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Editionsbericht
Werkverzeichnis
Literatur: Dilthey
Literatur: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft
Gern folgt der Unterzeichnete der Aufforderung, den Lesern dieser Zeitschrift zu sagen, was sie in dem Buche Hermann Grimm's zu suchen haben: ist doch Erkenntnis großer Individuen einer der wichtigsten Teile aller philosophischen Geschichtsforschung; zumal aber an die Erforschung Goethe's knüpft sich auch in der Richtung dieser Zeitschrift ein weittragendes Interesse, da wir keinen zweiten Fall gleicher Durchsichtigkeit der Vorgänge der Phantasie in einem großen poetischen Genius haben. Bacon spricht in seinem neuen Organon von "hervorleuchtenden Instanzen", in welchen die untersuchte Form der Natur besonders offenbar ist; inveniuntur subjecta nonnulla in quibus natura inquisita prae aliis est in suo vigore, vel per absentiam impedimenti, vel per praedominantiam virtutis; in den Geisteswissenschaften soweit sie auf Phänomene der Geschichte sich gründen müssen, tritt weiter unterscheidend hinzu, dass gewisse Phänomene sich uns bis in ein tiefes Innere durchsichtig darstellen, als blickten wir durch durchsichtige Medien, andere keiner Erhellung mehr durch irgend ein Mittel zugänglich sind. Auch dieser Unterschied constituirt praerogative, näher ausgedrückt "hervorleuchtende Instanzen". Ist auch bei Goethe das dichterische Vermögen in einem complicirten Falle vorhanden, das Zusammentreffen der Gewalt dieses Vermögens in ihm und der Durchsichtigkeit desselben machen ihn zu einem Falle, ja zu dem Fall ersten Ranges.
Die Goetheforschung erfreut sich gegenwärtig der frischesten Bewegung. Nachdem die Franzosen bereits mit philologischer Genauigkeit auf die Handschriften selber oder doch die kritische Benutzung der ersten Drucke für Ausgaben ihrer [43] großen Schriftsteller zurückgegangen waren, nachdem Lachmann's Lessing lange umsonst als Muster jeder Edition eines deutschen Classikers dagestanden hatte, trat endlich in der letzten Zeit eine kritische Herstellung der Texte von Goethe und Schiller nach philologischer Methode hervor; vielleicht mit etwas mehr Geräusch von mancher Seite als bei einer schon früher meisterhaft gehandhabten Methode nötig war; aber Tüchtigkeit der Arbeit und überraschende Ergebnisse dürfen wir hier mit Freude feststellen. Jeder Abschluss der Texte Goethe's bleibt freilich so lange provisorisch, als der unselige Eigensinn der Rechtsnachfolger Goethe's (die nichts weniger als Nachfolger seiner Denkart scheinen) das Goethesche Archiv in Weimar <verschließt>. Mit dieser Arbeit wird nunmehr die Grundlage für die Aufgaben einer höheren Kritik gewonnen. Zunächst empfangen wir klare Drucke der verschiedenen Gestalten der Dichtungen, welche sich in Handschriften erhalten haben und hiermit ist uns der Einblick in das innere Geschäft der Phantasie bei unseren beiden großen Dichtern gewährt, ein Einblick, welcher für die allgemeine Theorie der dichterischen Phantasie ein neues Material der inductiven Bearbeitung liefert, für das Verständnis des besonderen Verfahrens dieser beiden großen Schriftsteller eine Grundlage schafft. Es gewährt den unmittelbarsten Einblick in Goethe's Leben, in dem "jungen Goethe", dieser meisterhaften Publication, Tag für Tag, was Goethe niederschrieb, Briefe, Verse, Werke, in der originalen Gestalt, an der richtigen Stelle zu lesen und so mit ihm die Tage und Jahre zu erleben. Wir haben alsdann den Uebergang zu der Lösung der Aufgaben höherer Kritik in einigen hervorragenden Arbeiten zu gewahren. Herr von Loeper hat insbesondere Dichtung und Wahrheit einer meisterhaften Untersuchung unterworfen, und aus der schriftstellerischen Composition dieses Werkes Anhaltspunkte für die Beurteilung seiner Stellung zu den historischen Tatsachen gewonnen; hiermit ist die Grundlage für die historische Kritik unserer Nachrichten von Goethe's erster Epoche gegeben. Scherer und, aus seiner Schule, Erich Schmidt u.a. haben begonnen, den Vorgang [44] der Phantasie, in welchem aus Lebenserfahrungen und der vorhandenen poetischen Welt sich einzelne Dichtungen Goethe's entfalteten, der Untersuchung zu unterwerfen. Ich fahre nicht fort in meiner Aufzählung. Ganz neue Quellen wie jetzt Goethe's unschätzbares Tagebuch, Briefwechsel, Memoiren und Briefe anderer vermehren den Reichtum des Materials in's Unabsehbare, erregen aber zugleich ein Gefühl, wie Vieles noch zurück ist, wie Ueberraschendes jeden Tag hervortreten kann. Genug: wenn in menschlichen Dingen überhaupt nichts abgeschlossen ist, hier finden wir uns von einem zwar noch unvollständigen aber ungeheuren Quellenmaterial und von vielversprechenden Anfängen seiner Bearbeitung nach strengeren und feineren Methoden umgeben.
Man sieht, was ein besonnener in historischer Methode geübter Schriftsteller sich vornehmen konnte, was er ausschließen musste.
Wenn man heute oft den Wunsch nach einer großen abschließenden Biographie Goethe's äußern hört, in welcher alles für Goethe Belangreiche aus dem Quellenmaterial und den Untersuchungen über ihn seine Stelle fände, so kann nur Unkenntnis der Sachlage ihn hervorrufen. Schon ganz äußerlich genommen, hat eine solche durchaus auf den guten Willen der in Thüringen sitzenden Goetheschen Erben zu warten, welcher allein dem Material eine relative und vorläufige Vollständigkeit geben kann. Aber sie hat, auch wann dies eröffnet sein wird, auf die monographische Arbeit der höheren Kritik und Hermeneutik zu warten, welche ein einzelner kaum in einer gemessenen Reihe von Jahren für sich zu vollbringen im Stande sein würde. Ich brauche dabei das Misverständnis wol nicht abzuwehren, als dächte ich überhaupt an eine der Auffassung nach abschließende Biographie großen Styls; jedes Zeitalter wird Goethe vorläufig noch anders ansehen, ähnlich wie Kant, Männer, für die wir noch keinen rein geschichtlichen Gesichtspunkt haben, wie etwa für Dante. Abschließend meine ich in Bezug auf die methodische Benutzung der vorhandenen Quellen für [45] Feststellung aller für Goethe belangreichen Tatsachen niederer und höherer Ordnung.
Dagegen entspringt aus derselben Lage der Sachen ein Bedürfnis nach einer Biographie anderen Styls. Von den Gebildeten wird es auf das lebhafteste empfunden und in anderer Weise regt es sich bei den mit der Goetheforschung Vertrauten, an ihr Teilnehmenden. Es hat dem lebendig geschriebenen, aber oberflächlichen Buche eines Ausländers eine unverdiente Verbreitung gegeben. Wie schlecht es mit den Kenntnissen von Lewes bestellt ist, sieht man aus seiner Geschichte der Philosophie, welche von den gröbsten Fehlern wimmelt; wie schlecht es mit seiner Genauigkeit in der Bearbeitung des gegebenen Stoffs – einer freilich weit geringeren Eigenschaft – bestellt war, ist von den Goethekennern genugsam empfunden worden. Und es ist wol kein nationales Vorurteil, wenn wir erklären, dass gerade Goethe in dem gegenwärtigen Augenblick noch nur von den Deutschen verstanden werden kann, welche von den leisen Einflüssen und Wirkungen seines Genius ganz umgeben sind. Was wir bedurften und nun empfangen, war ein Werk, welches ein Inventarium der Entwickelung und Arbeiten Goethe's unter dem Gesichtspunkt aufnimmt, was dieser uns heute ist und sein kann – Ansicht des Wesentlichen von ihm, wie es einem heutigen Menschen erscheint, der vorurteilslos auf das Essentielle hindringt.
Es ist aus verschiedenen Gründen nicht die Sache des Unterzeichneten, sich über den Wert des in diesem Werke Gebotenen auszusprechen. Doch mag angedeutet werden, von welchen Seiten Grimm seinem umfassenden Gegenstande beizukommen sucht. Denn das ist einmal bei historischen Stoffen unser Schicksal, dass wir ein jeder gewisse Dinge, wenn es am höchsten kommt, besser gewahren als irgend ein anderer, für andere gerade unser Auge ein mangelhaftes Organ ist. Alles Verstehen ist begrenzt. Wenn Ranke einmal ausspricht, er möchte sein Selbst auslöschen und die Dinge einfach so sehen wie sie gewesen sind, so dürfte man mit demselben Rechte sagen, nur in der Region, in welcher [46] unser Selbst im höchsten Grade zu selbständiger Tätigkeit ausgebildet sei, verstehe es das Vergangene. So verstand Macchiavelli die Geschichte politischer Wechselfälle und Intriguen, Niebuhr die Ausbildung des römischen Staates, Clausewitz die Natur großer Militairs und militairischer Operationen, Schleiermacher die Bruchstücke und ungeordneten Werke der alten griechischen Denker, La Place und Humboldt den Fortschritt naturwissenschaftlicher Einsichten. Gründliche Kenntnis irgend eines Zweiges von Tatsachen und ausgebildete Uebung in seiner Auffassung bilden die Bedingung für das wirkliche Verstehen seiner Geschichte. Was bloße Technik der Behandlung von Quellen, seien es Schriftsteller oder Archive, herausklaubt, wirft der divinatorische Blick des von der Sache Erfüllten in sein Nichts zurück. Herman Grimm war von Anfang ab auf das in gewissem Sinne höchste in der Geschichte gerichtet – den menschlichen Gehalt der Personen, die wahre Natur ihrer Verbindungen, die geselligen Zustände und die Art, wie sich die Menschen in ihnen fühlen. Er war früh Varnhagen begegnet, welcher dieses menschliche in seinen biographischen Arbeiten darzustellen suchte; doch hat er ihn durchaus übertroffen, eine herzlose Trockenheit und Nüchternheit ist in Varnhagens Versuchen, längst Vergangenes wiederzubeleben, fühlbar, wenn er aber das von ihm selber Gesehene darstellt, übermäßige Schätzung der rein geselligen Zustände, der Art wie sich Menschen in ihnen darstellen und (wo es ihm gut scheint) Schminke und Aufputz. Vor und neben Grimm hat dann David Strauß eine ähnliche Richtung eingeschlagen, aber das Uebergewicht Grimm's wurde ganz sichtbar, als er seine Aufsätze über Voltaire neben das Buch von Strauß stellte. Was Grimm vor diesem und anderen voraus hat, ist seine dichterische Begabung, und daraus fließend etwas Divinatorisches im Blick, das in Tiefen dringt, über welche kein Brief und keine Aeußerung directen Aufschluss gewähren. Hier, gegenüber einem Dichter, wird diese Begabung und Uebung zu einem unschätzbaren Vorteil in Bezug auf das intimere Verständnis der Gegenstände selber.
[47] Das größte Hindernis für einen Biographen Goethe's – was in diesem strengen Verstande Grimm übrigens nicht sein will – liegt in dem, was auf den ersten Blick als außerordentliche Förderung erscheinen könnte – in der Existenz von Wahrheit und Dichtung: der kunstvollsten und gedankentiefsten Biographie die je geschrieben worden, einem der größten geschichtlichen Werke über den Gang der innern europäischen Bildung. In diesem Werk herscht eine Objectivität, welche nur aus der schönsten Uebung ganz unpersönlicher Betrachtung der menschlichen Dinge erklärlich ist. Es ist unter den Selbstbiographien ein einziges sittliches Phänomen. Was auch Goethe Bitteres von so manchem Genossen zu leiden gehabt hatte: er hat über sie alle so zu sprechen vermocht, dass keine Analyse späterer Zeiten, keine Aufdeckung neuer Quellen einen falschen Strich an irgend einer seiner Zeichnungen dieser Menschen nachweisen konnte. Und er hatte Bitteres genug zu erfahren gehabt; als er Jacobis Briefwechsel empfing, bemerkte er: "ich habe die meisten Individuen genau gekannt und mit und an einigen derselben mehr gelitten als genossen." Was Goethe hier dargestellt hat, ist auch von denen, welche den weiteren Gesichtspunkt des Ganges unserer ganzen deutschen Litteratur hatten, seit Gervinus nur aus den Quellen so zu sagen commentirt worden, und nur wenn einmal die Structur der europäischen Geistesgeschichte wirklich durch rigorose Wissenschaft festgestellt sein wird, werden die Schilderungen Goethe's einen Hintergrund strengerer Einsichten erhalten. Einem Biographen hat aber Goethe wirklich von Essentiellem nichts übrig gelassen: die lebhafteren Farben, die drastischeren Linien der Jugendbriefe selber, welche Goethe bekanntlich nicht zur Hand hatte, ein paar Correcturen im kleinen – und den gewagten Versuch, aus den schönsten Erzählungen durch Conjectur Dichtung auszuscheiden. Hier gibt Grimm zusammengedrängte Bilder, er hebt das Wesenhafte in dem weitschichtigen Stoffe heraus und ergänzt die Schilderungen Goethe's von Zuständen und Menschen da wo Goethe sich [48] nicht anders als andeutungsweise aussprechen konnte, wie in Bezug auf die Charakteristik Herders. *)
Die Arbeit des Geschichtsschreibers dieser Menschen und Verhältnisse beginnt erst, wo Goethe die Feder weglegt, wo nur sein jüngst publicirtes Tagebuch und seine Tages- und Jahreshefte, sowie Correspondenzen und Memoiren uns begleiten. Hier liegt demnach auch der Schwerpunkt des vorliegenden Werkes. Die entscheidenden Lebensbeziehungen Goethe's zum Herzog und den andern leitenden Personen der Weimarischen Regierung, zu Frau von Stein, zu Schiller, alsdann seine großen Beziehungen zur Naturwissenschaft und Philosophie, zur bildenden Kunst, zur Politik und Geschichte bilden eben so viel wichtige Capitel dieser Erzählung.
Was dem Buch jedoch seine besondere Stelle in der Goetheforschung gibt, sind nicht diese biographischen Bilder: es ist der zusammenhängende und consequente Versuch, aus dem Leben des Dichters seine Dichtungen zu erklären, das Zusammenklingen von inneren Erfahrungen in seiner Phantasie mit feinem Gehör zu vernehmen, in welchem Motive und Charaktere sich bildeten. Dies hat niemand vor ihm so folgerichtig in Bezug auf den Inbegriff der Werke Goethes getan und das ist was die einen unter den Goetheforschern außerordentlich anziehen wird, den anderen das Buch antipathisch machen muss. Das Leben eines Menschen ist so wundersam verflochten mit den Schicksalen vieler anderer Menschen neben ihm, welche ihm einmal plötzlich mit anschaulicher Macht gegenübertreten, um sich dann meist wieder in dem Getümmel der Welt zu verlieren, oder welche ihn flüchtiger, vielleicht nur in der Aeußerung eines gleich[49]gültigen Menschen in der Notiz einer von Tatsachen vollgepfropften Zeitung berühren, so verflochten mit all solchen gesehenen, in Erzählung gehörten, gelesenen Erlebnissen, dass es unmöglich scheint, da so die Luft voll von Keimen von Motiven und Charakteren und Fabeln ist, aus den uns gegebenen Daten über das Leben eines Dichters die Gebilde seiner Phantasie zu erklären. Mephisto, Gretchen, das Motiv der Wahlverwantschaften können Goethe in flüchtigen Lebensbegegnungen aufgegangen sein, welche für den Aufbau seines eigenen Lebens so gut als nichts bedeuteten, welche aber eben diejenige Beschaffenheit hatten, durch die seine Phantasie in leise bildende Tätigkeit des Gestaltens geriet.
Sind solche Erwägungen, die an sich berechtigt sind, auch in dem Falle, welchen Goethe bildet, zu Recht bestehend? Hier sieht man sich, um über Grimms Methode ein haltbares Urteil zu gewinnen, auf allgemeine Untersuchungen hingewiesen; auf welche, wie neuerdings wieder Scherer hervorgehoben hat, jedes der großen Probleme der europäischen Litteraturgeschichte zurückführt. Die Phantasie des Dichters, ihr Verhältnis zu dem Stoff der erlebten Wirklichkeit und der Ueberlieferung, zu dem, was die Dichtung vorher erarbeitet hat, die eigentümlichen Grundgestalten dieser schaffenden Phantasie und der dichterischen Werke, welche aus dieser Beziehung entspringen: das ist Anfang und Ende aller Litteraturgeschichte. Die Erforschung der dichterischen Phantasie ist die naturgemäße Grundlegung des wissenschaftlichen Studiums der poetischen Litteratur und ihrer Geschichte. Denn jeder Zweig der Wissenschaften von den menschlich-gesellschaftlichen Zuständen erwächst nach seiner eigenen, durch keine Theorie vorher angegebenen Regel aus der Verknüpfung philosophischer und vergleichend-historischer Einsichten. Seine Ergebnisse werden um so brauchbarer sein, je reiner die philosophischen Einsichten die Aufeinanderfolge der wirklichen wenn auch verwickelten psychischen Tatsachen ausdrücken, anstatt Erklärungen durch eine Theorie der einfachen Elemente dieser complicirten Tatsachen zu versuchen: welche Erklärungen allesammt blosse Hypothesen sind, wichtig [50] für den allmählichen Aufbau einer erklärenden Psychologie durch Irrtümer hindurch, aber unberechtigt, wo es sich um solide Begründung der Wissenschaften des geschichtlichen Lebens handelt.
Wir haben nun über den Vorgang, in welchem die einzelnen dichterischen Schöpfungen Goethe's entstanden, den wünschenswertesten Aufschluss, Dank dem Interesse, welches Goethe selber in späteren Lebenstagen an den Erinnerungen über die Entstehung seiner Werke, an dem nachträglichen Erwägen der schöpferischen Vorgänge in ihm nahm, als Nachdenken und Betrachtung das Uebergewicht in ihm gewannen, als andererseits die ästhetische Kritik der speculativen Philosophie seine Werke unter ihrer Sonde hatte. Nichts ist vielleicht in Goethe's Erinnerungen bewundernswürdiger als die reine und sichere Wahrhaftigkeit, mit welcher er aufgefasst und aufbewahrt hat und so sind auch diese seine Mitteilungen im klarsten Einklang mit dem, was wir aus den übrigen Quellen festzustellen im Stande sind.
"Alle meine Gedichte, berichtet er, sind Gelegenheitsgedichte, sie sind durch die Wirklichkeit angeregt und haben darin Grund und Boden. Von Gedichten, aus der Luft gegriffen, halte ich nichts". "Allgemein und poetisch wird ein specieller Fall eben dadurch, dass ihn ein Dichter behandelt". "Was ich nicht lebte und was mir nicht auf den Nägeln brannte und zu schaffen machte, habe ich auch nicht gedichtet und ausgesprochen. Liebesgedichte habe ich nur gemacht, wenn ich liebte".
Dass aus solchen Keimen seine Schöpfungen erwuchsen, verteidigt er hartnäckig gegen die Neigung, denselben Ideen unterzulegen; hieraus leitet er sehr schön und wahr das Incommensurable in ihnen ab; hiervon geht er aus, wenn er den Unterschied seines dichterischen Schaffens von der Art wie Schiller arbeitete, darlegen will.
