Erster Abschnitt. Wesen der Lyrik
Eintheilung der Lyrik
Zweiter Abschnitt. Die Lyrik der Empfindung: Das Lied.
1. Das Volkslied und Kunstlied.
2. Die Ballade
3. Das erhabene und komische Lied.
Dritter Abschnitt. Die Lyrik der Begeisterung: Die Ode.
1. Die Hymne.
2. Die eigentliche Ode.
3. Die Dithyrambe.
Vierter Abschnitt. Die Lyrik der Reflexion: Die Elegie.
1. Die klassische Elegie
2. Romanische und orientalische Formen
3. Die moderne Reflexionspoesie.
Editionsbericht
Werkverzeichnis
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Texte zur Theorie und Rezeption des Symbolismus
Erster Abschnitt.
Wesen der Lyrik.
Die dichtende Phantasie stellt sich zunächst auf den Boden der Empfindung und ihrer
unmittelbaren Gegenwart; sie macht die empfindende Seele zum Mittelpunkt
des Universums und giebt dem Augenblick einen unendlichen Werth. Die Lyrik
erschließt die Poesie des Gemüthes und seiner wechselnden Stimmungen, die
reiche, vielbewegte Innerlichkeit, welche gleichsam die ganze äußere Welt in ihrem
Feuer aufzehrt. Sie spricht diese Stimmungen mit der Wärme und Frische momentaner, aber doch
künstlerisch geläuterter Erregtheit aus und leiht ihnen den ganzen melodischen und rhythmischen
Zauber der Sprache.
Da die Lyrik das Reich der Stimmungen beherrscht: so entspricht sie der Musik
und scheint in ihre Domäne überzugreifen. In der That kommt in ihr ebenfalls das unbestimmte
Weben des Gemüths zu seinem Recht und seinem Ausdruck, und in der Form gebietet sie über die
ganze Musik der Sprache. Doch schon aus dem Wesen der Dichtkunst geht hervor, daß auch die
Lyrik nicht, wie die Musik, in der Welt der Töne das alleinige Medium finden kann, in welchem
sich der Ausdruck der Seele offenbart, sondern daß sie den bestimmteren Aether der Vorstellung,
das geistige Bild, zum Ausdruck der Empfindung wählt. Freilich hat das Wort, außer seiner Bedeutung,
auch seine tönende Saite, und auch diese kommt in der Lyrik, der musikalischen Poesie,
zu ihrem Rechte.
[249] Wo sie sich indeß zur Herrschaft erheben, Bild und Bedeutung in den Hintergrund drängen will:
da erhalten wir entweder der Dichtkunst unwürdige musikalische Trällereien, wie sie sich
häufig in der Volkspoesie finden, oder die Musik der Sprache, die sich selbst Zweck geworden,
verführt zu gekünstelten Tongemälden, zu koketten und spielerischen Reimereien, von denen
die italienischen Strophenbildungen in den Händen der deutschen Romantiker schlagende Proben
geben.
Da das Wort stets der Träger der Vorstellung ist: so malt auch die Lyrik,
wie die Poesie überhaupt, für das innere Auge der Seele. Doch hierin darf sie sich nicht dem epischen Behagen überlassen,
nicht das beschreibende Element in den Vordergrund drängen, sondern bei der Schilderung nie vergessen,
daß die äußere Welt ihr nur als Spiegel der inneren gilt. Die beschreibende Poesie als solche ist ein
losgelöster Bestandtheil der epischen; ihre Selbstständigkeit hat nur eine zweifelhafte
Berechtigung; aber aus dem Bereich der Lyrik fällt sie gänzlich heraus. Auch würde sie dadurch nicht lyrisch
werden, daß sie Zustände des Seelenlebens selbst in den Kreis ihrer Darstellung zu ziehn versuchte;
denn das Verhalten des beschreibenden Dichters zu seinem Objekt ist ein äußerliches, wie es dem stimmungsvollen Charakter
der Lyrik nicht entspricht. Das Bild des Lyrikers hat keinen festen plastischen Halt; es schwebt gleichsam nur auf den Wogen
der Empfindung; und selbst in denjenigen Gattungen der Lyrik, in denen ein reicheres mehr
verweilendes Ausmalen gestattet ist, müssen die Farben des Kolorits der Stimmung der Seele
entsprechen, aus der das Bild geboren ist, in die es wieder zurückgenommen wird. Aehnlich verhält
es sich mit dem Gedanken. Es ist thöricht, die Lyrik auf das Element der Stimmung, das sich nicht geist- und
lebensvoll bewegt und ausbreitet, beschränken zu wollen – eine Ansicht, die von den großen
Lyrikern aller Nationen thatsächlich widerlegt, dennoch ihre Vertreter findet. Im Gegentheil, gerade
eine gedankenvolle Lyrik nimmt den höchsten Rang ein; ihr verdanken wir die hervorragendsten
Schöpfungen auf diesem Gebiete. Doch ihre nothwendige Voraussetzung ist eine dichterische Kraft,
welche diesem Stoffe gewachsen, Adel, Würde und Größe der Seele, welche sich nicht nur in jede
Gedankenwelt hineinzuempfinden vermag, sondern von Hause aus so in ihr lebt und webt, daß ihre
eigenste Stimmung gleichsam nur ein
[250] Erzittern dieser erhabenen Welt ist. So finden wir es z.B. bei Klopstock und Schiller. Ohne diese
Energie geistiger Begabung wird freilich der Gedanke oder die Reflexion nur äußerlich angeeignet erscheinen; die
Dichtung erhält einen lehrhaften Charakter oder wird künstlerisch ganz verfehlt, indem der ästhetische Proceß einen
Niederschlag lebloser Abstraktionen zurückläßt.
Von der Epik und Dramatik unterscheidet sich die Lyrik wesentlich durch die Bestimmung der
unmittelbaren Gegenwart, die ihren Schöpfungen unentbehrlich ist. Die Epik erzählt die
Vergangenheit als solche, die Dramatik führt uns eine gegenwärtige Handlung vor, die sich
aber vor unsern Augen nach der Zukunft hin entwickelt und gestaltet; nur die Lyrik sucht den
gegenwärtigen Augenblick festzubannen und seinen Gehalt zu erschöpfen. Sie mag wehmüthig der
Vergangenheit, sehnsüchtig der Zukunft gedenken; aber nicht Vergangenheit und Zukunft gelten hier,
sondern nur die gegenwärtige Wehmuth und Sehnsucht der Seele; ja man kann sagen, erst der
Lyriker schafft eine Gegenwart. Die Dialektik der Zeit läßt den Augenblick schon im Entstehen verschwinden;
das "Jetzt" wird ein unfaßbares, undenkbares Atom – der Dichter aber hebt aus dem abstrakten
Fluß der Zeit ein konkretes Moment heraus und drückt ihm den Stempel der Gegenwart, der eigenen und
einer ewigen, auf. Das "Jetzt" wird ein empfundenes, beseeltes! Der Lyriker sagt nicht nur zum
Augenblicke: "Verweile doch, du bist so schön!" sondern er verleiht ihm die Schönheit der eigenen Seele und hebt
ihn so aus den verschwebenden Stimmungen der Zeit heraus. Man hat in der Lyrik eine thatkräftige
Wendung nach der Zukunft hin getadelt; man hat sie als rhetorisch, tendenziös verworfen –
und doch trifft die lyrische Muse, wenn sie wie "Trompetenruf im Morgengrau'n" ertönt, den Ton einer
durchaus poetischen Seelenstimmung. Der muthige Thatendrang hat sein gutes Recht in der Lyrik;
Tyrtäos, Körner und Herwegh sind echte Dichter.
Die Lyrik ist aus dem Bedürfniß
des Gemüths hervorgegangen, sich selbst in künstlerischer Verklärung gegenwärtig zu werden.
Die Musik, die geschichtlich der Dichtkunst vorausging, konnte dies, ohne das lösende Wort, nur unvollkommen
erreichen, da sie wohl den dunkeln Grund des Gemüthes erregt und in einen Wechsel von
Stimmungen hineinzieht, aber in ihrem unbestimmten Element die Seele nicht von der
[251] Dumpfheit befreien kann, die auf ihr lastet. Erst als sich zur Lyra, Cither und Flöte das
melodische Wort gesellte, wurde der Zauber der Stimmung gelöst; denn erst die
ausgesprochene Stimmung befreit die Seele. Ist dies schon bei der einfachen Aussprache der
Fall, um wievielmehr bei der künstlerischen, in welcher wir uns einer Stimmung nicht blos entäußern,
sondern sie in ein ideales Gebiet, in das der Schönheit, versetzen, wo sie sich in einer
höheren Harmonie auflöst. Das menschliche Gemüth hat seine dunkeln, unergründlichen Regionen;
es steht in unleugbarem Zusammenhang mit den Zuständen des Körpers. Oft ist seine Stimmung
nur ein krankhaftes Vibriren der Nervensaiten, und die Rembrandtschen Schatten, die über die
Erde fallen, kommen oft nur von Stockungen des Blutumlaufs. Es ist nicht ohne Bedeutung, daß die
Alten die Melancholie von der schwarzen Galle herleiteten und den Herd der dichterischen
Begeisterung, des Vaticiniums, in der Leber suchten. Die Stimmung des Gemüthes als solche wurzelt daher
in verhüllten Naturtiefen, sie ist an und für sich unfrei und ungeläutert, und auch da, wo sie von den
Höhen kommt, und nicht aus der Tiefe, wo sie sich an einer Berührung der geistigen Welt, der Natur, des
Herzens entzündet, noch allen Zufälligkeiten und wechselnden Einflüssen der Körperwelt unterworfen.
