitete darlegen will. Mit den Sätzen, die er hierüber hinstellt, sollte jedes Unternehmen, die 'Idee' Goethescher Dichtungen aufzusuchen, abgetan sein. 'Die Deutschen ... machen sich durch ihre tiefen Gedanken und Ideen, die sie überall suchen und überall hineinlegen, das Leben schwerer als billig. Ei, so habt doch endlich einmal die Courage, euch den Eindrücken hinzugeben, euch ergötzen zu lassen, euch rühren zu lassen, euch erheben zu lassen, ja euch belehren und zu etwas Großem entflammen und ermutigen zu lassen; aber denkt nur nicht [139] immer, es wäre alles eitel, wenn es nicht irgend ein abstrakter Gedanke und Idee wäre.' 'Das einzige Produkt von größerem Umfang, wo ich mir bewußt bin, nach Darstellung einer durchgreifenden Idee gearbeitet zu haben, wären etwa meine Wahlverwandtschaften. Der Roman ist dadurch für den Verstand faßlicher geworden; aber ich will nicht sagen, daß er dadurch besser geworden wäre! Vielmehr bin ich der Meinung, je inkommensurabler und für den Verstand unfaßlicher eine poetische Produktion, desto besser.'

So erzählt er dann von Werther: 'Ich hätte kaum nötig gehabt, meinen eigenen jugendlichen Trübsinn aus allgemeinen Einflüssen meiner Zeit und aus der Lektüre einzelner englischer Autoren herzuleiten. Es waren vielmehr individuelle, naheliegende Verhältnisse, die ... mich in jenen Gemütszustand brachten, aus dem der Werther hervorging. Ich habe gelebt, geliebt und sehr viel gelitten! – Das war es.' – 'Der Faust ist doch etwas ganz Inkommensurables, und alle Versuche, ihn dem Verstande näher zu bringen, sind vergeblich. Auch muß man bedenken, daß der erste Teil aus einem etwas dunklen Zustande des Individuums hervorgegangen.' – Von Wilhelm Meister: 'Die Anfänge entsprangen aus einem dunklen Vorgefühl der großen Wahrheit, daß der Mensch oft etwas versuchen möchte, wozu ihm Anlage von der Natur versagt ist. Und doch ist es möglich, daß alle die falschen Schritte zu einem unschätzbaren Guten hinführen: eine Ahnung, die sich im Wilhelm Meister immer mehr entfaltet, aufklärt und bestätigt, ja zuletzt in den klaren Worten ausspricht: 'du kommst mir vor wie Saul, der Sohn Kis, der ausging, seines Vaters Eselinnen zu suchen und ein Königreich fand'. Er weist darauf hin, wie mit dem Gang seines Lebens sich auch der Plan des Meister öfter verschoben hat. 'Es gehört dieses Werk ... zu den [140] inkalkulabelsten Produktionen, wozu mir fast selbst der Schlüssel fehlt.' – Und von den Wahlverwandtschaften sagt er, daß darin kein Strich enthalten, der nicht erlebt, aber kein Strich so, wie er erlebt worden. Dasselbe von der Geschichte in Sesenheim.

Der dichterische Vorgang ist in den meisten Schöpfungen Goethes derselbe. Ein Gemütszustand wird mit der ganzen äußeren Situation, mit allem, was ihn von Vorstellungen, Zuständen, Gestalten umgibt, mächtig erlebt, und indem nun dem innerlich bewegten Dichter ein äußerer Vorgang entgegentritt, der geeignet ist, Gefäß für diese Herzenserfahrungen zu werden, entsteht in dieser Verschmelzung der Keim einer Dichtung, der alle charakteristischen Züge, die Totalstimmung, die Linien des Ganzen schon in sich enthält. Daher durfte er aussprechen, daß jede Dichtung für ihn eine Konfession, eine Beichte gewesen sei, daß er solchergestalt sich von den Zuständen, die auf ihm lasteten, innerlich befreit habe. Eine besonders auffallende Ausnahme von diesem Verhältnis bildet Hermann und Dorothea und vielleicht hängt gerade hiermit zusammen, daß der Dichter von allen seinen Werken Hermann und Dorothea wieder zu lesen am wenigsten Abneigung empfand: es war keine Konfession, und nichts von stofflicher Erinnerung an vergangene Zustände haftete an diesen Versen. Überhaupt ist in seinen späteren Jahren, wie seine Erfahrungen sich erweiterten und naturwissenschaftliche Beobachtung ihm Gewohnheit wurde, die Gestaltung der Dichtungen in ihm nicht mehr dieselbe als die, aus welcher Werther, Götz – insofern er über das historisch Gegebene hinausgeht –, Clavigo, Faust, Egmont, Iphigenie, Tasso, Wilhelm Meister entsprangen.

So ist in jeder Schöpfung dieser Art Goethe selbst inmitten seiner eigenen Gestalten: ähnlich wie er geheimnisvoll sich selber in dem Gedichte Ilmenau er[141]blickt und sich anredet. Das Motiv ist aus seiner eigenen Existenz geschöpft. In seinen Briefen, in seinen Gedichten ist es ein Gemütszustand, der mit der Situation die ihn hervorbrachte ausklingt; in den größeren Werken Leben mannigfacher Art, das sich auf eine Person bezieht, die aus dem Herzblut des Dichters ihr Leben empfing. Lebenswahr sind zu allen Zeiten diese Person und das weibliche Ideal, welches ein Teil seines eigenen Gemütszustandes ist. Die ausgeführten Nebenpersonen sind anfangs höchst unvollkommen, ja manchmal beinahe ungeschickt, so Albert, Carlos; der Guß aus der Verschmelzung von Erfahrung und Phantasie gerät immer besser, je mehr er lernt die Gestalten der Wirklichkeit sich gegenständlich zu machen; dennoch behalten die Antonio, Thoas, Lothario jederzeit etwas beinahe hölzernes verglichen mit den Gestalten, in denen sein eigenes Blut rinnt.

Ich habe diesen Tatbestand in seiner ganzen Simplizität darzulegen versucht. Es ist etwas Einfaches in dem geistigen Leben Goethes überhaupt, man fühlt gleich daß man es hier nicht mit einer komplizierten Natur zu tun hat, eine einmütige Tätigkeit des bildenden Vermögens ist in seinen Dichtungen wie in seinen wissenschaftlichen Arbeiten wirksam. Und nur so ist die ungeheure Ausbreitung seiner geistigen Operationen menschlich faßbar.

Nun hat man aber in Deutschland diese Art des dichterischen Gestaltens in Goethe als die Grundform des poetischen Schaffens überhaupt angesehen. Die Entwicklung der deutschen Ästhetik ist ebenso stark von der Anschauung Goethes als von dem Studium Kants beeinflußt worden: so erschien die lebendige Kenntnis von dem Verfahren der Phantasie in Goethe als der Schlüssel für das Verständnis alles höchsten dichterischen Schaffens.

[142] Goethe selbst hat bereits in Dichtung und Wahrheit die Gestalt und Richtung seines Phantasielebens aus den geschichtlichen Bedingungen des damaligen Deutschland und aus den persönlichsten seiner eigenen Existenz zu erklären unternommen; so wenig ist er geneigt, sie als aller Poesie eigen zu betrachten. Es ist einer der bewundernswürdigsten Kunstgriffe in Dichtung und Wahrheit: wo in dem Jüngling die ersten von den Liedern und Schauspielen entstehen, welche ein ihm Eigenes enthalten und so als Zeugnisse seines dichterischen Lebens fortzudauern vermochten, unterbricht er die Erzählung seiner persönlichen Schicksale, und indem er die deutsche Gesellschaft und Literatur jener Jahre in dem berühmten siebenten Buche in einer anmutigen Charakteristik einführt, konstruiert er aus dem Element des Persönlichsten und dem der Gesellschaft, die ihn umgibt, 'die Richtung, von der er sein ganzes Leben nicht abweichen konnte'.

Langsam hatte er zunächst in den ersten Büchern im Leser das allgemeine Bild seiner dichterischen Organisation entstehen lassen. Wie er in seinen Romanen und epischen Gedichten, seinem Lessing getreu, aus einzelnen Zügen, so oft die Personen wieder auftreten, allmählich ihr Bild entfaltet: so entsteht hier auch allmählich die Anschauung von ihm selber. Ein außerordentliches Gedächtnis zeigt sich, als der Knabe im Zimmer des Vaters sitzend und arbeitend das Italienische, das der Schwester gelehrt wird, mit erlernt, ebenso nachher bei seiner Vorbereitung zum juristischen Examen in Straßburg; der sieben- oder achtjährige Knabe ergötzt sich an den Phantasiespielen von ihm selber eingerichteter Puppenkomödien, und nicht lange danach beginnt sein Phantasieren über sein eigenes Leben, für welches er ungewöhnliche Umstände und Verwicklungen sich ausmalt; die Poesie, die ja so wenig als die Sprache [143] im Kinde neu aufgeht, sondern als eine Art Zustände und Menschen zu betrachten und hinzustellen überliefert wird, geht ihm an deutschen Gedichten, an Telemach, Robinson, an den Volksbüchern auf und er wächst mit Versen heran. Wenn der Knabe Märchen erzählt, sind es besonders eigene Abenteuer, mit denen er die Gespielen zu unterhalten liebt. Nacheinander Klopstock und die französische Bühne in Frankfurt geben diesem träumerischen Phantasieren neue Nahrung, und Wirklichkeit und Bühne verschlingen sich dem werdenden Dichter ineinander. Immer noch als Knabe schließt er einen ganzen Band vermischter Dichtungen ab, voran eine Bearbeitung der Geschichte Josephs: 'Ich leugne nicht daß, wenn ich an ein wünschenswertes Glück dachte, dieses mir am reizendsten in der Gestalt des Lorbeerkranzes erschien, der den Dichter zu zieren geflochten ist.' Und in all diesem Fabulieren des Knaben, 'innerer Ernst, mit dem ich schon früh mich und die Welt betrachtete', sowie ein in naturwissenschaftlichen Neigungen und religiösen Ideen sich entfaltendes metaphysisches Bedürfnis. Wer kann sagen, wie eine solche Organisation in anderer Umgebung sich entwickelt hätte?

Genug, nachdem Goethe in anmutigem Tiefsinn ihre Entfaltung bis in die erste Leipziger Zeit geschildert hat, läßt er nun plötzlich dem Jüngling gegenüber erblicken – eine chaotische in heftiger Krisis befindliche Literatur und eine gesellschaftliche Ordnung, in welcher nur die Gemütsschicksale der Privatleidenschaften einen Raum hatten; das Elend dieser gesellschaftlichen Ordnung deutet er freilich nur mit Vorsicht und Bedacht, für den der zu lesen versteht, in seiner Wirkung an. Die Erkenntnis ist in diesen jungen Köpfen, daß nur bedeutender Stoff in naturwahrer Behandlung echte Dichtung ermögliche. Aber dies zu finden, 'war ich genötigt, alles in mir selbst zu suchen. Verlangte ich [144] zu meinen Gedichten eine wahre Unterlage, Empfindung oder Reflexion, so mußte ich in meinen Busen greifen. Und so begann diejenige Richtung, von der ich mein ganzes Leben über nicht abweichen konnte, nämlich dasjenige, was mich erfreute oder quälte oder sonst beschäftigte, in ein Bild, ein Gedicht zu verwandeln und darüber mit mir selbst abzuschließen, um sowohl meine Begriffe von den äußeren Dingen zu berichtigen, als mich im Inneren deshalb zu beruhigen. Die Gabe hierzu war wohl Niemand nötiger als mir, den seine Natur immerfort aus einem Extrem in das andere warf. Alles, was daher von mir bekannt geworden, sind nur Bruchstücke einer großen Konfession'. Diese Richtung ward dann, wie das neunte Buch berichtet, durch die damalige empirische Seelenlehre und die Dichtung Wielands verstärkt. Beide empfahlen 'Einsicht in die verborgenen Winkel des menschlichen Herzens' und 'die Kenntnis der Leidenschaften, die wir in unserem Busen teils empfanden und teils ahnten, und die, wenn man sie sonst gescholten hatte, uns nunmehr als etwas Wichtiges und Würdiges vorkommen mußten.'

So versteht, so erklärt der Alte die besondere Weise, in welcher von Jünglingstagen an seine Phantasie sich zur Welt der Erfahrung stellte: aus den inneren Erfahrungen des eigenen Gemüts fand er sich durch sein Zeitalter gezwungen den wesentlichen Inhalt seiner Dichtung zu schöpfen.

So entstanden damals die Lieder, die Mitschuldigen, die Laune des Verliebten, als Ausdruck seiner inneren Zustände und seiner Situation. Straßburg kam, wer denkt nicht an die Worte, mit denen er den ahnungsreichen Blick von dem Dom in das weite Land schildert, ein Sinnbild des frischen Gefühls, mit dem der Jüngling in das Leben blickt? Herder, Friederike, Shakespeare treten hervor und bringen mit sich Gestalten und Motive [145] mächtigerer Dichtungen. Aber wie von da ab auch die Personen wechseln, der Strom des Lebens sich mächtig erweitert: mit entzückender Kunst führt Goethe jede neue Dichtung auf dieselbe Regel seines dichterischen Schaffens zurück, welche er vom siebenten bis neunten Buche entwickelt hat.

Diese Weise dichterischen Schaffens in Goethe muß also nicht als ein Ausdruck für das Verhalten aller dichterischen Phantasie, sondern sie muß als ein besonderer Fall dieses Verhaltens aufgefaßt werden. Das Wort Tassos 'gab mir ein Gott zu sagen was ich leide' darf nicht unbesehen als die allgemeine Natur des wahren Dichtens ausdrückend betrachtet werden.

 

 

2.

Ich möchte versuchen, diesen Grundzug in Goethes poetischem Schaffen zu zergliedern und ihm in der Mannigfaltigkeit dichterischer Verfahrungsweisen seinen Ort zu bestimmen.

Die Phantasie in ihrer Stellung zur Welt der Erfahrungen bildet den notwendigen Ausgangspunkt. Sie tritt uns als ein Wunder, als ein von dem Alltagstreiben der Menschen gänzlich verschiedenes Phänomen gegenüber, ist aber doch nur eine mächtigere Organisation gewisser Menschen, welche in der seltenen Stärke bestimmter elementarer Vorgänge gegründet ist; von diesen aus baut sich dann das geistige Leben seinen allgemeinen Gesetzen gemäß zu einer ganz von dem Gewöhnlichen abweichenden Gestalt auf.

Die Erinnerungsbilder haben in verschiedenen Individuen unter sonst gleichen Bedingungen einen ganz verschiedenen Grad von Helle und Stärke, von Sinnfälligkeit oder Bildlichkeit. Von den Vorstellungen als farb- und lautlosen Schatten bis zu den im Sehraum [146] bei geschlossenen Augen projizierbaren Gestalten der Dinge und Menschen erstreckt sich eine Reihe ganz verschiedener Formen von Reproduktion. Mit der Begabung für darstellende Poesie ist nun eine außerordentliche Fähigkeit, reproduzierten oder frei gebildeten Vorstellungen Augenscheinlichkeit und hellste Sinnfälligkeit zu erhalten oder zu verleihen, verknüpft. Bedarf doch das in Gestalten Denken des Dichters überall des Sinnfälligen, der Bewegung von scharf umrissenen Gestalten als seiner Grundlage. Zugleich verlangt es Fülle der erworbenen Eindrücke und Vollständigkeit der Erinnerungsbilder: daher sind auch Dichter meist gewaltige Erzähler. Wie diese Kraft doch begrenzt ist hat Goethe selbst wahrgenommen: 'Die Phantasie kann nie eine Vortrefflichkeit so vollkommen denken, als sie im Individuum wirklich erscheint. Nur vager, nebliger, unbestimmter, grenzenloser denkt sie sich die Phantasie, aber niemals in der charakteristischen Vollständigkeit der Wirklichkeit.'

Welches ist nun das Verhältnis zwischen der angesammelten Erfahrung und der frei schaffenden Phantasie, zwischen der Reproduktion von Gestalten, Situationen und Schicksalen und ihrer Schöpfung? Die Assoziation, welche gegebene Elemente in einer gegebenen Verbindung zur Vorstellung zurückruft, und die Einbildungskraft, welche aus den gegebenen Elementen neue Verbindungen herstellt, scheinen voneinander durch die klarste Grenzlinie getrennt. Indem man die wirkliche Beziehung dieser beiden großen psychischen Tatsachen untersucht, gilt es, die deskriptive Methode ohne jede Einmischung erklärender Hypothesen anzuwenden, um den sicheren Zusammenhang des Tatsächlichen so klar als möglich aufzufassen. So allein kann dem Historiker der Poesie Zutrauen entstehen, sich der feineren Einsichten der Psychologie anstatt der grobkörnigen Vorstellungen des gemeinen Lebens für seine [147] Auffassung der Literatur zu bedienen: denn nur durch allgemeine Vorstellungen von psychischen Tatsachen fassen wir jedes individuelle Phänomen der Geschichte auf, stellen wir es dar.