Mit den Sätzen, die er hierüber hinstellt, sollte jedes Unternehmen, "die Idee" Goethescher Dichtungen aufzusuchen, abgetan sein. "Die Deutschen machen sich mit ihren Ideen, die, sie in alles hineinlegen, das Leben schwerer als billig. [51] Habt doch endlich einmal die Courage, euch den Eindrücken hinzugeben, euch ergötzen zu lassen, euch rühren zu lassen, erheben, belehren, zu etwas Großem entflammen, aber denkt nicht immer, es wäre Alles eitel, wenn es nicht irgend ein abstracter Gedanke oder Idee wäre." "Das einzige Product von größerem Umfang, wo ich mir bewusst bin, nach Darstellung einer eingreifenden Idee gearbeitet zu haben, wären etwa meine Wahlverwantschaften. Der Roman ist dadurch für den Verstand fasslicher geworden; aber ich will nicht sagen, dass er dadurch besser geworden wäre! Vielmehr bin ich der Meinung, je incommensurabler und für den Verstand unfasslicher eine poetische Production, desto besser."
So erzählt er dann von Werther: "Ich hätte kaum nötig gehabt, meinen eigenen jugendlichen Trübsinn aus allgemeinen Einflüssen meiner Zeit und aus der Lecture einzelner englischer Autoren herzuleiten. Es waren individuelle, naheliegende Verhältnisse, die mich in den Zustand brachten, aus dem der Werther hervorging. Ich habe gelebt, geliebt und sehr viel gelitten! – Das war es".
"Der Faust ist doch etwas ganz Incommensurables, und alle Versuche, ihn dem Verstand näher zu bringen, sind vergeblich. Auch muss man bedenken, dass der erste Teil aus einem etwas dunklen Zustande des Individuums hervorgegangen".
Von Wilhelm Meister: "Die Anfänge entsprangen aus einem dunklen Vorgefühl der großen Wahrheit, dass der Mensch oft etwas versuchen möchte, wozu ihm Anlage von der Natur versagt ist. Und doch ist es möglich, dass alle die falschen Schritte zu einem unschätzbaren Guten hinführen: eine Ahnung, die sich im Wilhelm Meister immer mehr entfaltet, aufklärt und bestätigt, ja zuletzt in den klaren Worten ausspricht: 'du kommst mir vor wie Saul, der Sohn Kis, der ausging, seines Vaters Eselinnen zu suchen und ein Königreich fand'." Er weist darauf hin, wie mit dem Gang seines Lebens sich auch der Plan des Meister öfter verschoben hat. "Er bleibe daher eine der incalculabelsten Produc[52]tionen; ja um sie zu beurteilen, fehle ihm beinahe selber der Maßstab".
Von den Wahlverwantschaften sagt er, dass darin kein Strich enthalten, der nicht erlebt, aber kein Strich so, wie er erlebt worden. Dasselbe von der Geschichte in Sesenheim.
Der dichterische Vorgang ist in den meisten Schöpfungen Goethe's derselbe. Ein Gemütszustand wird mit der ganzen äußeren Situation, mit Allem, was ihn von Vorstellungen, Zuständen, Gestalten umgibt, mächtig erlebt, und indem nun dem innerlich bewegten Dichter ein äußerer Vorgang entgegentritt, der geeignet ist, Gefäß für diese Herzenserfahrungen zu werden, entsteht in dieser Verschmelzung der Keim einer Dichtung, der alle charakteristischen Züge, die Totalstimmung, die Linien des Ganzen sofort in sich enthält. Daher durfte er aussprechen, dass jede Dichtung für ihn eine Confession, eine Beichte gewesen ist, dass er solchergestalt sich von den Zuständen, die auf ihm lasteten, innerlich befreit habe. Eine besonders auffallende Ausnahme von diesem in den meisten Dichtungen Goethes hervortretenden Verhältnis bildet Hermann und Dorothea und vielleicht hängt gerade hiermit zusammen, dass er von allen seinen Werken Hermann und Dorothea wiederzulesen am wenigsten Abneigung empfand: es war keine Confession und nichts von stofflicher Erinnerung an vergangene Zustände haftete an diesen Versen. Ueberhaupt ist in seinen späteren Jahren, wie seine Erfahrungen sich erweiterten und naturwissenschaftliche Beobachtung ihm Gewohnheit wurde, die Gestaltung der Dichtungen in ihm nicht mehr dieselbe als die, aus welcher Werther, das im Götz von ihm hinzuerfundene, Clavigo, Faust, Egmont, Iphigenie, Tasso, Wilhelm Meister entsprangen.
So ist in jeder Schöpfung dieser Art Goethe selbst in Mitten seiner eigenen Gestalten, ähnlich, wie er geheimnisvoll sich selber in dem Gedichte Ilmenau erblickt und sich anredet. Das Motiv ist aus seiner eigenen Existenz geschöpft. In seinen Briefen, in seinen Gedichten ist es Gemütszustand, mit der Situation, die denselben hervorbrachte, ausklingend; in den größeren Werken Leben mannichfacher [53] Art, das sich auf eine Person bezieht, die aus dem Herzblut des Dichters ihr Leben empfing. Lebenswahr sind zu allen Zeiten diese Person und das weibliche Ideal, welches ein Teil seines eigenen Gemütszustandes ist. Die ausgeführten Nebenpersonen sind Anfangs höchst unvollkommen, ja manchmal beinahe ungeschickt, so Albert, Carlos; der Guss aus der Verschmelzung von äußeren Erfahrungen und Arbeit der Phantasie geräth immer besser, je mehr er lernt die Gestalten der Wirklichkeit in sich aufnehmen; dennoch behalten die Antonio, Thoas, Lothario jeder Zeit etwas beinahe hölzernes verglichen mit den Gestalten, in denen sein eigenes Blut rinnt.
Ich habe diesen Tatbestand in seiner ganzen Simplicität darzulegen versucht. Es ist etwas Einfaches in dem geistigen Leben Goethe's überhaupt, man fühlt gleich, dass man es hier nicht mit einer complicirten Natur zu tun hat, dass vielmehr eine eigene simple Tätigkeit des bildenden Vermögens in seinen Dichtungen wie in seinen wissenschaftlichen Arbeiten wirksam sei, und nur so ist die ungeheure Ausbreitung seiner geistigen Operationen menschlich fassbar.
Nun hat man aber in Deutschland diese Art des dichterischen Gestaltens in Goethe als die Grundform poetischen Gestaltens überhaupt angesehen. Die deutsche Aesthetik entwickelte sich wie einerseits unter dem Einfluss der Analyse Kant's so andrerseits unter der Macht der Anschauung Goethe's und die lebendige Kenntnis von dem Verfahren der Phantasie in ihm erschien als der Schlüssel für das Verständnis alles höchsten dichterischen Schaffens überhaupt.
Goethe selbst hat schon in Dichtung und Wahrheit diese Gestalt und Richtung seines Phantasielebens aus den geschichtlichen Bedingungen des damaligen Deutschland, aus den persönlichsten seiner eigenen Existenz zu erklären unternommen; so wenig ist er geneigt, sie als aller Poesie eigen zu betrachten. Es ist einer der bewundernswürdigsten Kunstgriffe in Dichtung und Wahrheit: wo in dem Jüngling die ersten von den Liedern und Schauspielen entstehen, welche ein ihm Eigenes enthalten [54] und so als Zeugnisse seines dichterischen Lebens fortzudauern vermochten, unterbricht er die Erzählung seiner persönlichen Schicksale, und indem er die deutsche Gesellschaft und Litteratur jener Jahre in dem berühmten siebenten Buche in einer anmutigen Charakteristik einführt, construirt er aus dem Element des Persönlichsten und dem der Gesellschaft, die ihn umgibt, "die Richtung, von der er sein ganzes Leben nicht abweichen konnte." Langsam lässt er in den ersten Büchern in dem Leser das allgemeine Bild seiner dichterischen Organisation entstehen; Grimm hat schon bemerkt, dass er hier wie in seinen Romanen und epischen Gedichten, seinem Lessing getreu, aus einzelnen Zügen, wie die Personen wieder auftreten, allmählich ihr Bild entfaltet: so entsteht auch allmählich das Bild von ihm selber. Ein außerordentliches Gedächtnis zeigt sich, als er im Zimmer des Vaters als Knabe sitzend und arbeitend, das Italienische, das der Schwester gelehrt wird, mit erlernt, ebenso nachher bei seiner Vorbereitung zum juristischen Examen in Straßburg; der sieben- oder achtjährige Knabe ergötzt sich an den Phantasiespielen von ihm selber eingerichteter Puppenkomödien und nicht lange danach beginnt sein Phantasiren über sein eigenes Leben, für welches er ungewöhnliche Umstände und Verwicklungen sich ausmalt; die Poesie, die ja so wenig als die Sprache im Kinde neu aufgeht, sondern als eine Art, Zustände und Menschen zu betrachten und hinzustellen überliefert wird, geht ihm an deutschen Gedichten, an Telemach, Robinson, an den Volksbüchern auf und er wächst mit Versen heran. Wenn der Knabe Märchen erzählt, sind es besonders eigene Abenteuer, mit denen er die Gespielen zu unterhalten liebt. Nach einander Klopstock und die französische Bühne in Frankfurt geben diesem träumerischen Phantasiren neue Nahrung und die Wirklichkeit und die Bühne verschlingen sich dem Knaben in einander. Immer noch als Knabe schließt er einen ganzen Band vermischter Dichtungen ab, voran eine Bearbeitung der Geschichte Josephs: "Ich leugne nicht dass, wenn ich an ein wünschenswertes Glück dachte, die[55]ses mir am reizendsten in der Gestalt des Lorbeerkranzes erschien, der den Dichter zu zieren geflochten ist." Und in all diesem Fabuliren des Knaben, "innerer Ernst, mit dem ich schon früh, mich und die Welt betrachtete", sowie ein in naturwissenschaftlichen Neigungen und religiösen Ideen sich entfaltendes metaphysisches Bedürfnis. Wer kann sagen, wie eine solche Organisation in anderer Umgebung sich entwickelt hätte?
Genug, nachdem Goethe in anmutigem Tiefsinn ihre Entfaltung bis in die erste Leipziger Zeit geschildert hat, lässt er nun plötzlich dem Jüngling gegenüber erblicken – eine chaotische in heftiger Krisis befindliche Litteratur und eine gesellschaftliche Ordnung, in welcher nur die Gemütsschicksale der Privatleidenschaften einen Raum hatten; das Elend dieser gesellschaftlichen Ordnung deutet er freilich nur mit Vorsicht und Bedacht, für den der zu lesen versteht, in seiner Wirkung an. Die Erkenntnis ist in diesen jungen Köpfen, dass nur bedeutender Stoff in naturwahrer Behandlung echte Dichtung ermögliche. Aber dies zu finden, "war ich genötigt, alles in mir selbst zu suchen. Verlangte ich zu meinen Gedichten eine wahre Unterlage und Reflexion so musste ich in meinen Busen greifen. Und so begann diejenige Richtung, von der ich mein ganzes Leben über nicht abweichen konnte, nämlich Dasjenige, was mich erfreute oder quälte oder sonst beschäftigte, in ein Lied, ein Gedicht zu verwandeln, und darüber mit mir selbst abzuschließen; mir sowol meine Begriffe von den äußeren Dingen zu berichtigen, als mich im Innern deshalb zu beruhigen. Die Gabe hierzu war wol Niemand nötiger, als mir, den seine Natur immerfort aus einem Extrem in das andre warf. Alles daher, was, von mir bekannt geworden, sind nur Bruchstücke einer großen Confession." Diese Richtung ward dann, wie das neunte Buch berichtet, durch Philosophie und ästhetische Kritik jener Tage verstärkt: "Man wies uns auf die Betrachtung eines bewegten Lebens hin, das wir so gern führten, und auf die Kenntnis der Leidenschaften, die wir in unserem Busen teils empfanden und teils ahnten, und die, [56] wenn man sie sonst gescholten hatte, uns nunmehr als etwas Wichtiges und Würdiges vorkommen mussten, weil sie der Hauptgegenstand unsrer Studien sein sollten und die Kenntnis derselben als das vorzüglichste Bildungsmittel unsrer Geisteskräfte angerühmt ward".
So versteht, so erklärt der Alte die besondere Weise, in welcher von Jünglingstagen ab seine Phantasie sich zur Welt der Erfahrung stellte: aus den inneren Erfahrungen des eigenen Gemüts fand er sich durch sein Zeitalter gezwungen den wesentlichen Inhalt seiner Dichtung zu schöpfen.
Die Lieder, die Mitschuldigen, die Laune des Verliebten entstanden damals so, als Ausdruck seiner inneren Zustände und seiner Situation. Straßburg kam, wer denkt nicht an die Worte, mit denen er den ahnungsreichen Blick von dem Dom in das weite Land schildert, ein Sinnbild des frischen Gefühls mit dem der Jüngling in das Leben blickt? Herder, Friederike, Shakespeare treten hervor und bringen mit sich Gestalten und Motive mächtigerer Dichtungen. Aber wie von da ab auch die Gestalten wechseln, der Strom des Lebens sich mächtig erweitert: mit entzückender Kunst führt Goethe jede neue Dichtung auf dieselbe Regel seines dichterischen Schaffens zurück, welche er vom siebenten bis neunten Buche entwickelt hat.
Diese Weise dichterischen Schaffens in Goethe muss also nicht als ein Ausdruck für das Verhalten aller dichterischen Phantasie, sie kann als ein besonderer Fall dieses Verhaltens aufgefasst werden. Das "gab mir ein Gott zu sagen was ich leide" darf nicht unbesehen als in Tasso die allgemeine Natur des wahren Dichtens ausdrückend betrachtet werden. Wenn die deutsche Aesthetik sich der Aussprüche Goethe's bediente, an ihnen die Natur allen dichterischen Verfahrens aufzuklären, so kann hier derselbe Irrtum aus willkürlicher Einschränkung vorgelegen haben, kraft dessen die deutsche Philosophie auch auf anderen Gebieten sich auf den Gesichtskreis des Griechischen und Deutschen einschränkte, wie das uns z.B. Schleiermachers Kritik der Sittenlehre recht eindringlich zeigt. Wir orientiren uns also an der allgemeinen [57] Natur der dichterischen Phantasie überhaupt und ihrer Stellung zu der Welt der Erfahrungen. Die hier vorzulegenden Sätze können freilich an dieser Stelle ihre strenge Begründung nicht finden.
Die Phantasie des Dichters in ihrer Stellung zur Welt der Erfahrungen bildet den notwendigen Ausgangspunkt für jede Theorie, welche die mannichfaltige Welt der Dichtungen in der Aufeinanderfolge ihrer Erscheinungen wirklich erklären will. Die Poetik in diesem Sinne ist die wahre Einleitung in die Geschichte der schönen Litteratur, wie die Wissenschaftslehre in die Geschichte der geistigen Bewegungen. – Und zwar ist die Phantasie des Dichters, welche uns als ein Wunder, als ein von dem Alltagstreiben der Menschen gänzlich verschiedenes Phänomen gegenübertritt, nur eine mächtigere Organisation gewisser Menschen, welche in der ausnahmsweisen Stärke bestimmter elementarer Vorgänge gegründet ist; von diesen aus baut sich dann das geistige Leben seinen allgemeinen Gesetzen gemäß zu einer ganz von dem Gewöhnlichen abweichenden Gestalt aus und das innere Leben in großen Dichtern ist weit abweichender von dem in dem Durchschnittsmenschen, als wir uns ohne Untersuchung die Sache vorstellen.
Die Vorstellungen, welche wir von den Bildern reproduciren, welche im Sehfeld vorübergegangen sind und durch andere Eindrücke abgelöst wurden, haben in verschiedenen Individuen unter sonst gleichen Bedingungen einen ganz verschiedenen Grad von Helle und Stärke, von Sinnfälligkeit oder Bildlichkeit, wie dies zuerst Fechner gezeigt hat. Von den Vorstellungen als farb- und lautlosen Schatten bis zu den im Sehraum bei geschlossenen Augen projicirbaren Gestalten der Dinge und Menschen erstreckt sich eine Reihe ganz verschiedener Formen von Reproduction. Und zwar vereinigen sich die schon von Johannes Müller dargelegten Phänomene des Gesichtssinnes bei hervorragenden Menschen, die Ergebnisse biographischer Untersuchung in Bezug auf die Classe der großen Dichter, die inneren Ergebnisse der Untersuchung des Gesichtssinnes zu einer sehr deutlichen Vorstel[58]lung der Art, in welcher mit dem dichterischen Vermögen eine außerordentliche Fähigkeit, reproducirten oder frei gebildeten Vorstellungen Augenscheinlichkeit und hellste Sinnfälligkeit zu erhalten oder zu verleihen, verknüpft ist. Was so in einer Reihe von Fällen festgestellt und mit einiger Wahrscheinlichkeit aus ihnen als eine allgemeine Tatsache für alle dichterische Phantasie erschlossen werden kann, scheint andrerseits als notwendiger Erklärungsgrund der vollendeten dichterischen Leistung aus dieser gefolgert werden zu müssen; bedarf doch das in Gestalten denken des Dichters überall des Sinnfälligen, der Bewegung von scharf umrissenen Gestalten als seiner Grundlage.
Psychologische Erwägung, welche von hier aufwärts, von den vollendeten Dichtungen rückwärts geht, vereinigt sich dann weiter mit biographischer Untersuchung der einzelnen Fälle zur Feststellung der Weise und des Grades von Gedächtnis für Menschen und Schicksale in Dichtern. Alle Phantasie ist an die Elemente gebunden, welche in der Erfahrung gegeben sind, und vermag nicht irgend ein Vorstellungselement, einer Empfindung entsprechend, zu schaffen, welches nicht in einer Empfindung gegeben werden könnte; schon Hume hat auf diesen interessanten Tatbestand die Aufmerksamkeit gelenkt. In der Poetenphantasie häuft sich ein Schatz von Bildern aus der Menschenwelt und Natur an und dieser Inbegriff bildet den Erfahrungshorizont des Dichters. Da, wo Fülle der Eindrücke dem Dichter zur Verfügung steht, durch außerordentliche Kraft des Erinnerns (wie denn Dichter meist gewaltige Erzähler sind), da wirkt er auch in schöpferischem Vermögen aus diesen Fäden an dem Gewebe von Situationen, Gestalten, Schicksalen, Affecten und Handlungen.
