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Literatur: Wolff
Literatur: Deutsche academische Zeitschrift
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Diskussion: Moderne
Wer über die litterarischen Zustände der jüngsten <Vergangenheit> und unmittelbaren Gegenwart
schreiben oder gar auf die Litteratur der nächsten Zukunft befruchtend einwirken will, wird nun
und nimmer in der Lage sein, ein objectives historisches Bild zu geben – er kann immer nur,
und sei er ausgerüstet mit dem vollen historisch-kritischen Blick des
Litteraturgeschichtsforschers, subjective Urteile über Breite und Länge all jener Strömungen
fällen, deren Entspringen an der Quelle er beobachtet, ohne den ganzen Lauf des Flusses von
seinem Standorte überschauen zu können. Man gestatte mir also mit einer subjectiven Erinnerung
zu beginnen.
Nach langer Abwesenheit von der deutschen Reichshauptstadt in dieselbe zurückgekehrt, wurde ich in einen jungen litterarischen Freundeskreis eingeführt, dessen Glieder ich in ihrem dichterischen Wirken von Anfang an mit eben der begeisterten Spannung verfolgt hatte, mit welcher man aufhorcht, wenn das, was man als stilles Ideal im Herzen trägt, plötzlich mit Fanfarenklang der Welt verkündet wird. Soeben aus der freien gewaltigen Natur des Meeres kommend, sah ich mich von dem Jagen und Brausen der Weltstadt fortgerissen, tausend neue Eindrücke stürmten auf mich ein, – und doch galt es für mich, zur Ruhe und Klarheit zu gelangen, zur Ruhe [II,1] und Klarheit, was es denn sei, wodurch jener litterarische Kreis unserer jüngsten Dichter zusammengehalten werde und wodurch ich mich zugleich mit ihm eins wisse. Irgend ein förmliches Programm war nicht aufgestellt; was aber band die Geister an einander?
Was man nicht positiv erreicht, erkennt man oft auf negativem Wege. So sah ich mich
zunächst nach den gemeinsamen Gegnern um. Drei Strömungen boten sich in der Litteratur
der Gegenwart dar. Auf dem weitesten Felde der litterarischen Schaffung (man kann leider
nicht sagen: Schöpfung) herrscht jenes dilettantische Blaustrumpfwesen, welches in
erschrecklich gesegneter Fruchtbarkeit, reich an Wasser, aber arm an Blut, jahraus jahrein
seine Dutzendmachwerke mit schablonenhafter Geschicklichkeit auf den Markt wirft. Diesen
Tagesdirnen beiderlei Geschlechts und darum Tagesgötzen, diesen schriftstellenden Duodezkönigen
bieten wir zweifellos Schach! Eine zweite Strömung der Litteratur scheint garnicht so einschläfernde
Wirkung zu thun, ja scheint mit ermunternder Electricität geladen, aber kein stärkender, gesund
erfrischender electrischer Schlag ist die Wirkung, sondern ein raffinirtes Kitzeln, und wir
müssen wohl erkennen, dass hier kleine, unedle Geister in einer verunglückten Speculation auf
grosse, edele Gefühle befangen sind. Schach! Aber noch einen Typus bietet der litterarische
Olymp: dort auf behäbigem Grossvaterstuhle sitzt der würdige Vertreter der Epigonen-Klassicität;
nicht immer ruhte er dort, einst gab es eine Zeit, da stürmte er wild hinaus in die litterarische
Welt, um sich einen Platz zu erobern, dem brausenden Meere des Lebens ein Stück Land abzugewinnen;
aber schiffbrüchig irrte er bald umher, und nun war es für ihn ausgemacht, "dass heutzutage," wenn
selbst ein Kerl wie Er nicht siegen konnte, eine Originaldichtung grossen Stiles "überhaupt nicht
mehr möglich" sei, dass wir uns eben alle bescheiden müssen mit dem Loose des Epigonen. Auch diesen
bescheidenen "Lumpen" Schach!