Das Zutrauen der Geschichtschreiber und positiven Forscher wird erscheinen mit der Sonderung einer deskriptiven Psychologie von der hypothetisch erklärenden. Jene ist Grundlage der Geisteswissenschaften, diese ist allmähliche Ausbildung möglicher Hypothesen über den letzten Zusammenhang geistiger Tatsachen untereinander und mit denen der Natur. Solche Hypothesen sind in bezug auf das hier vorliegende Verhältnis von Erinnerung und freier Phantasie sowohl die Annahme unbewußter Vorstellungen als die von bloßen zurückbleibenden physiologischen Spuren – die Annahme, daß die Vorstellung, welche wir erinnern, als fixes Element dem Atom vergleichbar zurückkehre und, so zurückgekehrt, vermöge ihres Verhältnisses zu anderen Vorstellungen in Bildungsprozesse eintrete. In der von uns auffaßbaren Wirklichkeit kehrt dieselbe Vorstellung so wenig in einem Bewußtsein zurück als sie in einem zweiten Bewußtsein als ganz dieselbe wieder vorkommt. So wenig als der neue Frühling die alten Blätter auf den Bäumen mir wieder sichtbar macht, so wenig werden die Vorstellungen eines vergangenen Tages an dem heutigen wiedererweckt, etwa nur dunkler oder undeutlicher.

Wenn wir, in derselben Lage verharrend, das Auge das einen Gegenstand in sich gefaßt hat schließen, und dann, ohne Nachwirkung des Reizes selber auf der Netzhaut in Nachbildern, die Vorstellung, in welche die Wahrnehmung übergegangen ist, ihre höchste Stärke und Sinnfälligkeit noch besitzt: dann wird in diesem Erinnerungsnachbilde nur ein Teil derjenigen Elemente vorgestellt, welche in dem Wahrnehmungsvorgang enthalten waren; und schon hier, wo doch nur eine seelen[148]lose, tote Erinnerung stattfindet, ist bei lebhafter Anstrengung, das ganze Bild zurückzurufen, eine versuchende Nachbildung unverkennbar.

Wenn aber zwischen die Wahrnehmung und die Vorstellung andere Bilder sich eingedrängt haben, wirkt das Assoziationsverhältnis, vermöge dessen auf den Schauplatz des Bewußtseins eine Vorstellung gerufen wird, auf die Richtung, in welcher die zu reproduzierende Vorstellung sich aufbaut; es wirken die Formen der Beziehung, wie Ähnlichkeit oder Kontrast; es wirkt der Inhalt der Vorstellung oder des Vorstellungsinbegriffs, von welchem aus reproduziert wird; es wirken die Gefühle und Antriebe, unter deren Macht erinnert wird. Wie die sinnliche Wahrnehmung von einem äußeren, so baut sich die erinnerte Vorstellung von einem bestimmten inneren Gesichtspunkte aus auf; sie nimmt dabei nur so viel Elemente aus dem Tatbestande, der von der Wahrnehmung zurückblieb, als Baumaterial auf, als die nunmehr gegenwärtigen Bedingungen mit sich bringen, und diese erteilen dem Bilde seine Gefühlsbeleuchtung durch die Beziehung zu dem gegenwärtigen Gemütszustand in Ähnlichkeit oder Kontrast; wie denn in Zeiten schmerzlichster Unruhe das Bild eines ehemaligen ruhigen und freudlosen Zustandes wie eine selige Insel sonnigsten Friedens vor uns auftauchen kann. Ja, es baut sich eine irrtümliche und ganz falsche Vorstellung auf, wenn angestrengte Aufmerksamkeit ein helleres Bild erstrebt, als der zurückgebliebene Tatbestand unter den vorhandenen psychologischen Bedingungen zu formen gestattet, oder wo der Gesichtspunkt dahin wirkt, daß dieser Aufbau eine von der Wahrnehmung abweichende Gestalt empfängt. Bilder, welche durch Beziehungen nur wie durch einen augenblicklichen Sonnenblick sichtbar werden, dürfen hier außer acht gelassen werden.

[149] Und wenn wir nun endlich zumeist nicht Einzeleindrücke uns zurückzurufen streben, deren Erinnerung auf einen bestimmten Wahrnehmungsakt als ein Augenblicksbild sich bezieht, sondern Vorstellungen oder Vorstellungsverbindungen, deren jede den Gegenstand in allen seinen von uns wahrgenommenen Lagen repräsentiert: dann steht der Aufbau einer solchen Vorstellung noch viel weiter ab von toter Reproduktion und nähert sich noch viel mehr dem der künstlerischen Nachbildung. Kurz wie es keine Einbildungskraft gibt, die nicht auf Gedächtnis beruhte, so gibt es kein Gedächtnis, das nicht schon eine Seite der Einbildungskraft in sich enthielte. Wiedererinnerung ist zugleich Metamorphose. Und diese Erkenntnis läßt den Zusammenhang zwischen den elementarsten Vorgängen unseres psychischen Lebens und den höchsten Leistungen des menschlichen schöpferischen Vermögens sichtbar werden. Sie läßt in die Ursprünge jenes mannigfaltigen, an jedem Punkte ganz individuellen und nur einmal so vorhandenen beweglichen geistigen Lebens blicken, dessen glücklichster Ausdruck die unsterblichen Geschöpfe der künstlerischen Phantasie sind. Die Reproduktion selber ist ein Bildungsprozeß.

So läßt sich die Organisation des Dichters nach dieser Seite schon in der Mächtigkeit der einfachen Vorgänge von Wahrnehmung, Gedächtnis, Reproduktion aufzeigen, mittels deren sich Bilder mannigfachster Art, Charaktere, Schicksale, Situationen in dem Bewußtsein bewegen; in dem Erinnern selber entdecken wir eine Seite, durch welche es der Einbildungskraft verwandt ist; und die Metamorphose durchwaltet das ganze Leben von Bildern in unserer Seele. Dies zeigt sich auch in den merkwürdigen Phänomenen der Gesichtserscheinungen. Wer hätte nicht, vor dem Einschlafen, geschlossenen Auges, sich an den einfachsten Phänomenen ergötzt, die hier sich darbieten? In dem [150] ruhenden reizbaren Gesichtssinn erscheinen die inneren organischen Reize nunmehr als Strahlen, wallende Nebel, und aus ihnen formen und entfalten sich, ohne jede Mitwirkung einer Absicht, da wir im Gegenteil in reines ruhigstes Anschauen versenkt sind, leuchtende, farbige Phantasiebilder, die in beständiger Abwandlung begriffen sind.

Von diesen allgemeinen Betrachtungen wenden wir uns zu dem was Goethe selber über seine Phantasie bemerkt hat. Auf die Naturgrundlagen seines dichterischen Vermögens wirft folgende Stelle der Beiträge zur Morphologie ein Licht: 'Ich hatte die Gabe, wenn ich die Augen schloß, und mit niedergesenktem Haupte mir in die Mitte des Sehorgans eine Blume dachte, so verharrte sie nicht einen Augenblick in ihrer ersten Gestalt, sondern sie legte sich auseinander, und aus ihrem Inneren entfalteten sich wieder neue Blumen aus farbigen, auch wohl grünen Blättern; es waren keine natürlichen Blumen, sondern phantastische, jedoch regelmäßig wie die Rosetten der Bildhauer. Es war unmöglich die hervorsprossende Schöpfung zu fixieren, hingegen dauerte sie so lange als mir beliebte, ermattete nicht und verstärkte sich nicht. Dasselbe konnte ich hervorbringen, wenn ich mir den Zierat einer buntgemalten Scheibe dachte, welche dann ebenfalls aus der Mitte gegen die Peripherie hin sich immerfort veränderte, völlig wie die in unseren Tagen erst erfundenen Kaleidoskope.' Wenn vor dem Einschlafen unter günstigen Bedingungen dem Beobachter, wie ich selbst erprobt habe, gelingt, in dem dunklen Sehraum die aufsteigenden farbigen Nebel zu Gestalten sich formen und abwandeln zu sehen, so erblicken wir bei Goethe höchste Leichtigkeit und Schönheit dieser Schöpfungen einer unwillkürlich bildenden Einbildungskraft. Diese Gabe, in einer modifizierten Form, überträgt er in den Wahlverwandtschaften, [151] welche ja ganz von den Darlegungen unserer physiologischen Bedingtheit auch in den höchsten Offenbarungen unseres Gemütslebens durchdrungen sind, auf die von ihm so geliebte Gestalt der Ottilie; die Darstellung erinnert an das was Cardanus von sich erzählt; zwischen Schlaf und Wachen blickt sie in einen mild erleuchteten Raum, in dem sie den im Krieg abwesenden Eduard gewahrt. Die Gewalt, die die Gebilde der Phantasie über den Dichter selber üben, ist in mehreren Stellen des Tasso mit tiefer Kenntnis ausgesprochen, so: 'Ich halte diesen Drang vergebens auf, der Tag und Nacht in meinem Busen wechselt' usw.; dann wie er Eleonoren den künftigen Weg des Verbannten nach Neapel schildert: 'verkleidet geh ich hin, den armen Rock des Pilgers oder Schäfers zieh ich an' usw. – man teilt den Schauder Eleonorens, die ihn unterbricht, wie um den unheimlichen Zauber zu brechen, mit welchem ihn dies Phantasiebild umfängt.

Goethe hat auch die Einsicht über die Natur des Dichters, welche ihm aus solchen Erfahrungen sich ergeben hatte, folgendermaßen generalisiert: 'Man sieht deutlicher ein was es heißen wolle, daß Dichter und alle eigentlichen Künstler geboren sein müssen. Es muß nämlich die innere produktive Kraft jene Nachbilder, die im Organe, in der Erinnerung, in der Einbildungskraft zurückgebliebenen Idole, freiwillig, ohne Vorsatz und Wollen lebendig hervortun, sie müssen sich entfalten, wachsen, sich ausdehnen, zusammenziehen, um aus flüchtigen Schemen wahrhaft gegenwärtige Bilder zu werden.' 'Ich bin', erzählte er dem Kanzler Müller, 'hinsichtlich meines sinnlichen Auffassungsvermögens so seltsam geartet, daß ich alle Umrisse und Formen aufs schärfste in der Erinnerung behalte, dabei aber durch Mißgestaltungen und Mängel mich aufs lebhafteste affiziert finde.' 'Ohne jenes [152] scharfe Auffassungs- und Eindrucksvermögen könnte ich ja auch nicht meine Gestalten so lebendig und scharf individualisiert hervorbringen. Diese Deutlichkeit und Präzision der Auffassung hat mich früher lange Jahre hindurch zu dem Wahn verführt, ich hätte Beruf und Talent zum Zeichnen und Malen.' In demselben Sinn faßt Goethe in seinen Sprüchen das Ziel der Poesie: 'Der Dichter ist angewiesen auf Darstellung. Das höchste derselben ist, wenn sie mit der Wirklichkeit wetteifert, d.h. wenn ihre Schilderungen durch den Geist dergestalt lebendig sind, daß sie als gegenwärtig für jedermann gelten können.'

Goethe spricht sich auch über den zeitlichen Verlauf aus, in welchem sich seine Schöpfungen entfalteten. 'Mir drückten sich gewisse große Motive, Legenden, uraltgeschichtlich Überliefertes so tief in die Seele, daß ich sie vierzig bis fünfzig Jahre lebendig und wirksam im Inneren erhielt; mir schien der schönste Besitz, solche werte Bilder oft in der Einbildungskraft erneut zu sehen, da sie sich dann zwar immer umgestalteten, doch, ohne sich zu verändern, einer reineren Form, einer entschiedeneren Darstellung entgegenreiften.' In anderen Dichtern wie in Schiller ist die Entstehung jedes darstellenden Werkes ein in gewaltiger und bewußter Arbeit den ganzen Menschen bewegender Prozeß gewesen. Vielleicht teilt sich diese vorandrängende Macht des Willens auch der Handlung mit und gibt ihr die starke Bewegung und den großen Zug, die wir an Schiller bewundern, während auch Goethes gewaltigste Darstellungen diese Eigenschaften nicht zeigen.

 

 

3.

Phantasie ist in unserem Dasein überall gegenwärtig.

Zunächst ist sie in den Zusammenhang verwoben, in welchem der Mensch sich von außen bedingt findet, und [153] in der Richtung auf Erhaltung und Steigerung seines Daseins wieder nach außen zurückwirkt. So bildet jede im täglichen Leben stattfindende Mitteilung unwillkürlich das Erlebte um. Wünsche, Befürchtungen, Träume der Zukunft überschreiten das Wirkliche. Jedes Handeln ist bestimmt durch ein Bild von etwas, das noch nicht ist. Die großen Momente des Daseins, Geburt, Liebe, Tod werden verklärt durch Bräuche, die die Realitäten umkleiden und über sie hinausweisen.

Ich unterscheide nun hiervon das Wirken der Phantasie, in welchem sich eine von der Welt unseres Handelns unterschiedene zweite Welt aufbaut. So äußert sich die Einbildungskraft unwillkürlich in den Gebilden des Traumes, welcher der älteste aller Poeten ist. Sie wirkt dann willkürlich, wo sich der Mensch von der Bindung durch die Wirklichkeit zu befreien strebt: im Spiel, vor allem aber, wo festliche Steigerung des Daseins in Maskenscherz, Verkleidung, festlichem Aufzug eine vom Leben des Tages gesonderte Welt hervorbringt. Das ritterliche Leben und die höfische Kultur der Renaissance zeigen, wie solche Entfaltung der Phantasie für die vom Leben ganz abgelöste Schöpfung einer zweiten Welt in der Dichtung die inneren und die gesellschaftlichen Bedingungen schafft. In einer anderen Linie des Lebens bereitet sich die Poesie in dem Verkehr mit den unsichtbaren Kräften vor. Die Anschauungen von göttlichen Wesen entstehen zunächst aus solchem religiösen Verkehr, der diese der physischen Einwirkung unerreichbaren Kräfte zu beeinflussen strebt: sie bilden sich sonach im Zusammenhang von Tätigkeiten, die auf Veränderungen in der unsichtbaren Ordnung gerichtet sind; daher sind diese Anschauungen eingewoben in das Leben, sein Leiden und Wirken. Ist so die Einbildungskraft in Mythos und Götterglaube zunächst gebunden an das Bedürfnis [154] des Lebens, so sondert sie sich doch allmählich im Verlauf der Kultur von den religiösen Zweckbeziehungen und erhebt jene zweite Welt zu einer unabhängigen Bedeutsamkeit wie Homer, die griechischen Tragiker, Dante, Wolfram von Eschenbach das zeigen.

So löst alle darstellende Dichtung die Welt, die sie schafft, von der Bindung los, die in den besonderen Lebensbedingungen des Schaffenden und Genießenden enthalten ist. Und nun der Vorgang selber, in welchem dieses dichterische Schaffen sich vollzieht? Hier greift das andere Moment ein, das die Eigenart darstellender Dichtung bestimmt: aus dem Stoff der Erfahrungen des Lebens baut sie eine zweite Welt auf: eine Welt, die höchstes Glück ausstrahlt und tiefstes Lebensverständnis vermittelt.

Was über die Wirkung der Bewußtseinslage auf die Gestaltung der Erinnerungsbilder dargelegt wurde, will nunmehr als ein einzelner Fall aus dem Gebiet der Seelenprozesse verstanden werden, in denen die dichterische Welt sich bildet. Erlebnisse und die durch sie geschaffenen Bedingungen des Auffassens sind immer deren Grundlage. Unwillkürliche, unmerkliche Vorgänge walten hier wie in der Metamorphose der einzelnen Bilder überall. Sie arbeiten beständig an Farbe und Form der Welt, in welcher der Dichter lebt. Hier ist der Punkt, an welchem sich uns der Zusammenhang von Erlebnis und Phantasie im Dichter aufzuschließen beginnt. Die dichterische Welt ist da, ehe dem Poeten aus irgendeinem Geschehnis die Konzeption eines Werkes aufgeht und ehe er die erste Zeile desselben niederschreibt.

Der Vorgang, in dem ein einzelnes dichterisches Werk sich bildet, empfängt nun sein Gesetz aus einem Verhalten zur Lebenswirklichkeit, das vom Verhältnis der Erfahrungselemente zum Zusammenhang der Erkenntnis ganz verschieden ist. Der Dichter lebt in dem Reichtum [155] der Erfahrungen der Menschenwelt, wie er sie in sich findet und außer sich gewahrt, und diese Tatsachen sind ihm weder Daten, welche er zur Befriedigung seines Systems von Bedürfnissen benutzt, noch solche, von denen aus er Generalisationen erarbeitet; das Dichterauge ruht sinnend und in Ruhe auf ihnen: sie sind ihm bedeutsam; die Gefühle des Dichters werden von ihnen angeregt, bald leise, bald mächtig, gleichviel wie fern dem eigenen Interesse diese Tatsachen liegen oder wie lange sie vergangen sind: sie sind ein Teil seines Selbst.