Erst wenn sie künstlerische Gestalt gewonnen, wenn gleichsam die Nabelschnur der Materie gelöst ist,
und sie freien Pulsschlag, freien Athemzug, eigenthümliches Leben im Reiche der Dichtung erlangt: dann
ist das Gemüth nicht nur von ihr befreit, steht ihr nicht nur als einer fremden gegenüber,
sondern es findet sich selbst in ungeahnter Verklärung wieder, sieht seine Empfindungen der
Erdschwere entnommen und in einen freieren Aether gebannt, und dem flüchtigen Spiel eine schöne
Dauer gegeben. Das ist die Bedeutung der Lyrik überhaupt nicht nur für den Dichter, sondern auch für den
Hörer, der diese Befreiung der Seele mitempfindet. Die innere Gemüthswelt wird mit ihren
Störungen und Trübungen in ein ideales Licht gerückt, in welchem selbst ihre Schatten zu einem harmonischen Ganzen
verschmelzen. So reich nun der Inhalt der Empfindung ist, so reich ist der Inhalt der
Lyrik. Je vielseitiger gebildet der Geist, je zarter besaitet das Gemüth: desto reicher wird die
Welt sein, die in der dichterischen Empfindung aufgeht. Von den Naturlauten der Volkspoesie bis zu
den gedankenvollen Rhythmen eines auf
[252] der Höhe seiner Zeit stehenden modernen Dichters erstreckt sich eine ausgedehnte Skala von Stoffen,
welche die Empfindung erfassen, die Lyrik sich aneignen kann. Die höchsten metaphysischen Gedanken,
Religion und Philosophie, sind keineswegs ausgeschlossen, wenn sie auch oft durch die Wucht
ihres Inhaltes die Poesie zu formlosen Gedankendichtungen zwingen, in denen die Grenzen der Lyrik,
Epik und Dramatik zerfließen. Die Einwände, die man einer dichterischen Philosophie, welche nur
die Fühlfäden der Empfindung in das Universum ausstreckt, entgegenstellt, können die philosophische
Dichtung nur dann treffen, wenn sie die Vermittelungen und Wendungen der Spekulation unverarbeitet
in sich aufnimmt, eine Prosa des Ausdruckes, die sich häufig bei Sallet findet, und von der
auch Schefer und Rückert nicht freizusprechen sind. Vom Philosophen erwarten wir in
Bezug auf die höchsten Probleme logische und systematische Entwickelungen, vom Dichter aber
Intuition, jenen unsagbaren Tiefblick, der gleichsam in's Herz der Dinge schaut, und
welcher Denken und Empfinden unmittelbar verschwistert. Nächst diesen höchsten Gedanken des Lebens
sind es Staat und Gesellschaft, die Entwickelung der Menschheit überhaupt, welche die Phantasie des
Lyrikers anregen und befruchten können. Es versteht sich von selbst, daß hierbei nicht vom Vortrage bestimmter
Theorieen, von staatsrechtlichen Allgemeinheiten die Rede sein kann, daß nicht todte, ruhende Begriffe,
sondern nur bewegte, lebensvolle Kräfte die Stimmung des Dichters beherrschen können. Er verherrlicht die
Persönlichkeiten, in denen das Staatsleben in Frieden und Krieg sich verkörpert und eine markirte
Physiognomie erhält, die Fürsten, Staatsmänner und Feldherrn, wie Horaz, Victor Hugo u.A.; er
feiert die Märtyrer der Idee, die unterliegenden oder siegenden Helden der Freiheit; er stimmt
seine Trauerklage am Grabe untergegangener Nationen an, wie Platen und Lenau in ihren
Polenliedern; er begleitet mit seinen Akkorden große Umwälzungen der Staaten, wie Klopstock,
der die französische Revolution anfangs mit begeistertem Jubel begrüßt, bis er sich später mit
Abscheu von ihren Gräueln abwendete. Er läßt Kriegslieder, ermuthigende Schlachtgesänge ertönen,
wie Tyrtäos und Körner; er giebt der dumpfen Stimmung jugendlichen Thatendrangs einen
begeisterten Ausdruck, wie Herwegh; er wendet sich gegen bestehende Einrichtungen des
Staates und der
[253] Gesellschaft, nicht mit abstraktem Pathos, sondern mit warmer Empfindung, wie Freiligrath,
Prutz, Béranger. Er klagt mit den Armen, mit den Enterbten, wie Beck und Meißner;
ja er kann die äußersten Grenzen des socialen Elends berühren, das Reich der verlornen Seelen, wenn auch
nicht mit jener wüsten Verherrlichung, wie Alfred de Musset. Das alles kann die Seele des
Dichters in ihrer innerlichen Gluth zu Momenten der eigenen Stimmung umschmelzen. Noch näher liegen der
Empfindung freilich die Vorgänge des umgebenden bürgerlichen Lebens und die eigenen Vorgänge des
Gemüthes selbst. Die Geselligkeit mit ihren Freuden, die Begebnisse der Familie und ihre Feier geben
bequemen Stoff, der aber allzu leicht von der trivialen heitern oder rührenden Seite aufgefaßt wird.
Den reichsten Stoff für die Lyrik bietet das Gemüth selbst mit seinen Stimmungen, Leidenschaften, all' seinen
inneren Begebenheiten. Der Wechsel der Tages- und Jahreszeiten, die Beleuchtung, Färbung und Stimmung der Natur
rufen im empfänglichen Gemüth eine verwandte Stimmung der Seele hervor, die sich im lyrischen Naturbild ausprägt.
Doch ist diese landschaftliche Empfindung dem klassischen Alterthum fremd, das wohl Sinn für die idyllische
Beschränkung des Daseins, für die Thätigkeit und die Freuden des Landlebens hatte, aber den Zusammenklang der
Natur und der Seele nicht mit jener Innigkeit empfand, welche zum vollströmenden Quell der
Liederpoesie wird. Selbst bei unsern klassischen Dichtern tönte die antike Weltanschauung hierin in maaßgebender
Weise nach. Klopstock läßt sich zwar durch den Züricher See zu Betrachtungen über die
Schönheit der "Mutter Natur" und ihrer Erfindung Pracht begeistern; Schiller malt wohl in seinen
Balladen die Tiefe des Meeres und ihre Ungeheuer, die in der Sonne Gold leuchtenden Dardanellen und besonders
im "Spaziergang" manches anmuthige Landschaftsbild; aber es fehlt diesen Bildern der Hauch der
Stimmung, der eigenthümliche Duft der Seele. Mehr verschmilzt schon bei Matthisson und
verwandten sentimentalen Dichtern das Naturbild mit der Seelenstimmung. Dagegen bietet die moderne
Lyrik zahlreiche und schöne Beispiele ihrer innigen Vermählung.
In Victor Hugo's "Dämmerungsliedern" ist das Dämmerlicht der Natur träumerisch über das
Seelenleben und das geschichtliche Bild ausgebreitet; Ludwig Uhland feiert in den
mildbesonnten Tagen
[254] des Lenzes die kindliche spielende Heiterkeit, in denen des Herbstes die wehmüthige, sich nach dem
Grab sehnende Erinnerung; Emanuel Geibel sucht für den feuchten Frühlingsabend nach einem verwandten,
dunkeln, milden und weichen Klang; Nicolaus Lenau wandert voll Todesehnsucht durch die Wetternacht oder
empfindet den trennungsschaurigen Hauch des Herbstes; Heinrich Heine läßt die vom Mond geküßte Lotosblume
im Liebesweh erzittern. Auch die unberühmte Tageslyrik beutet das Naturleben für die Empfindung unermüdlich
aus; doch nur ein origineller Dichtergenius vermag auf diesem Gebiete neue und tiefe Beziehungen
zu entdecken. Die Blumenlyrik, welche in jede Blume eine beliebige Seele hineinzwängt, um die zierlichen
Sträußchen für die modischen Toilettentische der Damen zu Stande zu bringen, ist einer grenzenlosen
Verwässerung anheimgefallen. Statt Natur und Seele mit dichterischem Tiefblicke in Eins zu
schauen, heftet sie ein Verslein gleichsam als Etiquette an die Pflanzen. Diese lyrische Botanik
wird von einzelnen Dichterfirmen geradezu handwerksmäßig betrieben.
Die Liebe, als die bewegende Macht des Gemüthes, spiegelt sich in einer Fülle von Stimmungen,
welche für die Lyrik außerordentlich ergiebig sind. In der That ist dies in der Lyrik aller
Zeiten der vorwiegende Stoff, der durch die wechselnde Sitte der Völker, durch die verschiedenen
Persönlichkeiten der Dichter und die immer neue Behandlungsweise vor ermüdender Einförmigkeit
geschützt bleibt. Doch ist den Dichtern der Gegenwart anzurathen, nicht in allen diesen
geschichtlich verbrauchten Formen, bald antik, bald persisch und türkisch, bald minniglich oder
petrarchisch, Gott Amor fesseln zu wollen, sondern ihr Streben darauf zu richten, daß sie einen
Ton treffen, welcher den Sitten und der Bildung unserer Zeit entspricht. Die Liebeslyrik, die
sich in ausgetretenen Gleisen bewegt, wird unerträglich, und nirgends mehr als hier verlangen
wir eine scharf ausgeprägte und bedeutende Persönlichkeit, die uns für ihre Neigung und
Leidenschaft zu interessiren vermag. Von Anakreon's erotischen Genrebildchen bis zu
Hafisen's polemischer, trunkener Lebens- und Liebeslust, von Sappho's leidenschaftlicher
Gluth bis zu Properzen's kühnerem Feuer, von den ritterlichen Huldigungen der
Troubadours und Minnesänger bis zur gelehrt schmachtenden Weise des Petrarca und der
ihm nachfolgenden Sonettisten – welch' eine Fülle von Tönen,
[255] welch' ein Wechsel der Behandlungsweise, welch' eine Unerschöpflichkeit des einen
großen Themas der Liebe! Nehmen wir noch hierzu Klopstock's theils erhabene, theils
familiaire Liebesoden, Goethe's einfache, gefällig innige Lieder, Byron's stolz
leidenschaftliche Gesänge, Geibel's blonde, keusche, ätherische Minne, Lenau's
nach düstern Bildern haschende Gluth, Heine's blasirte, schalkhafte, aromatisch duftige Erotik,
Dingelstedt's schönempfundene, von geistigen Kontrasten tiefbewegte Liebeselegieen – so gewinnen
wir die Ueberzeugung, daß jeder wahrhafte Dichter einen neuen Ton trifft, um die Liebe zu feiern,
daß diese Skala nicht erschöpft ist und nie erschöpft werden kann. Schon die Liebes- und Naturlyrik
konnte die leiseste Anregung, die flüchtigste Stimmung verwerthen, und in der That kann die
Lyrik überhaupt noch dort ihre Stoffe suchen und finden, wo ein die Dinge messender und wägender
Verstand nur imponderable Größen erblickt. Wie die Stimmung des Gemüths oft aus unerkennbaren
Atomen zusammengeweht wird: so auch das Gedicht, das aus ihr hervorgeht. Kleinigkeiten,
Tändeleien, Nichtigkeiten des Daseins sind vollkommen am Platz, sobald die Seele ihre Regungen an sie
anzuknüpfen vermag. Eine reiche Seele schaut im Kleinsten das All und lebt mit gleicher Gedankentiefe
und Fülle im mikroskopischen, wie im teloskopischen Universum. Doch darf die Harmlosigkeit des
Stoffs nie die künstlerische Form, die eben das Kleinste adeln soll, ankränkeln – ein bloßes
Austrällern der Gefühle findet sich wohl in der Volkspoesie, doch bleibt es künstlerisch
verwerflich. Auf der andern Seite soll das Gemüth des Dichters, wenn es auch berechtigt ist, die
vergänglichste Stimmung festzuhalten, nie unklaren Launen oder tollen Marotten die Ehre
dichterischer Verherrlichung angedeihn lassen, sondern stets im Auge behalten, daß es sich in der Poesie um
ein Aussingen der Seele handelt, welches allgemeinen Anklang erweckt, nicht um ein
Aushusten oder Ausniesen, das nur zur persönlichen Erleichterung dient.