Sage mir, mit wem du – nicht umgehst, und ich will dir sagen, wer du bist! Nach diesem Wahrwort
wäre auf den Weg der Jüngsten schon einiges Licht geworfen. Um denselben vollends zu erhellen,
wird es nötig sein, nach dem ersten Ursprung, nach dem Ur-Anknüpfungspunkt der neuen Richtung
auszuschauen. Haben die nationalen Ereignisse, die grossen Geschicke des Vaterlandes die
unmittelbare oder mittelbare Veranlassung zu der neuen Dichtung gegeben? Wer die seit 1870
verflossene Spanne Zeit und anderseits die Stoffe sowie den ganzen Geist der jüngsten Dichter
überschaut wird zweifellos gestehen müssen, dass dort die unmittelbare oder auch nur die mittelbare
Veranlassung nicht zu suchen ist. Dagegen wird der durch jene Ereignisse bedingte nationale
Aufschwung positiv und die durch eben jene Ereignisse – wenigstens teilweise –
bewerkstelligte Befriedigung des im Vordergrund aller Interessen stehenden <nationalen> Sehnens
negativ als eine der mittelbaren Veranlassungen für die neue Poesie zu erkennen sein.
Graben wir der Quelle weiter nach, so werden wir uns zu fragen haben, inwieweit etwa die
ausländische Dichtung befruchtend auf unsere Dichterjünglinge einwirkte. Nach Lage der Verhältnisse
könnten Vornehmlich die Engländer und Franzosen in Betracht kommen. Aber die englischen
Litteraturzustände der Gegenwart sind kaum besser als die deutschen bestellt. Die französischen
"Sitten"-Dramatiker werden wir opferfreudig den Bühnenpaschas der raffinirten Mache zur <Nachahmung>
überlassen, so dass nur der Eine bliebe;
Zola. In der That weist Karl Bleibtreu in seiner
"Revolution in der Litteratur", einer Nachtisch-Plauderei,
welcher ich als solcher, wenn auch nicht als einer litterarischen Programmschrift, bei mannigfachen
Abweichungen im einzelnen – Verdienst durchaus nicht abspreche, Zola eine ähnliche Stellung zur
litterarischen "Revolution" unserer Zeit an, wie sie mutatis mutandis Shakespeare zu jener
des vorigen Jahrhunderts eingenommen. Wir wollen nicht zustimmen, bevor wir nicht geprüft
haben. Was will Zola? In der Vorrede zum dramatisirten "Assommoir" spricht er sein Programm
dahin aus: "Das Uebernatürliche und Vernunftwidrige zu vernichten, unerbittlich alle Metaphysik
zu verbannen, die Rhetorik nur als Hilfswerkzeug zuzulassen, einzig und allein die
physiologische Betrachtung des Menschen festzuhalten und alle sinnlichen und sittlichen
Erscheinungen auf den erfahrungsgemäss richtigen Beweggrund zurückzuführen in der
hochmoralischen Absicht, dieser Erscheinungen Herr zu werden, um sie lenken zu können:
danach strebe ich." . . "Das menschliche Wesen hat kein Oben oder Unten, es besitzt nur
Leidenschaften, deren Aeusserungen sich insgesammt gleich unrein erweisen" . . "Die Liebe ist
genau betrachtet, nicht sehr reinlich, nicht reinlicher als das Spiel oder der Mord. Jede
leidenschaftliche Aeusserung, die das menschliche Thier in Aufruhr bringt,
fördert Schmutz zu Tage." – – Wer Zola gelesen hat, weiss, dass er hier
treffend seine Manier geschildert hat. Gegenüber der fleisch- und blutlosen Verhimmlung
einer bleichsüchtigen Eunuchen-Afterpoesie muss der extrem-naturalistische Realismus Zola's