Im vollkommenen dichterischen Werke ist miteinander verknüpft was den Sinnen in der Empfindung gefällt, was unsere höheren Gefühle ins Spiel setzt und was die denkende Betrachtung beschäftigt: nur dann wird kein Mangel empfunden und die im Leben nur vorübergehende und partikulare Befriedigung wird dauernd. Die Auffassung des Kunstwerks weiß von keinem Zweck, der außer ihr selbst gelegen wäre. Die Ideenfolge dessen, der einen Satz beweisen will, hat ihr Interesse an der erreichten Evidenz, aus der Arbeit dessen, der einen Vertrag herbeiführt, entsteht erst in dem Augenblick Befriedigung, wenn endlich die Unterschriften gesichert sind. Das Spiel der Kunst erreicht was das Leben in den seltenen Momenten, in denen wir mit richtigem Takte seine Schönheit preisen, gewährt: eine Beschäftigung unserer rastlosen Energien, welche lauter Genuß ist. Die Anfänge dieses Spieles können wir bis in das Leben der höheren Tiere zurück verfolgen. Denn die höchstorganisierten Tiere setzen schon in Nachahmung ihrer ernstlichen auf Zwecke gerichteten Lebensäußerungen ihre Kräfte durch einen vorgestellten Verlauf ins Spiel.

Aus der Versenkung in die Welt der Phantasie, die sich dem Gegenstand ganz hingibt und das Selbst mit seinen persönlichen Bedürfnissen schweigen macht, entspringt die Konzeption des Kunstwerks und gleicher[156]weise gehören die höchsten Momente seines Wachstums ihr an. Hierin haben alle diese Momente der Produktion eine Ähnlichkeit mit denen vollbefriedigter ästhetischer Auffassung. Die poetische Arbeit selbst ist dann auf die Hervorbringung eines äußeren Werkes gerichtet: dies gibt nun dem bewußten und absichtlichen Schaffen des Dichters seinen Charakter.

An dem bunten Teppich der darstellenden Dichtung mit seinen Figuren weben alle Kräfte des ganzen Menschen. Alle Poesie ist von dem Gedanken durchdrungen; gibt es doch in dem entwickelten Menschen nur wenige Vorstellungen, welche nicht allgemeine Elemente in sich faßten; gibt es doch anderseits in der Menschenwelt vermöge der Wirkung allgemeiner sozialer Verhältnisse und psychologischer Verhaltungsweisen kein Individuum, welches nicht zugleich unter den verschiedenen Gesichtspunkten repräsentativ wäre, kein Schicksal, welches nicht einzelner Fall eines allgemeineren Typus von Lebenswendungen wäre. Diese Bilder von Menschen und Schicksalen werden unter dem Einfluß der denkenden Betrachtung so gestaltet, daß sie, ob sie gleich nur einen einzelnen Tatbestand hinstellen, doch von dem Allgemeinen ganz gesättigt und solchergestalt repräsentativ für dasselbe sind. Hierzu bedarf es durchaus nicht der in das dichterische Werk eingestreuten allgemeinen Betrachtungen, deren Funktion vielmehr vorwiegend ist, den Auffassenden zeitweise von dem Bann des Affekts, der Spannung, der fortreißenden Mitempfindung zu befreien, indem sie zu beschaulicher Stimmung erheben. Und zugleich zeigt alle Poesie das Gepräge des Willens, aus dem sie entsprang. Schon Schiller verfolgte überall in der Schönheit den Widerschein des Sittlichen; Goethe äußerte sich: 'darauf kommt alles an. Man muß etwas sein, um etwas zu machen'. 'Der persönliche Charakter des Schriftstellers bringt seine Bedeutung beim Publikum [157] hervor, nicht die Künste seines Talents.' Wie könnte es auch anders sein als daß die Form des Willens das durchwaltet, was aus ihm entsprang, mag sie aus den Gestalten blicken oder aus der Führung der Handlung oder aus Stimmung und Gefüge.

Das Verhältnis der Phantasie zu ihren Gestalten gleicht innerhalb gewisser Grenzen dem zu wirklichen Menschen, welche durch ihre stetige Beziehung zu dem System unserer Neigungen und Affekte ein Teil unseres Selbst geworden sind. So lebte Dickens mit seinen Gestalten als mit seinesgleichen, litt mit ihnen, wenn sie der Katastrophe sich näherten, fürchtete sich vor dem Augenblick ihres Untergangs. Balzac sprach von den Personen seiner comédie humaine als ob sie lebten; er analysierte, tadelte, lobte sie, als gehörten sie mit ihm zu derselben guten Gesellschaft; er konnte lange Debatten darüber führen, was sie in einer Lage, in der sie sich befanden, am besten tun würden. Wie Goethe von den tragischen Affekten seiner Poesie im Vorgang der Dichtung bewegt wurde, kann man erschließen aus seiner Äußerung an Schiller, er wisse nicht, ob er eine wahre Tragödie schreiben könne, jedoch vor dem Unternehmen schon erschrecke er und sei beinahe überzeugt, daß er sich durch den bloßen Versuch zerstören könne.

So weicht also der Dichter in einem weit höheren Grade von allen anderen Klassen von Menschen ab als man anzunehmen geneigt ist, und wir werden uns, einer philisterhaften Auffassung gegenüber, welche sich auf biedere Durchschnittsmenschen vom dichterischen Handwerk stützt, daran gewöhnen müssen, das innere Getriebe und die nach außen tretende Handlungsweise solcher dämonischen Naturen von ihrer Organisation aus aufzufassen, nicht aber von einem normalen Durchschnittsmaß aus. Von diesem gewaltigen ganz unwillkürlichen Bautrieb aus will auch Goethes Lebensweise verstanden werden.

 

 

[158] 4.

Die Grundeigenschaften der darstellenden dichterischen Werke können jetzt nach ihrer Beziehung zum Erleben überschaut werden.

Jedes poetische Werk ist Darstellung eines einzelnen Geschehnisses. Es gibt als Darstellung den bloßen Schein eines Wirklichen durch Worte und deren Verbindungen; so muß es alle Mittel der Sprache anwenden, um die Illusion hervorzubringen. Es versetzt den Auffassenden in Freiheit, indem er sich in dieser Welt des Scheines außerhalb der Notwendigkeiten seiner tatsächlichen Existenz findet – entnommen allem Druck der Realitäten, die sein Leben bedingen, wie allen Bindungen des Willens an seine Zwecke. Und es beschäftigt im Nacherleben dieser Welt sein ganzes Wesen in einem ihm gemäßen Ablauf der seelischen Vorgänge: von der Freude am Klang, am Rhythmus, an der sinnlichen Anschaulichkeit bis zum tiefsten Verständnis des Geschehnisses nach dessen Beziehungen zur ganzen Breite des Lebens. Denn jedes echte poetische Werk hebt an dem Ausschnitt der Wirklichkeit, den es darstellt, einen Zug des Lebens heraus, der so vorher nicht gesehen worden ist. Indem es eine ursächliche Verkettung von Vorgängen oder Handlungen sichtbar macht, läßt es zugleich den Wert nacherleben, der im Zusammenhang des Lebens diesem Geschehnis zukommt. Das Geschehnis wird so zu seiner Bedeutsamkeit erhoben. Es ist der Kunstgriff des Dichters, es so hinzustellen, daß der Zusammenhang des Lebens selbst und sein Sinn aus ihm herausleuchtet. Der Dichter ruft in seinem Leser oder Hörer das stärkste Gefühl der im Geschehnis enthaltenen Lebensmomente und ihrer Werte hervor, er setzt diese in Verhältnis zu dem Ganzen des Lebens, und dies vermag er nur, indem er in die Tiefe der ursächlichen Zusammenhänge hinein[159]blicken läßt. So wird die Poesie zum Organ des Lebensverständnisses. Mit den Augen des großen Dichters gewahren wir Wert und Zusammenhang der menschlichen Dinge.

So ergibt sich die in unserem Zusammenhang entscheidende Einsicht: der Gehalt einer Dichtung, welcher das einzelne Geschehnis zur Bedeutsamkeit erhebt, hat seine Grundlage in der Lebenserfahrung des Poeten und dem Ideenkreis, der sich an sie angeschlossen hat. Der Ausgangspunkt des poetischen Schaffens ist immer das Erlebnis und die Besinnung über dasselbe in der Lebenserfahrung. Jeder der unzähligen Lebenszustände, durch die der Dichter hindurchgeht, kann in psychologischem Sinne als Erlebnis bezeichnet werden: hier soll dieser Ausdruck nur diejenigen unter den Momenten seines Daseins bezeichnen, welche ihm einen Zug des Lebens aufschließen. So aufgefaßt wird das Erlebnis ein Bestandteil der Lebenserfahrung. Was auch dem Dichter aus der Welt der Ideen oder der Geschichte zukommen mag: nur sofern es die eigenen Erlebnisse ihm verständlich macht oder aus diesen ein tieferes Verständnis empfängt, dient es ihm, Neues am Leben zu gewahren. Der Idealismus der Freiheit, wie ihn Schiller von Kant aufnahm, klärte ihm doch nur das große innere Erlebnis auf, in welchem seine hohe Natur im Konflikt mit der Welt ihrer Würde und Souveränität gewiß wurde.

Ein innerer Zusammenhang geht im Schaffen jedes Dichters von seiner Lebenserfahrung und den an sie angeknüpften Ideen bis in Sprache und Stil seiner Werke. Denn in Worten und ihrer Folge sind alle Mittel des Dichters beschlossen. Indem von dieser Grundlage aus ein Geschehnis zur Bedeutsamkeit erhoben wird, entsteht ein dichterisches Gebilde. Wie wir nun an einem Naturkörper seine chemische Zusammensetzung, seine Schwere, seinen Wärmezustand unterscheiden und für sich studieren, so [160] sondern wir in dem darstellenden dichterischen Werke, dem Epos, der Romanze oder Ballade, dem Drama oder dem Roman voneinander Stoff, poetische Stimmung, Motiv, Fabel, Charaktere und Darstellungsmittel. Der wichtigste unter diesen Begriffen ist der des Motivs: in dem Motiv hängt das eigene Erlebnis des Dichters zusammen mit der Fabel, den Charakteren und der poetischen Form. Wie in organischem Wachstum gestalten sich von der Lebenserfahrung aus diese einzelnen Momente, die an der Dichtung unterschieden werden können: jedes derselben vollzieht eine Leistung im Zusammenhang des Werkes.

 

So ist also jede Dichtung ein lebendiges Geschöpf eigener Art. Das höchste Verständnis der Literatur wäre erreicht, könnte man den Inbegriff der Bedingungen im Dichter und außer ihm aufzeigen, unter denen im einzelnen Falle der Zusammenhang entsteht, der, von der bestimmt umgrenzten und geordneten Lebenserfahrung des Poeten aus in dem Werk desselben Motiv, Fabel, Charaktere und Darstellungsmittel gestaltet. So würde die ganze Eigenart eines Dichters verstanden. Sie könnte so ferner nach ihrer Stärke und ihren Grenzen durch Vergleichung mit der anderer Dichter aufgeklärt werden. Und die ganze poetische Literatur ließe sich schließlich unter den verschiedenen Gesichtspunkten, die in diesem Zusammenhang enthalten sind, nach Gruppen ordnen. Was Schiller mit seiner Unterscheidung der naiven und sentimentalischen Dichtung genial begonnen hat, könnte methodisch fortgeführt werden. Eine solche Aufgabe darf sich heute kaum jemand stellen. Hier soll nur versucht werden unter dem Gesichtspunkt des dargelegten umfassenden Zusammenhanges, in welchem dichterische Werke entstehen, die Züge im Schaffen Goethes, von denen wir ausgegangen sind, dem Verständnis näher zu [161] bringen. Und wenn uns heute Shakespeare und Goethe als die beiden größten Kräfte der modernen Literatur nebeneinander treten, so kann vielleicht ihre Vergleichung aus den Gesichtspunkten, die sich uns ergeben haben, ihr Verständnis erleichtern und den Genuß ihrer Werke erhöhen. Das wäre das schönste Ergebnis dieser Arbeit.

Es ist nach dem Dargelegten selbstverständlich, daß von der Lebenserfahrung der beiden großen Dichter auszugehen ist. Unter den Unterschieden, die in dieser auftreten und das dichterische Schaffen beeinflussen, ist Einer besonders bedeutsam. Jedes Erlebnis ist der Ausdruck der Beziehung einer Person zu der sie umgebenden Welt in einem bestimmten Zeitpunkt ihres Lebensverlaufs. Sonach kann es, wenn es zur Besinnung erhoben wird, in zwiefacher Richtung eine Belehrung enthalten. Es kann dem Erlebenden ebensowohl etwas Neues sagen über sich selbst als über die Welt. Und der Dichter wird im Fortschreiten seiner Erfahrung immer ebensowohl neue Eigenschaften seines eigenen Wesens entdecken als neue Züge an dem was ihn umgibt. Blickt er in sich selbst, so wird er zugleich aufgeklärt über die Natur des Menschen, die sich bis in ihre letzte erreichbare Tiefe in ihm offenbart, und über das Verhältnis seiner Eigenart zu der anderer Personen. Blickt er in das Leben um ihn her, dann wird sich ihm immer so viel davon aufschließen, als ihm durch seine innere Erfahrung zugänglich ist. So werden stets die beiden Seiten der Lebenserfahrung ineinander greifen und sich ergänzen. Aber nach dem Unterschied seiner Anlagen und den Bedingungen unter denen er lebt, wird er bald mehr geneigt sein, aus sich selbst die Belehrung über das Leben zu schöpfen, bald wird sein Blick dem Spiel der Kräfte außer ihm vorwiegend zugewandt sein.

[162] Wie sich nun dieser Unterschied unter den Bedingungen von Anlage und historischen Umständen bei Shakespeare und Goethe geltend macht, wie sich jedem dieser beiden Großen verwandte Naturen zur Seite stellen, die in derselben Richtung gearbeitet haben, soll in folgendem dargestellt werden.

 

 

5.

Die Briefe von Dickens und die Lebensnachrichten von ihm gestatten uns einen Einblick in die Werkstatt dieses Dichters. Er erscheint als ein Genie, dessen ganzes Leben in tatsächlicher Erfahrung, in genauester unwillkürlicher Beobachtung dessen, was immer neue Erfahrungskreise ihm bieten, verläuft, der so viel Beschäftigungen und Lebenslagen durcheilt, als Lehrjunge, Advokatenschreiber, Reporter im Parlament und im Lande, so viel Tatsachen seiner Beobachtung zu unterwerfen in der Lage ist, die Gefängnisse und Irrenhäuser der meisten Länder Europas wie ihre gute Gesellschaft so gründlich studiert, daß in Deutschland kein Leben eines Poeten damit vergleichbar ist; dann sein Ungestüm, die ungeheuren Fehlgriffe seines fieberhaft tätigen Naturells, seine Gleichgültigkeit gegen jede höhere Ausbildung seiner eigenen Persönlichkeit, gegen jede höhere intellektuelle Beschäftigung; und dies alles Außenseite für ein Leben voll Seligkeit und Leid, voll der heftigsten Affekte im Mitleben mit den Gestalten, welche aus diesem Erfahrungsmaterial geformt sind: er ist dem, was er außer sich gewahrt hat, ganz hingegeben.

Indem wir das dichterische Schaffen des Zeitgenossen von Stuart Mill aus so genauen Mitteilungen studieren, fällt von dieser Erkenntnis aus auch ein Licht auf das uns anscheinend ganz unbegreifliche innere Leben und Bilden in dem Zeitgenossen des Lord Bacon.

[163] Shakespeare scheint in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt. Eifrigste Sammlung hat nur eine Anzahl Urkunden von kirchlichen Akten und Rechtsgeschäften und ein paar polemische Stellen zeitgenössischer Schriftsteller als wirklich authentisches Material gewonnen. Es scheint, daß seine Person nicht in hohem Grade die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen auf sich zog. Seine Tragödien können nur mit großer Vorsicht zu Schlüssen auf seine Denkart, seine religiösen oder philosophischen Überzeugungen und seinen Charakter benutzt werden. Seine Sonette sind selber ein Geheimnis, da wir weder wagen sie beim Wort zu nehmen wegen der ungeheuren Paradoxie der Gefühlsweise in ihnen, noch zaghaft darauf verzichten können, einen Kern höchst subjektiven persönlichsten Empfindens in ihnen anzunehmen.