Wir haben den Kreis des Inhaltes durchmessen, über den die Lyrik verfügen kann; es gilt jetzt die
Kunstform der Lyrik in's Auge zu fassen. Da das lyrische Gedicht aus der Stimmung des Augenblickes
hervorgeht: so kann es nicht so langathmig sein, wie das epische oder dramatische, welche eine
gestaltenvolle Welt spiegeln; es ist schon dadurch auf die Kürze hingewiesen. Eine umfangreichere lyrische
Dichtung wird sich
[256] daher nur in der Weise eines Cyclus zusammensetzen können, in welchem sich an einen
Grundton eine ganze Skala von Stimmungen anreiht, in denen jeder Ton wieder der Grundton einer
neuen Skala werden kann. Man kann lyrische Blumen zum Kranz winden, aber jede Blume hat ihr eigenes Recht, und
der Accent ruht weniger auf dem Kranz, als auf der einzelnen Blume. Diese Vereinzelung
gehört zum Wesen der Lyrik. Platen feiert Venedig in einem Sonettenkranz; der Grundton der
Stimmung geht durch alle; aber es ist bald dieses, bald jenes Bild der Lagunenstadt, an das er seine
dichterischen Reflexionen knüpft. Grün hat im "Schutt" vier Cyclen zu einem großen Cyclus vereint;
aber in jedem ist es eine Reihenfolge einzelner Stimmungen und Bilder, die alle wieder eine
selbstständige Bedeutung haben. Ein lyrischer Cyclus ist kein Organismus, den man seiner einzelnen
Glieder nicht ohne Gefahr für das Ganze berauben könnte; im Gegentheil, gleich den niederen Klassen der
Natur, hat jedes losgetrennte Glied des Ganzen sein eigenes Leben.
Die Einheit des lyrischen Gedichts ist von der des epischen und dramatischen wesentlich verschieden;
der Begriff der Episode findet hier keinen Platz. Die Einheit ist nur eine Einheit der
Stimmung und des Tons, welche die verschiedenartigsten Vorstellungen beherrschen kann.
Ein Herausfallen aus dem Grundton wäre nicht episodisch, sondern ein Fehler, während auf der
anderen Seite auch die entlegenste Kette von Vorstellungen keinen episodischen Charakter
annimmt, wenn sie mit der Grundstimmung der Dichters zusammenhängt und auf sie zurückgeführt
werden kann. Um das Räthsel der lyrischen Produktion zu lösen, muß man sich auf den psychologischen
Standpunkt stellen. Man beobachte das eigene Gemüth, wenn es von einer Empfindung erregt und beherrscht wird!
Welchen Träumereien giebt es sich hin! Welche Reihen von Vorstellungen gaukeln an ihm vorüber!
Wie zufällig ist der Uebergang von der einen zur andern, wie locker ihre Verknüpfung! Wie
verweilt es bei der einen mit ausmalender Geschäftigkeit, während es über die andere im Fluge
hinwegeilt! Je reicher und lebendiger die Phantasie, desto glänzender, unerschöpflicher wird die
Menge der Vorstellungen sein, welche sie der Empfindung zuführt; doch diese Empfindung selbst bleibt immer der
Kern, an den die krystallinischen Gebilde der Phantasie anschießen. In diesen Träumereien des
erregten Gemüthes finden wir das Vorbild des
[257] lyrischen Schaffens, wie überhaupt den Quell der lyrischen Dichtung. Ganz entgegengesetzt
dieser willkürlichen Verknüpfung der Vorstellungen ist der logische Gedankengang, die
Methode des entwickelnden Denkens, das aus bestimmten Prämissen mit Nothwendigkeit bestimmte
Schlüsse zieht. Auf dem künstlerischen Gebiet offenbart sich diese logische Präcision als
Besonnenheit, welche mit Bewußtsein auf innere Folgerichtigkeit und harmonische Gestaltung des
Ganzen hinarbeitet. Ein lyrisches Gedicht, welches die logische Anordnung nach Art einer
homiletischen Disposition offen zur Schau trüge, würde durch seine Nüchternheit aus aller
Poesie herausfallen, während auf der andern Seite ein Gedicht, welches das willkürliche
Spiel der Vorstellungen in's Unbegrenzte ausdehnt, zuletzt auch von der Grundstimmung abirren und in's
Phantastische und Bodenlose verfallen müßte. Denn für die Träumereien der unkünstlerischen
Phantasie giebt es keinen Anfang und kein Ende, keine Grenze, wo die eine Stimmung in die andere
umschlägt! Hier beherrschen die Vorstellungen die Seele; in der Lyrik soll die Seele die
Vorstellungen beherrschen! Das Geheimnis der lyrischen Komposition besteht nun eben darin,
jenes willkürliche Spiel der träumenden Seele im reichsten Wechsel der Vorstellungen
nachzuahmen, aber so, daß in allen diesen kühnen und täuschenden Verschlingungen doch eine
innere, mit Bewußtsein angestrebte Harmonie waltet. Der elektrische Funke der Empfindung, der an der Kette
der Vorstellungen hinläuft, muß am Schlusse, Allen sichtbar, wieder aus ihr herausspringen. Je
labyrinthischer die Komposition, je mehr wir den Faden zu verlieren glauben: desto größer unsere
Freude ihn wiederzufinden, desto größer die Kunst des Dichters, die sich freilich nur in den höheren lyrischen
Gattungen bewähren kann. Von den Dichtern des Alterthums ist Pindar wegen der Kühnheit seiner
Komposition gefeiert. Er verschlingt die Gedankenreihen so künstlich, daß erst am Schlusse in
überraschender Weise ihre innere Einheit und Harmonie hervortritt. So feiert er in seiner ersten
pythischen Siegeshymne den Hieron, den Gründer und Bürger der Stadt Aetna. Er beginnt mit einem
Preise der Musik, welche die Götter im Olymp erfreue und beselige und nur die Qual des unter dem
Aetna gefesselten Giganten Typhon vermehre. Dann spingt er plötzlich zur neugegründeten Stadt
Aetna über, die Hieron im Krieg beschützt, und der er eine weise
[258] Verfassung gegeben. Er wünscht ihr eine Fortdauer dieses friedlichen, glücklichen Zustandes.
Jetzt erst wendet sich der Sänger an Hieron selbst und wünscht ihm eine von den Künsten des Friedens,
der Musik und Poesie verschönte Ruhe und Heiterkeit des Gemüthes. So verknüpft er künstlerisch die
beiden disparaten Vorstellungsreihen, deren Zusammenhang sich vorher nicht überschauen läßt. Die
Grundstimmung des Dichters ist eben hier eine innere Harmonie der Seele, welche nach entsprechenden
Vorstellungen greift, sich in der Harmonie der Kunst und des Staatslebens spiegelt und dem
gefeierten Helden des Tages das Glück ihrer eigenen Beruhigung zu erstreben anräth. Das Bild
des Typhon hat dem Dichter überdies der lokale Zusammenhang eingegeben. Von ähnlicher
Kühnheit in der Verknüpfung der dichterischen Bilder ist der römische Elegiker Tibull. Bei Horaz wiegt schon
die Absichtlichkeit im kunstvollen Zusammenrücken des Entlegenen vor, ebenso bei Ramler und
oft bei Klopstock. Doch auch in jenen Arten der Lyrik, in denen die kühneren Sprünge schwunghafter Begeisterung
fehlen, kann die Komposition durch eine Reihe von Bildern hindurchgehn, ohne die innere Einheit
vermissen zu lassen. In Lenau's Gedicht: der schwarze See ist es der tiefe, finst're Ernst
der Weltanschauung, der, an das Naturbild anknüpfend, sich durch das ganze hindurch bewegt. Auf
diesem Rembrandt'schen Grunde der Seele spielen dann wechselnde Vorstellungen, die durch die
wechselnden Vorgänge der umgebenden Natur bedingt werden. In den tiefen schwarzen See versenkt der
Dichter anfangs seine Liebe und seine Hoffnungen. Da stürzt sich ein stürmisches Wetter in die
düst're Fluth; das schnellverzitternde Bild wilder Blitze durchglüht sie, wie Erinnerungen aus
beglückten Tagen sein verfinstert Herz:
Sie rufen mir: o Thor! Was hat dein Wahn beschlossen!
Die Hoffnung kannst und sollst du in das Grab hier stoßen.
Doch willst in diesem See die Liebe du ertränken,
So mußt du selber dich in seine Fluth versenken.
Hier ist ein Fortgang der inneren Bewegung bis zur Einschränkung der früheren Empfindung; doch bleibt dadurch die Grundstimmung unverändert. Das Gefühl des Dichters, daß die Liebe mit seinem innersten Leben untrennbar verwachsen ist, löst sich, wie auch die Schlußwendung zeigt, nicht von jenem tiefdunklen Hintergrunde der Seele los.
[259] Die Entfaltung der lyrischen Komposition ist nach den Gattungen wesentlich verschieden.
Es giebt Lieder, die wie unerschlossene Knospen sind, deren Duft und Reiz gerade in der halbverhüllten, ahnungsvoll
durchbrechenden Seele, im Mangel der Entfaltung besteht, wogegen andere wieder weitreichende Ketten von
Vorstellungen und Empfindungen bilden. Der Lyriker muß uns noch mehr als der Epiker gleich am
Anfang in medias res führen; den Mittelpunkt der Empfindung darf er nie verlassen.
Wenn Pindar in der erwähnten Ode mit der die Olympier beseligenden Musik beginnt, so sind wir vollkommen
im Mittelpunkte des Gedichtes, denn dort ist der vollste, göttliche Akkord der Harmonie, den er feiert.
Der Lyriker kann entweder gleich am Anfang die Stimmung aussprechen, die ihn beseelt, wie Goethe:
Herz, mein Herz, was soll es geben?
Was bedränget dich so sehr?
Welch' ein reges, neues Leben,
Ich erkenne dich nicht mehr.
oder er verschleiert diese Stimmung zunächst in der Schilderung eines Naturbildes, das sie spiegelt, einer Situation, an die er anknüpft; doch muß er in Ton und Färbung des Gemäldes bereits die Färbung des Gemüthes durchschimmern lassen. Die Sehnsucht des Dichters malt sich trefflich in Lenau's Gedicht: "meine Braut" in der ersten Strophe:
An der duftverlornen Grenze
Jener Berge tanzen hold
Abendwolken ihre Tänze,
Leichtgeschürzt im Strahlengold.
ebenso die Unruhe und Spannung des Gemüths in Schiller's Erwartung:
Hör' ich das Pförtchen nicht gehen?
Hat nicht der Riegel geklirrt?
Nein, es ist des Windes Wehen,
Der durch diese Pappeln schwirrt.
Ebenso kann der Anfang in einer Anrede bestehn, welche uns den besungenen Gegenstand
lebensvoll näher rückt, wie z.B. Schiller in den "Idealen" die gold'ne Zeit
seines Lebens anruft:
So willst du ewig von mir scheiden
Mit deinen holden Phantasie'n,
Mit deinen Schmerzen, deinen Freuden,
Mit Allem unerbittlich fliehn?
[260] Für alle ansingenden Formen der Lyrik wird sich dieser Eingang als unentbehrlich erweisen.
Auch kann der Anfang bereits im Keime den ganzen Inhalt des Gedichtes enthalten, das
nur in einer Evolution der bereits ganz enthüllten Stimmung besteht, wie Lenau's "nächtige Wanderung:"
Die Nacht ist finster, schwül und bang,
Der Wind im Walde tost;
Ich wandre fort die Nacht entlang
Und finde keinen Trost.
oder Meißner's "Einsamkeit:"
Daß ich dein auf ewig bliebe,
Tiefes, felsumschloss'nes Thal,
Traurig schön wie uns'rer Liebe
Tiefe hoffnungsvolle Qual.