als natürliche Gegenwirkung erscheinen. Aber ist denn des Menschen Thun nur durch die
physiologischen thierischen Instinkte bedingt? Wohl, man weise diesen ihren rechtmässigen
Platz in den menschlichen Triebfedern an, aber giebt es kein höheres Geistige, durch welches
sich der Mensch über das Thier erhebt? Es soll hier garnicht an religiöse oder metaphysische
Vorstellungen gedacht werden, wohl aber an die vom wahrhaft freien Menschen in Freiheit
anerkannte Sitte. – Und noch eine weitere Frage muss sich jeder Beurtheiler Zola's
vorlegen, wenn er nicht vorzieht, über eine so originelle Erscheinung mit einem paar
verständnislosen Phrasen oder mit der blossen ehrbaren Prüderie des Backfisches und
Philisters zur Tagesordnung überzugehen: Inwieweit ist das Hässliche, welchem Zola nach
seiner Verfahrungsweise naturgemäss einen grossen Platz einräumt, in der Kunst berechtigt
oder sogar nothwendig? Was Karl Rosenkranz in seiner "Aesthetik des Hässlichen" als erlaubt
ausspricht, wird ja allerdings von Zola vollständig auf den Kopf gestellt; denn nach Rosenkranz
ist ein Wohlgefallen am Hässlichen auf gesunde Weise nur dann möglich, "wenn das Hässliche in
der Totalität eines Kunstwerkes sich als eine relative Notwendigkeit rechtfertigt und durch
die Gegenwirkung des Schönen aufgehoben wird. Als krankhaft erscheint dagegen die Darstellung
des Hässlichen, "wenn ein Zeitalter physisch und moralisch verderbt ist, für die Erfassung des
wahrhaften, aber einfachen Schönen der Kraft entbehrt," "die Zerrissenheit der Geister
weidet sich an dem Hässlichen, weil es für sie gleichsam das Ideal ihrer negativen
Zustände wird." "Kolossale Instrumentirung, eine Poesie von Koth und Blut sind solchen
Perioden eigen." Zola behauptet nun allerdings, dass sein Hässliches in der Totalität
des Kunstwerkes nothwendig begründet sei, er zeichne eben in der hochmoralischen Absicht,
auch der Nachtseiten des Lebens künstlerisch Herr zu werden. Bei der Entscheidung, ob dies
dem Dichter gelungen, ist natürlich der Gesammt-Eindruck des Werkes ausschlaggebend. Und
nun frage ich, ob der Leser eines Zola'schen Romans am Schlusse jenes befreiende Gefühl
hat, sich eins zu wissen mit der moralischen Weltordnung, aufzuathmen in dem versöhnenden
Bewusstsein, dass am Ende aller Enden, wie oft auch der Böse triumphirt, doch das Böse
überwunden wird, wenn nur der Edle zum <grossen> Siege ringend aufwärtsstrebt. Vielmehr
ist der Eindruck Zola's das Bewusstsein bei dieser Weltordnung herrsche der Teufel,
und wer sich den Gott erkämpfen will, müsse zur grossen Weltrevolution mitarbeiten.
Zum Schrecken aller derer, welche die einzelnen Cynismen Zolas so "unmoralisch" fanden,
muss meiner Ansicht nach – die Kunstkritik anerkennen, dass die Absicht Zola's eine
hochmoralische sei: er will durch Abschrecken bessern. Aber eine Tendenz kann hochmoralisch
und doch zugleich aufs tiefste unsittlich sein. Ich erinnere nur an die
hochmoralisch-moralisirenden Romane Richardsons's, welche das Unsittlichste sind,
was ich kenne, und die bereits in den Xenien ihre gebührende Beurteilung gefunden haben.