Das Verhältnis zwischen der angesammelten Erfahrung und der frei schaffenden Phantasie, zwischen der Reproduction von Gestalten, Situationen und Schicksalen und ihrer Schöpfung bildet das tiefste Problem in Bezug auf die Erforschung des dichterischen Vermögens. Die Association, welche gegebene Elemente in einer gegebenen Verbindung zur Vorstellung zurückruft, und die Einbildungskraft, welche aus den gegebenen [59] Elementen neue Verbindungen herstellt, scheinen von einander durch die klarste Grenzlinie getrennt. Indem man die wirkliche Beziehung dieser beiden großen psychischen Tatsachen untersucht, gilt es die descriptive Methode ohne jede Einmischung erklärender Hypothesen anzuwenden, um den sicheren Zusammenhang des Tatsächlichen so klar als möglich aufzufassen, wodurch allein dem Historiker der Poesie Zutrauen entstehen kann, sich der feineren Einsichten der Philosophie anstatt der grobkörnigen Vorstellungen des gemeinen Lebens für seine Auffassung der Litteratur zu bedienen: denn nur durch allgemeine Vorstellungen von psychischen Tatsachen fassen wir jedes individuelle Phänomen der Geschichte auf, stellen wir es dar. Das Zutrauen der Historiker und politischen Forscher wird erscheinen mit der Sonderung einer descriptiven Psychologie von der hypothetisch erklärenden. Jene ist Grundlage der Geisteswissenschaften, diese ist schrittweise Ausbildung möglicher Hypothesen über den letzten Zusammenhang geistiger Tatsachen unter einander und mit denen der Natur. Solche Hypothesen sind in Bezug auf das hier vorliegende Verhältnis von Erinnerung und freier Phantasie die Annahme unbewusster Vorstellungen oder die von bloßen zurückbleibenden physiologischen Spuren, die Annahme, dass die Vorstellung, welche wir erinnern, als fixes Element dem Atom vergleichbar zurückkehre und, so zurückgekehrt, vermöge ihres Verhältnisses zu anderen Vorstellungen in Bildungsprocesse eintrete. In der von uns auffassbaren Wirklichkeit kehrt dieselbe Vorstellung so wenig in einem Bewusstsein zurück als sie in einem zweiten Bewusstsein als ganz dieselbe wieder vorkommt. So wenig als der neue Frühling die alten Blätter auf den Bäumen mir wieder sichtbar macht, so wenig werden die Vorstellungen eines vergangenen Tages an dem heutigen wiedererweckt, etwa nur dunkler oder undeutlicher wiedererweckt. Wenn wir, in derselben Lage verharrend, das Auge, das einen Gegenstand in sich gefasst hatte, schließen, und dann, ohne Nachwirkung des Reizes selber auf der Netzhaut in Nachbildern, die Vorstellung, in welche die Warnehmung übergegangen ist, ihre [60] höchste Stärke und Sinnfälligkeit noch besitzt, dann wird in diesem Erinnerungsnachbilde, wie es Fechner bezeichnet und als für die absichtliche Beobachtung wichtiges Zwischenglied zwischen Warnehmung und reproducirter Vorstellung erkannt hat, ein verhältnismäßig nur kleiner Teil derjenigen Elemente vorgestellt, welche in dem Warnehmungsvorgang enthalten waren; und schon hier, wo doch nur eine seelenlose, tote Erinnerung stattfindet, ist bei lebhafter Anstrengung, das ganze Bild zurückzurufen, eine versuchende Nachbildung unverkennbar, deren Gelingen und Mislingen, deren Technik so zu sagen bei wiedergeöffnetem Auge gut festgestellt werden kann. – Wenn aber zwischen die Warnehmung und die Vorstellung andere Bilder sich eingedrängt haben, wirkt das Associationsverhältnis, vermöge dessen auf den Schauplatz des Bewusstseins eine Vorstellung gerufen wird, auf die Richtung, in welcher die zu reproducirende Vorstellung sich aufbaut; es wirken die Formen der Beziehung, wie Aehnlichkeit oder Contrast; es wirkt der Inhalt der Vorstellung oder des Vorstellungsinbegriffs, von welchem aus reproducirt wird; es wirken die Gefühle und Antriebe, unter deren Macht erinnert wird. So baut sich die erinnerte Vorstellung von einem bestimmten inneren Gesichtspunkte aus auf, wie die sinnliche Warnehmung von einem äußeren im wörtlichen Verstande so zu bezeichnenden aus; sie nimmt für diesen Vorgang nur so viel Elemente aus dem psychophysischen Tatbestande, der von der Warnehmung zurückblieb, als ihr Baumaterial zur Verwertung für diesen Aufbau auf, als die nunmehr gegenwärtigen Bedingungen mit sich bringen, und diese erteilen dem Bilde seine Gefühlsbeleuchtung durch die Beziehung zu dem gegenwärtigen Gemütszustand in Aehnlichkeit oder Contrast; wie denn in Zeiten schmerzlichster Unruhe das Bild eines ehemaligen ruhigen und freudlosen Zustandes wie eine selige Insel sonnigsten Friedens vor uns auftauchen kann. Ja, es baut sich eine irrtümliche und ganz falsche Vorstellung auf, wenn angestrengte Aufmerksamkeit ein helleres Bild erstrebt, als der zurückgebliebene Tatbestand unter den vorhandenen psychologischen Bedingungen zu bil[61]den gestattet, oder wo der Gesichtspunkt dahin wirkt, dass dieser Aufbau eine von der Warnehmung abweichende Gestalt empfängt. Bilder, welche Beziehungen nur wie ein augenblicklicher Sonnenblick sichtbar machen, dürfen bei der vorliegenden Erörterung außer Acht gelassen werden. – Und wenn wir nun endlich zumeist nicht Einzeleindrücke uns zurückzurufen streben, deren Erinnerung auf einen bestimmten Warnehmungsact als ein Augenblicksbild sich bezieht, sondern Vorstellungen oder Vorstellungsverbindungen, deren jede den Gegenstand in allen seinen von uns wargenommenen Lagen repräsentirt, d.h. alle Warnehmungen so in sich fasst, dass die einzelne vergessene aus ihr abgeleitet werden kann: der Aufbau einer solchen Vorstellung steht noch viel weiter ab von toter Reproduction und nähert sich noch viel mehr dem der künstlerischen Nachbildung. Kurz wie es keine Einbildungskraft gibt, die nicht auf Gedächtnis beruhte, so gibt es kein Gedächtnis, das nicht schon eine Seite der Einbildungskraft in sich enthielte. Wiedererinnerung ist zugleich Metamorphose und diese Erkenntnis lässt den Zusammenhang zwischen den elementarsten Vorgängen unseres psychischen Lebens und den höchsten Leistungen des menschlichen schöpferischen Vermögens sichtbar werden. Sie lässt in die Ursprünge jenes mannichfaltigen, an jedem Punkte ganz individuellen und nur einmal so vorhandenen beweglichen geistigen Lebens blicken, dessen glücklichster Ausdruck die unsterblichen Geschöpfe der künstlerischen Phantasie sind. Soll diese Ordnung von Tatsachen der Erklärung unterworfen werden, dann ist ihr mindestens ebenso angemessen als jede andere Hypothese die einfache Annahme: aus dem Materiale des Zustandes, welcher von der Warnehmung zurückgeblieben ist und der sich directer Erforschung entzieht, der aber die Bedingung der Erinnerung bildet, baut sich die Vorstellung unter Mitwirkung der gegenwärtig im Bewusstsein vorhandenen Bedingungen auf; die Reproduction selber ist ein Bildungsprocess.
So lässt sich die Organisation des Dichters nach dieser Seite schon in der Mächtigkeit der einfachen Vorgänge von [62] Warnehmung, Gedächtnis, Reproduction aufzeigen, welche Bilder mannichfachster Art, Charaktere, Schicksale, Situationen in dem Bewusstsein bewegen; in dem Erinnern selber entdecken wir eine Seite, durch welche es der Einbildungskraft verwant ist; und die Metamorphose durchwaltet das ganze Leben von Bildern in unserer Seele. Diese letztere Tatsache entfaltet sich weiter in den merkwürdigen Phänomenen der Gesichtserscheinungen. Wer hätte nicht, vor dem Einschlafen, geschlossenen Auges, sich an den einfachsten Phänomenen ergötzt, die hier sich darbieten? In dem ruhenden reizbaren Gesichtssinn erscheinen die inneren organischen Reize nunmehr als Strahlen, wallende Nebel, und aus ihnen formen und entfalten sich, ohne jede Mitwirkung einer Absicht, da wir im Gegenteil in reines ruhigstes Anschauen versenkt sind, leuchtende, farbige Phantasiebilder, die in beständiger Abwandlung begriffen sind.
Soweit reichen diese einfacheren Vorgänge. In derjenigen Metamorphose und Gestaltung, welche in der dichterischen Phantasie wirksam ist und zur Idealisirung von Menschen, Natur und Begebenheiten führt, sind aber noch ganz andere psychische Kräfte tätig und erzeigen sich in dem Dichter mit besonderer Gewalt. Diese Kräfte wirken schon in den Phantasiebildungen des Traumes, welcher der älteste aller Poeten ist, in den Visionen, von denen Goethe, <Tieck> und andere Dichter berichten, in der Macht der dichterischen Gestalten, die sich beinahe der äußeren Gegenwart nähert, wie sie in Bekenntnissen von Ludwig, Dickens u.a. hervortritt. In all diesen Gebilden ist ein affectives Element. Das Studium der complicirteren Gestaltungen, in denen dieses Element mitenthalten ist, hat natürlich größere Schwierigkeit als die bisherige Erörterung.
Die besondere Art von Metamorphose, welche in der dichterischen Phantasie wirkt und zur Idealisirung von Menschen, Schicksalen, ja selbst der dem Verstande toten Natur führt, ist dadurch bedingt, dass die Vorstellungen hier, gänzlich abweichend von der Richtung der Erkenntnis auf Uebereinstimmung mit dem System der Erfahrungen, nur inneren [63] Anforderungen des Gemüts genugzutun ausgebildet werden, welche Anforderungen ästhetisches Gefallen oder Schönheit zum Inhalt haben. Es könnte seltsam scheinen, dass wir Gefallen, einen Lustzustand in uns, und Schönheit, eine Eigenschaft von Gegenständen, so aneinander rücken. Aber die beiden Sinne, auf deren mächtiger Entwickelung alle Kunst beruht, Gesichtssinn und Gehör, objectiviren eben die Zustände und lassen folgerecht auch die in ihnen entstehenden Gefühlseindrücke als Beschaffenheiten und Tatsachen erscheinen; wodurch denn auch der von Kant in den Mittelpunkt seiner Aesthetik gestellte scheinbare Widerspruch sich erklärt, dass wir das Schöne als Object eines allgemeinen Wohlgefallens vorstellen, während wir doch die Subjectivität des Geschmacks genau genug kennen zu lernen Gelegenheit haben: vermöge eines optischen Scheines fassen wir das Schöne als eine Eigenschaft von Gegenständen auf und können nicht anders. Welches nun die Merkmale des ästhetischen Gefallens oder der Schönheit im allgemeinsten Verstande seien, diese Frage schließt das letzte Ziel und folgerecht den Maßstab der Beurteilung für alle Kunstwerke in sich, daher sie auch von Kant zum Ausgangspunkt seiner Untersuchung gemacht wurde; jedoch verlässt man mit ihr das Gebiet des Erforschbaren und tritt in die Region ein, in welcher nur ganz allgemeine und weit umgrenzte Anforderungen allen Zeiten und jeder Höhe individueller Cultur gemeinsam sind; es ist gänzlicher Misverstand, hier in einer Gesetzgebung einen Maßstab der Beurteilung entdecken zu wollen, umgekehrt vielmehr sind alle Merkmale des echten ästhetischen Gefallens, durch welche wir inmitten des von den allgemeinsten Bestimmungen beschriebenen Kreises engere Kreise ziehn, die einen Kunstwerke aus-, die anderen einschließend, nur berechtigt als Folgerungen aus den Eindrücken in Bezug auf eben diese Werke; jede Epoche gibt sich hier in der Macht des Eindrucks, welchen Dichtungen auf alle Classen der Menschen ausüben, ihr eigenes Gesetz, wie denn für uns die ästhetische Gesetzgebung der grossen classischen Epoche nicht mehr gülig ist. Hier tritt zu Tage, wie der Ausgangspunkt [64] Kants seinen ästhetischen Forschungen die strenge Gültigkeit erschwert; seine Aesthetik stellt neben objectiv allgemein gültigen Merkmalen des Schönen solche auf, welche ein Ausdruck des Empfindens der classischen Epoche waren und für unser ästhetisches Genießen zu enge Grenzen ziehen; sie ist in Folge ihres Ausgangspunktes von vornherein subjectiv. Auch hier tritt die Grenze in Kants Forschungen hervor; ihm war der historische Gesichtspunkt fremd, und doch vermag erst die vergleichende historische Uebersicht die Einsicht in die Verschiedenheit der Anforderungen an das Kunstwerk wie an das Gemeinsame im Verschiedenen zu gewähren. Für den vorliegenden Zusammenhang reicht es zu, über das, was in der Organisation des Dichters als Bedingung der ästhetischen Wirkung vorausgesetzt werden muss und in den biographischen Tatsachen sich vorfindet, das Einfache und unzweifelhaft ganz Allgemeine festzustellen. Der Zustand der hervorbringenden Phantasie und der ästhetische Eindruck, so verschieden sie sind, stehen in einem gesetzlichen Verhältnis zu einander, wie auf dem Gebiet der Erkenntnis die Vorgänge der Entdeckung und die Regeln der Evidenz, wie auf dem der Sittlichkeit die sittliche Kraft und das moralische Urteil, von welchen Paaren von Tatsachen irrtümlich immer bald der eine bald der andere Teil zum ausschließlichen Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Analyse gemacht worden ist. Daher machen wir aus dem ästhetischen Eindruck unwillkürlich Schlüsse auf den Zustand, in welchem das Kunstwerk sich bildete, und die Wissenschaft kann dieses Schlussverfahren nur vermöge der leider seit Schleiermacher und Böckh so vernachlässigten Hermeneutik oder Theorie des Verstehens regeln und durch die directe biographische Untersuchung ergänzen. Wenn in dem Betrachten des Kunstwerks alle Energien der reichen menschlichen Natur befriedigt sind, ohne jedes Interesse an der Herstellung irgend eines Tatbestandes, so dass kein Weg von Mitteln zum Zweck zu durchlaufen ist, der die Aufmerksamkeit auf das Ziel hinrichtet, sondern Alles Zweck ist, befriedigte Anschauung eine Versenkung, die uns dem Gegenstande ganz hingibt [65] und unser Selbst mit seinen persönlichen Bedürfnissen schweigen macht: dann muss doch folgerichtig in der productiven Phantasie eine solche Gemütsverfassung ebenfalls gegenwärtig sein; in ihr entspringt die Conception des Kunstwerks, entspringen die höchsten Momente seines Wachstums, während die Arbeit selber keineswegs ganz frei von der Anstrengung des Willens sein kann, der in der Herstellung eines Werkes seinen Zweck hat. Daher die Metamorphose und Gestaltung von Erfahrungselementen in dem Dichter nicht aus ihrem Verhältnis zu dem Zusammenhang der Erkenntnis ihr Gesetz schöpft, sondern aus diesem im Gemüt empfangenen idealischen Bilde. Daher weiter in dem Dichter eine außerordentliche Macht der Gefühle, ein reiches Gemütsleben, wie es aus dem Hegen und Erinnern der Gefühle entspringt, das Leitende für die Gestaltung und Metamorphose von Bildern wird. Ein solcher Geist lebt in dem Reichtum der Erfahrungen der Menschenwelt, wie er sie in sich findet und außer sich gewahrt und diese Tatsachen sind ihm weder Daten, welche er zur Befriedigung seines Systems von Bedürfnissen benutzt, noch solche, von denen aus er Generalisationen erarbeitet; das Dichterauge ruht sinnend und in Ruhe auf ihnen: sie sind ihm bedeutsam; die Gefühle des Dichters werden von ihnen angeregt, bald leise, bald mächtig, gleichviel wie fern dem eignen Interesse diese Tatsachen liegen oder wie lange sie vergangen sind: sie sind ein Teil seines Selbst.
Kant bezeichnet richtig den Zustand des künstlerischen Genusses als interesselose d.h. von jeder Beziehung auf das Begehrungsvermögen freie Contemplation. Er ist gegründet in einer Befriedigung unserer nach Erfüllung strebenden Energien auf dem Boden Eines unserer beiden höheren Sinne, als welche allein ein Objectives hinstellen. Daher im wahren Kunstwerk das was den Sinnen in der Empfindung gefällt (welches Kant als das angenehme aus dem Reiche der Kunst ausschließt), das was unsere höheren Gefühle in's Spiel setzt, das was die denkende Betrachtung beschäftigt, verknüpft ist, gerade hierauf beruht, dass kein Mangel empfunden wird und die im Leben nur vorübergehende und particulare Be[66]friedigung dauernd wird. So hat also jedes Zeitalter in seinen Gewöhnungen einen ihm eigenen Maßstab des künstlerischen Gefallens und die Geschichte des Geschmacks hat aus den Veränderungen der Cultur diesen Wechsel begreiflich zu machen. Diese Frage verwickelt sich freilich dadurch, dass für den modernen Menschen das historische Interesse und die historische Betrachtung die etwaigen intellectuellen Mängel älterer Kunstwerke ergänzen; sie genießen die Vorteile der sinnlichen Jugend der Völker, und ihren Mangel an intellectuellem Gehalt wiegt ihre historische Beziehung auf, als ein hinzutretendes intellectuelles Interesse. Diese Befriedigung unserer nach Erfüllung strebenden Energien ist eine Tätigkeit ohne äußeren Zweck und sie gehört daher, wie Schiller tiefsinnig sah, in das Reich des Spiels. Die Ideenfolge dessen, der einen Satz beweisen will, hat ihr Interesse an der erreichten Evidenz, die Arbeit dessen, der einen Vertrag herbeiführen will, gelangt erst in dem Augenblick zur Befriedigung, wenn endlich die Unterschriften gesichert sind. Das Spiel der Kunst erreicht was das Leben in den seltenen Momenten, in denen wir mit richtigem Takte seine Schönheit preisen, gewährt: eine Beschäftigung unserer rastlosen Energien, welche lauter Genuss ist. Die Anfänge dieses Spiels können wir bis in das Leben der höheren Tiere zurück verfolgen. Denn die höchstorganisirten Tiere setzen schon in Nachahmung ihrer ernstlichen auf Zwecke gerichteten Lebensäußerungen ihre Kräfte durch einen vorgestellten Verlauf in's Spiel und hier schon wird derjenige Affect durch einen simulirten Vorgang in Bewegung gesetzt welcher im Tier am meisten heftig arbeitet. – Künstlerisch ist nur diejenige Tätigkeit, welche ein in solcher Gemütsverfassung Geschautes herausarbeitet und daher diese Gemütsverfassung mitteilt. Die Kunst entwickelt im Menschengeschlecht die verschiedenen Formen dieser Gemütszustände und ihre höchste Aufgabe ist eine Schule dieser höheren Betrachtungsweise zu sein; denn der Natur und dem Leben gegenüber entwickelt sich diese Stimmung schwerer als dem Kunstwerk gegenüber, die großen Dichter aber lehren uns die Welt mit Seherauge gewahren. [67] Die Grundform der dichterischen Einbildungskraft ist also Gestaltung des in der Erfahrung Enthaltenen unter der Einwirkung einer bestimmten Art affectiver Verfassung. Die Wirkung der affectiven Zustände auf die Gestaltung von Warnehmungs- und Vorstellungsinhalten kann in einem weiten Bereich von Tatsachen studirt werden; Furcht, Schrecken und Angst lassen so gut die falschen und törichten Erzählungen entstehen, die sich in einer geschlagenen Armee verbreiten, als die Wahngebilde des Aberglaubens, die in schuldigen oder hoffnungslosen Gemütern sich entwickeln; der Hass der Parteien ruft jene seltsamen Verleumdungszeiten hervor, deren eine Keller in Zürich erlebte und in dem 'verlorene Lachen' darstellte; die Träume des Ehrgeizes und des Egoismus entstehen so gut unter solchen Bedingungen als die Schöpfungen des Dichters.
Das hier dargelegte könnte durch Zeugnisse belegt werden, die ich seit manchem Jahre zum Zweck einer inductiven Untersuchung der Poesie gesammelt habe; in dem vorliegenden Zusammenhang haben nur die Aeußerungen Goethes ein höheres Interesse.