Wir gehen von einigen unzweifelhaften, in seinen Werken selbst gegebenen Tatsachen in betreff seiner Organisation aus. Shakespeare zeigt einen Umfang von zutreffenden gründlichen und ganz positiven Wahrnehmungsbildern, mit welchen die Summe genauer Bilder bei keinem anderen Poeten auch nur verglichen werden kann. Man muß in ihm eine Energie der Wahrnehmung und des Gedächtnisses annehmen, hinter der selbst das, was Goethe und Dickens von sich erzählen, weit, weit zurücksteht. Schon die Zeichen für die Dinge beherrscht er königlich: M. Müller hat berechnet, daß ihm etwa 15000 Wörter zur Verfügung stehen, beinahe doppelt so viel als Milton. Seine Kenntnis von Pflanzen und Tieren ist durch sachkundige Forscher als erstaunlich genau und umfassend erwiesen worden. Er spricht von Falken und Falkenjagd, wie einer, der sein Leben als Jäger zugebracht hat, so daß erst die sachkundige Untersuchung eines Kenners einige dieser Stellen verständlich gemacht hat. Er spricht von Hunden, als hätte er gleich Walter Scott jederzeit ein paar Lieblingstiere zu [164] seinen Füßen liegen gehabt. In einer Zeit, in welcher noch Ärzte in bezug auf Wahnsinnige ganz von abergläubischen Vorstellungen erfüllt sind, erscheint er als ein so tiefer Beobachter krankhafter Seelenzustände, daß hervorragende Irrenärzte unserer Zeiten seine Personen studiert haben wie man Tatsachen der Natur selber studiert. Seine Kenntnis von Rechtsfällen und Rechtsgeschäften ist derart, daß hervorragende englische Juristen sie nur durch die Annahme sich erklären konnten, daß er als Lehrling eines Advokaten Gelegenheit gehabt habe, sich fachmäßig auszubilden. Und Umfang und Tiefe seiner Charakterschilderungen bezeichnen für uns die äußerste Grenze des dichterischen Vermögens.

Eine solche Wirkung setzt als Ursache nicht nur höchste Energie der Wahrnehmung und des Gedächtnisses voraus: wir müssen uns das Genie, welches dies leistet, gänzlich den Tatsachen hingegeben denken, gewahr werdend, beobachtend, sein Selbst ganz vergessend und verwandelnd in das was es erfaßt. Unwillkürlich muß ich an Rankes Wort denken: ich möchte mein Selbst auslöschen, und die Dinge sehen, wie sie gewesen sind. Nicht in sich selbst, sondern in dem was außer ihm auf ihn wirkte, lebte er. Er war ganz großes geistiges Auge. Er hatte kein Bedürfnis, in sich einen Zusammenhang von energischen Überzeugungen herzustellen oder ein Selbst von imponierender Macht zu gestalten: er wird als von sanfter Grazie gleich Raphael geschildert, und zugleich war ihm gegeben, jede menschliche Natur und Leidenschaft bis in ihre äußersten Konsequenzen und geheimsten Schlupfwinkel zu verfolgen. Hiermit ist seine Darstellungsweise einstimmig, welche die Menschen hinstellt, wie sie der Beobachter im Leben von außen gewahrt, in völliger Deutlichkeit der körperlichen Umrisse, in Willensbewegung, ihre letzten Beweggründe zuweilen undurchdringlich.

[165] Dieser Auffassung sind die Nachrichten über sein Leben konform. Der rasche, beinahe fiebernde Puls seiner Helden schlägt auch in ihm, wie in Marlowe und Ben Johnson. Mit achtzehn Jahren ist er verheiratet, das Jahr darauf mit der Sorge für eine Familie belastet (geboren 1564, verheiratet 1582, seine Tochter Susanne 26. Mai 1583, Hamnet und Judith 1585), zwischen 1585 und 1587 erscheint er in London, sich eine Existenz zu gründen, in den ersten zwanziger Lebensjahren. 1592, im achtundzwanzigsten Jahr, hat er bereits Ruhm und Wohlstand erreicht, so daß Greene in einem Pamphlet dieser Zeit ihn als 'an absolute Johannes Factotum and, in his own conceit, the only Shake-scene in a country' bezeichnen kann. Er ist dann 1598 anerkannt, sein Name erscheint von da ab auf den Titelblättern seiner Dramen. Schon jetzt beginnt er allmählich alles für seine Zurückgezogenheit in Stratford vorzubereiten. 1602, im achtunddreißigsten Lebensjahre ist er bereits wohlhabender Landgentleman in Stratford, obwohl noch in London tätig. In seinen vierziger Jahren finden wir ihn dann dort (der genauere Termin kann aus den bisher gefundenen Urkunden nicht erschlossen werden) in seinem stattlichen Hause, das von seinen Gärten umgeben ist, ausruhend von der stürmenden Hast seines Lebens; seine Laufbahn war zu Ende. Am 23. April 1616 im dreiundfünfzigsten Jahre starb er in Stratford, unmittelbar nach den Vermählungsfesten seiner jüngsten Tochter.

In den beiden Punkten, von denen man zu sagen pflegt, daß sie über das Leben entscheiden, in Ehe und Beruf, scheint raschem vordringendem Entschließen schwere Lebensmühe und Enttäuschung gefolgt zu sein; herbe Empfindung des Lebens und entschiedene klare Handhabung desselben erfüllen seine männlichen Jahre, und, seltsam es zu sagen, der Zusammenhang der Handlungen seines Lebens liegt nicht allein in seiner Poesie, sondern [166] ebenso in dem Willen, sich und seine Familie in die wohlhabende Landgentry zu erheben. Wie Dickens lernte er das Leben und die Menschen nicht als ein schwatzender und zuguckender Zuschauer kennen, sondern er spielte mit, in den übermütigsten Komödien wie in Tragödien, er hatte jene kraftfrohe Natur, die lieber etwas Falsches tut, als gar nichts. So hat auch der einzige in der Kenntnis des Lebens Shakespeare vergleichbare Dichter, Cervantes sein Leben als Sekretär eines päpstlichen Legaten, als Soldat in den verschiedensten Feldzügen, in Sklavenketten, als Schriftsteller unruhvoll durcheilt. Und gerade die bunten Erfahrungen einer bewegten mit Wirklichkeiten ringenden Jugend haben solchen Dichtern das Hauptmaterial ihres Erfahrungshorizontes geschenkt. Auch Äschylos und Sophokles erwarben im tätigen Leben des Bürgers und Soldaten ihr Verständnis der Welt, und erst Euripides lebte in seiner Bibliothek als Literat.

Wie sein Lebenslauf ihm die ungeheure Welterfahrung zuführte, welche seine Dramen zeigen, läßt sich noch verfolgen. Wie oft kehrt in seinen Dichtungen die Landschaft um Stratford wieder, in der er aufwuchs, mit ihren sanften Hügeln, ihrem gesättigten Wiesengrün, und den Büschen und Obstgärten, in denen die Dörfer versteckt lagen, zwischen denen der Avon sich schlängelte; es ist der landschaftliche Hintergrund des Sommernachtstraums, des Wintermärchens. Volkspoesie und Volksfeste, das lustige Altengland werfen noch ihren heiteren Glanz über das Land. Die Einleitung der bezähmten Widerspenstigen und vieles in den lustigen Weibern rufen uns wohl Personen und Szenen aus diesen Jugendtagen zurück. Volkslieder und Sagen flogen ihm noch auf seinen Wanderungen zu. Damals prägten sich auch in seine allen Eindrücken offene Seele die Bilder der Pflanzen- und Tierwelt, in welcher der Sohn des Landbesitzers, [167] wohl auch der leidenschaftliche Jäger (wer denkt nicht an die Geschichte von seinem Jagen auf dem verbotenen Grunde des nahen Landedelmanns) sich heiter bewegte; auch war wohl hier Anlaß genug für die unzähligen Späße auf Kosten der beschränkten kleinen Bauern und Bürger in seinen Dramen. Und in dies heitere Leben ragte hier schon die große und blutige Vergangenheit seines Landes herein; ging doch von Stratford die romantische Straße in acht Meilen nach dem Schlosse Warwick, wo auf dem Schloßhof zwischen den massiven Türmen oder unter den Grabdenkmälern die Schatten der Vergangenheit, die Gestalt des großen Königsmachers darunter, am hellen Tage umgingen. Ein paar Meilen weiter lag dann Kenilworth, das damals Leicester gehörte, in dessen Diensten ein Verwandter Shakespeares stand, und die Erklärer haben sich gern vorgestellt, daß bei den großen Festen, welche dort der Königin ihr Günstling gab, der elfjährige Knabe zugegen gewesen sei.

Aber wie dem auch sei, das Spiegelbild des Lebens in der Dichtung ist in Stratford selber wohl dem Knaben früh nahe getreten; in der lebensfrohen Stadt, in deren Kämmereirechnungen Sekt, Claret und Muskat keine kleine Rolle spielen, haben von 1569 bis 1587, in den Knabenjahren und der Jugendzeit Shakespeares, nicht weniger als 24 Besuche von Schauspielertruppen stattgefunden. Goethe und Dickens erzählen übereinstimmend, wie von früher Kindheit ab die Gestalten aus Dichtungen sich in ihr wirkliches Leben verwebten; 'es ist mir sonderbar', erzählt Dickens, 'wie ich mich je in meinen kleinen Leiden damit trösten konnte, daß ich meine Lieblingscharaktere in dieselben versetzte. Ich bin eine ganze Woche lang Tom Jones (ein kindlicher Tom Jones, ein harmloses Geschöpf) gewesen. Ich habe, wie ich wahrhaftig glaube, meine eigene Vorstellung von Roderich Random einen ganzen Monat lang in Einem Zuge durch[168]geführt. Jede Scheune in der Nachbarschaft, jeder Stein in der Kirche und jeder Fuß breit des Kirchhofs stand in meinem Geiste in einer gewissen Beziehung zu den Büchern und stellte einen in denselben berühmt gewordenen Ort dar.' Besser als einer von uns vermöchte, sprechen diese Erinnerungen aus, wie man sich denken mag, daß in Shakespeares Jugendleben sich die Gestalten aus der Sage und Bühne drängten, und auf der historischen Szene von Warwickshire sich die Personen der Vergangenheit vor ihm zu bewegen begannen.

Es gibt starke Gründe anzunehmen, daß er schon in Stratford die Verwicklungen des Lebens frühzeitig kennen lernte, und die geschäftlichen Schwierigkeiten seines Vaters ließen ihn früh in harte Wirklichkeit hineinsehen. Auch dies wie es bei Dickens später sich wiederholte. Noch als Jüngling hatte er die leidenschaftlichen Erfahrungen von Liebe und Ehe hinter sich. So kam London. Er, der in seinen Jünglingsjahren nie rückwärts sah und lieber das Fraglichste tat als zusah (welch ein Gegensatz zu der besonnenen, seiner bewußten und im Grunde bei scheinbarer Hingabe sich selbst jederzeit ganz beherrschenden Persönlichkeit des jungen Goethe!), und der vielleicht mit manchem Manuskript in seinem Reisebündel nach London kam, gründete auf die Stellung des Theaterdichters und Schauspielers seinen Lebensplan; die Truppe des Globustheaters, in welche er eintrat, stand in näherer Beziehung zum Haushalt der Königin und wurde unter Jakob durch Patent als the King's Players in Dienst genommen. Seine Sonette sprechen ergreifend aus, welchen neuen Schatten dieser Schritt über sein Leben warf. Was ihn hinzog wird sichtbar, wenn man die Leidenschaft von Goethe, von Dickens für das Theaterspielen gewahrt und an Molière und Sophokles denkt; Schauspieler und wahrer schaffender Dichter, zumal der Richtung von [169] Shakespeare, beruhen mit ihrem Genie auf demselben Vermögen der Phantasie, in verschiedene Gestalten sich zu wandeln, und was das Wort des Dichters will, wird erst in der Leistung des Schauspielers fertige Realität.

Und wie mußte nun sein Beruf auf Shakespeare wirken! Er gab ihm nicht nur Bühnenkenntnis; er scheint in ihm wie in Molière die Fähigkeit sich gänzlich in die verschiedensten Charaktere zu wandeln zur vollendeten Virtuosität ausgebildet zu haben. Man gewahrt an dem Schauspieler, daß er immer ein anderer ist und abwechselnd in verschiedenen Rollen denkt und fühlt; was hiervon in Shakespeares Natur lag, eine Versammlung von Individuen zu sein und als eine solche Welt und Leben mannigfach zu betrachten, sich selber mannigfach zu fühlen, das mußte die Stellung des Schauspielers in ihm verstärken. Diese losgebundene, mit den höchsten Kreisen und anderseits mit den unsicheren Existenzen der Stadt verknüpfte Lebenslage in dem damaligen London bot eine unvergleichliche Gelegenheit, die wechselnden Szenen des menschlichen Lebens und die mannigfachsten Charaktere in sich aufzunehmen, und die Stellung des Theaterdichters drängte ihm die Feder in die Hand, zu schreiben was er schaute.

Goethe spricht einmal im Gespräch mit Eckermann aus, wie er verglichen mit einem Walter Scott in bezug auf den Stoff des Lebens selber im Nachteil gewesen sei; er habe im Wilhelm Meister zu Landedelleuten und Schauspielern greifen müssen, eine lebendige Bewegung in den Roman zu bringen; überhaupt je mehr er mit der Natur dichterischer Arbeit sich betrachtend beschäftigte, desto schmerzlicher empfand er, unter wie schweren Bedingungen er gearbeitet habe. Shakespeare schrieb unter einer geschichtlichen Gunst ohnegleichen. Was er von Rom gelesen hatte in seinem Plutarch, was in Trümmern aus der englischen Vergangenheit ihn [170] umgab und das Zeitalter der Elisabeth mit seinen gewalttätigen Charakteren, der dramatischen Führung seiner Staatsaktionen und seinen blutigen Schlußszenen: das alles mußte vor dem Blick des auf das Essentielle gerichteten Genies als Eine Ordnung aktiver heroischer Naturen und gewalttätiger Katastrophen sich darstellen. Und das alles war sozusagen auf der Straße sichtbar. Durch diese Straßen sah man die Königin nach dem Tower reiten, auf ihrer Barke fuhr sie die Themse entlang, Shakespeare sah alle die damals Geschichte machten unmittelbar vor sich auf der Bühne. Die frischen Farben des Lebens, wie es im Mittelalter sich entfaltet hatte, das Persönliche und Sinnfällige in den verschiedenen Schicksalen, und darauf gerichtet das moderne, an den Humanisten, Naturforschern und Politikern geschulte Auge: das ist Shakespeares Stellung.

Hiermit stimmt dann schließlich das Wenige zusammen, was wir von seiner Bildung wissen. Unter den Shakespeareforschern ist die Zeit gänzlich vorüber, in der man ein naturwüchsiges Genie in ihm zu erblicken glaubte; aber welcher Art seine Bildung war, möchte man sich vorstellen können. Wenn Ben Johnson ihm wenig Latein und noch weniger Griechisch zuspricht, so will das im Sinne des in seiner klassischen Bildung schwelgenden Nebenbuhlers verstanden sein; es war genug für ihn, den Atem des Altertums auch in seinen Sprachen und in der sprachlichen Färbung seiner Literatur zu empfinden, im übrigen las er seinen Plutarch (den er vor allen Alten liebte) und seinen Ovid in Übersetzungen; er stand darin nicht wesentlich anders als auch Schiller. Man hat Spuren gefunden, daß er französische Schriftsteller, von denen keine damals existierende englische Übertragung hat nachgewiesen werden können, Rabelais insbesondere, gelesen und benutzt habe; Montaigne las er freilich in der Übertragung Florios, mit [171] dem er in persönlicher Beziehung stand. Italienische Schriften hat er vielleicht im Original benutzt. Aber nichts ist gewisser, als daß Shakespeare kein wissenschaftliches Interesse im strengen Sinne hegte, und daß er kein Bedürfnis besaß vom Zusammenhang der Naturerscheinungen sich irgendeine folgerichtige Vorstellung zu bilden. Und ist man etwa berechtigt, jeden Dichter in bezug auf seine Überzeugungen von der Gottheit, der Fortdauer des Menschen oder über irgendeinen der anderen Kardinalpunkte der Metaphysik einem Kreuzverhör zu unterwerfen? Das Wesen des Genies ist Penetration, Konzentration. Shakespeare gar, der mit den Augen aller Menschenarten in die Welt sah, ist viel zu frei in geistesmächtiger Versenkung in Denkarten und Charaktere aller Art gewesen: ich glaube, ihm wäre wie ein Gefängnis erschienen, sich in Einer Geisteshaltung einzuschließen. Wohl interessierten ihn selbst Feinheiten der Gedankendialektik, aber nur als intellektuelle Färbung von Charakteren, als intellektuelles Material für das Spiel der Affekte, oder auch als Möglichkeiten, denen man nachgehen möchte. Hier und da treten in Sonetten und Dramen metaphysische Doktrinen auf, doch wissen wir nicht, wiefern sie als dauernde Überzeugungen angesehen werden dürfen. Die Philosophie, zu der er ein inneres Verhältnis zeigt, ist jene römische Lebensweisheit, welche uns tröstet und lehrt die Stöße des Geschicks zu ertragen – die Philosophie der Humanisten und des Montaigne. Es gab Momente, in denen auch sie ihm nutzlos erschien. Wie Romeo vernimmt, daß er aus Verona verbannt sei und Bruder Lorenzo ihm philosophische Trostgründe darreichen möchte, wirft er sich zu Boden und schreit: 'Hängt die Philosophie.'