Die Absicht vor dem Bösen Ekel zu erregen, ist moralisch freilich deshalb noch lange nicht
ästhetisch, aber dem Menschen zugleich zu sagen, dass dieses ekelhafte Böse so lange
<triumphire>, bis er einen andern Adam angezogen, – das ist unsittlich, weil der Mensch wohl
langsam sich erheben und veredeln, jedoch nicht aus sich herausgehen, urplötzlich sein
bisheriges Wesen vernichten und seine Natur mit der Jacke wechseln kann. So ist der
Erfolg der gleiche wie bei Schopenhauer's Pessimismus Ekel vor der Menschheit,
thatenloses Verzweifeln. In diesem Sinne, weil ich die Sittlichkeit in dem thatkräftigen
Streben nach Ueberwindung des Uebels sehe, aber auch nur in diesem Sinne nenne ich
Zola wie den genialen Schopenhauer unsittlich. – Trotz diesem unsittlichen
Grundcharakter und trotz der vielen einzelnen widerästhetischen Cynismen hat
Zola insofern Bedeutung, als er die Aufmerksamkeit 1) wieder auf den Naturalismus
als mächtiges Kunstmittel lenkte, denn wenn auch die extreme Uebertreibung desselben
sich aus den Grenzen der Kunst heraus verirrt, so ist doch der <künstlerisch> verklärte
Naturalismus, der zu idealer
[II,2] Versöhnung vollendete Realismus die grossartigste Darstellungsart jeder wahren,
echten Kunst. Und in dieser unerbittlichen Wahrheit der <Einzelscenen> leistet Zola
allerdings Etwas, obgleich er, eben im Streben nach unerbittlicher Wahrheit, den
versöhnenden Hauch nicht spürt, der doch über allem Weh und Elend weht und der einem
wahrhaft grossen Universalgenie nicht hätte entgehen können, 2) führt Zola –
<auch> hier leider einseitig – die Nachtseiten des Lebens wieder in ihr Recht,
gleich den Lichtseiten zu künstlerischer Darstellung zu kommen, – gegenüber der
grenzenlosen Verlogenheit der hergebrachten süssen Minnepoesie ein nicht zu unterschätzendes Verdienst.
Im Uebrigen muss betont werden, dass Zola weder der Vater des Naturalismus überhaupt noch
der erste Darsteller des Düsteren ist, beide Eigenschaften sind vielmehr die Grundpfeiler
aller höchsten Poesie und waren als solche auch die Urelemente der Dichtung Shakespeares
und Goethes. – Angeschlossen haben sich an Zola in seinen Vorzügen und Fehlern
allerdings einige unserer jüngsten Dichter, mögen von ihm alle in seinen grossen Vorzügen
lernen und durch seine grösseren Fehler gewarnt sein! –
Also auch hier – dies ist das Ergebnis <unserer> letzten Betrachtung nicht der eigentliche Ursprung der neuen deutschen <Litteraturströmung> zu suchen, und wir haben uns daher zuletzt zu fragen, ob dieselbe aus Anknüpfung an eine ältere <Litteraturepoche> hervorgegangen sei. Haben sich ja eine Reihe unserer Jüngsten bald den Namen "Stürmer und Dränger" beigelegt, bald sich als jüngstes "Jung-Deutschland" aufgespielt. Namen sind leerer Schall, es ist zu untersuchen, ob diese angelehnten Bezeichnungen inhaltlich berechtigt sind. Das Wesen der sogenannten Sturm – und Drang – <Periode> lässt sich auf folgende Grundelemente zurückführen: 1) Auflehnung gegen das herrschende Erstarrte und Erschlaffte, – das thut auch heute not, 2) Drang nach Genialität und ausschliessender Originalität, – schon die gekennzeichnete Sucht, sich als Erben vergangener Epochen auszugeben, lässt die analogen Eigenschaften der Neuesten vermissen, 3) neue grosse Muster: Shakespeare, Homer und das Volkslied fehlen uns, wie wir sahen, gänzlich, 4) schliesslich – was uns gleichfalls fehlt – einen bahnbrechenden, literarischen Reformator, – Lessing – welcher der <litterarischen> Revolution den Boden geebnet hatte und zugleich in seiner festen Regelmässigkeit ein heilsames Gegengewicht gegen die Ausschreitungen der regellosen Stürmer bildete. Dazu durchaus veränderte Zeitverhältnisse, – man sieht, dass ein Anknüpfen an die in klassisches Ebenmass untergegangene litterarische Revolution der Stürmer und Dränger zwar mit Recht und zum Heile erstrebt werden muss, aber der Ausgangspunkt, die eigentliche Ursache einer plötzlich neuen Litteraturbewegung liegt auch hier nicht. – Was das Junge Deutschland betrifft, so ging es aus der Romantik, der politischen Opposition und der Sucht nach geschlechtlicher Emancipation hervor, gleichfalls unter durchaus anderen Verhältnissen. Was heisst es denn überhaupt: eine frühere Periode erneuern? Will man sie kritiklos auch in ihren Fehlern und Uebertreibungen nachäffen? Dann allein hat man ein Recht, denselben Namen zu tragen. Oder will man nur die guten Seiten fortbilden und Neues hinzuthun? Dann ergiebt sich eben eine neue Strömung, – denn immer zehrt der Enkel von den Früchten der Ahnen. Also eine neue Litteraturbewegung trotz diesem und jenem mit einzelnen heilsamen Befruchtungen durch Aelteres und Fremdes, aber mit durchaus unmittelbarer Urquelle. Bleibt doch auch kein anderer Entstehungsgrund übrig!