Auf die Naturgrundlagen seines dichterischen Vermögens wirft folgende Stelle der Beiträge zur Morphologie ein Licht: "Ich hatte die Gabe, wenn ich die Augen schloss, und mit niedergesenktem Haupte mir in die Mitte des Sehorgans eine Blume dachte, so verharrte sie nicht einen Augenblick in ihrer ersten Gestalt, sondern sie legte sich auseinander, und aus ihrem Inneren entfalteten sich wieder neue Blumen aus farbigen, auch wol grünen Blättern; es waren keine natürlichen Blumen, sondern phantastische, jedoch regelmässig wie die Rosetten der Bildhauer. Es war unmöglich die hervorsprossende Schöpfung zu fixiren, hingegen dauerte sie so lange als mir beliebte, ermattete nicht und verstärkte sich nicht. Dasselbe konnte ich hervorbringen, wenn ich mir den Zierrat einer buntgemalten Scheibe dachte, welche dann ebenfalls aus der Mitte gegen die Peripherie hin sich immerfort veränderte, völlig wie die in unseren Tagen erst erfundenen Kaleidoskope". Wenn vor dem Einschlafen unter [68] günstigen Bedingungen auch anderen gelingt, in dem dunklen Sehraum die aufsteigenden farbigen Nebel zu Gestalten sich formen und abwandeln zu sehen, so erblicken wir bei Goethe höchste Leichtigkeit und Schönheit dieser Schöpfungen einer unwillkürlich bildenden Einbildungskraft. Diese Gabe, in einer modificirten Form, überträgt er in den Wahlverwantschaften, welche ja ganz von den Darlegungen unserer physiologischen Bedingtheit auch in den höchsten Offenbarungen unseres Gemütslebens durchdrungen sind, auf die von ihm so geliebte Gestalt der Ottilie; die Darstellung erinnert an das was Cardanus von sich erzählt; zwischen Schlaf und Wachen blickt sie in einen mild erleuchteten Raum, in dem sie den im Krieg abwesenden Eduard gewahrt. Die Gewalt, die die Gebilde der Phantasie über den Dichter selber üben, ist in mehreren Stellen des Tasso mit tiefer Kenntnis ausgesprochen, so: "Ich halte diesen Drang vergebens auf, der Tag und Nacht in meinem Busen wechselt" u.s.w.; dann wie er Eleonoren den künftigen Weg des Verbannten nach Neapel schildert: "verkleidet geh ich hin, den armen Rock des Pilgers oder Schäfers zieh ich an u.s.w." – man teilt den Schauder Eleonorens, die ihn unterbricht, wie um den unheimlichen Zauber zu brechen, mit welchem ihn dies Phantasiebild umfängt. Ja Goethe hat schliesslich die Einsicht über die Natur des Dichters, welche ihm aus solchen inneren Erfahrungen sich ergeben hatte, folgendermaßen generalisirt: "Man sieht deutlicher ein was es heißen wolle, dass Dichter und alle eigentlichen Künstler geboren sein müssen. Es muss nämlich die innere productive Kraft jene Nachbilder, die im Organe, in der Erinnerung, in der Einbildungskraft zurückgebliebenen Idole, freiwillig, ohne Vorsatz und Wollen lebendig hervortun, sie müssen sich entfalten, wachsen, sich ausdehnen, zusammenziehen, um aus flüchtigen Schemen wahrhaft gegenwärtige Bilder zu werden". "Ich bin, erzählte er dem Kanzler Müller, hinsichtlich meines sinnlichen Auffassungsvermögens so seltsam geartet, dass ich alle Umrisse und Formen auf's Schärfste in der Erinnerung behalte, dabei aber durch Misgestaltungen und Mängel mich [69] auf's Lebhafteste afficirt finde". "Ohne jenes scharfe Auffassungs- und Eindrucksvermögen könnte ich ja auch nicht meine Gestalten so lebendig und scharf individualisirt hervorbringen. Diese Deutlichkeit und Präcision der Auffassung hat mich früher lange Jahre hindurch zu dem Wahn verführt, ich hätte Beruf und Talent zum Zeichnen und Malen". In demselben Sinn fasst Goethe in seinen Sprüchen das Ziel der Poesie: "Der Dichter ist angewiesen auf Darstellung. Das höchste derselben ist, wenn sie mit der Wirklichkeit wetteifert, d.h. wenn ihre Schilderungen durch den Geist dergestalt lebendig sind, dass sie als gegenwärtig für Jedermann gelten können".
Der so in der Organisation des Dichters gegebene Vorgang in der Phantasie kann dann weiter nach seinem tatsächlichen Verlauf in den einzelnen Fällen an vielen hinlänglich genau erhaltenen Vorgängen studirt werden, deren literargeschichtliche Ueberlieferung ihrerseits erst wieder durch die Verbindung mit der Theorie der Phantasie ihre höhere Durchsichtigkeit und stärkeres Interesse empfängt. Hier gilt es sich das Auge offen und den Sinn frei für alle Verschiedenheiten in der Combination dieser Kräfte zu halten und den Dichter, in dem die Ideen herschen, offenen Herzens so gut zu genießen als den, in welchem mächtige pathologische Zustände leitend sind oder den, welcher in mildem Lichte ruhiger Objectivität die Wirklichkeit hinstellt. Es gibt Dichter in denen Gestalten sich viele Jahre hindurch bewegen bevor sie heraustreten. Als einen solchen bezeichnet sich Goethe selber. "Mir drückten sich gewisse große Motive, Legenden, uralt geschichtlich Ueberliefertes so tief in die Seele, dass ich sie vierzig bis fünfzig Jahre lebendig und wirksam im Innern erhielt; mir schien der schönste Besitz, solche werte Bilder oft in der Einbildungskraft erneut zu sehen, da sie sich dann zwar immer umgestalten, doch, ohne sich zu verändern, einer entschiedenen Darstellung entgegenrücken." In anderen wie in Schiller ist die Entstehung einer Dichtung ein in gewaltiger und bewusster Arbeit den ganzen Menschen bewegender Process gewesen. Vielleicht teilt sich [70] diese vorandrängende Macht des Willens auch der Handlung mit und gibt ihr die Bewegung und den großen Zug, die wir an Schiller bewundern, während Goethes Gestalten, auch die gewaltigsten, zu stehen scheinen. Wie aber dieser Vorgang verlaufe: in ihm weben an dem bunten Teppich mit seinen Figuren alle Kräfte des ganzen Menschen. Alle Poesie ist von dem Gedanken durchdrungen; gibt es doch in dem entwickelten Menschen nur wenige Vorstellungen, welche nicht allgemeine Elemente in sich fassten; gibt es doch andrerseits in der Menschenwelt vermöge der Wirkung allgemeiner socialer Verhältnisse und psychologischer Verhaltungsweisen kein Individuum, welches nicht zugleich unter verschiedenen Gesichtspunkten repräsentativ wäre, kein Schicksal, welches nicht einzelner Fall einer allgemeineren Gewohnheit von Lebenswendungen wäre. Diese Bilder von Menschen und Schicksalen werden unter dem Einfluss der denkenden Betrachtung so gestaltet, dass sie, ob sie gleich nur einen einzelnen Tatbestand hinstellen, doch von dem Allgemeinen ganz gesättigt und solchergestalt repräsentativ für dasselbe sind. Hierzu bedarf es durchaus nicht der in das dichterische Werk eingestreuten allgemeinen Betrachtungen, deren Function vielmehr ist, den Auffassenden zeitweise von dem Bann des Affects, der Spannung, der fortreißenden Mitempfindung zu befreien, indem sie zu beschaulicher Stimmung erheben. Alle Poesie zeigt ferner das Gepräge des Willens, aus dem sie entsprang. Schon Kant setzte sogar die Chiffernschrift der Natur, welche aus ihren schönen Formen besteht, mit der praktischen Vernunft in Beziehung, und Schiller verfolgte überall in der Schönheit den Wiederschein des Sittlichen; Goethe äußerte sich "darauf kommt Alles an. Man muss etwas sein, um etwas zu machen". "Der persönliche Charakter des Schriftstellers bringt seine Bedeutung beim Publicum hervor, nicht die Künste seines Talents". Wie könnte es auch anders sein als dass die Form des Willens das durchwaltet, was aus ihm entsprang, mag es aus den Gestalten blicken oder aus der Führung der Handlung oder aus Stimmung und Gefüge. So entsteht was Schiller als Begriff (d.h. letztes Ziel) aller Poesie [71] bezeichnet: "der kein anderer ist als der Menschheit ihren möglichst vollständigen Ausdruck zu geben".
Die Phantasie ist in ihrem Vermögen auch in Bezug auf die Deutlichkeit der so entstehenden Gestalten sehr eingegrenzt. "Die Phantasie, sagte Goethe nach Eckermanns Erzählung, kann nie eine Vortrefflichkeit so vollkommen denken als sie im Individuum wirklich erscheint. Nur vager, nebliger, unbestimmter, grenzenloser denkt sie sich die Phantasie, aber niemals in der charakteristischen Vollständigkeit der Wirklichkeit". Dies folgte aus früheren Erörterungen. Ebenso ergibt sich aus der bisherigen Darlegung andererseits wie alle psychologischen Kräfte bei dem Hegen und Bilden dichterischer Gestalten und Schicksale mit beteiligt sind. Das Verhältnis der Phantasie zu ihren Gestalten gleicht solchergestalt vielfach dem zu wirklichen Menschen, welche ein Teil unseres Selbst durch ihre stätige Beziehung zu dem System unserer Neigungen und Affekte geworden sind. So lebte Dickens mit seinen Gestalten als mit seinesgleichen, litt mit ihnen, wenn sie der Katastrophe sich näherten, fürchtete sich vor dem Augenblick ihres Untergangs. Balzac sprach von den Personen seiner comédie humaine als ob sie lebten; er analysirte, tadelte, lobte sie, als gehörten sie mit ihm zu derselben guten Gesellschaft; er konnte lange Debatten darüber führen, was sie in einer Lage, in der sie sich befanden, am besten tun würden. Wie Goethe von den tragischen Affecten seiner Poesie im Vorgang der Dichtung bewegt wurde, kann man erschließen aus einer Aeußerung an Schiller, er wisse nicht, ob er eine wahre Tragödie schreiben könne, jedoch vor dem Unternehmen schon erschrecke er und sei beinahe überzeugt, dass er sich durch den bloßen Versuch zerstören könne. Diese Bilder, welche mit jeder Regung unserer Gefühle und Neigungen verkettet sind, treten zurück, wenn die Aufmerksamkeit abgelenkt wird: alsdann sind sie wieder da, wie ein Gegenstand der durch einen anderen Gegenstand verdeckt war, wie ein Seelenschmerz und die Tatsache, auf welche er sich bezieht, von selber wieder da sind, sobald die gewaltsame Hinlenkung der Aufmerksamkeit [72] auf einen ganz anderen Gegenstand nachlässt. Auch von diesen Gestalten der Phantasie gilt, was Goethe einmal von denen des Lebens sagte: "Ich statuire keine Erinnerung in Eurem Sinne, das ist nur eine unbeholfene Art sich auszudrücken. Was uns irgend Großes, Schönes, Bedeutendes begegnet, muss nicht wieder von außen her gleichsam erinnert, gleichsam er-jagt werden, es muss sich vielmehr gleich von Anfang her in unser Inneres verweben, mit ihm eins werden, ein neues besseres Ich in uns erzeugen und so ewig bildend in uns fortleben und schaffen."
So weicht also der Dichter in einem weit höheren Grade von allen anderen Classen von Menschen ab als man gewöhnlich annimmt, und wir werden uns, einer philisterhaften Auffassung gegenüber, welche sich auf biedere Durchschnittsmenschen vom dichterischen Handwerk stützt, daran gewöhnen müssen das innere Getriebe und die nach außen tretende Handlungsweise solcher dämonischer Naturen von ihrer Organisation aus aufzufassen, nicht aber von einem normalen Durchschnittsmaß aus. Von diesem gewaltigen ganz unwillkürlichen Bautrieb aus will auch Goethes Lebensweise verstanden werden, und ich fürchte, dass er sich bei Grimm den Vorstellungen der guten Gesellschaft von einem tadelfreien Manne allzusehr annähert. Gründliche und genaue Bilder der besonderen Art dichterischen Gestaltens in den einzelnen Poeten besitzt die Litteraturgeschichte noch nicht, da die grundlegende Erforschung der poetischen Phantasie, welche erst im Entstehen begriffen ist, sich mit den Untersuchungen über die Stellung der Dichter zu ihren Stoffen, für welche die Kenntnis der Fabeln und ihrer mannichfachen Metamorphosen noch viel zu wünschen übrig lässt, verknüpfen muss.
Innere Erfahrung, äußerer, überlieferter Stoff aus Mythos oder Sage, Geschichte, oder Dichtung: in
so mannichfachem Stoff wirkt die bewegliche dichterische Phantasie. Generelle
Untersuchung derselben, in der Weise dieser freilich flüchtigen Darlegungen, tritt nun aber in
Verbindung mit der Analyse der Verkettung dichterischer Gebilde in der Abfolge
[73] der Zeiten, wie die Geschichte der schönen Litteratur sie versucht. Das Material ist für beide
dasselbe, und kein Fehler der Methode greift tiefer als der Verzicht auf die Breite der historischen,
unter ihnen der biographischen Tatsachen für den Aufbau der generellen Wissenschaft menschlicher Natur
und ihrer Leistungen, die nun einmal nur inmitten der Gesellschaft für uns da sind und studirt werden
können. Es ist dasselbe Verhältnis, welches zwischen der generellen Wissenschaft und der Analyse der
geschichtlichen Erscheinungen in Bezug auf alle anderen großen Lebensäußerungen der Gesellschaft stattfindet.
Die historische Analyse bedarf ihrerseits der Zergliederung und der Classification der Tatsachen, welche
ihr weites Reich bilden. Wir zerlegen jedes dichterische Werk als eine Gesammttatsache in Teiltatsachen;
wie wir an einem Naturkörper seine chemische Zusammensetzung, seine Schwere, seinen Wärmezustand zergliedernd,
abstrahirend unterscheiden, so sondern wir in dem dichterischen Werk Motiv, Fabel, Charaktere, Gliederung,
Sprache. Wie die Naturwissenschaft erst solchergestalt sich abstracte Tatsachen aus den ganz individuellen
Einzelgestalten der äußeren Welt schafft, deren Gesetzmäßigkeit alsdann erforscht werden kann, so bildet
die abstracte Gesammttatsache des in dem geschichtlichen Verlauf der schönen Litteratur gelegenen Systems von
Motiven oder von Charakteren eine einfachere, leichter in ihren Gesetzen zu studirende Tatsächlichkeit.
Didaktische Poesie ist selbstverständlich hier nicht mit in Betracht gezogen, da sie vermöge ihres Begriffes
eine Uebereinstimmung der Vorstellungen mit Gegenständen anstreben muss, um lehren zu können, somit ein
Zwischenglied zwischen der Dichtung und Wissenschaft bildet.
Der wichtigste unter diesen Begriffen ist der des Motivs, da die anderen ihn voraussetzen. Denn die Fabel ist ein aus dem Zusammenhang des Lebens ausgesondertes Gefüge von Handlungen und Zuständen, welches eine genugsame Einheit und einen befriedigenden Zusammenhang bildet, und in welchem ein Motiv anschaulich ausgedrückt ist. Unter [74] Charakter aber verstehen wir nur einen Teil dieses Fabelgefüges, also dieser Verkettung von Handlungen und Begebenheiten, dessen vorgestellte Einheit ein Mensch ist, in einem oder verschiedenen oder allen Abschnitten dieser Verkettung dargestellt, und hierdurch in dem Aufnehmenden zur Einheit der Vorstellung gelangend. Daher hat der Begriff des Motivs Goethe wie Schiller vielfach beschäftigt, und Goethe gibt wenigstens für das engere Gebiet der tragischen Dichtung eine Begriffsbestimmung. "Des tragischen Dichters Aufgabe und Theorie ist nichts Anderes als ein psychisch-sittliches Phänomen, in einem fasslichen Experiment dargestellt, in der Vergangenheit nachzuweisen. Was man Motive nennt, sind also eigentlich Phänomene des Menschengeistes, die sich wiederholt haben und wiederholen werden, und die der Dichter nur als historische nachweist". Besonders der richtige Satz dass die Zahl solcher Motive begrenzt sei – Gozzi hatte sie gezählt und Schiller eine Nachzählung versucht – beschäftigte Goethe.
Eine besonders interessante Beziehung besteht zwischen Motiv und Fabel in Tragödien. Wir besitzen kaum eine Tragödie ersten Ranges, welche nachweisbar in freier Erfindung aus dem Motiv die Fabel entwickelt hätte. Es scheint, dass der Charakter der Wirklichkeit, sammt dem Irrationalen, in keinen Gedanken auflösbaren in ihr, nur demjenigen beiwohnt, was dem Dichter objectiv als Tatsache gegenübertritt, welche dann entweder für ein den Geist des Poeten schon beschäftigendes Motiv Gefäß und Symbol wird, mit allen Vorzügen einer in das Motiv selber nie ganz auflösbaren Realität ausgestattet, oder welche die Phantasie des Dichters reizt, als ein Problem enthaltend, dessen psychologische Auflösung alsdann die Tragödie ist. Wirklichkeit niederen Ranges, wie sie Lustspiel, Schauspiel und Roman oft zu ihrem Gegenstande haben, kann aus dem Leben, das den Dichter umströmt, geschöpft werden; die Wirklichkeit des Epos und der Tragödie ist entweder nicht in dem Erfahrungshorizont des Dichters oder ihre Hervorbringung und objective, vom Dichter unabhängige Aufstellung überschreitet die Grenzen dichterischen Vermögens. Daher [75] in all diesen Fällen der Vorgang in der Phantasie ein Spiel von Beziehungen zwischen einem gleich der Warnehmung selbst der Phantasie selbständig und objectiv gegenüberstehenden Stoff und dem ihr als Material vorliegenden Erfahrungskreise ist.
Ein anderes ist Zerlegung des ganzen Umfangs der schönen Litteratur in zusammengehörige Gruppen
von dichterischen Werken. Wie die vergleichende Anatomie in einer Gliederung der tierischen
Organismen sich Grundlagen der Untersuchung schafft, so entwirft auch ästhetische Forschung in
vergleichender Betrachtung zusammengehörige Gruppen dieser Geschöpfe der Einbildungskraft, die
gewissermaßen eine zweite Natur ist. Diese Einteilungen begannen bei dem Sinnenfälligen der drei
großen Gruppen von Inhalten der Phantasie, welche sich auch folgerecht nach der verschiedenen Stellung
der dichterischen Gebilde zu dem Empfangenden sondern lassen; so entstand die Einteilung in lyrische,
epische, dramatische Dichtung mit diesen Dichtungen selber; der späte Unterbegriff didaktischer Poesie
bezeichnet eine verbindende Zwischengattung zwischen Wissenschaft und Dichtung, wie zwischen allen
Gruppen geistiger Tatsachen solche stehen. Erst seit Schiller trat dann der Versuch auf, weiter
rückwärts von dem dichterischen Werk, dem Vorgang seiner Bildung nachgehend, die affectiven Haltungen
oder Stimmungen der Phantasie, deren allgemeine Natur wir ja entwickelt haben, einer Gliederung zu
unterwerfen. Der Humor und das Gefühl des Erhabenen, die tragische und die komische Stimmung,
die elegische Gemütsverfassung und die Rührung, phantastische Stimmung, das Alles war lange unterschieden;
aber Schiller entwickelte aus der sittlichen Natur des Menschen zwei geistige Gesammthaltungen, welche
Grundstimmungen der Phantasie sind, und er ordnete einige der ästhetischen Affecte dieser Einteilung
unter, welche in seinem Sinne keineswegs Epochen der Litteratur bezeichnete, sondern Grundverfassungen
der Dichter in ganz verschiedenen Zeiten; denn er fand schon bei den Alten sentimentale Haltung
der Phantasie und bei den Neueren naive.