An einem anderen Punkte darf ein bedeutsamer Zusammenhang des großen Dichters mit der Literatur seiner [172] Zeit angenommen werden. Dahin leitet schon die in der Tat für sein historisches Verständnis entscheidende Entdeckung seiner intimen Beschäftigung mit Montaigne. Dieser Punkt liegt in der Analyse der menschlichen Charaktere und Affekte. Glaubt man, daß solche Präparate der Hauptaffekte als sie in seinen großen Dramen vorliegen, ein bloßes Geschenk natürlicher Genialität gewesen seien? Sein Bedürfnis und seine Arbeit verstandesmäßiger Zergliederung richtete sich auf diejenigen Tatsachen, in denen er lebte, in denen er mit der ausschließlichen Penetration des Genies seine geistige Existenz führte: die Natur der Menschen, die Verschiedenheit ihrer Charaktere und Denkarten, ihre Affekte und die aus ihnen fließenden Schicksale. Er stand ohne Zweifel unter dem Einfluß der neuen Literatur um ihn her, welche die Kunst, den Menschen zu sehen, lehren wollte. Die unbeschränkte fürstliche Gewalt und das höfische Leben erzogen damals zur Menschenbeobachtung. Es war sehr nötig aufzupassen, um sich an den Höfen zu behaupten. Alles war hier persönlich und hing davon ab, wie man andere durchschaute und sich selber seinem Interesse entsprechend darstellte. Diesem Bedürfnis kamen nun zahllose Schriften entgegen. Physiognomie, Gestalt, Gebärde wurden in ihnen als Zeichen von Charaktereigenschaften und inneren Zuständen untersucht. Die menschlichen Leidenschaften wurden beschrieben und zergliedert. Durch unzählige Kanäle gelangten diese Reflexionen über das Leben an jeden heran, und Shakespeare verkehrte beständig mit Menschen, die von dieser Literatur gesättigt und bestimmt waren. So versteht man sein Vermögen, die Struktur der Individuen so durchsichtig zu machen, daß man glaubt, das Blut in ihnen rinnen zu sehen. Und dann ist sein anhaltendes Nachdenken auf die großen Zusammenhänge von Charakter, Leiden[173]schaft, Schicksal im menschlichen Leben gerichtet. Hier bestimmen ihn die Gedanken des an der römischen Literatur gebildeten Humanismus in ihrem Einklang mit dem Kern der protestantischen Ideen. Sie empfangen eine neue Tiefe aus seinen Erlebnissen. Shakespeares Dramen sind der Spiegel des Lebens selbst. Sie trösten uns nicht, aber sie belehren über das menschliche Dasein wie kein anderes Erzeugnis der europäischen Literatur.

Wenn er an einem Stoff das Motiv einer Dichtung entwickelt, so hält er in der Regel an dem sonderbaren scheinbar Widersprechenden in der Überlieferung fest. So behält dieser Stoff den Erdgeruch der Wirklichkeit. Er interpretiert ihn. Er gewinnt ihm Innerlichkeit ab. In seinen Personen bleibt oft etwas Unfaßliches. Der Zuschauer soll sie so erblicken, wie er im Leben selbst die Menschen sieht – hereinschauend in sie von außen nach innen.

Nirgend ist in ihm die Richtung auf ein Ideal künftiger Menschen oder Zustände zu gewahren. Er nimmt die gesellschaftliche Welt um ihn her hin wie eine unabänderliche Naturordnung. Er lebt in vollkommener Harmonie mit der monarchisch-aristokratischen Welt des damaligen England. Aus ihr stammen die Lebensprobleme seiner Dramen. Seine Charaktere sind gesteigerte Abbilder dessen was er da vorfand: und zwar gesteigert in der Richtung des Wertgefühls, das in dieser Gesellschaft bestand. Ohne jede Spur von Kritik, ja mit Behagen blickt er auf den Gegensatz zwischen den Glücklichen und Herrschenden, die über die Köpfe der anderen Menschen dahinschreiten, und dem eingebildeten Landadel, den lächerlichen Gelehrten, den Abenteurern und Glücksrittern. Auf diesen Gegensatz ist die doppelte Handlung, ja die doppelte Welt seiner Dramen gegründet.

[174] Wohl spricht Hamlet stark und bitter von der Anmaßung derer die in der Sicherheit ihrer Stellung und ihres Amtes heruntersehen auf die Glücklosen, vom schleppenden Gang des Rechts wie von der Mißachtung der Armut. Und aus den Sonetten sieht man, wie schwer Shakespeare selbst an dem Druck dieser aristokratischen Gesellschaft trug – an der zweifelhaften Stellung des Schauspielers, ein Günstling dieser höfischen Welt zu sein und doch keine feste Stelle und Ehre in ihrer Ordnung zu haben. Aber er nimmt all dies hin als ein Schicksal, das aus dieser Ordnung der Gesellschaft fließt, an die doch zugleich all die Kraft und Schönheit des Lebens gebunden ist, die er in seinen Dramen dargestellt hat.

Denn diese aristokratische Ordnung der Dinge bestimmt das Lebensgefühl der Menschen Shakespeares. Seine tragischen Helden leben im Gefühl ihrer Macht, und die vornehm-heiteren Gestalten seines Lustspiels spielen mit dem Leben im stolzen Bewußtsein, daß dessen Not nicht ihre Fußspitzen berührt. Alle diese Personen haben das höchste reizbarste Gefühl ihrer selbst, auch respektieren sie diejenigen, welche dieselbe vornehme Existenz führen. Und aus dieser aristokratischen Ordnung stammt auch der äußere Glanz, der sie und ihre Umgebungen umkleidet und ohne den die Wirkung dieser Dramen nicht zu denken ist. Das mächtige düstere Schloß des Macbeth erfüllt von Waffen, die Straßen von Verona umgeben von den festen Häusern des sich befehdenden Adels, das feierliche Schloß des Dänenkönigs, in dessen Räumen festlicher Jubel und Geruch des Todes seltsam gemischt sind, die klirrenden Rüstungen, der Pomp der Könige, die feierlichen Gewänder der Kirchenfürsten – das alles erhöht seine Menschen und Vorgänge. Es wäre vergeblich die Geschichte der Verbrechen des Dänenkönigs Claudius, [175] Macbeths oder Richard III. sich in den Räumen eines heutigen Königsschlosses vorzustellen, und es wäre trostlos, sie in die Winkel der großen Städte zu verlegen, wo sie heute sich abspielen, nachdem auch in die Taten und die Schicksale der Könige etwas Abgedämpftes, Zusammengesetztes, von hundert Umständen Bedingtes eingetreten ist, das aus den Notwendigkeiten unseres Lebens fließt.

Und in der Abstufung der aristokratischen Gesellschaft jener Tage waren für ihn mannigfache künstlerische Wirkungen von höchster Art enthalten; nur eine derselben hebe ich hier hervor. Die Musik der Oper ermöglicht, indem die einzelnen Personen gleichzeitig in ihrer Eigenart sich musikalisch aussprechen, die Mannigfaltigkeit der Stimmungen und der Charaktere zur Einheit des Lebens zu verbinden und den Reichtum des Daseins in einem einzigen Momente zusammenzufassen. Dem dramatischen Dichter ist solche Wirkung versagt. Aber das Musikalische in seiner Dichtung entspringt nicht nur aus der inneren Musik, die von deren lyrischen Gestalten ausgeht, sondern auch aus der Gesamtwirkung des Ganzen, wie sie in der Erinnerung des Zuschauers zustande kommt. Wie das Drama vorwärts schreitet, machen nacheinander die Kontraste in dem Lebensgefühl und der Eigenart der Personen sich geltend, in der Erinnerung des Zuschauers wird diese Mannigfaltigkeit in Dissonanzen und Harmonien zusammengenommen, es klingen so gleichsam Tonreihen ineinander, und daher entsteht das Gefühl von dem Reichtum, von dem gemischten Charakter des Lebens. Indem nun Shakespeare über so mannigfache Abstufungen in seiner Gesellschaft, so starke Kontraste in ihr verfügte, hat er gerade diese Wirkung mit besonderer Stärke hervorbringen können.

Versuchen wir schließlich, den Charakter der Lebenserfahrung Shakespeares in seinem Zusammenhang mit dem englischen Geiste seiner Zeit zu erfassen. Wenn [176] man in einem Querschnitt (wie der Botaniker solche für die Stämme gewaltiger Bäume glättet) das Wachstum der Gesellschaft untersucht, so zeigt sich eine Übereinstimmung oder Harmonie zwischen den scheinbar heterogensten Elementen desselben sozialen Körpers. Der Einfluß gewisser leitender wissenschaftlicher Begriffe eines Zeitalters erstreckt sich in die Anordnung der Begriffe auf entfernten Gebieten, welche in keiner direkten Beziehung zu jenen stehen. Der Kulturgrad eines Landes und die Form seiner dauernden Regierung stehen in einem notwendigen Verhältnis von Verwandtschaft untereinander. So besteht auch eine Übereinstimmung zwischen der poetischen Literatur einer Nation in einem gegebenen Zeitalter und der wissenschaftlichen Gesamtbewegung. Die intellektuellen Neigungen des englischen Geistes in dem Zeitalter des Lord Kanzlers Bacon wird man demgemäß in Übereinstimmung mit den dargelegten Grundzügen der dichterischen Individualität Shakespeares zu finden erwarten dürfen.

Der Empirismus und die ihm entsprechende induktive Neigung hat sich in England mit derselben Folgerichtigkeit entwickelt, welche diese Nation in der Ausbildung ihrer Verfassung gezeigt hat. Platon und Aristoteles üben dort seit den Zeiten Bacons keine Art von autoritativem Einfluß auf die nationalen Neigungen des Denkens, und mit einer unvergleichlichen frischen Unbefangenheit leben der einfache Beobachter wie der methodische Forscher in der Wahrnehmung, in dem Studium der natürlichen und gesellschaftlichen Tatsachen, welche sie umgeben. Mochten unter den Philosophen und Theologen andere Richtungen herrschend sein und auch das Ideenleben weiterer Kreise bestimmen, wie denn gerade in Shakespeares Zeit der Platonismus den größten Einfluß besaß: sie änderten nichts an der empirischen Neigung des englischen Geistes. Offenbar [177] entspricht derselben die dichterische Art die Welt zu betrachten in einem Shakespeare und Ben Johnson, einem Smollet, Fielding und Richardson, einem Dickens, Thackeray und Walter Scott. Entgegengesetzte Richtungen in der Poesie, wie sie insbesondere unter deutschem Einfluß Byron, Shelley und Coleridge vertraten, haben niemals dem englischen Geiste entsprochen und demgemäß nie einen leitenden Einfluß auf ihn gewonnen. Der Aufbau von Gestalten in der Phantasie und die Erforschung sowie der Beweis von Wahrheiten in dem Verstande sind nun zwar ihrer Natur nach ganz verschieden, dennoch können die Richtungen, in welchen sich diese zwei Klassen von Vorgängen vollziehen, einander korrespondieren.

Die Phantasie schafft auf der Grundlage der äußeren und der inneren Erfahrung; mannigfach verschlingen sich diese beiden Arten von Erfahrung und alles, was wir Verstehen nennen, beruht auf dieser Verflechtung; jedoch wird ein Dichter entweder vorherrschend in der Welterfahrung leben, alle Kräfte seines Geistes dem was um ihn in Welt und Leben geschieht entgegenstreckend, oder, wie wir dies an Goethes Beispiel sahen, von dem Leben im eigenen Inneren, von den Zuständen des eigenen Gemüts, von der Welt der Ideen und Ideale in ihm wird er bewegt und strebt sie auszusprechen. Jener ist mit allen Sinnen und Kräften darauf gerichtet, Leben aller Art, Charaktere aller Klassen in sich zu hegen, zu genießen, zu gestalten, dieser blickt immer wieder in sich selber, und was die Welt ihn lehrt, möchte er schließlich benutzen, sein Selbst zu erhöhen und zu vertiefen. Künstlerische Gebilde außer sich hinzustellen ist dem einen das höchste geistige Geschäft seines Lebens; dem anderen bleibt doch das Letzte, das eigene Leben, die eigene Persönlichkeit zum Kunstwerk zu formen.

 

 

[178] 6.

In dem neueren Europa schuf zuerst Jean Jacques Rousseau in der neuen Heloise ein siegreich wirkendes Kunstwerk auf dem Weg einer Entfaltung von Gestalten aus dem Reichtum eigenen inneren Erlebens und Denkens, ohne eine hervorragende Begabung oder Gewöhnung zu Wahrnehmung und Beobachtung anderer Menschen und ihrer Zustände. Durch das unselige Leben dieses mächtigen Mannes geht die Unfähigkeit, irgendeinen Menschen in seinem wahren Wesen zu erfassen. In den komplizierten Zuständen des damaligen an problematischen Naturen und raffinierter Menschenkenntnis überreichen Paris war das ein unsägliches Unglück. Wie sein leidenschaftliches Gemüt ihm die Menschen vorspiegelte, so waren sie für ihn; er lebte ganz in sich selber. So ist es für die Erforschung der Phantasie von außerordentlichem Interesse, die Bildungsgeschichte seines großen Romans zu verfolgen, und wir sind durch seine Konfessionen und seine Briefe dazu instand gesetzt.

Er stand in seinem vierundvierzigsten Lebensjahr als er die Einsiedelei im Park von La Chevrette am 9. April 1756 bezog; 'erst mit diesem Tag', meinte er, 'habe ich angefangen zu leben'. Hier, bei totaler Ruhe der Seele, vom Zauber der Natur und Einsamkeit umgeben, sah er seine Phantasie mit unwiderstehlicher Gewalt in Gestalten wirken, seinen Grundsätzen wie seinem Willen entgegen, da Romanschriftstellerei ihn in Widerspruch mit sich selber und seinen eigensten Überzeugungen brachte. Der fundamentale Vorgang war, daß er dasjenige, was ihm von Glück, von beseligenden, seinen Gefühlen und seiner tiefen Leidenschaftlichkeit entsprechenden Situationen und Gestalten vorschwebte, aus den verschwimmenden Nebeln der Träumerei zu greifbaren Gestalten verdichtete [179] und formte. Dieser Vorgang ist in allen großen Dichtern mitwirkend, und auch Miranda und Hermione sind verkörperte Träume der Sehnsucht. Aber in Rousseau war derselbe leitend, er beherrscht seinen ganzen Roman in dessen frühester Form. Seit seiner Jugendzeit wirkte seine Phantasie auf diese Weise; er erzählt im vierten Buch der Konfessionen wie er in der freien Natur sich zu solchem träumerischen Dichten jederzeit angeregt fand; 'dann gebiete ich freischaltend über die ganze Natur; mein Herz, von Gegenstand zu Gegenstand eilend, versammelt herrliche Bilder um sich und berauscht sich in entzückenden Gefühlen. Wenn ich sie nun zu meinem inneren Ergötzen in Gedanken ausführe, welche Kraft des Pinsels, welche Farbenfrische, welche Stärke des Ausdruckes verleihe ich ihnen! Von dem allem, sagt man, ist in meinen Werken anzutreffen, die doch gegen die Neige meiner Jahre geschrieben sind'. Die Epoche des Lebens, in welcher er sich befand, gab solchen Träumen eine ungeheure Gewalt. 'Ich sah mich auf der Neige der Jahre, eine Beute schmerzlicher Krankheit, und, wie ich meinte, nahe dem Ende des Laufes, ohne auch nur eine der Freuden, nach denen mein Herz dürstete, voll genossen, ohne die regen Empfindungen, welche in diesem Herzen ruhten, je ausgeströmt, ohne jene berauschende Wonne geschmeckt, ja nur gekostet zu haben, die meine Seele erfüllte, aber, ohne Gegenstand, immer zurückgepreßt blieb und nur in meinen Seufzern sich Luft machen konnte.' 'Sterben ohne gelebt zu haben' – eine Vorstellung von erschütterndem Wehe.