Und welches ist nun das neue Evangelium, welches neue Priester erstehen liess?
Welche neuen bedeutungsvollen oder nach Bedeutung ringenden Gewalten nötigen
unabweisbar das junge Geschlecht, aus anderem Tone zu singen? Drei Fragen stehen
im Vordergrunde der geistigen Kämpfe: 1) Die sociale Frage: Soll ich nicht leben
wie du, dieweil ich gottgeschaffen wie du? 2) die Nationalitäten-Frage: Wird eine
Nation – und welche? – die Vormacht erringen oder wird ein das Gleichgewicht
erhaltender Völkerbund von Dauer möglich sein? 3) Die religiöse Frage: Sollen alle,
die bei stark ausgebildetem moralischen Gefühl in den alten religiösen Anschauungen
keine Befriedigung mehr finden, in ewiger Lüge Glied der alten Kirchen bleiben oder
sollen sie offen ihr neues Evangelium predigen? – Wer die Poesie unserer neuen Dichter
kennt, weiss, dass in der That diese drei Fragen, namentlich die erste und dritte, des
Dichters Herz und Lied durchklingen. Als viertes und letztes Element kommt, wie bei
jeder originellen Dichterschule, hinzu, der Kampf gegen die zeitgenössischen
Litteraturzustände elenden Gedenkens. Im übrigen sei die modernste Poesie eine
Abschilderung aller Strömungen des modernsten Lebens. Diese modernen Ideen, diese
modernsten Kämpfe sind die Seele der modernsten Dichtung; keine Epigonen der
grossen Vergangenheit sollen mehr sein, sondern Progonen einer grossen Zukunft.
Und zukunftsfreudig, siegesgewiss klinge das moderne Lied!
Noch eine Auseinandersetzung ergiebt sich, ehe wir mit diesem Programm schliessen.
Ist unser jetziges Kunstideal und das höchste Zukunftsideal noch gleich demjenigen,
welches man bisher in der Antike als klassisch feierte? Treten wir in einen Tempel,
unmittelbar vor das Bild der antiken Göttin hin: alsbald werden wir in Andacht
niederknieen, wortlos, wunschlos, gedankenlos . . . . Da tönt von Aussen ein Tosen und
Brausen an unser Ohr, erschreckt fahren wir aus unserer Andacht auf, wir stürmen hinaus:
Und siehe! Ueberall Bewegung, Handlung, das Bild des modernen Lebens. Nein, die stille,
kalte Antike ist nicht mehr unser höchstes Ideal. Aber wo es finden? Dort weist einer
auf die Dirne, die sich frech durch die Strassen spreizt, und jagt ihr nach . . .
Ist dies unser modernes Ideal? Dann wehe! Dann gehe der Jünger der Kunst in den antiken
Tempel zurück, lieber bei den göttlichen Todten zu sterben als bei den entgotteten
Lebenden zu leben. Aber da eilt ein anderes Weib durch das Gewühl, ein junges Weib mit
jenem Glanze der Keuschheit, wie er keine Jungfrau zieren kann, denn es ist nicht der
harmlose Zug der Nichtwissenden, es sind die schmerzverklärten Züge der Wissenden, die
<überwunden> hat. Nicht Ebenmass der Glieder schmückt dies Weib in wilder Schönheit
umrahmt ihr Haar Stirn und Nacken, und in wilder Hast eilt sie dahin . . . Daheim
harrt wohl ein geliebter Sprössling ihrer, für den sie tagüber gearbeitet, nun wird
sie mit ihm vereint den Lohn der Arbeit geniessen, darum beflügeln sich ihre Schritte.