[76] Nach ihm ist von den ersten ästhetischen Forschern dieses wichtige System von Gruppen verschieden
entwickelt worden. Tut man aber noch einen Schritt weiter zurück in dem Vorgang der Entstehung von
dichterischen Werken, wie wir ihn darlegten, so liegt schon ein Unterschied derselben in dem
Erfahrungshorizont des Dichters, welcher doch den ganzen Stoff der Poesie gibt und durch welchen daher
zuerst der Charakter der Dichtung bestimmt wird. Wir blicken in die Arbeit der Phantasie an der Erfahrung bei
Bildung von Dichtwerken, und wenn wir nun zugleich die oben unterschiedenen Teil-Inhalte des dichterischen
Werkes nebeneinander bei Betrachtung dieser elementaren Vorgänge im Auge
behalten, sondern sich deutlich zwei Gruppen von dichterischen Werken.
Ich versuche diese für das Verständnis Goethes vielleicht fruchtbare Unterscheidung aus der Analyse einiger hervorragender Tatsachen abzuleiten.
Eine in der letzten Zeit erschienene Biographie von Dickens gestattet uns in die Werkstatt dieses Dichters den Blick, und auch für andere mit ästhetischen Fragen beschäftigte wird das Buch von Forster ein Ereignis gewesen sein. Er erscheint als ein Genie, dessen ganzes Leben in tatsächlicher Erfahrung, in genauster unwillkürlicher Beobachtung dessen was immer neue Erfahrungskreise bieten, verläuft, der so viel Beschäftigungen und Lebenslagen durcheilt, als Lehrjunge, Advocatenschreiber, Reporter im Parlament und im Lande, so viel Tatsachen seiner Beobachtung zu unterwerfen in der Lage ist, die Gefängnisse und Irrenhäuser der meisten Länder Europas wie ihre gute Gesellschaft so gründlich studirt, dass wir in Deutschland von einer solchen Existenz kaum eine Vorstellung haben; dann sein Ungestüm, die ungeheuren Fehlgriffe seines fieberhaft tätigen Naturells, seine Gleichgültigkeit gegen jede höhere Ausbildung seiner eignen Persönlichkeit, jede höhere intellectuelle Beschäftigung; und dies Alles Außenseite für ein Leben voll Seligkeit und Leid, voll der heftigsten Affecte im Mitleben mit den Gestalten, welche aus diesem Erfahrungsmaterial [77] geformt sind: er ist dem, was er außer sich gewahrt, ganz hingegeben.
Indem wir das dichterische Schaffen des Zeitgenossen von Stuart Mill aus so genauen Mitteilungen studiren, fällt von dieser Erkenntnis auch ein Licht auf das uns anscheinend ganz unbegreifliche innere Leben und Bilden in dem Zeitgenossen des Lord Bacon.
Shakespeare scheint in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt. Eifrigste Sammlung hat nur eine Anzahl von Urkunden von kirchlichen Akten und Rechtsgeschäften, und ein paar polemische Stellen zeitgenössischer Schriftsteller als wirklich authentisches Material gewonnen. Es scheint, dass seine Person nicht in hohem Grade die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen auf sich zog. Seine Tragödien bringen diejenigen zur Verzweiflung, die einen Schluss auf seine Denkart, seine religiösen oder philosophischen Ueberzeugungen und seinen Charakter ihnen entlocken wollen. Seine Sonette sind selber ein Geheimnis, da wir weder wagen sie beim Wort zu nehmen wegen der ungeheuren Paradoxie der Gefühlsweise in ihnen, noch zaghaft darauf verzichten können, einen Kern höchst subjectiven, persönlichsten Empfindens in ihnen anzunehmen.
Wir gehen von einigen unzweifelhaften, in seinen Werken selbst gegebenen Tatsachen in Betreff seiner Organisation aus. Shakespeare zeigt einen Umfang von genauen gründlichen und ganz positiven Warnehmungsbildern, mit welchen die Summe genauer Bilder bei keinem anderen Poeten auch nur verglichen werden kann. Man muss in ihm eine Energie der Warnehmung und des Gedächtnisses annehmen, hinter welcher selbst das, was Goethe und Dickens von sich erzählen, weit, weit zurücksteht. Schon die Zeichen für die Dinge beherscht er königlich: M. Müller hat berechnet, dass ihm etwa 15,000 Wörter zur Verfügung stehen, beinahe doppelt so viel als Milton. Seine Kenntnis von Pflanzen und Tieren ist durch sachkundige Forscher als erstaunlich genau und umfassend erwiesen worden. Er spricht von Falken und Falkenjagd, wie einer, der sein Leben als Jäger zugebracht [78] hat, so dass erst die sachkundige Untersuchung eines Kenners einige dieser Stellen verständlich gemacht hat. Er spricht von Hunden, als hätte er gleich Walter Scott jeder Zeit ein paar Lieblingstiere zu seinen Füßen liegen gehabt. In einer Zeit, in welcher noch Aerzte in Bezug auf Wahnsinnige ganz von abergläubischen Vorstellungen erfüllt sind, erscheint er als ein so tiefer Beobachter krankhafter Seelenzustände, dass hervorragende Irrenärzte unserer Zeiten seine Personen studirt haben wie man Tatsachen der Natur selber studirt. Seine Kenntnis von Rechtsfällen und Rechtsgeschäften ist der Art, dass hervorragende englische Juristen dieselbe nur durch die Annahme sich erklären konnten, dass er als Lehrling eines Advocaten Gelegenheit gehabt habe, sich fachmäßig auszubilden. Umfang und Tiefe seiner Charakterschilderungen bezeichnen für uns die äußerste Grenze des dichterischen Vermögens.
Eine solche Wirkung setzt als Ursache nicht nur höchste Energie der Warnehmung und des Gedächtnisses voraus: wir müssen uns das Genie, welches dies leistet, gänzlich den Tatsachen hingegeben denken, gewarwerdend, beobachtend, sein Selbst ganz vergessend und verwandelnd in das was es erfasst. Unwillkürlich muss ich an Rankes Wort denken: ich möchte mein Selbst auslöschen, und die Dinge sehen, wie sie gewesen sind. Nicht in sich selbst, sondern in dem was außer ihm auf ihn wirkte, lebte er. Er war ganz großes geistiges Auge. Er hatte kein Bedürfnis in sich einen Zusammenhang von energischen Ueberzeugungen zu versammeln oder ein Selbst von imponirender Macht zu gestalten: er wird als von sanfter Grazie gleich Raphael geschildert: ihm war Alles, jede menschliche Natur und Leidenschaft bis in ihre äußersten Consequenzen und geheimsten Schlupfwinkel zu verfolgen. Hiermit ist seine Darstellungsweise einstimmig, welche die Menschen hinstellt, wie sie der Beobachter im Leben von außen gewahrt, in völliger Deutlichkeit der körperlichen Umrisse, in Willensbewegung, ihre letzten Beweggründe zuweilen undurchdringlich.
Dieser Auffassung sind die Nachrichten über sein Leben conform. Der rasche, beinahe fiebernde Puls seiner Helden [79] schlägt auch in ihm, wie in Marlowe und Ben Jonson. Mit achtzehn Jahren ist er verheiratet, das Jahr darauf mit der Sorge für eine Familie belastet (geboren 1564, verheiratet 1582, seine Tochter Susanne 26. Mai 1583, Hamnet und Judith 1585), zwischen 1585 und 1587 erscheint er in London, sich eine Existenz zu gründen, in den ersten zwanziger Lebensjahren. 1592, im achtundzwanzigsten Lebensjahre, ist er auf der Höhe von Ruhm und Wohlstand, sodass Greene in einem Pamphlet dieser Zeit ihn als 'an absolute Johannes Factotum and, in his own conceit, the only Shake-scene in a country' bezeichnen kann. Er beginnt schon jetzt allmählich Alles für seine Zurückgezogenheit in Stratford vorzubereiten. 1602, im achtunddreißigsten, Lebensjahre, ist er bereits wolhabender Landgentleman in Stratford, obwol noch in London tätig. In den vierziger Lebensjahren finden wir ihn dann dort (der genauere Termin kann aus den bisher gefundenen Urkunden nicht erschlossen werden) in seinem stattlichen Hause, das von seinen Gärten umgeben ist, ausruhend von der stürmenden Hast seines Lebens; seine Laufbahn war zu Ende. Am 23. April 1616 im 53. Jahre starb er in Stratford, unmittelbar nach den Vermählungsfesten seiner jüngsten Tochter. In den beiden Punkten, von denen man zu sagen pflegt, dass sie über das Leben entscheiden, in Ehe und Beruf, scheint raschem vordringendem Entschließen schwere Lebensmühe und Enttäuschung gefolgt zu sein; herbe Empfindung des Lebens und entschiedene klare Handhabung desselben erfüllen seine männlichen Jahre, und, seltsam es zu sagen, der Zusammenhang der Handlungen seines Lebens liegt nicht allein in seiner Poesie, sondern ebenso in dem Willen, sich und seine Familie in die wolhabende Landgentry zu erheben. Wie Dickens lernte er das Leben und die Menschen nicht als ein schwatzender und zuguckender Zuschauer kennen, sondern er spielte mit, in den übermütigsten Komödien wie in Tragödien, er hatte jene kraftfrohe Natur, die lieber etwas Falsches tut, als gar nichts. So hat auch der einzige in der Kenntnis des Lebens Shakespeare vergleichbare Dichter, so hat Cervantes [80] sein Leben als Secretär eines päpstlichen Legaten, als Soldat in den verschiedensten Feldzügen, in Sclavenketten, als Schriftsteller unruhvoll durcheilt. Und gerade die bunten Erfahrungen einer bewegten mit Wirklichkeiten ringenden Jugend haben solchen Dichtern das Hauptmaterial ihres Erfahrungshorizontes geschenkt. Auch Aeschylos und Sophokles erwarben im tätigen Leben des Bürgers und Soldaten ihr Verständnis der Welt, und erst Euripides lebte in seiner Bibliothek als Litterat.
Wie sein Lebenslauf ihm die ungeheure Welterfahrung zuführte, welche seine Dramen zeigen, lässt sich noch verfolgen. Wie oft kehrt in seinen Dichtungen die Landschaft um Stratford wieder, in der er aufwuchs, mit ihren sanften Hügeln, ihrem gesättigten Wiesengrün, und den Büschen und Obstgärten, in denen die Dörfer versteckt lagen, zwischen denen der Avon sich schlängelte; es ist der landschaftliche Hintergrund des Sommernachtstraums, des Wintermärchens. Volkspoesie und Volksfeste, das lustige Altengland werfen noch ihren heiteren Glanz über das Land und die Einleitung der bezähmten Widerspenstigen, Vieles in den lustigen Weibern rufen uns wol Personen und Scenen aus diesen Jugendtagen zurück, Volkslieder und Sagen flogen ihm noch auf seinen Wanderungen zu. Damals prägten sich auch in seine allen Eindrücken offene Seele die Bilder der Pflanzen- und Tierwelt, in welcher der Sohn des Landbesitzers, wol auch der leidenschaftliche Jäger (wer denkt nicht an die Geschichte von seinem Jagen auf dem verbotenen Grunde des nahen Landedelmanns) sich heiter bewegte, auch war wol hier Anlass genug für die unzählichen Späße auf Kosten der beschränkten kleinen Bauern und Bürger in seinen Dramen. Und in dies heitere Leben ragte hier schon die große und blutige Vergangenheit seines Landes herein; ging doch von Stratford die romantische Straße in 8 Meilen nach dem Schlosse Warwick, wo auf dem Schlosshof zwischen den massiven Türmen oder unter den Grabdenkmälern die Schatten der Vergangenheit, die Gestalt des großen Königsmachers darunter, am hellen Tage umgingen. Ein paar Meilen weiter lag dann [81] Kenilworth, das damals Leicester gehörte, in dessen Diensten ein Verwanter Shakespeares stand, und die Erklärer haben sich gern vorgestellt, dass bei den großen Festen, welche dort der Königin ihr Günstling gab, der elfjährige Knabe zugegen gewesen sei. Aber wie dem auch sei, das Spiegelbild des Lebens in der Dichtung ist in Stratford selber dem Knaben früh nahe getreten; in der lebensfrohen Stadt, in deren Kämmereirechnungen Sekt, Claret und Muscat keine kleine Rolle spielen, haben von 1569 bis 1587, in den frühesten Knabenjahren Shakespeares, nicht weniger als 24 Besuche von Schauspielertruppen stattgefunden und wenn wir das Theaterrepertoir jener Zeit überblicken, so waren Heinrich V., Richard III, Cäsar, Timon, das Stück, aus dem die bezähmte Widerspenstige sich entwickelte, in ihm enthalten. Goethe und Dickens erzählen übereinstimmend, wie von früher Kindheit ab die Gestalten aus Dichtungen sich in ihr wirkliches Leben verwebten; "es ist mir sonderbar", erzählt Dickens, "wie ich mich je in meinen kleinen Leiden damit trösten konnte, dass ich meine Lieblingscharaktere in dieselben versetzte. Ich bin eine ganze Woche lang Tom Jones (ein kindlicher Tom Jones, ein harmloses Geschöpf) gewesen. Ich habe, wie ich warhaftig glaube, meine eigene Vorstellung von Roderich Random einen ganzen Monat lang in Einem Zuge durchgeführt. Jede Scheune in der Nachbarschaft, jeder Stein in der Kirche und jeder Fuß breit des Kirchhofs stand in meinem Geiste in einer gewissen Beziehung zu den Büchern und stellte einen in denselben berühmt gewordenen Ort dar". Besser als einer von uns vermöchte, sprechen diese Erinnerungen aus, wie man sich denken mag, dass in Shakespeares Jugendleben sich die Gestalten aus der Sage und Bühne drängten, und auf der historischen Scene von Warwickshire sich die Personen der Vergangenheit vor ihm zu bewegen begannen.
Es gibt starke Gründe anzunehmen, dass er schon in Stratford als Lehrling, der sich auf die Advocatenlaufbahn vorbereitet, die Verwicklungen des Lebens frühzeitig kennen lernte, und die geschäftlichen Schwierigkeiten seines Vaters [82] gaben ihm eine tägliche Illustration zu dem Text seiner Acten. Auch dies wie es bei Dickens später sich wiederholte. Noch als Jüngling hatte er die leidenschaftlichen Erfahrungen von Liebe und Ehe hinter sich. So kam London. Er, der in seinen Jünglingsjahren nie rückwärts sah und lieber das fraglichste tat als zusah (welch ein Gegensatz zu der besonnenen, seiner bewussten und im Grunde bei scheinbarer Hingabe sich selbst jederzeit ganz beherschenden Persönlichkeit des jungen Goethe!), und der vielleicht mit manchem Manuscript in seinem Reisebündel nach London kam, gründete auf die Stellung des Theaterdichters und Schauspielers seinen Lebensplan; die Truppe des Globustheaters, in welche er eintrat, stand in näherer Beziehung zum Haushalt der Königin und wurde unter Jakob durch Patent als the King's Players in Dienst genommen. Seine Sonette sprechen ergreifend aus, welchen neuen Schatten dieser Schritt über sein Leben warf. Was ihn hinzog, wird sichtbar, wenn man die Leidenschaft von Goethe, von Dickens für das Theaterspielen gewahrt und an Molière und Sophokles denkt; Schauspieler und wahrer schaffender Dichter, zumal der Richtung von Shakespeare, beruhen mit ihrem Genie auf demselben Vermögen der Phantasie in verschiedene Gestalten sich zu wandeln, und was das Wort des Dichters will, wird erst in der Leistung des Schauspielers fertige Realität. Wichtiger ist, wie sein Beruf auf Shakespeare wirkte. Er gab ihm nicht nur Bühnenkenntnis; er scheint in ihm wie in Molière die Fähigkeit sich gänzlich in die verschiedensten Charaktere zu wandeln zur vollendeten Virtuosität ausgebildet zu haben. Man gewahrt an dem Schauspieler, dass er immer ein anderer ist und abwechselnd in verschiedenen Rollen denkt und fühlt; was hiervon in Shakespeares Natur lag, eine Versammlung von Individuen zu sein und als eine solche Welt und Leben mannichfach zu betrachten, sich selber mannichfach zu fühlen, das musste die Stellung des Schauspielers in ihm verstärken. Diese losgebundene, mit den höchsten Kreisen und andererseits mit den unsicheren Existenzen der Stadt verknüpfte Lebenslage in dem damaligen London bot eine unvergleich[83]liche Möglichkeit, die wechselnden Scenen des menschlichen Lebens und die mannichfachsten Charaktere in sich aufzunehmen, und die Stellung des Theaterdichters drang ihm die Feder in die Hand, zu schreiben was er schaute. Goethe spricht einmal im Gespräch mit Eckermann aus, wie er verglichen mit einem Walter Scott in Bezug auf den Stoff des Lebens selber im Nachteil gewesen sei; er habe im Wilhelm Meister zu Landedelleuten und Schauspielern greifen müssen, eine lebendige Bewegung in den Roman zu bringen; überhaupt je mehr er mit der Natur dichterischer Arbeit sich betrachtend beschäftigte, desto schmerzlicher empfand er, unter wie schweren Bedingungen er gearbeitet habe. Shakespeare schrieb unter einer geschichtlichen Gunst ohne Gleichen. Was er von Rom gelesen hatte in seinem Plutarch, was in Trümmern aus der englischen Vergangenheit ihn umgab und das Zeitalter der Elisabeth mit seinen gewalttätigen Charakteren, der dramatischen Führung seiner Staatsaktionen und seinen blutigen Schlussscenen: das Alles musste vor dem Blick des auf das Essentielle gerichteten Genies als Eine Ordnung activer heroischer Naturen und gewalttätiger Katastrophen sich darstellen. Und das alles war so zu sagen auf der Straße sichtbar. Durch diese Straßen sah man die Königin nach dem Tower reiten, auf ihrer Barke fuhr sie die Themse entlang, Shakespeare sah alle die damals Geschichte machten unmittelbar vor sich auf der Bühne; die Königin soll ihn einmal genötigt haben, indem sie etwas, da er vorüberging, fallen ließ, seine Rolle zu unterbrechen und er gab es ihr mit improvisirten Versen zurück. Die frischen Farben des Lebens, wie es im Mittelalter sich entfaltet hatte, das Persönliche und Sinnfällige in den verschiedenen Schicksalen, und darauf gerichtet das moderne, an den Humanisten, Naturforschern und Politikern geschulte Auge: das ist Shakespeares Stellung.
Hiermit stimmt dann schließlich das Wenige zusammen, was wir von seiner Bildung wissen. Unter den Shakespeareforschern ist die Zeit gänzlich vorüber, in der man ein naturwüchsiges Genie in ihm zu erblicken glaubte; aber welcher [84] Art seine Bildung war, möchte man sich vorstellen können, nicht bloß welchen Umfangs. Wenn Ben Jonson ihm wenig Latein und noch weniger Griechisch zuspricht, so will das im Sinne des in seiner classischen Bildung schwelgenden Nebenbuhlers verstanden sein; es war genug für ihn, den Atem des Altertums auch in seinen Sprachen und in der sprachlichen Färbung seiner Litteratur zu empfinden, im übrigen las er seinen Plutarch (den er vor allen Alten liebte) und seinen Ovid in Uebersetzungen; er stand darin nicht wesentlich anders als auch Schiller. Man hat Spuren gefunden, dass er französische Schriftsteller, von denen keine damals existirende englische Uebertragung hat nachgewiesen werden können, Rabelais insbesondere, gelesen und benutzt; Montaigne las er freilich in der Uebertragung Florio's, mit dem er in persönlicher Beziehung stand. Auch scheint er italienische Schriften im Original zu benutzen im Stande gewesen zu sein. Aber nichts ist gewisser, als dass Shakespeare kein wissenschaftliches Interesse im strengen Sinne hegte, und dass er kein Bedürfnis besaß vom Zusammenhang der Naturerscheinungen sich irgend eine folgerichtige Vorstellung zu bilden. Es ist ein sonderbarer Aberglaube einer Anzahl von Commentatoren Shakespeares, freilich nicht Shakespeares allein, dass jeder bedeutende Mensch durchaus über die einschneidendsten allgemeinen Fragen und die letzten Probleme eine Ansicht haben müsse, und der Erfolg der unter dem Einfluss dieses Aberglaubens angestellten Untersuchungen ist komisch genug gewesen; jeder hat seine eigene Ansicht irgendwo in Shakespeare wiedergefunden.