Aehnlich Schiller in
"den Göttern Griechenlands,"
wo der Dichter in der ersten Strophe
bereits den ganzen Inhalt des Gedichtes angiebt. Es ist indeß nicht empfehlenswerth,
alle Trümpfe der Empfindung am Anfang auszuspielen; ihr allmähliches Anschwellen und
Durchbrechen ist künstlerischer. Die Entfaltung des Gedichtes bildet nun seine
Mitte; hier ist der Empfindung und Phantasie der weiteste Spielraum gegeben.
Sie kann in innig koncentrirten Klängen fast unausgeprägt vom Anfang bis zum Schlusse
hinüberleiten, sie kann von Bild zu Bild, von Vorstellung zu Vorstellung in kühnen
Sprüngen eilen oder ein Gewebe von Bildern und Reflexionen ausbreiten, in welchen
der rothe durchgehende Faden sichtbar ist, der Anfang und Schluß verknüpft. Sie kann
im Refrain immer wieder den Grundton der Stimmung wiederholen, in dem
wiederkehrenden Verse gleichsam äußerlich, plastisch die innere Einheit des
Gedichtes andeuten. Solche Wiederholungen finden sich besonders im "Volksliede," welches
noch ein äußerliches Hilfsmittel braucht, um nicht über den Kreis der Empfindung, den es
beschreiben will, hinauszufliegen. Der Refrain kann in der Wiederholung derselben Worte bestehn,
oder nur dieselbe Figuration des Verses und der Wortstellung wiederholen, sonst aber der
veränderten Situation durch den veränderten Ausdruck Rechnung tragen.
Der Schluß des lyrischen Gedichtes soll nicht blos ein harmonisches Austönen der
Stimme sein; er soll sie noch einmal prägnant
zusammen[261]fassen; gleichsam bereichert durch das freie Spiel, durch die Auslassungen der Mitte zum
Anfange zurückkehren. Diese dreigliedrige Rhythmik der Komposition wird sich nicht immer wie
Satz, Gegensatz und Schlußsatz verhalten, der Schluß nicht immer, wie Vischer will, eine
Beruhigung des Gefühls enthalten. Die Prägnanz des Schlusses kann zur lyrischen Pointe führen, deren
allzufeine Zuspitzung in's Epigrammatische hinübergleitet. In der modernen deutschen Poesie
ist seit Heine die forcirte Schlußpointirung Mode geworden. Ein Dichter, der wie Heine mit
weichen, elegischen Klängen beginnt und mit ihrer oft cynischen Verspottung abbricht,
scheint überhaupt die Einheit und Harmonie des Kunstwerkes aufzuheben. Doch ist in Heine's meisten Gedichten die
Grundstimmung eine schalkhafte oder blasirte, die sich nur anfangs vermummt und erst am Schluß
mit kicherndem Lachen ihre Vermummung abwirft. Heine's eigenthümliche Genialität schafft
auch in diesen widerspruchsvollen, kecken, pikanten Liederchen aus dem Ganzen. Daß sich bei
seinen meisten Nachahmern diese lyrische Pointensucht höchst unkünstlerisch und albern
ausnimmt, ist nicht seine Schuld. Die lyrische Ausdrucksweise gebietet über
den ganzen dichterischen Schmuck der Tropen, aber sie kann ihn auch verschmähn und muß
ihn verschmähn, wo es sich um den innigen koncentrirten Ausdruck der Empfindung handelt.
Ueberhaupt besteht der Hauptreiz der Lyrik im Halbverhüllten, im Duft der
Stimmung; selbst wo sie in's Einzelne malt, muß sie die Verbindungsglieder zwischen den
Bildern mehr herausfühlen, der empfangenden Phantasie und Empfindung durch den Reiz des
Unausgesprochenen eine Ergänzung übrig lassen. Daher ist jede Ausdrucksweise verfehlt,
welche den logischen Zusammenhang nackt an den Tag legt. Alle Wendungen der Sprache, welche das
grammatische oder syntatktische Gerippe bloßlegen, müssen vermieden werden. Die Lyrik kann
sich nicht zu kunstvollen Perioden ausbreiten; sie liebt die kurzen Sätze, die
naturwüchsigen Verbindungen, das Asyndeton und Polysyndeton, die träumerischen Lakonismen
des Ausdrucks; sie drängt immer hinweg zum Subjekt und Prädikat und ihren schmückenden
Beiwörtern, um rasch ein festes Bild zu gewinnen. Vor Allem sind ihr ausgeführte Relativsätze,
Satzverbindungen, in denen das Zeitverhältniß sich durch ein "als, nachdem" als
Neben- oder Zwischensatz weitschweifig ausdrückt, oder jener abhängige, von "daß,
[262] damit" u.s.w. regierte Schweif von Sätzen ein Gräuel. Dagegen wählt sie mit
Vorliebe die Apostrophe, die Ausrufung, die Frage und alle stylistischen Verkürzungen. Freilich kann man auch
hierin zu weit gehn; die Inversionen, Stylverrenkungen, die seltsam gebildeten
dichtgehäuften Wortkomposita z.B. in den antikisirenden "Oden" sind nur eine Art
grammatischen und syntaktischen Schwulstes, der den erhabenen Ausdruck, den er erreichen will,
vollkommen verfehlt. Schon aus Rücksicht auf diese gedrängte Syntax der Lyrik kann die epische
Vergleichung, welche in ihrer Ausführung ein weitverzweigtes Satzsystem erfordert,
hier nicht Platz finden. Dagegen ist der Metapher mit allen ihren Unterarten der weiteste Spielraum
gegeben. Die Magie des lyrischen Styls beruht auf der Metapher. Natürlich darf sie nicht
locker angeheftet werden, nicht neben der Empfindung herleuchten; sie muß mit ihr verschmelzen,
ihr schlagendster Ausdruck sein; sie verwebt erst Bild und Stimmung in Eins. Die
Naturanschauung in Lenau's "Mondlicht" wird erst dann beseelt, als der Dichter sein Mädchen das süße
Mondlicht seiner Nächte nennt und allen Zauber der Natur metaphorisch auf seine Liebe
überträgt. Wenn Hermann Lingg im "Mondaufgang" den Mondschein "ein schlafendes
Sonnenlicht" nennt, so ergießt diese eine Metapher über die ganze weltgeschichtliche Elegie den
träumerischen Reiz der Stimmung. In den gedankenvollen Gattungen der Lyrik wächst ihre
Bedeutung, da hier nur die kühne, schlagende Metapher dem Ausdrucke eine Kraft giebt, welche
ihn über das Gebiet der Prosa erhebt. Dagegen ist sie im "Lied" entbehrlich, da der
Zauber des Liedes auch schon durch den Klang der Sprache, durch den eigenthümlichen Duft,
der über sinnig gewählten Worten schwebt, hervorgerufen werden kann. An die Metapher
anstreifende Ausdrücke bringen hier die genügende Wirkung hervor z.B. die
stimmungsvollen Verba in Goethe's Lied "an den Mond:"
Füllestwieder Busch und Thal
Still mit Nebelglanz,
Lösestendlich auch einmal
Meine Seele ganz.
die stimmungsvollen Adjectiva in vielen Heine'schen Gedichten, z.B.:
Ich stand indunkelnTräumen,
Und starrte ihr Bildniß an,
[263] Und das geliebte Antlitz
Heimlichzu leben begann.
Auch kann der Lyriker ein Bild allegorisch ausspinnen und den Vergleichungspunkt
unausgesprochen nur durch die Stimmung ausdrücken. Meisterhaft ist in dieser Weise
Heine's kleine Elegie vom "Fichtenbaum und der Palme," ein lyrischer Rebus! Weiter
ausgeführt hat dieser Dichter das Bild des Sarges, in welchem er seine alten Lieder
und Träume begraben will, und der so schwer wird durch seinen Schmerz und seine Liebe.
Gottfried Kinkel personificirt "die Windsbraut," Geibel den "Dampf" – beide Allegorieen
sind sogar weit ausgesponnen, aber es sind lebensvolle, bewegte Bilder, nicht nüchterne
Gestalten mit hölzernen Attributen. Für die schwunghaftere Gattung der Lyrik wird die
Hyperbel in ihre vollen Rechte treten, natürlich ohne in das geschmacklos Schwülstige
überzugehen. Im Allgemeinen trägt der lyrische Styl das Gepräge der bestimmten dichterischen
Eigenthümlichkeit. Jeder Poet von Gottes Gnaden bringt seinen Styl mit auf die Welt –
und an diesem Styl erkennt man ihn mit derselben Leichtigkeit im kleinsten Fragment, mit
welcher ein Cuvier aus einzelnen Knochen das ganze Gerippe eines vorsündfluthlichen Thieres
erkennt. Diese "Blume" des individuellen Styles entzieht sich der Analyse. An der "Blume"
erkennt man den Wein; aber sie selbst ist unbestimmbar. Bei jeder Zergliederung würde sich der Goethe'sche
Spruch bewähren:
Behalten die Theile in ihrer Hand,
Fehlt leider! nur das geistige Band.
Goethe's Lyrik ist "klarer echter Rheinwein in geschliffener Flasche," kredenzt in den
grünlichen Römern; Schiller's Lyrik feuriger, schwerer Burgunder in reichen Pokalen; die Lenau's
heißblütiger Tokaier, die Herwegh's moussirender Champagner. Platen's Lyrik erinnert an den
Falerner des Horaz und die Heine's an den Chier des Anakreon. In der That, wer fühlte nicht den
weichen, milden, wohligen Klang der Goethe'schen Lieder, den fortwährend durch die Schleussen
der Antithese brausenden Gedankenstrom Schiller's, Lenau's in düstern Bildern schwelgende
Gluth, Herwegh's sprudelnde, Bahn brechende Rhythmen, Platen's kunstvolle Gemessenheit,
Heine's schalkhaft schäkernden Ton aus jedem einzelnen Verse dieser Dichter heraus? Der Styl des echten
Lyrikers ist
[264] einzig und, weil er einzig ist, unerklärbar. Hier beginnt das
Irrationale, das sich in keine Formel bringen läßt – das Geheimnis des Genius.
Da die Lyrik das Austönen der Empfindung ist: so braucht sie die ganze Musik der Sprache,
ihre Melodie, den Rhythmus und ihre Harmonie, den Reim. Trochäische, jambische, daktylische,
anapästische Versmaaße, von unendlicher Verschiedenheit durch die Zahl der Füße, durch
die Anordnung längerer und kürzerer Verszeilen stehn ihr zu Gebote; sie eignet sich
die antiken Strophen, die orientalischen Gaselen und Kassiden an. Die Kunst des Lyrikers
besteht in der passenden Wahl des Metrums – eine Wahl, die in den meisten Fällen Sache der
Inspiration ist. Der Lyriker muß den Geist jedes Metrums kennen – hierin wird das
Talent schon vom Instinkt geleitet. Es wird keine leidenschaftliche steeple-chase auf
einem schwerfälligen Alexandriner veranstalten oder auf einem adonischen Pony; es wird
keinen muntern Spazierritt auf einem harttrabigen, feierlichen Trimeter machen; es wird
keinen heroischen Buccephalus, keine Nibelungenstrophe, in die elegische Schwemme reiten!