Und wer, gefesselt von ihrem Anblick, ihr folgt, der idealsuchende Jüngling wagt auch
dieses Weib nicht zu berühren wie jene Göttin, <aber> er mag nicht vor ihr niederknien,
ihr muss er folgen, mit Eifer nachstreben, um ihr nahe zu sein wortlos, wunschlos . . .
aber nicht gedankenlos, vielmehr lebt <es> in ihm auf, wie wenn ein lang Gesuchtes gefunden,
ein lange nach Gestaltung Ringendes sich gestalte, und es flüstert in ihm: die Moderne!
Erstdruck und Druckvorlage
Deutsche academische Zeitschrift
(Organ der "Deutschen academischen Vereinigung").
Jg. 3, 1886, Nr. 33, 26. September:
Erstes Beiblatt, S. *4
Zweites Beiblatt, S. *1-2.
[PDF]
Gezeichnet: Dr. Eugen Wolff.
Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck
(Editionsrichtlinien).
Dem Deutschen Literaturarchiv Marbach danke ich für die Bereitstellung der Druckvorlage.
Der Text ist die überarbeitete Fassung eines Vortrags über "Die Moderne",
den Eugen Wolff am 10. September 1886 in Berlin im literarischen Verein "Durch!" gehalten hatte
(vgl. ebd. Erstes Beiblatt, S. *1 und Hanstein 1900, S. 76-77).
Aus der Diskussion des Vortrags (im Verein "Durch!" am 17. September) gingen die
"Thesen"
hervor, die am 18. Dezember 1886 im "Magazin für die Litteratur des In- und Auslandes"
im Namen der "Freien litterarischen Vereinigung Durch!" publiziert wurden.
Zeitschriften-Repertorien
Werkverzeichnis
Verzeichnisse
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In: Internationales Germanistenlexikon, 1800 – 1950.
Bd. 3. Berlin u.a.: de Gruyter 2003, S. 2059-2060.
Lexikon deutsch-jüdischer Autoren.
Bd. 20. Berlin u.a. 2012.
S. 383-389: Art. Eugen Wolff.
Wolff, Eugen: Die Moderne.
Zur "Revolution" und "Reform" der Litteratur.
In: Deutsche academische Zeitschrift
(Organ der "Deutschen academischen Vereinigung").
Jg. 3, 1886, Nr. 33, 26. September:
Erstes Beiblatt, S. *4
Zweites Beiblatt, S. *1-2.
[PDF]
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Berlin: Eckstein 1888 (= Litterarische Volkshefte, Nr. 5).
PURL: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hbz:6:1-245379
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In: Das Magazin für die Litteratur des In- und Auslandes.
Jg. 57, 1888, Nr. 50, 8. Dezember, S. 777-780.
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Rezensionen
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Jg. 12, 1891, Nr. 11, November, Sp.383-384 (H. Siebeck).
URL: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k92843s
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URL: http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kunstwart
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URL: https://de.wikisource.org/wiki/Zeitschrift_für_vergleichende_Litteraturgeschichte
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/000638851
Wolff, Eugen: Volksbühne und Volksdichtung.
In: Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben.
Bd. 45, 1894, Nr. 3, 20. Januar, S. 40-41.
URL: https://de.wikisource.org/wiki/Die_Gegenwart_:_Zeitschrift_für_Literatur,_Wirtschaftsleben_und_Kunst
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/000059485
Wolff, Eugen: Gegen das Schauspiel.
In: Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben.
Bd. 48, 1895, Nr. 40, 5. Oktober, S. 218-220.
URL: https://de.wikisource.org/wiki/Die_Gegenwart_:_Zeitschrift_für_Literatur,_Wirtschaftsleben_und_Kunst
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Wolff, Eugen: Geschichte der Deutschen Literatur in der Gegenwart.
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URL: http://archive.org/details/geschichtederdeu00wolfuoft
PURL: https://hdl.handle.net/2027/mdp.39015014853041
Wolff, Eugen: Poetik.