Die Mehrzahl gescheiter Menschen, mit denen wir leben, hat gar keine definitive Ansicht weder über die Gottheit noch über die Fortdauer des Menschen noch über irgend einen der Cardinalpunkte, in Bezug auf welche man Dichter dem Kreuzverhör zu unterwerfen sich gewöhnt hat. Und was von gescheiten Dutzendmenschen gilt, dass gilt doppelt von dem Genie, dessen Wesen Penetration, Concentration ist. Shakespeare gar, der mit den Augen aller Menschenarten in die Welt sah, ist viel zu frei in geistesmächtiger Ver[85]senkung in Denkarten und Charaktere aller Art gewesen: ich glaube, ihm wäre wie ein Gefängnis erschienen, sich in Einer Geisteshaltung einzuschließen. Wohl interessirten ihn selbst Feinheiten der Gedankendialektik, aber nur als intellectuelle Färbung von Charakteren, als intellektuelles Material für das Spiel der Affecte. Shakespeares frühes, wahrhaft durchdringendes Nachdenken, welches sich auch der Hülfsmittel der wissenschaftlichen Analyse bedient, muss man an einem ganz anderen Punkte suchen als an dem die nachforschen, welche alle Menschen nach Einem Humanitätsschema abarbeiten. Dahin leitet schon die in der Tat für sein historisches Verständnis entscheidende Entdeckung seiner intimen Beschäftigung mit Montaigne. Dieser Punkt liegt in der Analyse der menschlichen Charaktere und Affecte. Glaubt man, dass solche Präparate so zu sagen der Hauptaffecte als sie in seinen großen Dramen vorliegen, ein bloßes Geschenk natürlicher Genialität gewesen seien? Es muss inzwischen einer Einzeluntersuchung an anderem Orte vorbehalten bleiben, zu zeigen, wie die Ergebnisse einer weitverbreiteten Litteratur jener Tage über Affecte und Charaktere ihm zuflossen. Genug auch sein Bedürfnis und seine Arbeit einer verstandesmäßigen Zergliederung richtete sich auf diejenigen Tatsachen, in denen er lebte, in denen er mit der ausschließlichen Penetration des Genies seine geistige Existenz führte: die Natur der Menschen, die Verschiedenheit ihrer Charaktere und Denkarten, ihre Affecte und die aus ihnen fließenden Schicksale.
Wenn man in einem Querschnitt (wie der Botaniker sie für die Stämme gewaltiger Bäume glättet) das Wachstum der Gesellschaft untersucht, so zeigt sich eine Uebereinstimmung oder Harmonie zwischen den scheinbar heterogensten Elementen desselben socialen Körpers: eine Tatsache, auf welche Comte den Begriff seiner socialen Statik gegründet hat. Der Einfluss gewisser leitender wissenschaftlicher Begriffe eines Zeitalters erstreckt sich in die Anordnung der Begriffe auf entfernten Gebieten, welche in keiner directen Beziehung zu jenen stehen. Der Culturgrad eines Landes [86] und die Form seiner dauernden Regierung stehen in einem notwendigen Verhältnis von Verwantschaft unter einander. So besteht auch eine Uebereinstimmung zwischen der poetischen Litteratur einer Nation in einem gegebenen Zeitalter und der wissenschaftlichen Gesammtbewegung. Die intellectuellen Neigungen des englischen Geistes in dem Zeitalter des Lord Kanzlers Bacon wird man demgemäß in Uebereinstimmtung mit den dargelegten Grundzügen der dichterischen Individualität Shakespeares zu finden erwarten dürfen. Der Empirismus und die ihm entsprechende inductive Neigung hat sich in England mit derselben Folgerichtigkeit entwickelt, welche diese Nation in der Ausbildung ihrer Verfassung gezeigt hat, Plato und Aristoteles üben dort seit den Zeiten Bacons keine Art von autoritativem Einfluss auf die Neigungen des Denkens, und mit einer unvergleichlichen frischen Unbefangenheit leben der einfache Beobachter wie der methodische Forscher in der Warnehmung, in dem Studium der natürlichen und gesellschaftlichen Tatsachen, welche sie umgeben. Diese intellectuelle Richtung war nie ohne Gegenströmungen unter den englischen Forschern, aber sie war jederzeit die herschende Strömung. Offenbar correspondirt mit derselben die dichterische Art die Welt zu betrachten in einem Shakespeare und Ben Jonson, einem Smollet, Fielding und Richardson, einem Dickens, Thackeray und Walter Scott. Entgegengesetzte Richtungen in der Poesie, wie sie insbesondere unter deutschem Einfluss Byron, Shelley und Coleridge vertraten, haben niemals dem englischen Geiste entsprochen und demgemäß niemals einen leitenden Einfluss auf denselben gewonnen, ganz in derselben Weise als dies in Bezug auf die philosophische Richtung eines Hamilton und Carlyle sowie ihrer Vorgänger und Nachfolger der Fall ist. Wenn nun aber der Empirismus und die inductive Neigung, wie sie die englischen Denker neben denen anderer Völker vertreten, als die eine der beiden großen Richtungen des wissenschaftlichen Geistes in Bezug auf die Gewinnung und den Beweis seiner Einsichten betrachtet werden muss, so würde die Anwendung desselben Classen[87]begriffs auf die in der Dichtung ihr correspondirende Gestaltungsweise eine übereilte Analogie sein. Es gibt innerhalb der Dichtung keinen Empirismus, ja streng genommen keinen Realismus, es gibt innerhalb ihrer keine inductive Richtung des Geistes, im Unterschied von anderen poetischen Gestaltungsweisen. Wir haben erkannt, dass die Phantasie nur aus dem Material der Erfahrung baut, und wenn man etwa Dichter, welche von Ideen ausgehen, von denen unterscheiden wollte, welche von Erfahrungen ausgehen, so würden schon die geringe Zahl von Kunstwerken der letztern Classe und die Tatsache, dass keines von erstem Rang unter ihnen ist, zeigen, wie wenig ein solcher Gegensatz demjenigen correspondirend sein kann, welcher den wissenschaftlichen Geist von Europa seit Jahrtausenden in zwei Lager geteilt hat. Der Aufbau von Gestalten in der Phantasie und die Erforschung sowie der Beweis von Wahrheiten in dem Verstande sind ihrer Natur nach ganz verschieden, und daher können die Richtungen, in welchen sich diese zwei Classen von Vorgängen vollziehen, einander wohl correspondiren, aber sie können nicht auf dieselbe Weise definirt und dem entsprechend bezeichnet werden. Die Phantasie baut ihre Gestaltungen aus der äußeren und aus der inneren Erfahrung auf; mannichfach verschlingen sich diese beiden Arten von Erfahrung und alles was wir Verstehen nennen, beruht auf dieser Verflechtung; jedoch wird ein Dichter entweder vorherschend in der Welterfahrung leben, alle Kräfte seines Geistes dem was um ihn in Welt und Leben geschieht entgegenstreckend, oder wie wir dies an Goethes Beispiel sahen, von dem Leben im eignen Inneren, von den Zuständen des eigenen Gemüts, von der Welt der Ideen und Ideale in ihm wird er bewegt und strebt sie auszusprechen. Jener ist mit allen Sinnen und Kräften darauf gerichtet, Leben aller Art, Charaktere aller Classen in sich zu hegen, zu genießen, zu gestalten, dieser blickt immer wieder in sich selber, und was die Welt ihn lehrt, möchte er schließlich benutzen, sein Selbst zu erhöhen und zu vertiefen. Künstlerische Gebilde außer sich hinzustellen ist dem Einen das höchste geistige Geschäft [88] seines Lebens; dem Anderen bleibt doch das Letzte, das eigene Leben, die eigene Persönlichkeit zum Kunstwerk zu formen.
Die dichterische Richtung Goethes mag zunächst an einigen verwanten Erscheinungen verdeutlicht werden.
In dem neueren Europa schuf zuerst Jean Jacques Rousseau in der neuen Heloise ein siegreich wirkendes Kunstwerk auf dem Weg einer Entfaltung von Gestalten aus dem Reichtum eigenen inneren Erlebens und Denkens, ohne eine hervorragende Neigung zu Warnehmung und Beobachtung anderer Menschen und ihrer Zustände. Durch das unselige Leben dieses mächtigen Mannes geht die Unfähigkeit irgend einen Menschen in seinem wahren Wesen zu erfassen, als ein in den complicirten Zuständen des damaligen an problematischen Naturen und raffinirter Menschenkenntnis überreichen Paris unsägliches Unglück. Wie sein leidenschaftliches Gemüt ihm die Menschen vorspiegelte, so waren sie für ihn; er lebte ganz in sich selber. So ist es für die Erforschung der Phantasie von außerordentlichem Interesse, die Bildungsgeschichte seines großen Werkes zu verfolgen und wir sind durch seine Confessionen und seine Briefe dazu in Stand gesetzt.
Er stand in seinem 44. Lebensjahr als er die Einsiedelei im Park von La Chevrette am 9. April 1756 bezog; 'erst mit diesem Tag', meinte er, 'habe ich angefangen zu leben'. In dieser, bei totaler Ruhe der Seele, vom Zauber der Natur und Einsamkeit umgeben, sah er seine Phantasie mit unwiderstehlicher Gewalt in Gestalten wirken, seinen Grundsätzen wie seinem Willen entgegen, da Romanschriftstellerei ihn in Widerspruch mit sich selber und seinen eigensten Ueberzeugungen brachte. Der fundamentale Vorgang aber war, dass er dasjenige, was ihm von Glück, von beseligenden, seinen Gefühlen und seiner tiefen Leidenschaftlichkeit entsprechenden Situationen und Gestalten vorschwebte, aus den verschwimmenden Nebeln der Träumerei zu greifbaren Gestalten verdichtete und formte. Dieser Vorgang ist in allen großen Dichtern mitwirkend und auch Miranda und Hermione sind [89] verkörperte Träume der Sehnsucht. Aber in Rousseau war er leitend und den ganzen Roman in seiner frühesten Form beherschend. Seit seiner Jugendzeit wirkte seine Phantasie auf diese Weise; er erzählt im vierten Buch der Confessionen wie in der freien Natur er sich zu solchem träumerischen Dichten jederzeit angeregt fand, 'dann gebiete ich freischaltend über die ganze Natur; mein Herz, von Gegenstand zu Gegenstand eilend, versammelt herliche Bilder um sich und berauscht sich in entzückenden Gefühlen. Wenn ich sie nun zu meinem inneren Ergötzen in Gedanken ausführe, welche Kraft des Pinsels, welche Farbenfrische, welche Stärke des Ausdruckes verleihe ich ihnen! Von dem Allem, sagt man, ist in meinen Werken anzutreffen, die doch gegen die Neige meiner Jahre geschrieben sind.' Die Epoche des Lebens, in welcher er sich befand, gaben solchen Träumen eine ungeheure Gewalt. 'Ich sah mich auf der Neige der Jahre, eine Beute schmerzlicher Krankheit, und, wie ich meinte, nahe dem Ende des Laufes, ohne auch nur eine der Freuden, nach denen mein Herz dürstete, voll genossen, ohne die regen Empfindungen, welche in diesem Herzen ruhten, je ausgeströmt, ohne jene berauschende Wonne geschmeckt, ja nur gekostet zu haben, die meine Seele erfüllte, aber, ohne Gegenstand, immer zurückgepresst blieb, und nur in meinen Seufzern sich Luft machen konnte.' 'Sterben ohne gelebt zu haben': eine Vorstellung von erschütterndem Wehe. In solcher Gemütsverfassung belebte er die einsame und bezaubernde Natur um ihn, majestätische Bäume, Gräser und purpurnes Haidecraut, eine Scene, welche geschaffen schien für die Verwirklichung all seiner Träume von Glück, mit Bildern desselben; 'ich erfüllte sie mit Wesen nach meinem Herzen; ich schuf mir ein goldenes Zeitalter nach meinem Geschmack, indem ich mir die Erlebnisse früherer Tage, an welche sich süße Erinnerungen knüpften, in's Gedächtnis zurückrief und mit lebendigen Farben die Bilder des Glückes ausmalte, nach welchen ich mich noch sehnen konnte'. Das war es; Bilder seiner Erlebnisse aus Jugendtagen geben seiner Phantasie den Stoff, ein Gemälde zu entwerfen, welches all das Glück, [90] nach dem er sich noch sehnen konnte, in sich fasste. Auch spricht er aus, wie das geschah. 'Ich stellte mir Liebe und Freundschaft, die beiden Ideale meines Herzens, in den entzückendsten Bildern vor und schmückte sie mit allen Reizen des schönen Geschlechts, welches ich stets verehrt hatte. Ich dachte mir lieber zwei Freundinnen als Freunde, weil, wenn sie sich seltener finden, sie dann auch um so liebenswürdiger sind. – Ich stattete sie mit Gestalten aus, die zwar nicht vollkommen, aber nach meinem Geschmack waren. Ich gab der einen einen Geliebten, welchem die andere eine zärtliche Freundin und selbst noch etwas mehr war. Ich duldete aber weder Eifersucht noch Zwistigkeiten, weil es mir schwer wird, mir irgend eine peinliche Empfindung vorzustellen. Bezaubert von meinen beiden lieblichen Vorbildern identificirte ich mich mit ihrem Geliebten und Freunde so viel als möglich. Ich machte ihn aber jung und liebenswürdig und gab ihm überdies alle Tugenden und Fehler die ich mir selbst eigen wusste.' Und diesem Allem gab er den Genfer See zur mächtig mitwirkenden Scene, der seit lange mit all seinen Träumen von Glück verwebt war; 'wenn der heiße Wunsch nach dem glücklichen und süßen Leben, das mich flieht und für das ich mich geboren fühle, meine Einbildungskraft entzündet, so nimmt er immer das Waadtland, den See, diese entzückenden Landschaften zum Schauplatz.' Es ist jetzt von Erich Schmidt genauer dargelegt worden, wie diese Gestalten, gleich den Schatten Homers, Leben tranken aus 'einigen Jugenderinnerungen' – Rousseau bezeichnet sie selber näher – und aus den damals wie das Leben selber die Menschen beschäftigenden Gestalten Richardsons, – denn durch die ganze Litteratur geht ein Strom der Einwirkung von Dichter auf Dichter –; zugleich wirkte ein historischer Stoff gestaltend auf die so entstehenden genaueren Bilder, die Geschichte von Abälard und Heloise, welche einst eben in diesem Paris und seinen Umgebungen sich ereignet hatte. So begann er, ohne Folge und Verknüpfung, zerstreute Briefe auf das Papier zu werfen; 'als ich mich anschickte, sie zu verbinden, geriet ich oft in [91] große Verlegenheit; es ist nicht sehr glaubhaft, aber wahr, dass die beiden ersten Teile fast gänzlich auf diese Art geschrieben sind, ohne dass ich einen wohlüberlegten Plan gehabt hätte, ja, ohne dass ich noch voraus sah, ich würde mich versucht fühlen, ein ordentliches Werk daraus zu machen.'
Im Winter 1756/57, als ihn die Jahreszeit in's Zimmer bannte, begann er Folge und Ordnung in diese Blätter zu bringen, um eine Art von Roman aus ihnen zu machen. Da trat die Gräfin d'Houdetot in sein Leben, als die Erfüllung seiner Träume, als die Wirklichkeit des Schattens, den er Julie genannt hatte, und hiermit begann seit Frühjahr 1757 die zweite Epoche der Ausbildung seines Romans, welche bis zu seinem Abschluss und Erscheinen 1761 dauerte. Diese hat für uns nicht mehr dasselbe Interesse, zumal wir die Umgestaltung, welche sich mit dem Roman vollzog, doch im einzelnen nicht mehr erkennen können. Die Hauptveränderung war, dass nunmehr die Stellung der Rousseau's Gemütsleben vertretenden Figur zu der verheirateten Frau und die so sich ergebenden Conflicte von Liebe und Freundschaft entsprechend dem was er erlebte und sich als Erlebnis gemäß seiner Weltunkenntnis zusammenphantasirte an die Stelle der Lebensbeziehungen zu dem früher entworfenen Mädchenideal trat. Auch scheint eine Zerlegung dessen was er in sich fand und als einander heterogen fühlte in mehrere Personen stattgefunden zu haben, wie sie später bei Goethe so deutlich zu bemerken ist.
Blickt man zurück in die Litteratur aus dem Heroenzeitalter der neueren Völker, so tritt an diesem Punkte ein bemerkenswerter Unterschied der romanischen und deutschen Dichter hervor. Wir empfangen neuerdings einen immer genaueren Einblick in die romanische Erzählungspoesie, aus der unser ritterliches Epos schöpfte, und wenn wir auch gerade für die beiden genialsten unter unseren ritterlichen Epikern, Wolfram von Eschenbach und Gottfried von Straßburg den Vergleich mit ihren Quellen immer noch nicht anzustellen in der Lage sind: der Gegensatz beider Dichtungsweisen ist doch sehr sichtbar und in Zusammenhang damit [92] kann das dichterische Verfahren dieser beiden mit einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit erschlossen werden. Gottfrieds Subjectivität durchdringt sein ganzes Gedicht. In den herlichen Worten, in denen er die Epiker des Rittertums (den größten ausgenommen) und seine Lyriker feiert, preist er auf Goethesche Art die Dichtung, dass sie in jedem die Jugend erneuert und den Mut des Daseins, die Freude am Leben erweckt: das war sein Ideal von der Dichtung, im Gegensatz gegen Wolframs wilde und dunkle Märe. Man möchte glauben, dass er seinen Stoff ergriff, weil er das Gefäß seines hellen Lebenssinns, vielleicht selbst persönlicher Zustände und Erlebnisse sein konnte. In zwei Stellen des Tristan finde ich die Hindeutung, dass der Dichter selber Lust und Leid der Liebe erfahren, im Anfang und in dem berühmten Gesang, welcher das Liebesleben in tiefster Natureinsamkeit schildert; eine andere entgegenstehende Aeußerung erscheint in diesem Zusammenhang als ein neckisches Spiel Gottfrieds. Ein sicheres Gefühl reichen Lebensgenusses, entschiedene Neigung für kluge, ja listige Handhabung des Lebens, Verachtung des Charakters der Frauen und entzückte Hingabe an ihren Liebreiz geben seinem Werke das Gepräge der romanischen Novelle; 'so lang ihm scheint des Lebens Tag, soll er mit den Lebend'gen leben;' jedoch ist dies in Gottfried mit ungemeiner psychologischer Tiefe, mit Darstellung von Herzenszuständen aus reichster Erfahrung verbunden, gerade die Grundempfindung des Werkes, die schon in der Einleitung sich ankündigt und überall bedeutungsvoll wiederkehrt, auch das Leid der Liebe sei Seligkeit, ist echt germanisch. Diese Verbindung gibt dem Gedicht etwas rätselhaftes und ganz individuelles. Von dieser gemischten Grundempfindung des Lebens aus ist dann das Ganze in einer durchsichtigen Einfachheit der Handlung gestaltet, die nach allen Analogien bei seiner Quelle nicht vorausgesetzt werden darf. Wie Rousseaus Werk ruht es ganz auf dem Interesse an dem Liebespaar und seinen Schicksalen. Spielender Reiz, Freude an listigem Schwank, lässlichste Lebensphilosophie, leichtverhehlter Hass gegen die [93] kirchliche Macht und ihre Einmischung in die Rechtsordnung, leichtverhehlter Spott über die Ideale des Rittertums, welcher schon Cervantes und Ariost vorbereitet, beides um so wirksamer, mit je überlegenerem Weltsinn es spielend sich geltend macht, besondrer Geschmack an der Rechtsseite aller Verhältnisse und an Wendungen einer Art von juristischer Dialektik: all diese Züge, welche von innen auf eine Lebensstellung Gottfrieds deuten, wie man sie auch aus äußeren Anzeichen erschließen zu dürfen glaubte, treten mit subjectiver Souveränität des Gefühls und der Persönlichkeit aus dem Epos hervor. – Wolframs unvergleichlich höherstehendes dichterisches Vermögen erscheint in seinen Dichtungen weit mannichfaltiger. Die stolze männliche machtvolle Persönlichkeit des geringbegüterten Ritters auf seiner stillen fränkischen Burg, der sich vor Fürsten nicht beugt, und der selbst von der Geliebten nicht um seiner Liebe willen geliebt sein möchte, sondern um seiner mutigen kampffrohen Ritterlichkeit willen, gleich seinen Helden, erkennen wir deutlicher als die Gottfrieds. Schon die Einleitung des Parcival kündigt an, dass ein Ideal vor den Leser gestellt werden soll, es ist das Ideal schönsten ritterlichen Lebens, wie es dem vom Glück Uebersehenen in der einsamen Seele lebte. Und dies Ideal wird in einer Entwickelung dargestellt, welche in gewissem Grade als Spiegel der inneren Kämpfe dessen betrachtet werden muss, der es erdichtete. Dieses Epos birgt in sich einen Entwickelungsroman, so gut als der Wilhelm Meister, und mit derselben Kunst wie dort sind zu Contrastverstärkung und Ergänzung Charaktere neben die Hauptfigur gestellt. Eine solche Einheit des Lebens, wie sie Wolfram von der Jugenddumpfheit durch Zweifel und ziellose Abenteuer zu der männlich besonnenen Hingabe an den höchsten Lebensberuf des für Gott streitenden Ritters darstellt, ist einzig in der ganzen mittelalterlichen Litteratur so weit wir sie kennen, und sie ist ohne tiefe persönliche Erfahrung, gedankenschweres Erleben gar nicht zu denken. So arbeiten unsere beiden großen ritterlichen Epiker in den ihnen vorliegenden romanischen Stoff persönliches Er[94]lebnis und eine selbständig erarbeitete zusammenhängende Ansicht des Lebens.