Die deutsche Lyrik gebietet über den größten Reichthum an metrischen Formen; aber da
ihr trotz dessen die metrische Plastik fehlt, so verlangt sie den Reim
als nothwendige Ergänzung. Wir stellen diese Behauptung unbedingt hin als eine Einsicht
der Neuzeit, die sich von den einseitigen klassischen Studien und Traditionen emancipirt hat.
Als einzige Ausnahme für die Lyrik würden wir das elegische Distichon gelten lassen.
Alle die kunstvollen Reimformen und Strophenbildungen, Sonett, Sestine, Kanzone
können in der Lyrik verwerthet werden. Die Stanze schwebt in der Mitte zwischen
Lyrik und Epik; die Terzine hat einen entschieden epischen Charakter.
Nachdem wir so das Gewebe des lyrischen Kunstwerkes ausgebreitet und in Stoff
und Form untersucht, wollen wir noch einen Blick auf den lyrischen Dichter werfen,
dessen Seele es aus ihren eigensten Fäden spinnt. Die Lyrik ist die Seele aller Poesie, das
Auge der Dichtung; denn die Begeisterung, die in der epischen und dramatischen Poesie
durch mancherlei Kanäle geleitet wird, quillt in der Lyrik frisch und unmittelbar hervor.
Ein epischer oder dramatischer Dichter ohne eine lyrische Ader wird stets an einer
bedenklichen Nüchternheit leiden.
[265] Dante hat seine vita nuova gedichtet, und wie lyrisch sind Shakespeare und
Schiller! Dagegen kann es einem sehr begabten Lyriker nicht gelingen, der epischen Plastik
Herr zu werden oder den straffen Bogen der dramatischen Form zu spannen – man denke
z.B. an Byron, Uhland, Rückert. Die Begabung des Lyrikers besteht nun in der Lebendigkeit der
phantasievollen Anschauung, der Innigkeit und Wärme des Gefühles und dem Sinn für die
Melodie der Sprache, vor Allem aber in der Begeisterung, welche diese drei Momente
in Eins setzt. Die Lebendigkeit der Phantasie erfaßt jeden Stoff sogleich von der
Seite, wo er ein lebensvolles Bild gewährt; die Innigkeit des Gefühles versetzt
ihn sogleich auf den Boden der Stimmung, deren inneres Erzittern sich in der rhythmischen
Melodie der Sprache spiegelt. Je weniger der Stoff selbst im Kreise des alltäglichen
Empfindens liegt, desto größer ist die Energie des Lyrikers, der ihn zu beherrschen, in
das Fleisch und Blut der eigenen Stimmung zu verwandeln weiß. Es ist dies ein chemischer
Proceß, der durch das elektrische Fluidum der Begeisterung blitzartig vollzogen wird.
Darum sind nicht diejenigen Lyriker, welche Freud' und Leid des eigenen Herzens, die
Interessen eines beschränkten Lebenskreises aussingen, die Begabtesten, sondern die, welche die
Angelegenheiten der Menschheit so zu ihren eigenen gemacht haben, daß bei ihrer
begeisterten Feier das eigene Gemüth in seinen Tiefen ertönt. Der Flug hoher lyrischer
Begabungen geht weit über den Dichterwald hinaus, in welchem "es von allen Zweigen tönt."
Das Aussingen der eigenen trivialen Stimmung ist das gute Recht eines Jeden, das man
ihm nicht verleiden soll, wenn es nur nicht Anspruch auf künstlerische Geltung macht.
Gerade in der Lyrik ist bei den ausgeprägten Formen einer Sprache, "die für uns
dichtet und denkt," die Grenze zwischen Talent und Dilettantismus schwer zu ziehn.
Eine Kritik, welche mit abstrakten Maaßstäben an die Gedichte geht, wird hierin
meistens fehlgreifen; nur die freie Empfindung für "Duft" und "Blume" der Poesie kann
hier das Richtige treffen. Das Talent hat ein unbeschreibliches "Arom," das auch dem
glattesten und korrektesten Dilettantismus fehlt. Das Talent kann große Fehler
machen, der Dilettantismus fehlerfreie Werke erzeugen – und doch ist die
Kluft zwischen beiden unübersteiglich. Es giebt dilettantische Richtungen, welche
im Gefühl ihrer Ohnmacht von einem wahren Hasse gegen das Talent
[266] beseelt sind – und es sind die traurigsten Epochen der Literatur, wo es
ihnen gelingt, einen tonangebenden Einfluß zu gewinnen. Auch unsere Epoche ist von jener
"akademischen" Lyrik nicht verschont geblieben, welche ihre Studienmappe gern für
ein Nationalmuseum ausgeben möchte.
Die Gefahr lyrischer Begabungen ist nicht gering. Indem sie die höchsten Formen und Aufgaben nicht nur zu ihren eigenen machen, sondern sie mit der ganzen Gluth der Empfindung durchdringen, indem sie sich fortwährend auf den hochgehenden Wogen des Seelenlebens schaukeln, können sie leicht die Harmonie der Seele und des Geistes verlieren. Nur Wenigen war es vergönnt, wie Goethe, alle Saiten der Lyra bis in das späteste Alter zu ungetrübtem Vollklang zu stimmen, die Welt der Seele ebenso zu beherrschen, wie die Welt der Erscheinungen, die eigene Stimmung zu belauschen und sie in das harmonische Gebiet des Schönen zu transponiren. Wie anders schon Schiller's unruhige, fieberhafte Lyrik, seine oft krankhaft nach Idealen ringende Seele; wie anders Byron's leidenschaftlicher, skeptischer Dichtergenius. Bei Hoelderlin und Lenau zerriß das Band vollständig, welches den "schönen Wahnsinn" des Dichters von dem wirklichen trennt! Die gesteigerte Stimmung des Poeten, die von Bild zu Bild schweift, unterscheidet sich nur dadurch von derselben unstäten Thätigkeit des Wahnsinnes, daß dort das Selbstbewußtsein als die bindende und lösende Macht den Ergüssen der Phantasie die innere Einheit giebt, während hier der Taumel der Vorstellungen, wie an kein Subjekt mehr gebunden, ohne Anfang und Ende fortgeht. Man lese die Gedichte, die Hölderlin in seinem Wahnsinn geschrieben – man erkennt noch immer darin seine von den Bildern Hellas trunkene Seele, aber die Seele hat die Macht über seine Vorstellungen verloren, die, ihrer eigenen Gewalt überlassen, chaotisch durcheinanderstürmen. Trotz der außerordentlichen Reizbarkeit des dichterischen Gemüthes, trotz seiner gewaltigen Erregungen und seiner fortwährenden Versenkung in die Tiefen des Lebens kann man es nur als eine Verirrung der Neuzeit hinstellen, wenn selbst begabte Dichter "das Mal der Dichtung als ein Kainszeichen" erklärten, statt die Gabe des harmonischen Gesanges nach Gebühr zu feiern. Den Alten galt der Dichter als Prophet – und in der That befindet sich das dichterische Gemüth recht im Mittelpunkt des Denkens und Empfindens, und das ist die delphische Stätte, von wo aus das [267] Orakel für alles Geschehen ertönen kann. Nicht nur die Propheten des alten Testamentes waren großartige Dichter, vor deren energischem Tiefblick der Schleier der Zukunft zerriß, weil die innere Nothwendigkeit der geschichtlichen Entwickelung in ihrer Seele lebendig war; auch in jüngster Zeit hat die politische Lyrik unleugbare visionaire Anwandlungen gehabt. Im Heute spiegelt sich immer das Morgen, wenn eine große Seele es in seiner ganzen Tiefe erfaßt.
Was nun die Art und Weise des lyrischen Schaffens betrifft, so ist es keinesweges
erforderlich, ja nur wünschenswerth, daß der Lyriker im unmittelbaren Drang und Sturm der
Empfindungen dichte. Es ist mit Recht behauptet worden, daß die Hand, die vom Fieber zittre,
es nicht schildern könne. Der Affekt hat eine ungeläuterte Natürlichkeit, die ihrer
eigenen Schwere folgt. Die Leidenschaft muß erst durch das Sieb geschüttelt werden, eh' sie
poetisch verwendet werden kann. Alles Dichten setzt eine geistige Reproduktion voraus.
Unähnlich dem physikalischen Gesetz, nach welchem mehrfache Spiegelung das Bild verrückt,
sind die Spiegelungen der Empfindung für die Klarheit und Harmonie des dichterischen Bildes
vortheilhaft. Der Dichter muß immer die Empfindung in die Vorstellung umsetzen. Es genügt für ihn, eine
Stimmung einmal durchempfunden zu haben – um sie, vielleicht nach langer Zeit,
dichterisch wiederzugeben. Die Erinnerung hat etwas von jener Idealität, welche aller Kunst eigen ist.
Ja, es giebt Stimmungen und Empfindungen, deren trüber Most sich erst nach Jahren in den edlen Wein
der Dichtung verwandeln kann. Solche unausgegohrenen Seelenzustände gleich dichterisch zu
verpichen und zu verschicken, kann der Firma verderblich werden. Aehnlich verhält es sich mit dem
eigenen Erlebniß, das oft erst nach jahrelangem Verlaufe für den Dichter einen Schimmer der
Verklärung gewinnt. Dann aber hat das Thatsächliche längst seine Bestimmtheit eingebüßt;
was damals wirklich oder nur möglich, was äußerer Vorgang oder Vorgang in der Seele des
Dichters war, ist für diesen selbst gleichgültig geworden, da er sich nur in die Stimmung
jener Zeit zurückversetzt und aus ihrem dunkeln Schacht seine Juwelen gräbt. Ueberhaupt
duldet die Lyrik keine Prosa der Thatsachen! Selbst wo sie die nächste Gegenwart erfaßt, verwandelt sich Alles
unter ihren Händen; sie respektirt kein Signalement, keine besondern Kennzeichen der
Personen und Dinge.
[268] Schon hieraus geht hervor, wie müßig viele mit dem größten Aufwande von
Gelehrsamkeit geführte Untersuchungen über diesen oder jenen Lebensumstand, diese oder jene
Geliebte eines Lyrikers, die Sulpicia des Tibull und die Lili Goethe's sind. Wie bei dem Maler,
ist es auch bei dem Dichter gleichgültig, woher er seine Studienköpfe nimmt! Das Erlebniß
gewinnt unter seinen Händen eine andere Gestalt; es handelt sich nicht um die äußere,
nur um die innere Treue. Nicht der Gegenstand, sondern wie er mir in
dieser Stimmung erschien – das ist in der Lyrik das Wesentliche.
Goethe sagt irgendwo, jedes
echte Gedicht sei ein Gelegenheitsgedicht; das kann nur heißen, es ist immer aus einer
bestimmten Situation oder Stimmung hervorgegangen; aus einem äußern oder innern Anlaß.
Das Erlebniß kann aber längst vergangen sein und nur zufällig in der Seele erweckt werden.