In solcher Gemütsverfassung belebte er mit seinen Phantasien die einsame, bezaubernde Natur um ihn her, majestätische Bäume, Gräser und purpurnes Heidekraut, eine Szene, welche geschaffen schien für die Verwirklichung all seiner Träume vom Glück. 'Ich erfüllte sie mit Wesen nach meinem Herzen; ich schuf mir ein [180] goldenes Zeitalter nach meinem Geschmack, indem ich mir die Erlebnisse früherer Tage, an welche sich süße Erinnerungen knüpften, ins Gedächtnis zurückrief und mit lebendigen Farben die Bilder des Glückes ausmalte, nach welchen ich mich noch sehnen konnte.' Das war es; Bilder seiner Erlebnisse aus Jugendtagen geben seiner Phantasie den Stoff, ein Gemälde zu entwerfen, welches all das Glück, nach dem er sich noch sehnen konnte, in sich faßte. Auch spricht er aus, wie das geschah. 'Ich stellte mir Liebe und Freundschaft, die beiden Ideale meines Herzens, in den entzückendsten Bildern vor und schmückte sie mit allen Reizen des schönen Geschlechtes, welches ich stets verehrt hatte. Ich dachte mir lieber zwei Freundinnen als Freunde, weil, wenn sie sich seltener finden, sie dann auch um so liebenswürdiger sind. – Ich stattete diese Gemälde mit Gestalten aus, die zwar nicht vollkommen, aber nach meinem Geschmack waren. Ich gab der einen einen Geliebten, welchem die andere eine zärtliche Freundin und selbst noch etwas mehr war. Ich duldete aber weder Eifersucht noch Zwistigkeiten, weil es mir schwer wird, mir irgendeine peinliche Empfindung vorzustellen. Bezaubert von meinen beiden lieblichen Vorbildern identifizierte ich mich mit ihrem Geliebten und Freunde so viel als möglich. Ich machte ihn aber jung und liebenswürdig und gab ihm überdies alle Tugenden und Fehler, die ich mir selbst eigen wußte.'

Die Szene verlegte er an den Genfer See, der seit lange mit all seinen Träumen von Glück verwebt war; 'wenn der heiße Wunsch nach dem glücklichen und süßen Leben, das mich flieht und für das ich mich geboren fühle, meine Einbildungskraft entzündet, so nimmt er immer das Waadtland, den See, diese entzückenden. Landschaften zum Schauplatz'. Seine Gestalten tranken, gleich den Schatten Homers, Leben aus 'einigen Jugend[181]erinnerungen'. Andere Züge empfingen sie aus den Romanen Richardsons, in denen alle zärtlichen Seelen damals wie in einer höheren edleren Wirklichkeit lebten. Und endlich wirkte ein historischer Stoff gestaltend auf diese Bilder – die Geschichte von Abälard und Heloise, welche einst eben in diesem Paris und seinen Umgebungen sich ereignet hatte. So begann er, ohne Folge und Verknüpfung, zerstreute Briefe auf das Papier zu werfen; 'als ich mich anschickte, sie zu verbinden, geriet ich oft in große Verlegenheit; es ist nicht sehr glaubhaft, aber wahr, daß die beiden ersten Teile fast gänzlich auf diese Art geschrieben sind, ohne daß ich einen wohlüberlegten Plan gehabt hätte, ja, ohne daß ich noch voraus sah, ich würde mich versucht fühlen, ein ordentliches Werk daraus zu machen'.

Im Winter 1756/57, als ihn die Jahreszeit ins Zimmer bannte, begann er Folge und Ordnung in diese Blätter zu bringen, um eine Art von Roman aus ihnen zu machen. Da trat die Gräfin d'Houdetot in sein Leben, als die Erfüllung seiner Träume, als die Wirklichkeit des Schattens, den er Julie genannt hatte, und hiermit begann seit Frühjahr 1757 die zweite Epoche der Ausbildung seines Romans, die bis zu dessen Abschluß und Erscheinen dauerte. Diese hat für uns nicht mehr dasselbe Interesse, zumal wir die Umgestaltung, welche sich mit dem Roman vollzog, doch im einzelnen nicht mehr erkennen können. Die Hauptveränderung war, daß nunmehr das Verhältnis zu einer verheirateten Frau nach dem was er erlebte oder sich in seiner Weltunkenntnis zusammenphantasierte an die Stelle der Lebensbeziehungen zu dem früher entworfenen Mädchenideal trat. Auch scheint eine Zerlegung dessen was er in sich vorfand und als einander heterogen fühlte in mehrere Personen stattgefunden zu haben, wie sie später bei Goethe so deutlich zu bemerken ist.

[182] In Deutschland treten uns schon im Heldenzeitalter der neueren Völker zwei Werke entgegen, die denselben Charakter der persönlichen Dichtung an sich tragen. Durch das Studium der romanischen Erzählungspoesie, aus der unser ritterliches Epos schöpfte, empfangen wir auch in das letztere tiefere Einsicht, und wenn auch für die beiden genialsten unter unseren ritterlichen Epikern, Wolfram von Eschenbach und Gottfried von Straßburg, ein Einverständnis über ihr Verhältnis zu ihren Quellen noch nicht erreicht ist: so weit ist dieses doch aufgeklärt, daß das dichterische Verfahren dieser beiden mit einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit erschlossen werden kann.

Gottfrieds Subjektivität durchdringt sein ganzes Gedicht. In den herrlichen Worten, in denen er die Epiker des Rittertums (den größten ausgenommen) und seine Lyriker feiert, preist er auf Goethesche Art die Dichtung, daß sie in jedem die Jugend erneuert und den Mut des Daseins, die Freude am Leben erweckt: das war sein Ideal von der Dichtung, im Gegensatz gegen Wolframs wilde und dunkle Märe. Er war in dem ritterlichen Wesen nicht heimisch: man möchte glauben, daß er seinen Stoff ergriff, weil er das Gefäß seines hellen Lebenssinns, vielleicht selbst persönlicher Zustände und Erlebnisse sein konnte. In zwei Stellen des Tristan finde ich die Hindeutung, wie der Dichter selber Lust und Leid der Liebe erfahren, im Anfang und in dem berühmten Gesang, welcher das Liebesleben in tiefster Natureinsamkeit schildert; eine andere entgegenstehende Äußerung erscheint in diesem Zusammenhang als ein neckisches Spiel des Dichters mit seinen Lesern. Ein sicheres Gefühl reichen Lebensgenusses, entschiedene Neigung für kluge, ja listige Handhabung des Lebens, Verachtung des Charakters der Frauen und entzückte Hingabe an ihren Liebreiz geben seinem Werke das [183] Gepräge der romanischen Novelle; 'so lang ihm scheint des Lebens Tag, soll er mit den Lebend'gen leben'. Hiermit vereinigt Gottfried aber ungemeine psychologische Tiefe, Darstellung von Herzenszuständen aus reichster Erfahrung: gerade die Grundempfindung des Werkes, die schon in der Einleitung sich ankündigt und überall bedeutungsvoll wiederkehrt, auch das Leid der Liebe sei Seligkeit, ist echt germanisch. Diese Verbindung gibt dem Gedicht etwas Rätselhaftes und ganz Individuelles. Von dieser gemischten Grundempfindung des Lebens aus ist dann das Ganze in einer durchsichtigen Einfachheit der Handlung gestaltet. Wie Rousseaus Werk ruht es ganz auf dem Interesse an dem Liebespaar und seinen Schicksalen. Spielender Reiz, Freude an listigem Schwank, läßlichste Lebensphilosophie, leichtverhehlter Haß gegen die kirchliche Macht und ihre Einmischung in die Rechtsordnung, leichtverhehlter Spott über die Ideale des Rittertums, welcher schon Cervantes und Ariost vorbereitet, beides um so wirksamer, mit je überlegenerem Weltsinn es spielend sich geltend macht, besonderer Geschmack an der Rechtsseite aller Verhältnisse und an Wendungen einer Art von juristischer Dialektik: all diese Züge treten mit subjektiver Souveränität des Gefühls und der Persönlichkeit aus dem Epos hervor.

Wolframs unvergleichlich höherstehendes dichterisches Vermögen erscheint in seinen Dichtungen weit mannigfaltiger. Die stolze männliche machtvolle Persönlichkeit des gering begüterten Ritters auf seiner stillen fränkischen Burg, der sich vor Fürsten nicht beugt, und der von der Geliebten selbst nicht um seiner Liebe willen geliebt sein möchte, sondern um seiner mutigen kampffrohen Ritterlichkeit willen, gleich seinen Helden, erkennen wir deutlicher als die Gottfrieds. Schon die Einleitung des Parzival kündigt an, daß ein Ideal vor [184] den Leser gestellt werden soll, es ist das Ideal schönsten ritterlichen Lebens, wie es dem vom Glück Übersehenen in der einsamen Seele lebte. Und dies Ideal wird in einer Entwicklung dargestellt, welche in gewissem Grade als Spiegel der inneren Kämpfe dessen betrachtet werden muß, der es erdichtete. Dieses Epos birgt in sich den Entwicklungsroman, und mit derselben Kunst wie im Wilhelm Meister sind zu Kontrastverstärkung und Ergänzung Charaktere neben die Hauptfigur gestellt. Eine solche Einheit des Lebens, wie sie Wolfram von der Jugenddumpfheit durch Zweifel und ziellose Abenteuer zu der männlich besonnenen Hingabe an den höchsten Lebensberuf des für Gott streitenden Ritters darstellt, ist einzig in der ganzen mittelalterlichen Literatur so weit wir sie kennen, und sie ist ohne tiefe persönliche Erfahrung, gedankenschweres Erleben gar nicht zu denken. So arbeiten unsere beiden großen ritterlichen Epiker in den ihnen vorliegenden romanischen Stoff persönliches Erlebnis hinein und eine selbständig gewonnene zusammenhängende Ansicht des Lebens.

Wir wenden uns zu Goethe.

Schiller in seinem Aufsatz über naive und sentimentalische Dichtung gibt Goethe eine eigentümliche Stellung. Auf zwei Arten kann sich nach ihm der poetische Genius äußern. Der Mensch ist entweder noch sinnliche ungeteilte harmonische Natur, in welcher die Gefühle noch ganz aus dem Gesetz der Notwendigkeit, die Vorstellungen noch ganz aus der Wirklichkeit entspringen, oder diese sinnliche Einheit ist in ihm aufgehoben und er kann nur als moralische Einheit, d.h. als frei nach Einheit strebend, sich äußern. In jenem ersten Zustande natürlicher Einfalt, in welchem der Mensch noch mit all seinen Kräften zugleich d.h. als harmonische Einheit wirkt, mithin das Ganze seiner Natur sich in der Wirklichkeit vollständig ausdrückt, ist das Tun des [185] Dichters vollständige Nachahmung des Wirklichen; dagegen in dem Zustand der Kultur, in welchem das harmonische Zusammenwirken seiner ganzen Natur eine bloße Idee ist, ist des Dichters Tun die Erhebung der Wirklichkeit zum Ideal oder die Darstellung des Ideals. Das eine ist das Verfahren des naiven, das andere des sentimentalischen Dichters. Dieser Unterschied ist nach Schiller ein Unterschied nicht der Zeit, sondern der Manier, und es gibt naive Dichter bis in die neuesten Zeiten, sentimentalische unter den Alten. 'Jene rühren uns durch Natur, durch sinnliche Wahrheit, diese durch Ideen.' Die Einteilung Schillers geht aus von einem Gegensatz der Stimmung gegenüber der Wirklichkeit, und diese Stimmung ist das Ergebnis der persönlichen Kultur des Dichters, welche in den meisten Fällen durch die Lage der Kultur überhaupt bedingt ist, in anderen sich deren Einfluß entzieht und unabhängig von ihr sich gestaltet.

In Goethe sieht nun Schiller den bis dahin einzigen Fall eines naiven Genies, welches einen sentimentalischen Stoff zu seinem Gegenstande hat. Denn Werther, Tasso, Wilhelm Meister, Faust sind Charaktere, welche der modernen Welt der Entzweiung von Sinnen und Vernunft, von Notwendigkeit und Freiheit angehören, sozusagen also ein sentimentalischer Gegenstand; der Gegensatz dieser Charaktere gegen die tatsächliche Welt ist der Vorwurf dieser Dichtungen; und 'es verlohnte wohl der Mühe eine psychologische Entwicklung dieses in vier so verschiedenen Arten spezifizierten Charakters zu versuchen', d.h. es ist Eine Grundform eines mit der Wirklichkeit im Kampf befindlichen Charakters, welche all diesen bis dahin (1795) von Goethe geschaffenen Dichtungen zugrunde liegt.

War wirklich Goethe selber naiv, dagegen Werther, Faust, Tasso sentimentalisch? War in ihm die Natur un[186]entzweit, in völliger sinnlicher Harmonie und der innere Kampf, in welchem das Ideal im Gegensatz zur Wirklichkeit entspringt, nur in seinen Gestalten? Wer die Briefe Goethes aus den ersten Weimarer Jahren, an Jacobi, Lavater, Frau von Stein, Auguste Stolberg, ganz nachzuverstehen vermag, den Kampf um Läuterung, in welchem Iphigeniens reiner Blick den Sieg bedeutet, der wird Schiller so nicht verstehen können, wird lieber in einem engeren Sinne die Anwendung des Begriffs des Naiven auf Goethe bei ihm annehmen: als Auge für die Wirklichkeit, sinnliche Kraft, realistisches Genie.

Es ist dargelegt worden, wie Goethe selber aus den geschichtlichen Bedingungen seiner Epoche und der deutschen Gesellschaft es erklärte, daß er im eigenen Innern die großen Vorwürfe seiner Dichtung suchen mußte, sie in einer handelnden Welt um sich nicht suchen durfte, und wie er in späteren Jahren dies als die geschichtliche Schranke begriff, unter welcher er gedichtet hatte. Er war nicht durch die Natur seines Genius ein subjektiver Dichter, wie Jean Jacques, sondern vermöge des Einflusses seiner geschichtlichen Lage. Wir sahen ferner, wie stark in ihm die der sichtbaren Welt zugewandte Anschauungskraft und Phantasie war. Rufen wir jetzt alles zurück, was über die innige Verbindung zwischen Erinnerung, Phantasie und der Schöpfung einer dichterischen Anschauung der Welt gesagt worden ist. Hierin haben wir die Grundlage für das Verständnis Goethes.

Nach der außerordentlichen Energie seiner Innerlichkeit bildete sich in ihm, bevor er seinen ersten Vers schrieb und bevor er irgendein wissenschaftliches Buch las, eine phantasiemäßige Anschauung der Welt. Sie wuchs mit ihrer dichterischen Verwertung von seinen ersten poetischen Versuchen an. Welcher Zauber von [187] Belebung der Natur, von eigenem Sehen derselben, von Nachfühlen jeder Kraft, die in der Welt sich regt, ist in der Dichtung seiner Jugend! Seine sinnliche Imagination war so stark, daß er eine Zeitlang glaubte, zum Maler geboren zu sein, und in dieser Kunst sich versuchte. Eben daher nahm die Beschäftigung mit den Naturwissenschaften seit der italienischen Reise einen immer breiteren Raum ein. Aus seinen künstlerischen Versuchen ging endlich sein Studium der bildenden Kunst hervor und trat zu seiner Auffassung der Natur in Beziehung.

Drei Reihen von Vorgängen greifen in seiner Entwicklung ineinander. Er mußte seine ungestüme Subjektivität bändigen durch Resignation und Erhebung zu gegenständlichem Auffassen. Er mußte dann, indem er sich der objektiven Naturerkenntnis zuwandte, seine phantasiemäßige Auffassung derselben gegenüber der mechanischen Naturwissenschaft behaupten, und man ermißt die Größe seiner Phantasiebegabung erst ganz, indem man erwägt, wie der Anschauung einer poetischen Welt in Shakespeare und Cervantes das ganze Zeitalter entgegenkam, wie dagegen Goethe sie im Widerstreit gegen seine Umgebung zu verteidigen genötigt war. Indem er zu dem Einblick in die Bildungsgesetze der Natur fortschritt, durch welche das Schaffen der Natur mit dem des Künstlers verbunden ist, entstand ihm hieraus eine Größe der dichterischen Naturdarstellung die in der ganzen Literatur ohnegleichen ist. Und indem er solche Bildungsgesetze und die durch sie bedingten dauernden und allgemeinen Formen auch im menschlichen Leben aufsuchte, ordnete sich ihm hier das bunte Gewimmel der Erscheinungen unter typische Formen des Menschen, seiner Verhältnisse und der Gesellschaft. Im Zusammenhang mit diesen Veränderungen entstand das letzte Moment seiner Entwicklung: er ging in seiner [188] dichterischen Arbeit vom Stil seiner Jugendwerke über zu dem Drama des Seelenlebens in Iphigenie und Tasso und zur Darstellung der typischen Entwicklung des Menschen in Wilhelm Meister und Faust.