Wir wenden uns zu Goethe.
Schiller in seinem Aufsatz über naive und sentimentale Dichtung gibt Goethe eine eigentümliche Stellung. Auf zwei Arten kann sich nach ihm der poetische Genius äußern. Der Mensch ist entweder noch sinnliche ungeteilte harmonische Natur, in welcher die Gefühle noch ganz aus dem Gesetz der Notwendigkeit, die Vorstellungen noch ganz aus der Wirklichkeit entspringen, oder diese sinnliche Einheit ist in ihm aufgehoben und er kann nur als moralische Einheit, d.h. als frei nach Einheit strebend, sich äußern. In jenem ersten Zustande natürlicher Einfalt, in welchem der Mensch noch mit all seinen Kräften zugleich d.h. als harmonische Einheit wirkt, mithin das Ganze seiner Natur sich in der Wirklichkeit vollständig ausdrückt, ist das Tun des Dichtens vollständige Nachahmung des Wirklichen; dagegen in dem Zustand der Cultur, in welchem das harmonische Zusammenwirken seiner ganzen Natur eine bloße Idee ist, ist des Dichters Tun die Erhebung der Wirklichkeit zum Ideal oder die Darstellung des Ideals. Das eine ist das Verfahren des naiven, das andere des sentimentalen Dichters. Dieser Unterschied ist nach Schiller nicht ein Unterschied der Zeit, sondern ein solcher der Manier und es gibt naive Dichter bis in die neuesten Zeiten, sentimentale unter den Alten. 'Jene rühren uns durch Natur, durch sinnliche Wahrheit, diese durch Ideen.' Die Einteilung Schillers geht aus von einem Gegensatz der Stimmung gegenüber der Wirklichkeit, und diese Stimmung ist das Ergebnis der persönlichen Cultur des Dichters, welche in den meisten Fällen durch die Lage der Cultur überhaupt bedingt ist, in anderen sich ihrem Einfluss entzieht und unabhängig von ihr gestaltet. In Goethe sieht nun Schiller den bis dahin einzigen Fall eines naiven Genies, welches einen sentimentalen Stoff, zu seinem Gegenstande hat. Denn Werther, Tasso, Wilhelm Meister, Faust sind Charaktere, welche der modernen Welt der Entzweiung von Sinnen und Vernunft, von Notwendigkeit und Freiheit [95] angehören, so zu sagen also ein sentimentalischer Gegenstand; der Gegensatz dieser Charaktere gegen die tatsächliche Welt ist der Vorwurf dieser Dichtungen; und 'es verlohnte wohl der Mühe eine psychologische Entwicklung dieses in vier so verschiedenen Arten specificirten Charakters zu versuchen', d.h. es ist Eine Grundform eines mit der Wirklichkeit im Kampf befindlichen Charakters, welche all diesen bis dahin (1795) von Goethe geschaffenen Dichtungen zu Grunde liegt.
War wirklich Goethe selber naiv, dagegen Werther, Faust, Tasso sentimental? War in ihm die Natur unentzweit, in völliger sinnlicher Harmonie und der innere Kampf, in welchem das Ideal im Gegensatz zur Wirklichkeit entspringt, nur in seinen Gestalten? Wer die Briefe Goethes aus den ersten Weimarer Jahren, an Jakobi, Lavater, Frau von Stein, Auguste Stolberg, ganz nachzuverstehen vermag, den Kampf um Läuterung, in welchem Iphigeniens reiner Blick den Sieg bedeutet, der wird Schiller so nicht verstehen können, wird die Anwendung des Begriffs des Naiven auf Goethe in einem engeren Sinne bei ihm annehmen müssen, in welchem es das Auge für die Wirklichkeit, die sinnliche Kraft, das realistische Genie bedeutet. Es ist dargelegt worden, wie Goethe selber aus den geschichtlichen Bedingungen seiner Epoche und der deutschen Gesellschaft es erklärte, dass er im eigenen Busen die großen Vorwürfe seiner Dichtung suchen musste, sie in einer handelnden Welt um sich nicht suchen durfte; dargelegt, wie sehr er in späteren Jahren dies als die geschichtliche Schranke begriff, unter welcher er gedichtet hatte. Er war nicht durch die Natur seines Genius ein subjectiver Dichter, wie Jean Jacques, sondern vermöge des Einflusses seiner geschichtlichen Lage. Und unablässig drang er, unter der Einwirkung des naturforschenden Geistes, dem entgegengesetzten Verfahren entgegen und bemächtigte sich in Hermann und Dorothea desselben. Dies sind die Grenzen, innerhalb deren er zu den Dichtern gerechnet werden muss, welche von dem eigenen Inneren, den eigenen Erlebnissen ausgehen, nicht von der Versenkung in Menschen und Schicksale außer ihnen.
[96] Sollte sich die Auffassung Goethes in dem hier vorgelegten Zusammenhang bewahrheiten, so wäre durch sie die Fragestellung begründet, welche dem ganzen Buch von Herman Grimm zu Grunde liegt. Und so dürften wir hoffen, indem wir die bildende Kraft der dichterischen Phantasie in philosophischer Untersuchung bis in die verschiedenen Stellungen verfolgten, welche sie zur Wirklichkeit einnimmt, bis in die Stellung, welche einzelne Dichter, Goethe unter ihnen, eingenommen haben, den Grundgedanken des vorliegenden Werkes in einen allgemeinen Zusammenhang gesetzt und in demselben gerechtfertigt zu haben. Von den gewonnenen Gesichtspunkten aus würde eine Untersuchung dessen was bisher in dieser Richtung zur Aufhellung der Entstehung Goethescher Werke geleistet ist von Interesse sein, eine Untersuchung, welche von Goethes eignen Aeußerungen über seine dichterische Organisation und ihre Wirkungsweise ausginge, die außerordentlich reichen Mitteilungen in Wahrheit und Dichtung und an anderen Stellen Goethes mit einem in diesen Erscheinungen bewanderten Blicke verknüpfte, und zeigte wie unter den gegebenen geschichtlichen Bedingungen dieser wunderbare Genius sich entfaltet hat. Grimm konnte nach seiner umfassenden Absicht nur in Grundzügen, zum Teil selbst nur in Andeutungen hinstellen; seinen Grundgedanken würde nach unserer Ueberzeugung jede Nachuntersuchung nur bestätigen können.
Die am meisten ausgeführte Stelle, in welcher Grimm den Gegenstand darlegt, in der vorletzten seiner Vorlesungen, wirft eine interessante Frage auf und gibt eine so paradoxe Lösung derselben, dass wir über diesen Punkt uns einige Bemerkungen erlauben, zumal die Auffassung Goethes in der obigen Stelle von Schiller bereits eine andere Auflösung der Aufgabe in sich enthält. Grimm sagt (und ich gestatte mir dabei einige Verkürzungen): 'Wir waren bei der Betrachtung des dichterischen Schaffens Goethes stets zu dem Fundamentalsatze zurückgekehrt: es sei als eine ewige Confession aufzufassen. Eine Uebertragung seines Lebens in dichterische Form. Daraus entnahmen wir die Berechtigung, besonders [97] die Frauengestalten seiner Dichtungen auf lebende Urbilder zurückzuleiten.' Er kommt dann auf die Männer und fährt fort: 'Während Goethes Frauen durch diese Besonderheit nun die feinen Unterschiede, wie das Leben selber sie sonst allein hervorbringt, als ein Vorteil verliehen worden sind, ist Goethes männlichen Figuren der Umstand nachteilig geworden, dass sie sämmtlich auf Goethes eigne Person zurückzuführen sind. Es scheint immer derselbe etwas verschwommene Charakter in anderer Verkleidung wiederzukehren. Indem Goethe bald diese bald jene Seite seiner Natur bei der Anlage zum Ausgange nahm, wohnt seinen männlichen Gestalten etwas Fragmentarisches inne. Sie runden sich nie ganz ab. Erst aus Goethe selber wird ihre Existenz erklärbar. Fassen wir sie jedoch als Incarnationen Goethes, der in stets wechselnden Verhältnissen immer nur in eigener Person wieder auftritt, so fehlt ihnen namentlich eine gewisse rohe Kraft, ohne die ein voller Mann gar nicht zu denken ist. Goethe selber war anders. Warum haben seine poetischen Abbilder sammt und sonders diesen Zusatz von mondscheinhafter Blässe, während der Dichter selber so gesund und wetterbraun umherging?' Die Frage ist sehr schön gestellt; Grimm anwortet: 'Wir haben bei jenen Figuren Faust als unsichtbaren Doppelgänger zu denken. Faust der Goethe niemals losließ so lange er atmete war der ältere Bruder dieser ganzen Gesellschaft, der immer die besten Bissen vorab bekam und der für sie alle einstehen muss.'
Die Charaktere des wahren Kunstwerks entwickeln sich in der Phantasie unter der Einwirkung des Motivs, welches dem Dichter vorschwebt, und der Fabel in welcher er das Motiv darstellt. Goethe, gemäß seiner dargelegten Richtung, schöpft die Motive seiner Werke aus dem eignen Inneren, seinen Schmerzen und Kämpfen. Die Genesis eines Werkes darf nicht in der Entstehung seiner Charaktere gesucht werden; die Wechselwirkung zwischen den Teil-Inhalten des werdenden Werkes, dem Motiv, den Charakteren und der Fabel muss von dem Litterarhistoriker verfolgt werden. Der Kampf, welcher die bewegende Springfeder jedes dichterischen Werkes [98] so gut ist als des Lebens selber, entspringt bei Goethe im eigenen Inneren des Menschen und was für ihn seit der Epoche innerer Läuterung, welche die ersten Weimarer Jahre zu einem sittlichen Schauspiel machen, das sich zu Spinozas Ethik wie lebendiger Vorgang zur Regel verhält, am meisten bezeichnend ist: auch die Lösung dieses Kampfes vollzieht sich beinahe in allen Fällen in dem Inneren des Menschen selber. Der tiefe Blick der Liebe in den Zusammenhang der Natur, in welchen der Mensch mit seinem Schicksal gestellt ist, macht jedem auf seiner Stufe eine Versöhnung mit dem Leben möglich oder wo er selber sie blind nicht zu ergreifen vermag, da ist sie doch in dem Gemüt des forschenden Dichters. Das ist auch das Tyrtäische in seiner Poesie, dessen Goethe sich den "Lazaret-Poeten" gegenüber, wie er sie nannte, gern gerühmt hat. An diesem Punkt mag man auch die Grenzen von Goethes Dichtung verstehen, ohne welche die wunderbare Macht derselben nicht wäre. Die Einen preisen und beneiden Goethe als einen Günstling des Glückes, die Andern berufen sich auf sein bekanntes Wort, wie wenige Tage seines Lebens er rein glücklich gewesen sei. Die Einen tadeln, dass er kein Herz für den wirklichen Schmerz in seinen Dichtungen zeige, den Anderen erscheint er als ein Mitfühlender jedes Leids. Goethe dichtete die Kämpfe, welche er erlebt, in einer Tiefe erlebt hatte, von der selne Briefe so gut als seine Dichtungen reden; aber wenn er einmal sagt, er solle Iphigenie reden lassen als ob kein Strumpfwirker zu Apolda hungere, so liegt darin die Empfindung, dass er seine Poesie abschloss von den am meisten naturwüchsigen Schmerzen, welche aus dem elementaren Kampf um Existenz, um Macht, dem Ringen der Willen in der Gesellschaft untereinander hervorgehen: die Kämpfe die im Inneren der Menschen entspringen, in diesem Inneren ausgekämpft werden und in ihm endigen, hat er gelebt und gedichtet. Er konnte nicht anders, er verteidigte sich einmal damit: er habe nie etwas gedichtet, das er nicht gelebt habe. Die andere Grenze: er webt seine Figuren als ein Dichter der inneren Welt nicht aus einem System [99] von Beweggründen und Handlungen, an Menschen außer sich beobachtet, sondern aus Gefühlen, Ideen, Neigungen, Lebensentscheidungen, in sich selber erfahren. Daher erklärt sich was Grimm in zutreffender Kritik heraushebt: 'nur die seltsamsten Lebenswege hätten diese Charaktere zu dieser unendlichen Zartheit der Empfindung leiten können. Welche aber waren es? Erst aus Goethe selbst wird ihre Existenz erklärbar. Alle diese Figuren scheinen nur in den Momenten gleichsam lebendig zu sein, in denen Goethe sie handelnd vor uns erscheinen lässt.' Und eben hieraus erklärt sich was Grimm an Goethe sogar Shakespeare gegenüber preist: 'Shakespeares Gestalten haben etwas uhrenartiges. Man sieht oft nur allzugenau die sich bewegenden Räder statt menschlichen Blutumlaufs. Goethes Gestalten sind aus einer anderen Welt als die Shakespeares, Goethe lässt uns in ihre Seele blicken, als wären es nicht Uhren, sondern Pflanzen von Glas, deren Gefäße wir durchsichtig vor Augen haben und in denen wir die Säfte steigen und niedergehen sehen.' Der Unterschied ist in dem des Verfahrens der Phantasie bei Aufbau der Charaktere gegründet. Der eine construirt aus herschenden Affecten und Motiven eine Person und deren Handlungen. Der andere setzt ganz lebendige Einzelteile nebeneinander. Die Phantasie ist eben nicht allmächtig wie unphilosophische Schwärmer annehmen. Die Gefahr des einen Verfahrens ist das Künstliche, dem Präparat oder der Maschine Analoge, die des anderen das Incohärente. Die Gestalten des Einen entbehren der zarten Rundung des Lebens selber; sie scheinen oft nur aus Muskeln, Knochen und Bändern aufgebaut. Die des Anderen sind im Augenblick ihres Erscheinens von zarter Lebenswahrheit, aber wie dies schon Julian Schmidt gezeigt hat, zwischen ihren inneren Zuständen und den Handlungen, welche doch zur Fortbewegung der Dichtung notwendig sind, herscht nicht stets ein plausibler Zusammenhang, wenn auch nicht die unerträgliche Discrepanz zwischen den Gefühlen und Handlungen Rousseauischer Figuren hier vorliegt.
[100] In dieser Verbindung erscheint nun auch die von Grimm gestellte Frage vielleicht einfacher auflösbar, als er annahm. Seine Hauptfiguren, welche so zusammengesetzt sind, vorwiegend doch aus lyrischen Momenten in einem weitesten Sinn, Situationen nämlich und dem Spiel der Gefühle und Neigungen, das in ihnen entspringt, entbehren des zusammenhängenden Willens und Verstandes, der in Goethe selber war; und er bedarf im erwogenen Ganzen seines Kunstwerks sie auch nicht anders: vermöge seines jedesmaligen Motivs zerlegt er, was in ihm eins ist.
Auch bildet Faust keine Ausnahme in Bezug auf Charakteristik, er ist nur der Gipfelpunkt dieser Kunst. In Goethes flüchtigsten Zetteln, in seinen lyrischen Gedichten erscheint sein wunderbares Vermögen, Zustände mit ihrem tatsächlichen Hintergrund als Bilder aufzustellen, auf das zarteste auszudrücken und in Tropen zu veranschaulichen. Dann stellt er was ihn bewegt, in dem großen Tropus einer Handlung dar, welche in schöner Verkleidung das innerste Erleben auszusprechen gestattet. Lauter und rein, wie die Natur selber, stellt er dies alles hin; nie ist jemand wahrer gewesen. So wird Goethe, in seinen Selbst-Darstellungen aufgefasst, das verkörperte Ideal seines Zeitalters und Faust ist der umfassende Tropus, in welchem er sein ganzes Leben erblicken ließ. Jedoch empfängt dieses allgemeine Verhältnis erst seinen Inhalt durch das was Goethes ganzes inneres Leben ausmacht: betrachtende Stimmung, welche jedes Begebnis und jede Tatsache in ihrem Zusammenhang mit dem Ganzen der Natur oder Welt gewahren und fühlen will. Hier liegt das Versöhnende und die Welt Verklärende seiner Poesie neben dem Dichterischen seiner Naturauffassung.