Wie verhält es sich aber mit dem Gelegenheitsgedichte in der engeren Bedeutung des Wortes? Hier hilft uns ein
anderer Spruch Goethe's: "Seid ihr Poeten, so kommandirt die Poesie!" Es gehört ein außerordentlich
reiches und vielseitiges Gemüth dazu, um jeden ganz von außen gegebenen Stoff in einen Aether
der Stimmung zu erheben, wo er dichterische Flügel gewinnt. Immer wird es dabei auf die
Verwandtschaft des Stoffes mit der Gemüthslage und Weltanschauung des Dichters ankommen. Man
führt oft Pindar's Epinikien als großartige Gelegenheitsgedichte an – doch hatte dieser
Stoff auch seine nationale Seite, welche in der Stimmung eines hellenischen Dichters stets eine
entgegenkommende Begeisterung fand. Jedenfalls bleibt Pindar's Verfahren, der den einzelnen Fall
und die Zufälligkeit seiner Daten alsbald in den großartigen Fugen seiner gedankenreichen Hymnik
verschwinden ließ, für alle Gelegenheitspoesie mustergültig. Daß indeß auch
großen Geistern das Kommandowort über die Poesie nicht immer zu Gebote steht, beweist wohl
Goethe's hoffestliche Gelegenheitslyrik, deren strohernes Allegorisiren meistens
unerträglich ist. Die äußerliche Nöthigung oder Bestellung wird der Poesie immer nur eine
Anregung von sehr zweifelhaftem Werthe bieten. Ist indeß der Lyriker einmal angeregt,
so wird er dem Strom der Empfindungen mit Begeisterung, doch zugleich mit
Besonnenheit folgen. Die äußerliche Methode des Schaffens wird nur eine individuelle bleiben.
Doch scheint uns die Art und Weise des Tibull sehr empfehlenswerth,
[269] wie sie Gruppe aus dem nicht durchgearbeiteten Buche Nemesis zu entziffern bemüht ist. Er
folgt zuerst der Begeisterung und wirft die Hauptpartieen mit gleicher Wärme in einem Gusse hin.
Die Verbindungsglieder dagegen, die Uebergänge, die leiseren Schattirungen, die größere Feile des Ganzen überläßt
er einer zweiten Arbeit, welche mit Besonnenheit und künstlerischer Ueberlegung den Entwurf
ausführt. Kleinere lyrische Gedichte mögen in einem Gusse gelingen; größere bedürfen ebenso
des ununterbrochenen Schwunges im Ganzen, wie der nachhelfenden Ausfüllung und Ausfeilung im
Einzelnen.
Jeder Dichter, auch der lyrische, ist der Sohn seiner Zeit; er steht auf ihrem Kulturstandpunkte, er
wird sich von ihrer Empfindungsweise nicht freimachen können. Ein bedeutendes Talent mag wohl selbst auf die
Schattirungen der Empfindung bestimmend einwirken; aber der Grund und Boden der Weltanschauung ist ihm doch immer durch
das Jahrhundert gegeben. Man kann dem konservativsten aller Denker, Herbart, gewiß nicht darin beistimmen,
daß Nichts oder wenig Neues unter der Sonne geschehe, und daß im Alten, Gleichförmigen das Wesen der Menschheit
und die Mitgabe der Gottheit zu suchen seien, denn das Neue liegt nicht in den Dingen an sich, sondern
in der Auffassungsweise, und hier quillt eine unerschöpfliche Fülle geistigen Lebens der Einzelnen,
der Völker und Zeiten; hier beginnt erst die Weltgeschichte, deren tieferes Verständniß jener nüchternen
Einsicht verschlossen ist; hier beginnt erst die Poesie und ihr glänzender Reichthum. Jede Zeit, jedes Volk,
jeder Einzelne hat dies Arom einer unsagbaren Eigenheit; mit jedem Einzelnen wird eine neue
Welt geboren! Wie kleinlich und falsch wäre die Behauptung des Anatomen, der aus der Gleichheit
des Skeletts auf die Gleichheit der Menschen schlösse! Und ebenso unfruchtbar für jedes Gebiet,
besonders für das der Poesie, ist eine Weltanschauung, die nur das Alte und Gleichförmige im
Auge behält! Die Poesie ist keine Domaine des Goethe'schen "Palaeophron," sondern sie
gehört der jugendlichen "Neoterpe." Obgleich man glauben sollte, daß, trotz der wechselnden
geistigen Strömungen und Entwickelungen, die Magnetnadel der Empfindung in
allen Jahrhunderten nach denselben unwandelbaren Polen vibriren müsse: so steht die Poesie
der Empfindung, die Lyrik, doch in einem bestimmten und deshalb wechselnden Verhältniß zur Kultur und
[270] zum Bewußtsein der Zeit. Tibull empfand anders, als Walther von der Vogelweide,
und dieser anders, als Schiller und Goethe. Dies leugnen wollen heißt die
Empfindungen auf ihre rohesten Aeußerungen beschränken. Der Lyriker soll auf der Höhe seiner
Zeit stehn – erst dann wird seine Lyrik einen wahrhaft großartigen und bedeutenden Charakter
annehmen, seine Empfindung einen allseitigen Anklang bei den Zeitgenossen und bei der Nachwelt finden. Diese Wahrheit,
die durch alle großen Muster bestätigt wird, findet eine eifrige Gegnerschaft und wird
ebenso oft angegriffen, wie nicht beachtet. Daher diese Masse Unkraut, die der Teufel des
Dilettantismus unter den poetischen Weizen sät! Es mag jedem unbenommen bleiben, den
Horaz und Properz, den Dante und Baki und Motenebbi in Geist und Formen nachzudichten –
diese Exercitien haben gewiß ihren formellen Werth; nur mögen sie nicht mit der Prätension auftreten, lyrische
Muster des 19. Jahrhunderts zu sein! Es ist segenbringend für den Poeten, die großen
Vorbilder aller Zeiten zu studiren, aber traurig, wenn ihm von den Trauben ihres
Feuerweins nur die Kerne im Halse stecken bleiben oder sein Chylus oder Chymus zu schwach sind, um sich vollkommen
den Göttertrank anzueignen, der nur als dilettantisches Vomitiv wieder zum Vorschein kommt. Darum stellen
wir die Lyrik des neunzehnten Jahrhunderts hoch über die Lyrik des achtzehnten, weil sie
sich in ihren Hauptvertretern ganz auf den Boden der Gegenwart stellt und all' das mythologische Beiwerk abgestreift hat,
das dem Fluge des Schiller'schen und Goethe'schen Genius noch als unverdauter Ueberrest
klassischer Studien anhaftete. Wohl hat Uhland oft Töne angeschlagen, die allzu minniglich und
ritterlich für die Gegenwart klingen und seine Bilder hin und wieder mit meerblauer Romantik gemalt;
wohl hat Rückert sich in das Formennetz des Orientes bis zur Unkenntlichkeit
seiner eigenen dichterischen Chrysalide eingesponnen;
wohl hat ihr Vorbild zahlreiche germanistische und orientalische Nachdichtungen hervorgerufen – aber die
Heroen der modernen Lyrik, Heine, Lenau, Grün, Freiligrath, Geibel, Dingelstedt und ihre
Nachtreter haben in ihren Gedichten den Geist der Gegenwart, ihre vergänglichsten Stimmungen, aber
auch ihre erhabensten Anwandlungen verewigt. Selbst Platen hat in oft gekünstelten Formen stets Stoffe
der Zeit gefeiert – und so ungenießbar seine antikisirenden Odenstrophen sein
[271] mögen, so ist ihr Inhalt doch kein fremdartiger und gesuchter, sondern es
sind meistens hervorragende Zeitgenossen, deren Bild er in diesen antiken Rahmen spannt.
Wir brauchen blos an Byron und Shelley, an Béranger und
Victor Hugo, an Puschkin und Mickiewitz zu erinnern, um zu zeigen, daß
der richtige Instinkt die Dichter der andern Nationen auf die Bahn der modernen Lyrik
geleitet. Wir verbinden mit dem Begriffe des Modernen durchaus keine jungdeutsche, an das
Modische anstreifende Nebenbedeutung, sondern wir verstehn unter moderner Lyrik nur eine solche, die aus dem
Bewußtsein, aus den Interessen, aus dem Gefühl der Gegenwart heraus und gerade deshalb für die
Zukunft dichtet, eine Lyrik, die für unsere Zeit ganz dieselbe Bedeutung hat, wie die
antike für das Alterthum, wie der Troubadour- und Minnegesang für das Mittelalter.
Der Vorwurf der Tendenz kann nur solche lyrische Gedichte treffen, in denen
ein äußerlicher Zweck nackt, ohne künstlerische Verhüllung, zu Tage liegt. Ein Dichter, der sich
im Leben der Gegenwart umgesehn, ihre bewegenden Ideen und materiellen Mächte kennen
gelernt: der wird sein ursprüngliches Talent frisch in den
Strom der Zeit untertauchen, in ihrem Geiste, mit ihr, durch sie und für sie dichten. Denn der
dichterische Funke entzündet sich vorzugsweise an den Berührungen des Lebens –
das individuelle Leben aber ist in das große Netz der Kultur unlöslich eingefangen.
Der Dilettantismus, der dies leugnet, geräth auch noch auf andere Abwege. Er verläßt
den Standpunkt der Bildung, den er einnimmt, um, wie er sagt, zum Volk herabzusteigen; er dichtet
in "volksthümlicher Weise" mit Nachahmung aller unartikulirten Naturlaute; er trällert
Volkslieder heraus, die nur als Improvisationen des Volksgeistes einen
kulturgeschichtlichen Werth haben. Dies "Volk" ist meistens eine Abstraktion der
Studirstuben; der Dichter kennt kein anderes "Volk" als die Nation. Nicht Arnim und Brentano, sondern
Schiller und Körner sind echte Volksdichter der Deutschen.
Eintheilung der Lyrik.
Wenn wir die Lyrik in ihre einzelnen Gattungen verfolgen wollen: so bietet sich
uns folgende Eintheilung dar, die wir aus dem Verhalten des dichtenden Subjektes zu
seinem Objekte herleiten. Entweder bleibt der Dichter ganz auf dem Boden der Empfindung stehn, in deren
koncentrirte
[272] Tiefe das Objekt gleichsam nur wie ein Schatten in einen Brunnen fällt – die
eigentliche Lyrik der Empfindung, das Lied; oder ein äußeres Objekt regt durch seine Bedeutung die
Empfindung des Dichters zu einem hinreißenden Schwunge an, der in freier und
kühner Entfaltung des erhabenen Gegenstandes Herr zu werden, ihn künstlerisch zu
bewältigen strebt – die Lyrik der Begeisterung, die Ode; oder der
Dichter geht zwischen dem Gegenstande und seinen Empfindungen, zwischen Beschreibung und
Betrachtung hin und her – die Lyrik der Reflexion, die Elegie.
Alle Unterarten fügen sich ungezwungen der einen oder andern dieser Gattungen ein.
Zweiter Abschnitt.
Die Lyrik der Empfindung: das Lied.