Die Motive aller dieser Schöpfungen und ihr edelster ergreifendster Gehalt liegen im eigenen Inneren Goethes. Er verwebt aber in seine Dichtung eine immer reichere und tiefere Anschauung der äußeren Welt. Die Szenen des Wilhelm Meister sind malerisch in dem höchsten Verstande dieses Wortes: sie sind nicht nur von bildlicher Kraft, sondern sie wirken durch ihre Schönheit wie Werke der Malerei. Hierin ist Goethes Kunst der des Cervantes verwandt. Unablässig drang er, unter der Einwirkung des naturforschenden Geistes, einer gegenständlichen Auffassung der Welt entgegen und bemächtigte sich ihrer bis zu der vollen epischen Objektivität von Hermann und Dorothea.

In dieser Weise wirken in Goethe die Vertiefung in das eigene Innere und eine mächtige Begabung für Phantasiebilder zusammen. In jedem seiner Werke macht diese Verbindung sich geltend, und sie bedingt den Gang seiner künstlerischen Entwicklung. Betrachtet man ihn nun aber im Zusammenhang der neueren europäischen Literatur, vergleicht man ihn mit den größten Dichtern derselben und verfolgt man die Wirkungen, die von ihm ausgegangen sind: so beruht doch seine unvergleichliche Größe auf seiner Vertiefung in das eigene Innere, auf der Selbstmacht desselben, die allem Äußeren überlegen ist, auf seiner unablässigen Arbeit an der Ausbildung seiner Persönlichkeit. Er ist der größte Lyriker aller Zeiten. Sein Faust, der eben aus dieser Richtung entsprang, macht ihn auch in dem Gebiet der darstellenden Dichtung Shakespeare und Cervantes ebenbürtig. Die ganze Struktur seines dichterischen Geistes kann nur verstanden werden, wenn man [189] von diesem unterscheidenden Grundzug seines Wesens ausgeht.

Goethe lebte von Anfang an im starken Bewußtsein seiner selbst. Nie verliert er sich so ganz an die Gegenstände, daß er nicht sich selbst und sein Verhältnis zu ihnen zugleich fühlte. Jeder Zettel aus seiner Jugend ist ein Zustandsbild, das ihn selber in seiner gärenden Kraft in irgendeiner Situation zeigt. So sind auch seine Jugendgedichte der natürliche und unbefangene Ausdruck seines Existenzgefühles in einem gegebenen Momente. Findet man ihn dann in der italienischen Reise oder in seinen naturwissenschaftlichen Arbeiten mit großen Gegenständen beschäftigt, so stellt er diese doch in der Regel so dar, daß man sein Verhältnis zu ihnen miterlebt und die freudige Kraft nachfühlt, mit der er der Gegenständlichkeit der Dinge sich hingibt.

Aus den geschichtlichen Bedingungen, unter denen das beständige Bewußtsein seiner Persönlichkeit sich entfaltete, entsprang nun weiter sein Streben, diese Persönlichkeit zur höchsten Ausbildung zu erheben. Durch die ganze damalige Literatur ging die Richtung auf höchste Steigerung unseres Daseins. Die theologischen Kämpfe, in denen Lessing sich zu seinem Lebensideal hatte emporarbeiten müssen, waren nun vorüber. Das neue Geschlecht durchbrach die Schranken, in denen dieser große Mensch noch das Leben und die Welt hatte auffassen müssen. Die Jugendgenossen Goethes, Herder voran, lebten frei von der Last der Traditionen, waren getragen von dem Willen nach Entfaltung aller ihrer Kräfte in Tätigkeit und in Genuß. Das Individuum wollte was das Leben enthält selber erfahren, denken, durchkosten in Lust und Leid – ohne Schranken. Goethe sprach dies Lebensideal in dem älteren Faust, dem Prometheus und anderen Jugendentwürfen mit einer Kraft aus, die alle jungen Schriftsteller mit sich fortriß. [190] Dann aber tat sich ihm eine Welt von neuen Erfahrungen auf als er in amtliches Wirken innerhalb eines bedingten Lebenskreises eintrat.

Im Übergang zu männlichem Wirken werden diese Erfahrungen immer wieder gemacht werden. Grenzenlose Wünsche, Leidenschaft, die an Ein Ziel ihr alles setzt, Tätigkeit, die alles umfassen möchte, Wille, der unbändig die Schranken der Wirklichkeit zu durchbrechen unternimmt, rufen einen ruhelosen Wechsel der Gemütszustände hervor, schmerzliche Mißverständnisse, Gefühl der Unzulänglichkeit auch bei höchster Kraft, und so entsteht aus der Einsicht in die Täuschungen des Lebensdranges das größte unserer Erlebnisse, daß nur stetiges, reines Wirken in bewußter Selbstbeschränkung und in der Hingabe an die Objektivitäten des Daseins die innere Freiheit der Seele herbeiführen können. Indem Goethe diesen Gang unseres Lebens damals in sich erfuhr, tiefer, bewußter als irgendein anderer Mensch des Jahrhunderts und doch zugleich typisch und vorbildlich, trat ihm das Leben unter den Begriff der Entwicklung, die in gesetzmäßigen Stufen dem Ideal der vollen wahren allgemeingültigen Menschlichkeit sich annähert. Der Ausdruck dieser Erlebnisse waren der Entwicklungsroman Wilhelm Meister und der spätere Faust, in welchem der Typus des großen und starken Menschen durch alle Lebensperioden bis zum Ausgang geführt wird. Im einzelnen stellte Werther die Tragik der ausschließlichen Leidenschaft dar, Tasso das Leiden des Genies und der erste Wilhelm Meister die Illusionen der Jugend. Und das Ideal selber, wie es der Dichter als Ziel dieser Entwicklung faßte, fand in der Iphigenie und in den späteren Teilen der beiden genannten Hauptwerke Goethes seinen Ausdruck.

So faßte sich in unserem größten Dichter die Innerlichkeit des deutschen Geistes, sein Verständnis der [191] Entwicklung und sein Streben nach einer höheren Gestalt menschlichen Daseins zusammen. Goethe nahm die Vertiefung in das schöpferische Wesen des Menschen, wie sie aus Kants Gedankenarbeit hervorging, in sich auf. Wieland und in einem höheren Sinne Herder lehrten ihn das menschliche Leben als eine Entwicklung verstehen. Lessing und Kant, Schiller und Fichte waren ihm Führer zu der Einsicht, daß die höchste Stufe dieser Entwicklung ein tätiges Dasein ist, das auf die Menschheit wirkt. Herder erfüllt ihn zugleich mit seinem Ideal der Menschlichkeit. Goethes Wesen kam diesem Ideal entgegen. Er war so gesund, daß uns typisch scheint, wie er lebte und die Dinge ansah. Aus jedem Zug seines Lebens scheint die Natur selbst in ihrer höchsten Kraft zu uns zu sprechen. Er erfüllt jeden Augenblick mit der höchsten Energie des Lebens. Daher konnte er in seinen Liedern, im Prometheus, Faust, Wilhelm Meister die höchste Stärke und Ausbreitung menschlichen Daseins auf allgemeingültige Weise aussprechen. So konnte er die typische Entwicklung des Menschen in seinen Liedern, in dem Faust und Wilhelm Meister darstellen. Was er hierfür von anderen großen Schriftstellern aufnahm, war für ihn nicht eine Lehre, die ihm von außen zugekommen wäre, sondern nur Anweisung, das eigene Erlebnis zu zusammenhängender Lebenserfahrung zu erheben. Indem er den Inbegriff der Zeit in sich zusammenfaßte, wurde er der Führer der nächsten Generation. Wie wäre das, was in der Jugend von Schelling, Hegel, Schleiermacher, Hölderlin, Novalis sich vollzog, zu denken ohne Wilheln Meister und Faust! Wie aber diese Jungen unter den neuen Bedingungen der französischen Revolution emporkamen, haben sie die Idee der Steigerung des menschlichen Daseins doch noch in einem umfassenderen Sinne erlebt und gedacht.

[192] Von hier aus fällt nun auch ein Licht auf Goethes Kunst der Menschendarstellung.

Es wird immer die erste Aufgabe sein, das was ein Dichter von Stoff für den Aufbau seiner Charaktere aus dem Leben entnimmt, festzustellen: nur daß man sich dabei der Grenzen dieses Verfahrens immer bewußt bleiben muß. Denn das Leben eines Menschen ist so wundersam verflochten mit den Schicksalen vieler anderer Menschen, die ihm einmal plötzlich mit anschaulicher Macht gegenübertreten, um sich dann meist wieder in dem Getümmel der Welt zu verlieren, oder die ihn flüchtiger, vielleicht nur in der Äußerung eines gleichgültigen Menschen, in der Notiz einer von Tatsachen vollgepfropften Zeitung berühren, ist so verflochten mit all solchen gesehenen, in Erzählung gehörten, gelesenen Erlebnissen, daß es unmöglich scheint, da so die Luft voll von Keimen von Motiven und Charakteren und Fabeln ist, aus den uns gegebenen Daten das Leben eines Dichters in sicheren Zusammenhang mit den Gebilden seiner Phantasie zu bringen. Mephisto, Gretchen, das Motiv der Wahlverwandtschaften können Goethe in flüchtigen Lebensbegegnungen aufgegangen sein, welche für den Aufbau seines eigenen Lebens so gut als nichts bedeuteten, welche aber eben diejenige Beschaffenheit hatten, durch die seine Phantasie in leise bildende Tätigkeit des Gestaltens geriet.

Die andere Aufgabe ist, die Momente der Lebenserfahrung aufzuzeigen, welche den Vorgang der Gestaltung der Charaktere aus dem gegebenen Stoff des Lebens bestimmen. Aus dem vorliegenden Zusammenhang ergeben sich die Punkte, von denen die Lösung dieser Aufgabe bei Goethe auszugehen hat. Goethe, gemäß seiner dargelegten Richtung, schöpft die Motive seiner Werke aus dem eigenen Inneren, seinen Schmerzen und Kämpfen. Die Charaktere des wahren [193] Kunstwerks entwickeln sich nun in der Phantasie unter der Einwirkung des Motivs, welches dem Dichter vorschwebt, und der Fabel, in welcher er das Motiv darstellt. Die Genesis eines dichterischen Werkes darf nicht in der Entstehung seiner Charaktere allein gesucht werden; die Wechselwirkung zwischen den Teil-Inhalten des werdenden Werkes, dem Motiv, den Charakteren und der Fabel muß verfolgt werden. Der Kampf, welcher die bewegende Springfeder jedes darstellenden dichterischen Werkes so gut ist als des Lebens selber, entspringt bei Goethe im eigenen Inneren des Menschen, und was für ihn seit der Epoche innerer Läuterung, welche die ersten Weimarer Jahre zu einem sittlichen Schauspiel machen, das sich zu Spinozas Ethik wie lebendiger Vorgang zur Regel verhält, am meisten bezeichnend ist: auch die Lösung dieses Kampfes vollzieht sich beinahe in allen Fällen in dem Inneren des Menschen selber. Der tiefe Blick der Liebe in den Zusammenhang der Natur, in welchen der Mensch mit seinem Schicksal gestellt ist, macht jedem auf seiner Stufe eine Versöhnung mit dem Leben möglich, oder wo er selber sie blind nicht zu ergreifen vermag, da ist sie doch in dem Gemüt des forschenden Dichters. Das ist auch das Tyrtäische in seiner Poesie, dessen Goethe sich den 'Lazarett-Poeten' gegenüber, wie er sie nannte, gern gerühmt hat.

An diesem Punkte mag man auch die Grenzen von Goethes Dichtung verstehen, ohne welche die wunderbare Macht derselben nicht wäre. Die einen preisen und beneiden Goethe als einen Günstling des Glückes, die anderen berufen sich auf sein bekanntes Wort, wie wenige Tage seines Lebens er rein glücklich gewesen sei. Die einen tadeln, daß er kein Herz für den wirklichen Schmerz in seinen Dichtungen zeige, den anderen erscheint er als ein Mitfühlender jedes Leides. Goethe dichtete die [194] Kämpfe, welche er erlebt, in einer Tiefe erlebt hatte, von der seine Briefe so gut als seine Dichtungen reden; aber wenn er einmal sagt, er wolle Iphigenie reden lassen als ob kein Strumpfwirker zu Apolda hungere, so liegt darin die Empfindung, daß er seine Poesie abschloß von den am meisten naturwüchsigen Schmerzen, welche aus dem elementaren Kampf um Existenz, um Macht, dem Ringen der Willen in der Gesellschaft untereinander hervorgehen: die Kämpfe die im Inneren der Menschen entspringen, in diesem Inneren ausgekämpft werden und in ihm endigen, hat er gelebt und gedichtet. Er konnte nicht anders, er verteidigte sich einmal damit: er habe nie etwas gedichtet, das er nicht gelebt habe. Die andere Grenze: er webt seine Figuren als ein Dichter der inneren Welt nicht aus einem System von Beweggründen und Handlungen, an Menschen außer sich beobachtet, sondern aus Gefühlen, Ideen, Neigungen, Lebensentscheidungen, in sich selber erfahren. So erklärt sich was Herman Grimm einmal schön hervorhebt: 'nur die seltsamsten Lebenswege hätten diese Charaktere zu dieser unendlichen Zartheit der Empfindung leiten können. Welche aber waren es? Erst aus Goethe selbst wird ihre Existenz erklärbar. Alle diese Figuren scheinen nur in den Momenten gleichsam lebendig zu sein, in denen Goethe sie handelnd vor uns erscheinen läßt.' 'Shakespeares Gestalten haben etwas Uhrenartiges. Man sieht oft nur allzugenau die sich bewegenden Räder statt menschlichen Blutumlaufs. Goethes Gestalten sind aus einer anderen Welt als die Shakespeares, Goethe läßt uns in ihre Seele blicken, als wären es nicht Uhren, sondern Pflanzen von Glas, deren Gefäße wir durchsichtig vor Augen haben und in denen wir die Säfte steigen und niedergehen sehen.' Der Unterschied ist in dem des Verfahrens der Phantasie bei dem Aufbau der Charaktere gegründet. Der eine kon[195]struiert aus herrschenden Affekten und Motiven eine Person und deren Handlungen. Der andere setzt ganz lebendige Einzelteile nebeneinander. Die Phantasie ist eben auch in den größten Dichtern begrenzt. Die Gefahr des einen Verfahrens ist das Künstliche, dem Präparat oder der Maschine Analoge, die des anderen das Inkohärente. Die Gestalten des einen entbehren der zarten Rundung des Lebens selber; sie scheinen oft nur aus Muskeln, Knochen und Bändern aufgebaut. Die des anderen sind im Augenblick ihres Erscheinens von zarter Lebenswahrheit, aber zwischen ihren inneren Zuständen und den Handlungen, welche doch zur Fortbewegung der Dichtung notwendig sind, herrscht nicht stets ein plausibler Zusammenhang, wenn auch nicht die unerträgliche Diskrepanz zwischen den Gefühlen und Handlungen Rousseauscher Figuren.

Werther, Prometheus, Mahomet, Faust sind in dieser Weise zusammengesetzt, vorwiegend doch aus lyrischen Momenten in einem weitesten Sinn; sie entbehren der zusammenhängenden Führung der Handlung, aber sie zeigen dafür inneres Leben in impressionistischer Stärke. Faust ist der Gipfelpunkt dieser Kunstform. In Goethes flüchtigsten Zetteln, in seinen lyrischen Gedichten erscheint sein wunderbares Vermögen, Zustände mit ihrem tatsächlichen Hintergrund als Bilder aufzustellen, auf das zarteste auszudrücken und in Tropen zu veranschaulichen. Im Faust stellt er nun was ihn bewegt in dem großen Tropus einer Handlung dar, welche in schöner Verkleidung das innerste Erleben auszusprechen gestattet. Lauter und rein, wie die Natur selber, stellt er dies alles hin; nie ist jemand wahrer gewesen. So wird Goethe, in dieser Selbstdarstellung aufgefaßt, das verkörperte Ideal seines Zeitalters und Faust ist das umfassende Symbol, in welchem er sein ganzes Leben erblicken ließ. In Tasso und Iphigenie schuf er sich [196] dann eine andere ganz neue Form des Seelendrama. Sie war in den Geschwistern und in Stella vorbereitet. Seele wirkt hier auf Seele, und was draußen geschieht ist nur Gewand und Hülle. Ein innerlicher Vorgang wird in solcher Stetigkeit dargestellt, daß wir ihm fast von Stunde zu Stunde folgen können. Er verläuft zwischen wenigen Personen in kurzer Zeit und ohne starken Wechsel des Ortes. Jeder theatralische Glanz, alle äußere Dramatik sind verschmäht, um das ganze Interesse auf das Innenleben zu konzentrieren.

