Text
Editionsbericht
Lyrikartikel der "Gartenlaube"
Literatur: anonym
Literatur: Gartenlaube
Der Gesang erstirbt nicht in deutschen Landen und unser Volksthum müßte schon in seinem innersten Kern gebrochen sein, wenn ihm die Kraft des Liedes versagen sollte. Aber das lyrische Gewächs wuchert doch bei uns mitunter gar zu üppig empor, so daß eine Abnahme, die wir seit Kurzem zu bemerken glauben, keineswegs zu den unerfreulichen Erscheinungen gehört. Denn es war unendlich viel unberechtigtes und mittelmäßiges Zeug, das wir in den letzten Jahren rastlos den Markt überschwemmen, hier unbeachtet am Boden liegen und endlich sammt Goldschnitt und strahlendem Einbanddeckel in den Niederlagen der Maculaturhändler verschwinden sahen. Ob solche gewiß hundertfältig gemachte Erfahrungen zur Verminderung des Andranges beigetragen haben? Es wäre zu wünschen. Von einer kleinen Anzahl neu erschienener Poesien sollen hier von Zeit zu einige genannt sein.
Zunächst der zweite Band von Hermann Lingg's Gedichten
(Stuttgart, Cotta), gedankenschwere Lyrik, die nicht zu
flüchtigem Genusse sich bietet, sondern mit innerstem Seelenernst
verstanden und erkannt sein will. Was dem Dichter der "Völkerwanderung"
inmitten unserer neueren
Literatur seine bezeichnende Stellung giebt, findet sich auch in
seinen kleineren Poesien wieder. Auch hier fesselt uns die
gedrungene Kraft seiner fest und männlich aus der Tiefe
eigenartigster Anschauung heraus gestaltenden Plastik, die
bei ihm meistens gepaart ist mit Gluth der Empfindung und
hoher Schönheit der Form und des sprachgewaltigen Ausdrucks. Doch
sind es nicht allein Bilder historischen, mythischen und
ethnographischen Inhalts, welche der vorliegende Band an uns vorüberziehen
läßt. Auch aus dem unmittelbaren Gemüthsleben des Dichters und aus dem
Born seiner persönlichen Erfahrung quillt eine reiche Fülle von
Liedern hervor und zieht uns unwiderstehlich in ihren duftigen Kreis. So das
reizende "Idyll in Liedern" und der Cyclus "Aus Leben und Zeit".
Gebildete Freunde der Poesie werden in diesem zweiten Bande von
Lingg's Gedichten Erhebendes und Erquickendes in seltenem Maße finden.
Der Dichter der bekannten "Vorhofklänge" (Barmen, W. Langewiesche's
Buchhandlung) ist endlich in einer so eben erschienenen dritten
und auf's Doppelte vermehrten Auflage des Buches mit seinem
wahren Namen hervorgetreten; er nennt sich W. Langewiesche senior.
Wird das Lehrgedicht in einer Weise behandelt, wie er es gethan,
so kann demselben das volle Bürgerrecht im Reiche der Poesie nicht
abgesprochen werden. Denn der Verfasser fördert keine fertige und
altkluge Weisheit zu Tage, er spricht nicht von einem abgeschlossenen
Standpunkte aus, sondern stellt nur das arbeitsvolle Suchen der
eigenen Seele, ihr schmerzliches Ringen nach Wahrheit inmitten
der religiösen Kämpfe unserer Tage dar. Große Gedanken,
tiefe Impulse, welche das Herz der gährenden Zeit bewegen, sind in
diesen Gedichten zu einem Ausdruck gebracht, der meistens als ein
wirklich poetischer bezeichnet werden muß.
Darum ist ihre Wirkung auf die Zeitgenossen eine bedeutende gewesen und wird es auch in der Folge sein. Es spiegelt sich in ihnen kein wilder Sturm und Drang, wohl aber die ruhig aufstrebende Kraft eines gegen Knechtschaft und starre Satzung sich auflehnenden, liebreich dem Freien und Lichten zugewendeten Gemüths. Bürgerlichen Kreisen, welche diese gemüthreichen und mild erweckenden "Vorhofklänge" noch nicht kennen, dürften sie angelegentlich zu empfehlen sein. Sie stehen noch nicht jenseits der alten Anschauungswelt, prägen aber gerade deshalb um so entschiedener die unseren heutigen Bewegungen zu Grunde liegende Stimmung aus.
Erstdruck und Druckvorlage
Deutsche Blaetter.
Beigabe zur Gartenlaube.
1868, Nr. 43, [Oktober], S. 171.
Ungezeichnet.
Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck
(Editionsrichtlinien).
Die Gartenlaube online
URL: https://de.wikisource.org/wiki/Die_Gartenlaube
URL: https://digipress.digitale-sammlungen.de/calendar/newspaper/bsbmult00000624
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/008696504
URL: http://data.onb.ac.at/rec/AC09717725 [Beilage "Deutsche Blätter"]
URL: https://de.wikisource.org/wiki/Deutsche_Blätter [Beilage "Deutsche Blätter"]
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/011570697 [Beilage "Deutsche Blätter"]
Die Gartenlaube inhaltsanalytische Bibliographie
Alfred Estermann: Inhaltsanalytische Bibliographien deutscher Kulturzeitschriften des 19. Jahrhunderts - IBDK.
Band 3; 2 Teile: Die Gartenlaube (1853-1880 [-1944]).
München u.a. 1995.
Zeitschriften-Repertorien
Lyrikartikel der "Gartenlaube"
Literatur: anonym
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Literatur: Gartenlaube
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Hrsg. von Lutz Danneberg u.a.
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Stockinger, Claudia: "(F)ür geschlossene Bilder und Schilderungen hat man in
dem sehr wilden Feldleben selten Muße".
Die Gartenlaube im Krieg
In: Fontane Blätter 112 (2021), S. 37-63.
Edition
Lyriktheorie » R. Brandmeyer