Das Lied ist der dichterische Erguß der Empfindung, die ganz in ihren eigenen Tiefen verweilt,
der Stimmung, die bei sich selbst bleibt, in einfacher, leichter und doch prägnanter Form. Seit
den ersten Nouwi des Terpander hat es die musikalische Begleitung geliebt, welche das
Austönen der Stimmung verstärkt. Das Lied soll gesungen werden können.
Ein Bündniß zwischen Dichtkunst und Musik ist aber nur dann möglich, wenn die erstere nicht
ihre ganze Fülle entfaltet, sondern sich nur mit dem träumerischen Aufknospen der
Stimmung begnügt, jenem innern Vibriren, das sich im Wogen der Tonwelt fortsetzen kann.
Nicht schwerwuchtige Worte können sich auf den Wellen der Töne schaukeln; nicht scharfbestimmte
Bilder in diesem unbestimmten Element zur Geltung kommen. Das Lied gleicht der
Pflanze, welche nur Luft und Wasserwurzeln hat und in keine Berührung mit der lastenden Scholle kommt.
Leicht und frisch muß es aus der Seele fließen oder sich halbverschämt in ihren Tiefen
verbergen – dann kann sich der Gesang mit ihm verschwistern, der ihm eine tiefere
Innigkeit verleiht. Das Lied ist die schüchternste Blüthe der Lyrik, die sich noch am Spalier der
Töne in die Höhe rankt; es ist ihre ärmste Form, deren Ueberschätzung selbst große Aesthetiker
zu Ungerechtigkeiten gegen die reicheren und höheren Gattungen der Lyrik verleitet hat. Goethe
ist ein größerer Liederdichter als Schiller;
[273] aber ihn deshalb mit Vischer
*)
überhaupt einen größeren Lyriker zu nennen, das zeugt doch von einer bedenklichen
Einseitigkeit, deren Konsequenz es wäre, Anakreon als "Lyriker" über Pindar, Catull über
Horaz und Ovid, und Burns über Byron zu setzen. Wie viel richtiger ist
die Auffassung Hegel's, welcher dem Liede ohne Ueberschätzung seine gebührende Stelle einräumt
**).
Der Grundton der Stimmung läßt im Liede keine kühnen Ausweichungen zu; er verlangt einen
harmonischen, vollen Akkord. Die Empfindung wird mit aller Wärme und Innigkeit festgehalten und
klar, aber ohne Schärfe ausgesprochen. Wir wollen im Liede auf den Grund der Seele
sehn; aber ein durchsichtiger Schleier muß noch darüber schweben. Das erst giebt dem Liede seinen
eigenthümlichen Duft, seinen träumerischen Reiz. Das Ahnungsvolle, halb Ausgesprochene gehört zu
seinem Wesen. Jede scharfe Bestimmtheit, alles Eckige und Kantige der realen Welt würde
diesen duftigen Schleier zerreißen. Wohl kann ein äußerer Gegenstand die Empfindung
anregen; aber diese Anregung entbindet nur ihre eigenste Kraft; das Objekt verschwindet in
den Schwingungen des Subjekts. Die Bilder im Liede gleichen den Chladnischen Klangfiguren, sie
haben keinen eigenen Werth, sie verkünden nur die Macht der Töne und ihre Verschiedenheit,
die Vibrationen der Seele. Die Empfindung, die von Bild zu Bild schweifte, würde sich
zersplittern – das Lied bedarf einer koncentrirten Einheit. Die Kunst des
Liederdichters besteht darin, uns mit dem geringsten Aufwande künstlerischer Mittel gleich
in seine Stimmung zu versetzen.
Füllest wieder Busch und Thal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz. –
Das sind meisterhafte lyrische Abbreviaturen, die unsere Seele unmittelbar gefangen nehmen.
Der Inhalt des Liedes ist sehr reich und mannichfaltig. Sehr schön hat Hegel
die Liederdichtung eine sich stets erneuende
"Blumen[274]flur" genannt. In der That ist in sangeslustigen Zeiten ihr Auftreten ein
massenhaftes – wir erinnern nur an die Zeit der Troubadours und Trouvères, der Minne- und
Meistersänger. Von der Liederdichtung gelten die Uhland'schen Verse:
Singe, wem Gesang gegeben
In dem deutschen Dichterwald!
Das ist Freude, das ist Leben,
Wenn's von allen Zweigen schallt.
Nicht an wenig stolze Namen
Ist die Liederkunst gebannt –
Ausgestreuet ist der Samen
Ueber alles deutsche Land.
In der That kann auch der naturwüchsigen Empfindung des Volkes,
wie dem gebildeten Dilettantismus der Ausdruck der Stimmung in einem kurzathmigen
Liede so trefflich gelingen, daß dem echten Dichtertalente der Preis streitig gemacht
wird. Auch hierin finden wir wieder einen Beweis dafür, daß man die Liederdichtung nicht überschätzen darf.
Wir haben es z.B. an Niklas Becker's "Rheinlied" gesehn, daß in dieser dichterischen
Atomistik auch denen bisweilen ein Wurf glückt, denen die Pforten der Poesie sonst verschlossen sind. Ueber die
meisten Menschen kommt eine Epoche der Poesie, wo das eigene Leben gleich einer sich nur
einmal erschließenden Blume aufblüht. Die Empfindung krystallisirt sich zum Gedichte und zwar zum
Liede, weil das die einfachste und leichteste Form ist. Solche Liederchen spielen zahllos wie die
Mücken im Sonnenschein. Wie jede Persönlichkeit die Welt anders abspiegelt, wie jeder Mensch
seinen eigenen Styl und seine eigene Handschrift hat: so könnte auch in diesen
leichthinflatternden Liederchen die Eigenthümlichkeit des Autors zur Geltung kommen,
wenn nicht der Mangel an Formbeherrschung und echter Begabung alle diese
Dilettanten unwillkürlich in die ausgefahrenen Gleise einer für sie denkenden und
dichtenden Sprache führte. Der Sprache das Gepräge seiner Eigenthümlichkeit aufzudrücken,
gelingt nur dem Genius, dessen Liedergaben sich dadurch von der Lyrik der Masse
unterscheiden. Jedes Atom der Empfindung läßt sich im Liededichterisch
verwerthen. Jedes nächste Ereigniß des geselligen und Familienlebens kann eine
Stimmung entzünden, die sich im Liede
aus[275]singt; vor Allem aber ist Wein und Liebe sein unerschöpfliches
Thema. Ein Lyriker, der kein Trink- oder Liebeslied gedichtet, gehörte in ein
Kuriositätenkabinet. Selbst der idealgesinnte Schiller hat drei Mal seine Lyra
zum Preis des edeln Getränkes gestimmt, freilich charakteristisch genug, einmal
in einer antikisirenden Dithyrambe, in welcher nur göttlicher Nektar herumgereicht wird,
und zwei Mal zum Preise "des Punsches," indem er dem künstlich bereiteten Getränke den Vorzug vor den
natürlichen Gaben des Bacchus zu geben scheint, weil sich in ihm "der Willen und die Kraft" des
Menschen offenbart. Dagegen hat Goethe die gehobene Stimmung des Trinkenden meisterhaft ausgedrückt:
"Mich ergreift ich weiß nicht wie wonniges Behagen." Dem Liebenden wird jeder Lichtreflex,
jeder vorüberfliehende Schatten der Natur, jedes kleinste Ereigniß des Lebens von
Bedeutung für seine Stimmung. Der Hauch der Liebe verstreut daher überallhin den Samen,
aus welchem die Blumen des Liedes wachsen. Auch die Empfindung hat ihren Witz
in sinnigen Vergleichen, innigem oder schalkhaftem Deuten. Dieser Witz der Empfindung ist
ein reicher Quell für das Liebeslied von Anakreon und Hafis bis zu Schefer,
Wilhelm Müller und Heine, ganz abgesehen von jenen aus der Liederpoesie
herausfallenden Reflexionen, die sich in Petrarca's verschnörkelten Sonetten finden.
Doch auch alle andern Empfindungen kommen im Liede zur Geltung. Wir erinnern nur an den köstlichen Ausdruck des
Naturgefühls, des elementarischen Lebens in Goethe's "Fischer" und Mörike's
"mein Fluß," der Sehnsucht im Mignonlied "Kennst du das Land," in Brentano's
"Nach Sevilla, nach Sevilla," in Eichendorff's "Mondnacht," der Wehmuth in Lenau's
"Schilfliedern" und in Kinkel's "Trost der Nacht." Jedes Naturbild erweckt eine
Stimmung oder spiegelt eine Empfindung, die im Liede ihren Ausdruck finden kann.
Dagegen mag es fraglich erscheinen, ob das Lied auch fähig sei, einen Inhalt
aus dem Kreise der Religion und Politik in sich aufzunehmen, ohne daß seine Form
gesprengt wird. In der That gehört die dichterisch gestaltete Idee in das
Gebiet der Ode und Elegie. Anders verhält es sich mit der religiösen und
politischen Stimmung. Die Gottergebenheit, die Rührung durch die Güte
des Allmächtigen und ähnliche Empfindungen der Andacht haben im geistlichen
Lied eine angemessene Form gefunden, während sowohl die patriotische
[276] Begeisterung, als auch die unruhige, gährende, thatendurstige Stimmung der
Gemüther in französische Chansons und deutsche Lieder mustergültig ausströmten.
In der Form muß das Lied "aus einem Gusse" sein und dabei keine Blasen der Reflexion werfen. Kürze gehört zu seinen Vorzügen. Wir haben Lieder von zwei kleinen Strophen, in denen sich eine Stimmung klar, voll, ergreifend ausspricht, z.B. das Abendständchen von Brentano:
Hör', es klagt die Flöte wieder
Und die kühlen Brunnen rauschen,
Golden wehn die Töne nieder –
Stille, stille, laß uns lauschen!
Holdes Bitten, mild' Verlangen
Wie es süß zum Herzen spricht!
Durch die Nacht, die mich umfangen,
Blickt zu mir der Töne Licht.
oder "die Bitte" von Lenau:
Weil' auf mir, du dunkles Auge,
Uebe deine ganze Macht,
Ernste, milde, träumerische,
Unergründlich süße Nacht.
Nimm mit deinem Zauberdunkel
Diese Welt von hinnen mir,
Daß du über meinem Leben
Einsam schwebest für und für.
oder vom Verfasser:
Versunk'ner Glocken Klang
Ertönt aus Meerestiefen;
Mir ist, als ob mich bang
Viel tausend Stimmen riefen.
O endlos Menschenweh,
Wo flieh' ich deine Kunde?
So tief ist nicht die See,
Du rufst von ihrem Grunde.
In diesen Gedichtchen liegt der Rhythmus der Komposition klar zu Tage. Den Anfang bildet
die Anregung durch das Ständchen, die Nacht, das Meer; die Mitte schildert den Eindruck auf das
Gemüth; der Schluß
[277] verallgemeinert ihn. Die Magie der Tonwelt, die Einsamkeit eines ganzen Lebens, das unergründliche
Menschenweh breiten die Stimmung des Augenblickes aus und vertiefen sie. Zugleich fehlt
in allen dreien die lyrische Pointe nicht, welche sich im ersten und dritten Liedchen
als Antithese, im zweiten als Hyperbel zeigt. Die drei Glieder der Komposition sind aber auf's Innigste verschmolzen
und dabei mit der größten Prägnanz der Anschauung und Empfindung ausgeführt. Aehnlich wird die Anordnung und
Zusammenstellung in größeren Liedern sein, nur daß hier jedes einzelne Glied weiter ausgeführt wird.