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PURL: http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN729732231
URL: http://archive.org/details/poetikdiegesetz00wolfgoog
URL: http://www.deutschestextarchiv.de/wolff_poetik_1899
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/006532161
Rezensionen
Deutsche Litteraturzeitung.
Jg. 20, 1899, Nr. 10, 11. März, Sp. 380-382 (R. M. Meyer).
URL: https://archive.org/details/bub_gb_uqAxAQAAMAAJ
Literarisches Centralblatt für Deutschland.
1899, Nr. 50, 16. Dezember, Sp. 1739-1740 (anonym).
URL: https://archive.org/details/bub_gb_BXJPAAAAYAAJ
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Studien und Kritiken zur Litteratur der Gegenwart.
Oldenburg u. Leipzig: Schulze 1901.
URL: https://archive.org/details/zwlfjahreimlitt00wolfgoog
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/001778290
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IV: 1886, Nr. 64, 5. März, S. 937-938
V: 1886, Nr. 75, 16. März, S. 1098-1099
VI: 1886, Nr. 115, 25. April, S. 1691
VII: 1886, Nr. 117, 28. April, S. 1714-1715.
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Baumbach, Rudolf: Lieder eines fahrenden Gesellen.
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Weddigen, Otto: Die deutsche Lyrik der Gegenwart.
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Schütze, Paul: Ein moderner Minnesänger.
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Zolling, Theophil: Zola's neuer Roman.
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Ziel, Ernst: Lyrische Novitäten.
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Wollerner, S.: Realismus und Poesie.
Eine Studie zur Litteraturgeschichte der Gegenwart.
In: Litterarischer Merkur.
Mitteilungen aus dem geistigen Leben der Gegenwart und
Nachrichten für Bücherfreunde über erschienene Neuigkeiten des In- und Auslandes.
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Gottschall, Rudolf: Die Klinik in der Poesie.
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Buchwald, Otto: Das Unerquickliche.
Eine ästhetische Skizze.
In: Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben.
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Gottschall, Rudolf: Gedichte und Dichtungen.
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Ziel, Ernst: Lyrische Novitäten.
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Wollerner, S.: Die Verflachung der modernen Lyrik.
In: Das Magazin für die Litteratur des In- und Auslandes.
Jg. 55, 1886:
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Amyntor, Gerhardt von: 1885 er Lyrik.
In: Das Magazin für die Litteratur des In- und Auslandes.
Jg. 55, 1886:
Nr. 18, 1. Mai, S. 281-283
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Bulle, Oskar: Streifzüge in die neueste Lyrik.
In: Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben.
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Ernst, Otto [d.i. Otto Ernst Schmidt]: Das Elend der modernen Lyrik.
In: Das Magazin für die Litteratur des In- und Auslandes.
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Bulle, Oskar: Die Dichtung der Zukunft.
In: Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben.
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Fokke, Arnold: Die realistische Strömung in unserer Literatur.
In: Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben.
Bd. 32, 1887:
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Halbe, Max: Moderne Lyrik. [Rezension zu: Karl Henckell: Strophen. Zürich 1887.]
In: Die Gesellschaft. Monatsschrift für Litteratur und Kunst.
1887, Oktober, S. 828-829.
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Zolling, Theophil: Deutsche Naturalisten.
In: Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben.
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Harden, Maximilian: Die Wahrheit auf der Bühne.
In: Der Kunstwart.
Jg. 1, 1887/88, Heft 15, [5. Mai 1888], S. 201-204.
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Schlaf, Johannes: Die Anfänge der neuen deutschen Literaturbewegung.
In:
Der Zeitgeist, Nr. 25;
Beiblatt zum "Berliner Tageblatt", 1902, Nr. 312, 23. Juni, S. *2-3.
Der Zeitgeist, Nr. 28;
Beiblatt zum "Berliner Tageblatt", 1902, Nr. 351, 14. Juli, S. *2-3.
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Beiblatt zum "Berliner Tageblatt", 1902, Nr. 390, 4. August, S. *3.
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Mahal, Günther (Hrsg.): Lyrik der Gründerzeit.
Tübingen: Niemeyer 1973 (= Deutsche Texte, 26).
Edition
Lyriktheorie » R. Brandmeyer