In dem Lebensgefühl Goethes ist auch die Grundstimmung seiner Weltanschauung begründet. Er glaubt an einen wohltätigen Zusammenhang im Universum. Wie er im Leben Sinn und Bedeutung findet, so auch in der Welt. Er faßt jedes Begebnis und jede Tatsache in ihrem Verhältnis zu dem harmonischen Ganzen der Welt auf. Darin liegt das Versöhnende und die Welt Verklärende seiner Poesie. Ein unerschütterlicher innerlich beglückender Glaube an den dichterisch-idealen Zusammenhang der Welt tritt mit patriarchalischem Behagen und Humor in seinen aufgezeichneten Gesprächen hervor, an die Tischreden Luthers zuweilen gemahnend. Riemer bezeichnet einmal in dieser Richtung als 'Goethes ganze Dichtart': 'das Gedachte und Gedichtete in und als Wirklichkeit zu sehen und zu finden, wenn man die Welt mit Liebe betrachtet.' Je älter er wird, desto stärker wird sein Bedürfnis, dem Ganzen, von dem er ausgeht, immer mehr Tatsachen zu unterwerfen; dies ungeheure betrachtende Vermögen schien auf die Welt gekommen zu sein, jeden Tatbestand auf ihr seiner Betrachtung zu unterziehen, und sein Tod ist nur ein von der Natur befohlenes Aufhören einer Operation, die so noch immer weiterzugehen angelegt war. Er beherrschte wie Voltaire den ganzen Ideengehalt seiner Zeit. Aber wie verschieden war er von dem Wesen mit hundert [197] Augen, das als Voltaire heute sich Newtons bemächtigte, die Natur zu verstehen, morgen Bolingbroke ergriff, die Geschichte zu revolutionieren, das nach allen Seiten zu blicken scheint, jede Bewegung in seinem Umkreis zu gewahren und zu nützen, ein Proteus, der immer ein anderer ist, nie er selber; denn was er ist, weiß er jederzeit klug zu verstecken durch etwas was mehr ist als er selbst, was tiefer zu blicken vermag, was vornehmer und edler denkt; der Voltaire, der mit sich selbst redet, ist ein anderer als der zu seinem europäischen Publikum spricht. Dagegen blickt uns aus allem was Goethe je erfunden und gedacht hat immer dasselbe reine und unergründlich tiefe Dichterauge entgegen. Er ist in seinen geheimsten Gedanken derselbe, der in der Iphigenie redet. Und wieviel er auch lernte, er ordnete es dem Ganzen unter, von dem er ausging.

In dieser Ansicht sind in ihm der Dichter und der betrachtende Geist eins. Denn die Wissenschaft ist analytisch, sie zerlegt die Welt als Erfahrung in ihre Elemente, aber in dem betrachtenden und dichtenden Geiste ist der Zusammenhang der Welt als ein individueller verstanden und daher, bildlich zu sprechen, ist diesem der individuelle Genius der Welt gegenwärtig. Wenn der Verstand die Welt analysiert, um das gesetzliche Verhalten ihrer Elemente zu finden, so strebt die Kontemplation, die Ordnung ihrer Formen und die Physiognomie alles Tatsächlichen gewahr zu werden. Sie hat einen Inhalt, welcher dem Verstand als solchem unerreichbar ist: denn die Analyse endigt bei dem gesetzlichen Verhalten zwischen Elementengruppen, sie zerlegt, sie zerstört. Daher Goethes geschichtliches Schicksal war, die mechanische Naturwissenschaft zu hassen und zu bekämpfen, ohne daß er doch nach der Lage der Zeiten und seiner Kenntnisse die Irrung aufzuheben vermocht hätte, welche hier einen unlösbaren [198] Konflikt sah. Wie er der Naturforschung in ihre einzelnen Probleme folgte, nicht als Naturforscher selbst, sondern als ein kontemplativer, im Ganzen der Natur jedem Tatbestand seine Stelle zuweisender Geist: dies ganz darstellen, heißt ihn heute im höchsten Sinne dem Zeitalter nahe bringen. Denn die philosophische Interpretation Goethes durch Schelling und später durch Schopenhauer ist höchst unvollkommen gewesen. Anderseits eröffnet sich von hier aus der Zusammenhang dieser Richtung der Poesie mit parallelen Richtungen des damaligen wissenschaftlichen Geistes in Deutschland.

 


 

So repräsentieren uns Shakespeare und Goethe einen allgemeineren Unterschied im Schaffen der Dichter. Die einen unter den Dichtern leben vor allem in den eigenen Zuständen und Ideen, diese stellen sie dar in ihren Werken, und sie ergreifen äußere Erfahrung, Tatsachen der Geschichte, Sagen und Nachrichten aller Art als Vehikel der Darstellung des eigenen Inneren. Goethe hat an sich selber dieses Verfahren oft und gern betrachtet und geschildert, er hat sich auch zu einem Zeitgenossen wie Byron darum so hingezogen gefühlt, als einen ihm Ebenbürtigen ihn darum mit Begeisterung gepriesen, weil in ihm mitten in der so anders gearteten englischen Gesellschaft einsam, mit pathologischer Gewalt, ein Genius in derselben Richtung voranschritt. Wie ganz anders haben sich in der anderen Gruppe großer Dichter deren Werke gebildet! Die geheimnisvolle Fähigkeit, die mannigfaltigen Bilder von Individuen und ihren Schicksalen um sich her in sich lebendig zu machen, sie mit sich reden zu machen, Handlungen zu erblicken, deren sie fähig wären, mächtige Worte zu hören, die sie auszusprechen vermöchten: dieses bildet das Geschäft ihres Lebens. Ihre Phantasie [199] ist der Schauplatz, auf welchem Gestalten, welche das Leben ihnen in unvollkommener Entwicklung zeigt, geboren werden, mächtigste Entfaltung erlangen, und dann wieder anderen Platz machen.

Die Fähigkeiten, welche diesen beiden Richtungen des Gestaltens zugrunde liegen, sind in jedem großen Dichter verbunden, aber keine menschliche Kraft würde zureichen, sie beide zum äußersten zu entwickeln. Es geschieht daß das letztere Vermögen in großen Dichtern dem mächtigen Drang untergeordnet ist, mit seinen eigenen Zuständen sich zu beschäftigen, sie sich darzustellen, den Zusammenhang des eigenen Wesens auszubilden. Wenn aber ein Mensch kurzerhand mit seinen eigenen Entschlüssen, seinem Charakter und der Ausbildung seiner Person verfährt, wenn er jene Sehkraft für die Zustände der verschiedensten Charaktere unablässig, unbeirrt durch die Bedürfnisse persönlicher Entwicklung ausbildet: alsdann entspringt was einem Shakespeare und Calderon zu leisten vergönnt war. Und wenn die Art des Schaffens und der Lebensführung dieser Großen für uns von Dunkel umgeben ist, dann besitzen wir in genauen Mitteilungen über einen Dichter wie Dickens, der ihnen zwar nicht gleich war, aber doch ein echter und großer Dichter, nur daß die Notwendigkeit Poesie als ein aufreibendes Handwerk zu treiben ihn herabdrückte, ein Material, das für das Studium dieser Gruppe von hohem Werte ist: wie er sein Leben durchstürmte, wie wenig er nachdachte, gerade über das, was ihn selber betraf, die Fehlgriffe seines Lebens, die hieraus entsprangen, das unersättliche Bedürfnis seiner Phantasie nach immer neuen Eindrücken, neuen Schauplätzen der Beobachtung. Daher wendet sich bei den Dichtern jener ersten Klasse unser Interesse weit stärker ihrer Persönlichkeit, ihrer Bildung und ihrem Leben zu, als dies gegenüber denen der anderen Art der Fall ist.

[200] Zumal wenn wir Goethe lesen, tritt das Interesse an jedem einzelnen Werk zurück hinter dem an der Persönlichkeit, welche in allen Werken gegenwärtig ist. Seine Kraft zu überwinden, zu vergessen, sich zu erneuern teilt sich nicht nur in seinen Schriften uns mit, sondern sie wirkt aus Allem was uns Kunde von seinem Leben gibt. Und kein Scheltwort, welches von Briefen und biographischen Bemühungen weg auf die Dichtungen hinweist, wird dies Verhältnis umzukehren und Leben, Natur und Entwicklung Goethes zu Mitteln, seine Werke zu verstehen, herabzudrücken imstande sein. Denn was der Mensch in der Arbeit seines Lebens schließlich gewollt hat, das ist es auch was, wann sein Tag vorübergegangen ist, uns zu sich hinzieht und unseren Blick letztlich festhält.

 

 

Anmerkungen

Der Aufsatz ist zuerst 1877 im X. Bande der Zeitschrift für Völkerpsychologie erschienen. Er knüpfte damals an Herman Grimms Vorlesungen über Goethe an. In Nr. 1 und 2 ist nun, wie auch beim ersten Aufsatz, diese Anknüpfung getilgt [401] und die Darstellung ist zusammengezogen worden, ohne einen inhaltlichen Zusatz, so daß hier meine damalige Fassung der Grundlegung der Geisteswissenschaften auf eine deskriptive Psychologie und die erste Darlegung meiner Ansicht vom Verhältnis zwischen Erinnerung und Phantasievorgang (meine kürzeren Angaben hierüber liegen viel weiter zurück) erhalten geblieben ist. In der Nr. 4 ist der in dem alten Aufsatz enthaltene Begriff der Erhebung des Geschehnisses zur Bedeutsamkeit auf der Grundlage der Erfahrung im dichterischen Vorgang schärfer herausgestellt und ausführlicher behandelt worden. Hier und in den übrigen Teilen des Aufsatzes ist dann der Unterschied in der dichterischen Verfahrungsweise, den Shakespeare und Goethe repräsentieren, vorsichtiger gefaßt und durch einige Zusätze über die beiden Dichter näher erläutert worden.

 

 

 

 

Erstdruck und Druckvorlage

Wilhelm Dilthey: Das Erlebnis und die Dichtung.
Lessing · Goethe · Novalis · Hölderlin.
Vier Aufsätze.
Leipzig: Teubner 1906, S. 137-200 und S. 400-401.

Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck (Editionsrichtlinien).

URL: https://archive.org/details/daserlebnisundd01diltgoog
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/001779972


Diltheys Angabe, der Aufsatz sei "zuerst 1877" [Anmerkungen, S. 400] erschienen, bezieht sich auf das tatsächliche Publikationsdatum der ersten Fassung, die Ende 1877 u.d.T. "Ueber die Einbildungskraft der Dichter" im Jahrgangsband 10 (1878) der angegebenen Zeitschrift erschien.   –   Vgl. zur Entstehungs- und Druckgeschichte: Dilthey, Gesammelte Schriften. Bd. 25, S. 561.

 

 

Weitere Fassungen und Drucke (1878 – 1910)

 

Kommentierte und kritische Ausgaben

 

 

 

Werkverzeichnis


Verzeichnisse

Herrmann, Ulrich: Bibliographie Wilhelm Dilthey.
Quellen und Literatur.
Weinheim/Bergstr. u.a.: Beltz 1969.

Jacob, Herbert (Bearb.): Deutsches Schriftstellerlexikon 1830 – 1880.
Bd. C-D. Berlin: Akademie Verlag 1998.
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Lessing, Hans U.: Art. Dilthey.
In: Internationales Germanistenlexikon, 1800 – 1950.
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Dilthey, Wilhelm: Ueber die Einbildungskraft der Dichter.
In: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft.
Bd. 10, 1878, Heft 1, S. 42-104.
URL: http://digi-alt.ub.hu-berlin.de/viewer/toc/BV041216885/0/LOG_0000/
URL: http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/218935-5
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/000495946

Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften.
Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte.
Bd. 1. Leipzig: Duncker & Humblot 1883.
URL: https://archive.org/details/einleitungindie01diltgoog
PURL: https://hdl.handle.net/2027/hvd.ah6r9v
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Dilthey, Wilhelm: Wilhelm Scherer zum persönlichen Gedächtniß.
In: Deutsche Rundschau.
Bd. 49, 1886, Oktober, S. 132-146.
URL: https://archive.org/details/deutscherundscha49stutuoft
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/008891335
URL: http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/205873-X

Dilthey, Wilhelm: Julian Schmidt's Literaturgeschichte.
In: Deutsche Rundschau.
Bd. 52, 1887, Juli, S. 151-155.
URL: https://archive.org/details/deutscherundscha49stutuoft
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/008891335
URL: http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/205873-X

Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters.
Bausteine für eine Poetik.
In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet.
Leipzig: Fues 1887, S. 303-482.
URL: https://archive.org/details/philosophischeau00leip
URL: http://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_poetik_1887
PURL: https://hdl.handle.net/2027/nnc2.ark:/13960/t6155xb3g

Dilthey, Wilhelm: Die drei Epochen der modernen Aesthetik und ihre heutige Aufgabe.
In: Deutsche Rundschau.
Bd. 72, 1892, August, S. 200-236.
URL: https://archive.org/details/deutscherundscha49stutuoft
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/008891335
URL: http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/205873-X

Dilthey, Wilhelm: Goethe und die dichterische Phantasie.
In: Ders., Das Erlebnis und die Dichtung.
Lessing · Goethe · Novalis · Hölderlin.
Vier Aufsätze.
Leipzig: Teubner 1906, S. 137-200 und S. 400-401..
URL: https://archive.org/details/daserlebnisundd01diltgoog
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/001779972

Dilthey, Wilhelm: Das Erlebnis und die Dichtung.
Lessing · Goethe · Novalis · Hölderlin.
Vier Aufsätze.
2. erw. Aufl. Leipzig: Teubner 1907.
URL: https://archive.org/details/daserlebnisundd00diltgoog
URL: https://archive.org/details/daserlebnisundd02diltgoog
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/003914988

Dilthey, Wilhelm: Das Erlebnis und die Dichtung.
Lessing · Goethe · Novalis · Hölderlin.
Vier Aufsätze.
3. erw. Aufl. Leipzig: Teubner 1910.



Dilthey, Wilhelm: Gesammelte Schriften. Bd. 6:
Die geistige Welt. Einleitung in die Philosophie des Lebens.
Zweite Hälfte: Abhandlungen zur Poetik, Ethik und Pädagogik.
3. Aufl. Stuttgart u.a.: Teubner 1958.

Dilthey, Wilhelm: Gesammelte Schriften. Bd. 16:
Zur Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts.
Aufsätze und Rezensionen aus Zeitungen und Zeitschriften 1859 – 1874.
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Dilthey, Wilhelm: Gesammelte Schriften. Bd. 17:
Aus "Westermanns Monatsheften": Literaturbriefe.
Berichte zur Kunstgeschichte. Verstreute Rezensionen 1867 – 1884.
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Dilthey, Wilhelm: Gesammelte Schriften. Bd. 25:
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Die geplante Sammlung literaturhistorischer Aufsätze von 1895.
Hrsg. von Gabriele Malsch.
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Dilthey, Wilhelm: Gesammelte Schriften. Bd. 26:
Das Erlebnis und die Dichtung.
Lessing · Goethe · Novalis · Hölderlin.
Hrsg. von Gabriele Malsch.
Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2005.
Text nach der 3. Aufl. 1910; mit Apparat und Kommentar.
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Dilthey, Wilhelm: Briefwechsel.
Hrsg. von Gudrun Kühne-Bertram und Hans-Ulrich Lessing.
Bd. 1. 1852 – 1882.
Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2011.

Dilthey, Wilhelm: Briefwechsel.
Hrsg. von Gudrun Kühne-Bertram und Hans-Ulrich Lessing.
Bd. 2. 1882 – 1895.
Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2014.

Dilthey, Wilhelm: Briefwechsel.
Hrsg. von Gudrun Kühne-Bertram und Hans-Ulrich Lessing.
Bd. 3. 1896 – 1905.
Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2018.

Dilthey, Wilhelm: Briefwechsel.
Hrsg. von Gudrun Kühne-Bertram und Hans-Ulrich Lessing.
Bd. 4. 1905 – 1911.
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Literatur: Dilthey

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Mansour, Julia I.: Wilhelm Dilthey: Philosoph und, oder Philolog? Interdependenz zwischen Literaturstudien und wissenschaftsphilosophischer Reflexion. Würzburg 2011 (= Epistemata; Reihe Literaturwissenschaft, 712)
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Michler, Werner: Kulturen der Gattung. Poetik im Kontext, 1750 – 1950. Göttingen 2015.

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Nicholls, Angus: Scientific Literary Criticism in the Work of Matthew Arnold and William Dilthey. In: Comparative Critical Studies 8.1 (2011), S. 7-31.

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Edition
Lyriktheorie » R. Brandmeyer