Ein unerschütterlicher innerlich beglückender Glaube an den dichterisch-idealen Zusammenhang der Welt tritt mit patriarchalischem Behagen und Humor in seinen aufgezeichneten Gesprächen hervor, an die Tischreden Luthers zuweilen gemahnend, mit dem er wahrhaft näher verbunden ist als mit der kränkelnden ästhetischen Religion von David Strauß, die ihn zu einem ihrer Heiligen machen wollte. [101] Riemer bezeichnet einmal in dieser Richtung als 'Goethes ganze Dichtart': 'das Gedachte und Gedichtete in und als Wirklichkeit zu sehen und zu finden, wenn man die Welt mit Liebe betrachtet.' Je älter er wird, desto stärker wird sein Bedürfnis, dem Ganzen, von dem er ausgeht, immer mehr Tatsachen zu unterwerfen; dies ungeheure betrachtende Vermögen schien auf die Welt gekommen zu sein, jeden Tatbestand auf derselben seiner Betrachtung zu unterziehen und sein Tod ist nur ein von der Natur befohlenes Aufhören einer Operation, die so noch immer weiter zu gehen angelegt war. Grimm vergleicht ihn mit Voltaire in der Art wie er Alles was von Tatsachen, Menschen und Gedanken von ihm zu seiner Zeit vorgefunden wurde, commandirte. Freilich wie verschieden war er von dem Wesen mit hundert Augen, das als Voltaire heute sich Newtons bemächtigte, die Natur zu verstehen, morgen Bolingbroke ergriff, die Geschichte zu revolutioniren, das nach allen Seiten zu blicken scheint, jede Bewegung in seinem Umkreis zu gewaren und zu nützen, ein Proteus, der immer ein Andrer ist, nie er selber; denn was er ist, weiß er jederzeit klug zu verstecken durch etwas was mehr ist als er selbst, was tiefer zu blicken vermochte, was vornehmer und edler dachte; der Voltaire, der mit sich selbst redet, ist ein Andrer als der zu seinem europäischen Publicum spricht. Dagegen blickt uns aus allem was Goethe je erfunden und gedacht hat, immer dasselbe reine und unergründlich tiefe Dichterauge entgegen. Er ist in seinen geheimsten Gedanken derselbe, der in der Iphigenie redet. Und wie viel er auch lernte, er ordnete es dem Ganzen der Ansicht unter, von dem er ausging. In dieser Ansicht sind in ihm der Dichter und der betrachtende Geist eins. Denn die Wissenschaft ist analytisch, sie zerlegt die Welt als Erfahrung in ihre Elemente, aber in dem betrachtenden und dichtenden Geiste ist der Zusammenhang der Welt als ein individueller verstanden und daher, bildlich zu sprechen, ist diesem der individuelle Genius der Welt gegenwärtig. Wenn der Verstand die Welt analysirt, um das gesetzliche Verhalten ihrer Elemente zu finden, so [102] strebt die Contemplation, die Ordnung ihrer Formen und die Physiognomie alles Tatsächlichen gewahr zu werden. Sie hat einen Inhalt, welcher dem Verstand als solchem unerreichbar ist: denn die Analyse endigt bei dem gesetzlichen Verhalten zwischen Elementengruppen, sie zerlegt, sie zerstört. Daher Goethes weltgeschichtliches Schicksal war, die mechanische Naturwissenschaft zu hassen und zu bekämpfen, ohne dass er doch nach der Lage der Zeiten und seiner Kenntnisse die Irrung aufzuheben vermocht hätte, welche hier einen unlösbaren Conflict sah. Wie er der Naturforschung in ihre einzelnen Probleme folgte, nicht als Naturforscher selbst, sondern als ein contemplativer, im Ganzen der Natur jedem Tatbestand seine Stelle zuweisender Geist: dies ganz darstellen, heißt ihn heute im höchsten Sinne dem Zeitalter nahe bringen. Denn die philosophische Interpretation Goethes durch Schelling und später durch Schopenhauer ist höchst unvollkommen gewesen. Andrerseits eröffnet sich von hier aus der Zusammenhang dieser Richtung der Poesie mit parallelen Richtungen des wissenschaftlichen Geistes.
So treten einander zwei Gruppen von Dichtern entgegen, ineinander übergehend und vielfach miteinander verbunden, wie alle Gruppen auf dem Gebiet geschichtlicher Gestaltungen; nur den, der auf alles Verständnis dieser, wie es aus der Uebersicht ihrer Gliederung entspringt, kleinmütig und mit der armseligen äußerlichen Tatsächlichkeit begnügt verzichtet, kann dies doch abschrecken. Die Einen leben vor allem in den eigenen Zuständen und Ideen, diese stellen sie dar in ihren Werken, und sie ergreifen äußere Erfahrung, Tatsachen der Geschichte, Sagen und Nachrichten aller Art als Vehikel der Darstellung des eigenen Inneren. Goethe hat an sich selber dieses Verfahren oft und gern betrachtet und geschildert, er hat sich auch zu einem Zeitgenossen wie Byron darum so hingezogen gefühlt, als einen ihm Ebenbürtigen ihn darum mit Begeisterung gepriesen, weil in ihm mitten in der so anders gearteten englischen Gesellschaft einsam, mit pathologischer Gewalt ein Genius in derselben Richtung voranschritt. Wie ganz anders haben sich in der anderen Gruppe großer Dichter [103] ihre Werke gebildet! Die geheimnisvolle Fähigkeit, die mannichfaltigen Bilder von Individuis und ihren Schicksalen um sich her in sich lebendig zu machen, sie mit sich reden zu machen, Handlungen zu erblicken, deren sie fähig wären, mächtige Worte zu hören, die sie auszusprechen vermöchten: diese, ihre Aeußerungen bilden das Geschäft ihres Lebens. Ihre Phantasie ist der Schauplatz, auf welchem Gestalten, welche das Leben ihnen in unvollkommner Entwicklung zeigt, geboren werden, mächtigste Entfaltung erlangen, um dann wieder anderen Platz zu machen. Die Fähigkeiten, welche diesen beiden Richtungen zu Grunde liegen, sind in jedem großen Dichter verbunden, aber keine menschliche Kraft würde zureichen, sie beide zum äußersten zu entwickeln. Es geschieht dass das letztere Vermögen in großen Dichtern dem mächtigen Drang untergeordnet ist, mit seinen eigenen Zuständen sich zu beschäftigen, sie sich darzustellen, den Zusammenhang des eigenen Wesens auszubilden. Wenn aber ein Mensch kürzerer Hand mit seinen eigenen Entschlüssen, seinem Charakter und der Ausbildung seiner Person verfährt, wenn er jene Sehkraft für die Zustände der verschiedensten Charaktere unablässig, unbeirrt durch die Bedürfnisse persönlicher Entwicklung ausbildet: alsdann entspringt was einem Shakespeare und Calderon zu leisten vergönnt war. Und wenn die Art des Schaffens und der Lebensführung dieser Großen für uns von Dunkel umgeben ist, dann besitzen wir in genauen Mittheilungen über einen Dichter wie Dickens, der ihnen zwar nicht gleich war, aber doch ein echter und großer Dichter, nur dass die Notwendigkeit Poesie als ein aufreibendes Handwerk zu treiben ihn herabdrückte, ein Material, das für das Studium dieser Gruppe von hohem Werte ist: wie er sein Leben durchstürmte, wie wenig er nachdachte, gerade über das, was ihn selber betraf, die Fehlgriffe seines Lebens, die hieraus entsprangen, das unersättliche Bedürfnis seiner Phantasie nach immer neuen Eindrücken, neuen Schauplätzen der Beobachtung. Daher richtet sich auch den Dichtern jener ersten Classe gegenüber ein weit mächtigeres Interesse auf ihre Persönlichkeit, ihre Bildung [104] und ihr Leben als dies gegenüber denen der anderen der Fall ist.
Zumal wenn wir Goethe lesen, tritt das Interesse an jedem einzelnen Werk zurück hinter dem an der Persönlichkeit, welche in allen Werken gegenwärtig ist. Und kein Scheltwort, welches von Briefen und biographischen Bemühungen weg auf die Dichtungen hinweist, wird dies Verhältnis umzukehren und Leben, Natur und Entwicklung Goethes zu Mitteln, seine Werke zu verstehen, herabzudrücken im Stande sein. Denn was der Mensch in der Arbeit seines Lebens schließlich gewollt hat, das ist es auch was, wann sein Tag vorüber gegangen ist, uns zu sich hinzieht und unseren Blick letztlich festhält.
[Fußnote, S. 48]
*) Auch Grimm vermeidet in Bezug auf Herder die Berücksichtigung seiner körperlichen Hypochondrie;
aber die Würde der Geschichtsschreibung wird nicht beeinträchtigt, indem man auch die uns leider
nur zu wenig bekannten körperlichen Bedingungen der Tatsachen berücksichtigt. Gerade bei Herder sind
wir durch den Anteil seines Sohnes als des ihn behandelnden Arztes an seiner Lebensbeschreibung über
den starken Einfluss seiner körperlichen Leiden auf seine persönlichen Gefühle genau unterrichtet.
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Erstdruck und Druckvorlage
Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft.
Bd. 10, 1878, Heft 1, S. 42-104.
Gezeichnet: Breslau, April 1877. Wilhelm Dilthey.
Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck
(Editionsrichtlinien);
keine Korrektur eigenwilliger und wechselnder Schreibungen.
Der Aufsatz erschien Ende 1877;
vgl. zur Entstehungs- und Druckgeschichte: Dilthey, Gesammelte Schriften. Bd. 25, S. 561.
Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft online
URL: http://digi-alt.ub.hu-berlin.de/viewer/toc/BV041216885/0/LOG_0000/
URL: http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/218935-5
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/000495946
Zeitschriften-Repertorium
Weitere Fassungen und Drucke (1906 – 1910)
Kommentierte Ausgaben
Werkverzeichnis
Verzeichnisse
Herrmann, Ulrich: Bibliographie Wilhelm Dilthey.
Quellen und Literatur.
Weinheim/Bergstr. u.a.: Beltz 1969.
Jacob, Herbert (Bearb.): Deutsches Schriftstellerlexikon 1830 – 1880.
Bd. C-D. Berlin: Akademie Verlag 1998.
S. 270-281: Art. Dilthey.
Lessing, Hans U.: Art. Dilthey.
In: Internationales Germanistenlexikon, 1800 – 1950.
Bd. 1. Berlin u.a.: de Gruyter 2003, S. 390-393.
Dilthey, Wilhelm:
Ueber die Einbildungskraft der Dichter.
In: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft.
Bd. 10, 1878, Heft 1, S. 42-104.
URL: http://digi-alt.ub.hu-berlin.de/viewer/toc/BV041216885/0/LOG_0000/
URL: http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/218935-5
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/000495946
Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften.
Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte.
Bd. 1. Leipzig: Duncker & Humblot 1883.
URL: https://archive.org/details/einleitungindie01diltgoog
PURL: https://hdl.handle.net/2027/hvd.ah6r9v
URL: http://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883
Dilthey, Wilhelm: Wilhelm Scherer zum persönlichen Gedächtniß.
In: Deutsche Rundschau.
Bd. 49, 1886, Oktober, S. 132-146.
URL: https://archive.org/details/deutscherundscha49stutuoft
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/008891335
URL: http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/205873-X
Dilthey, Wilhelm: Julian Schmidt's Literaturgeschichte.
In: Deutsche Rundschau.
Bd. 52, 1887, Juli, S. 151-155.
URL: https://archive.org/details/deutscherundscha49stutuoft
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/008891335
URL: http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/205873-X
Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters.
Bausteine für eine Poetik.
In: Philosophische Aufsätze.
Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet.
Leipzig: Fues 1887, S. 303-482.
URL: https://archive.org/details/philosophischeau00leip
URL: http://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_poetik_1887
PURL: https://hdl.handle.net/2027/nnc2.ark:/13960/t6155xb3g
Dilthey, Wilhelm: Die drei Epochen der modernen Aesthetik und ihre heutige Aufgabe.
In: Deutsche Rundschau.
Bd. 72, 1892, August, S. 200-236.
URL: https://archive.org/details/deutscherundscha49stutuoft
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/008891335
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Dilthey, Wilhelm:
Goethe und die dichterische Phantasie.
In: Ders., Das Erlebnis und die Dichtung.
Lessing · Goethe · Novalis · Hölderlin.
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Leipzig: Teubner 1906, S. 137-200 und S. 400-401..
URL: https://archive.org/details/daserlebnisundd01diltgoog
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/001779972
Dilthey, Wilhelm: Das Erlebnis und die Dichtung.
Lessing · Goethe · Novalis · Hölderlin.
Vier Aufsätze.
2. erw. Aufl. Leipzig: Teubner 1907.
URL: https://archive.org/details/daserlebnisundd00diltgoog
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URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/003914988
Dilthey, Wilhelm: Das Erlebnis und die Dichtung.
Lessing · Goethe · Novalis · Hölderlin.
Vier Aufsätze.
3. erw. Aufl. Leipzig: Teubner 1910.
Dilthey, Wilhelm: Gesammelte Schriften. Bd. 6:
Die geistige Welt. Einleitung in die Philosophie des Lebens.
Zweite Hälfte: Abhandlungen zur Poetik, Ethik und Pädagogik.
3. Aufl. Stuttgart u.a.: Teubner 1958.
Dilthey, Wilhelm: Gesammelte Schriften. Bd. 16:
Zur Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts.
Aufsätze und Rezensionen aus Zeitungen und Zeitschriften 1859 – 1874.
Hrsg. von Ulrich Herrmann.
2. Aufl. Götingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1985.
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Dilthey, Wilhelm: Gesammelte Schriften. Bd. 17:
Aus "Westermanns Monatsheften": Literaturbriefe.
Berichte zur Kunstgeschichte. Verstreute Rezensionen 1867 – 1884.
Hrsg. von Ulrich Herrmann.
Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1974.
Dilthey, Wilhelm: Gesammelte Schriften. Bd. 25:
"Dichter als Seher der Menschheit".
Die geplante Sammlung literaturhistorischer Aufsätze von 1895.
Hrsg. von Gabriele Malsch.
Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2006.
Dilthey, Wilhelm: Gesammelte Schriften. Bd. 26:
Das Erlebnis und die Dichtung.
Lessing · Goethe · Novalis · Hölderlin.
Hrsg. von Gabriele Malsch.
Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2005.
Text nach der 3. Aufl. 1910; mit Apparat und Kommentar.
URL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb00064547
Dilthey, Wilhelm: Briefwechsel.
Hrsg. von Gudrun Kühne-Bertram und Hans-Ulrich Lessing.
Bd. 1. 1852 – 1882.
Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2011.
Dilthey, Wilhelm: Briefwechsel.
Hrsg. von Gudrun Kühne-Bertram und Hans-Ulrich Lessing.
Bd. 2. 1882 – 1895.
Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2014.
Dilthey, Wilhelm: Briefwechsel.
Hrsg. von Gudrun Kühne-Bertram und Hans-Ulrich Lessing.
Bd. 3. 1896 – 1905.
Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2018.
Dilthey, Wilhelm: Briefwechsel.
Hrsg. von Gudrun Kühne-Bertram und Hans-Ulrich Lessing.
Bd. 4. 1905 – 1911.
Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2022.
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Allerkamp, Andrea / Schmidt, Sarah (Hrsg.): Handbuch Literatur & Philosophie.
Berlin u. Boston 2021.
Geist, Peter u.a. (Hrsg.): Autor und Subjekt im Gedicht.
Positionen, Perspektiven und Praktiken heute.
Berlin 2021.
Hajduk, Stefan: Das Erlebnis und die Stimmung.
Wilhelm Diltheys ästhetisches und historisches Denken.
Göttingen 2022.
Kessel, Thomas (Hrsg.): Philosophische Psychologie um 1900.
Stuttgart 2019.
Kindt, Tom / Müller, Hans-Harald: Dilthey gegen Scherer –
Geistesgeschichte contra Positivismus.
Zur Revision eines wissenschaftshistorischen Stereotyps.
In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte
74 (2000), S. 685-709.
Kindt, Tom / Müller, Hans-Harald: Eine Wende ohne Folgen.
Die Fassungen von Das Erlebnis und die Dichtung
und die Dilthey-Rezeption in der Literaturwissenschaft.
In: Dilthey und die hermeneutische Wende in der Philosophie.
Wirkungsgeschichtliche Aspekte seines Werkes.
Hrsg. von Gudrun Kühne-Bertram u.a.
Göttingen 2008, S. 333-347.
Lessing, Hans U. u.a. (Hrsg.): Recent Contributions to Dilthey's Philosophy of
the Human Sciences.
Stuttgart- Bad Cannstadt 2011.
Malsch, Gabriele: Das Erlebnis und die Lyrik.
Anmerkungen zur Edition der "literaturhistorischen Aufsätze"
und zur Lyrik-Konzeption Diltheys.
In: Dilthey und die hermeneutische Wende in der Philosophie. Wirkungsgeschichtliche Aspekte seines Werkes.
Hrsg. von Gudrun Kühne-Bertram u.a.
Göttingen 2008, S. 373-388.
Malsch, Gabriele: "dieser Fechtmeister der Einbildungskraft".
Aspekte der Poetik Wilhelm Diltheys.
In: Diltheys Werk und die Wissenschaften. Neue Aspekte.
Hrsg. von Gunter Scholtz.
Göttingen 2013, S. 175-192.
Mansour, Julia I.: Wilhelm Dilthey: Philosoph und, oder Philolog?
Interdependenz zwischen Literaturstudien und wissenschaftsphilosophischer Reflexion.
Würzburg 2011 (= Epistemata; Reihe Literaturwissenschaft, 712)
S. 105-122: Ueber die Einbildungskraft der Dichter.
Michler, Werner: Kulturen der Gattung.
Poetik im Kontext, 1750 – 1950.
Göttingen 2015.
Müller, Ralph: Erfahrung als Funktion der Lyrik.
In: Grundfragen der Lyrikologie.
Bd. 2: Begriffe, Methoden und Analysedimensionen.
Hrsg. von Claudia Hillebrandt u.a.
Berlin/Boston 2021, S. 217-231.
Nicholls, Angus: Scientific Literary Criticism in the Work
of Matthew Arnold and William Dilthey.
In: Comparative Critical Studies 8.1 (2011), S. 7-31.
Ōta, Kōji: Hölderlin-Renaissance und Paradigmenwechsel der Literaturwissenschaft
im frühen 20. Jahrhundert.
In: Wissen über Wissenschaft.
Felder - Formation - Mutation. Festschrift für Ryozo Maeda zum 65. Geburtstag.
Hrsg. Manshu Ide u.a.
Tübingen 2021, S. 139-156.
Peschken, Bernd: Versuch einer germanistischen Ideologiekritik.
Goethe, Lessing, Novalis, Tieck, Hölderlin, Heine
in Wilhelm Diltheys und Julian Schmidts Vorstellungen.
Stuttgart 1972 (= Texte Metzler, 23).
Streim, Gregor: Introspektion des Schöpferischen.
Literaturwissenschaft und Experimentalpsychologie am Ende des 19. Jahrhunderts.
Das Projekt der 'empirisch-induktiven' Poetik.
In: Scientia poetica 7 (2003), S. 148-170.
Tögel, Matthias J.: Wilhelm Diltheys Philosophie des historischen Bewusstseins.
Wirklichkeitswissenschaft und Metaphysikkritik.
Göttingen 2023.
Vollhardt, Friedrich: Biographisches Verfahren und kulturwissenschaftliche Erkenntnis.
Das Hölderlin-Porträt Wilhelm Diltheys.
In: Hölderlin in der Moderne. Kolloquium für Dieter Henrich zum 85. Geburtstag.
Hrsg. von Friedrich Vollhardt.
Berlin 2014, S. 42-60.
Literatur: Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft
Graevenitz, Gerhart von: "Verdichtung".
Das Kulturmodell der Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft.
In: Kea 12 (1999), S. 19-57.
URL: http://d-nb.info/1080129316/34
Hartung, Gerald: Georg Simmel und die Zeitschrift für Völkerpsychologie
und Sprachwissenschaft - Vorläufer einer interdisziplinären Anthropologie?
In: Jahrbuch Interdisziplinäre Anthropologie 6 (2018), S. 251-270.
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-24869-7_18
Trautmann-Waller, Céline: Die Zeitschrift für Völkerpsychologie
und Sprachwissenschaft (1859 - 1890).
Entre Volksgeist et Gesamtgeist.
In: Quand Berlin pensait les peuples.
Anthropologie, ethnologie et psychologie 1850 - 1890.
Hrsg. von Céline Trautmann-Waller.
Paris 2004 (= Collection "De l'Allemagne"), S. 105-119.
Trautmann-Waller, Céline: Zwischen Kunstgeschichte, Formalismus und Kulturanthropologie.
Was hatte die Berliner Völkerpsychologie über Kunst zu sagen?
In: Konzert und Konkurrenz.
Die Künste und ihre Wissenschaften im 19. Jahrhundert.
Hrsg. von Christian Scholl u.a.
Göttingen 2010, S. 107-120.
Edition
Lyriktheorie » R. Brandmeyer