Der Gang der Komposition verträgt sogar Wiederholungen. Drei oder vier anregende Bilder
wirken gleichzeitig auf das Gemüth. So z.B. in folgendem Gedichte Heine's, dessen Magie hauptsächlich
darin besteht, daß die Empfindung des Dichters nicht unmittelbar ausgesprochen, sondern in die Bilder selbst
verwebt ist:
Es fällt ein Stern herunter
Aus seiner funkelnden Höh'!
Das ist der Stern der Liebe,
Den ich dort fallen seh.
Es fallen vom Apfelbaume
Der Blüthen und Blätter viel!
Es kommen die neckenden Lüfte
Und treiben damit ihr Spiel.
Es singt der Schwan im Weiher
Und rudert auf und ab,
Und immer leiser singend
Taucht er in's Fluthengrab.
Es ist so still und dunkel!
Verweht ist Blatt und Blüth',
Der Stern ist knisternd zerstoben,
Verklungen das Schwanenlied.
Diese im Bilde selbst latente Empfindung macht im Liede einen wirksamen Eindruck.
Die Ausdrucksweise muß im Liede von größter Unmittelbarkeit und Einfachheit sein. Die
Phantasie ist hier an die Empfindung des Augenblicks gebunden und darf nicht
frei umherschweifen. Sie muß alles vom geraden Wege des Gefühls Abgelegene vermeiden. Schildert sie ein
[278] Naturbild: so muß, wie in obigem Beispiel Heine's, die Schilderung selbst gleichsam untergetaucht
sein in den Strom der Empfindung. Es frägt sich nur, durch welche Stylmittel sich die lyrische
Prägnanz am besten erreichen läßt? Hier bietet sich zunächst das dichterische "Wort" dar,
das sinnig gewählte oder vielmehr getroffene Adjektivum und Verbum. Der eigenthümliche "Duft" der
Stimmung läßt sich durch das einfache "Wort" mit der größten Magie über ein Gedicht hinzaubern. Goethe, Heine
und Lenau sind hierin Meister! Wie prägnant ist das Verbum tragen von Goethe in dem
bekannten Liede angewandt:
Ihr verblühet, süße Rosen,
Meine Liebetrugeuch nicht!
das Adjektivum dunkel bei Heine:
Es leuchtet meine Liebe
In ihrerdunkelnPracht.
Lenau singt von den "rohen Winden," die nicht singen, vom "trennungsschaurigen Herbst,"
von der "duftverlornen Grenze" der Berge, –
Da unten braust der wilde Bach,
Führtreichen, frischenTod –
vom "schnellverzitternden" und vom "vergänglichen" Bilde der Blitze im Teich.
Ebenso bezeichnend, wie diese stimmungsvollen Adjektiva, sind Lenau's Verba:
Nie soll weiter sich in's Land
Lieb' von Liebewagen,
Als sich blühend in der Hand
Läßt die Rose tragen,
Oder als die Nachtigall
Halmen bringt zum Neste,
Oder als ihr süßer Schall
Wandertmit dem Weste.
Mit Metaphern darf das Lied keinesfalls überladen sein – sonst verliert die
Empfindung ihre Unmittelbarkeit. Die Metapher muß kurz, schlagend und stimmungsvoll sein, wie bei Heine:
Wiedunkle Träumestehen
DieHäuserin langer Reih!
[279] Die orientalische Lyrik erhält durch die Ueberfülle der Metaphern einen dem
Charakter des Liedes fremden reflektirenden Beigeschmack. Eine durchgängige, mit Bildern
spielende Symbolik verwischt diesen Charakter, wie z.B. in Geibel's Gedicht:
"ich bin die Rose auf der Au," wo der Dichter sich selbst mit der Rose, dem Edelstein, einem krystallnen Becher,
einer trüben Wolkenwand, dem Memnon in der Wüste, und die Liebe mit dem Thau, dem
Sonnenschein, dem Wein, dem Regenbogen, dem Morgenroth, der Reihe nach vergleicht.
So verdirbt sich Anastasius Grün in den "Blättern der Liebe" fortwährend durch spielende Spitzfindigkeiten des
Bilderwitzes den Charakter des Liedes. Auch Schiller hat seinen Ton nie getroffen.
Darin störte ihn zwar nicht allzureicher Bilderschmuck, wohl aber eine etwas nackte
Logik, die da, wo er Einfaches einfach besingen wollte, hervortrat. Man achte nur in
seinem "Punschlied" auf die vielen "aber, doch, d'rum," welche die Strophen
logisch-nüchtern verbinden und dem Ganzen eine breite und unwillkommene Deutlichkeit geben.
Da traf Goethe das Richtige, der nicht nur diese doktrinairen Partikeln im Liede
beseitigte, sondern auch durch Fortlassung der Pronomina bei der Anrede den traulichen,
unmittelbaren Ton der Empfindung verstärkte: "Füllest wieder Busch und Thal," und:
"Blüthet ach! dem Hoffnungslosen." Das Lied verträgt sogar vollkommen naive Wendungen,
wie z.B. mich ergreift ich weiß nicht wie (Goethe) oder: du feuchter Frühlingsabend, wie hab'
ich dich so gern (Geibel). Wohl kann es Lieder geben, die ganz in einer
Metapher ruhn, wie die Perle in der Muschel, wie z.B. das Heine'sche: "Sag' wo ist
dein schönes Liebchen?" – dann darf aber kein neues Bild die Einheit stören.
Am verfehltesten sind im Liede ausgeführte Gleichnisse, welche sich ganz von der
Gemüthswelt und ihrer träumerischen Beleuchtung loslösen.
Ein recht
schlagendes Beispiel dafür giebt unser dichterischer Altmeister Martin Opitz, der
ein Trauerlied auf "den Tod eines Kindes" mit folgender Homerischen Vergleichung beginnt:
So wie ein edler Leue
Sich mit gerechter Reue
Sehnt nach der jungen Zucht,
Die man ihm aufgefangen,
Indem er ist gegangen
Und Speise hat gesucht
[280] Sein' Augen stehn voll Thränen,
Der Schaum läuft von den Zähnen
Die Mähne steigt empor.
Er sucht, er ruft, er brüllet,
Daß Lybien erschüllet,
Und sich entsetzt davor:
So rühren sich die Schmerzen
In Deinem Vater-Herzen
Ingleichen, mein Clandrin!
Abgesehen von der Geschmacklosigkeit des Bildes, das an dieser Stelle ebenso passend ist, wie ein marmorner Löwe als Grabdenkmal eines Kindes, zerstört die epische Ausführung, welche die Phantasie bei einer Fülle von einzelnen Merkmalen haften läßt und sie von der Leiche eines Kindes bis in die lybische Wüste versetzt, vollkommen die Einheit der lyrischen Stimmung.
Was die metrische Form des Liedes betrifft, so waltet auch hier der Charakter
größter Einfachheit. Kurzathmige Rhythmen von wenig Füßen, kurze Strophen, am liebsten
vierzeilig, keine kunstvoll verschlungenen, aber durch die Kürze der Zeilen rasch sich
folgende Reime bestimmen ihn. Lieder ohne Reim sind in deutscher Sprache wirklich
ungereimt zu nennen. Schon Anakreon ließ seine leichtgeflügelten Amoretten
sich nach dem Takte des jambischen Dimeters bewegen:
v v - - | v v - - |
einen kurzathmigen, hastigen Rhythmus, dessen heftigen Anprall er dadurch mäßigte, daß er die letzte Länge des ersten Jonikus in eine Kürze, die erste Kürze des zweiten in eine Länge verwandelte:
v v - v | - v - -|
Durch diese Umbiegung (Anaklase) erhielt der kurze Vers einen weicheren Gang, der ihn zum Träger der Liebesempfindung geschickt machte. Ueber das Maaß einer trochäischen und jambischen Dipodie:
- v - v | - v - v
oder: v - v - | v - v -
sollte das Metrum des Liedes nicht hinausgehn. In der That sind die meisten Lieder
Goethe's, Uhland's, Geibel's, Lenau's, Wilhelm Müller's, Eichendorff's, Hoffmann's von
Fallersleben in diesen Dipodien geschrieben, welche freilich durch den Wechsel
[281] männlicher und weiblicher Reime einen etwas beweglicheren und minder strengen Charakter
erhalten. Vierzeilige Strophen mit einfach verschlungenen Reimen entsprechen am meisten der
anmuthigen Einfachheit des Liedes.
Auch widerspricht es nicht dem sangbaren Charakter des Liedes, daß die zweite Hälfte der Strophe, besonders der
vom Chor zu singende Refrain in einem andern Versmaaß gedichtet ist, wie wir dies
in vielen Volks- und geselligen Liedern finden. Dagegen ist der Pomp oft wiederholter und
kunstvoll verschlungener Reime mit dem Wesen des Liedes durchaus unverträglich. Es ist daher
unbegreiflich, wie zahlreiche Aesthetiker, unter ihnen auch Hillebrand in seiner:
"Literar-Aesthetik" das Sonett als eine Unterart des "Liedes" betrachten konnten.
Eher dürfte das lyrische Epigramm, das Madrigal, das in kein solches monotones
Vers- und Reimschema eingezwängt war, hier eine Stätte finden, indem, wie wir schon gesehen, eine frappante
lyrische Pointe, ein schalkhaftes Austönen im Liede vollkommen berechtigt ist, welches
sogar einen durchaus komischen Inhalt in sich aufzunehmen vermag. Wir wollen jetzt einige Unterscheidungen
des Liedes und geschichtliche Gestalten desselben näher in's Auge fassen.
1. Das Volkslied und Kunstlied.
Das Lied als unmittelbarer Erguß des Herzens setzt keine tiefere Bildung voraus; im Gegentheil, sein
Quell kann am frischesten in einem unbefangenen, mit der Natur noch träumerisch verwachsenen Gemüthe
sprudeln! Dann erinnert es an den Gesang des Vogels, der auf den Zweigen singt. Die Natur und die
eigene Empfindung, die Welt der Sage, mit welcher der Sänger groß geworden, sind die Quellen des Volksliedes,
dessen kunstlose Naivetät, wie aromatischer Waldduft, das Gemüth gefangen nimmt. Zugleich liegt
im Volksliede die Sehnsucht nach einem noch unerschlossenen Reiche der Bildung, und das giebt ihm einen neuen
wehmüthigen Reiz. Was in diesen Volksliedern indeß echt lyrisch ist: das sind seine
verschleierten Uebergänge, seine sinnigen Andeutungen, dies träumerische Herübergehn vom Naturbild zum Ereigniß
des Herzens. Dadurch erhält auch seine Form etwas Knappes, Gedrungenes, Sangbares; der
wiederkehrende Refrain hält die Einheit
[282] der Stimmung fest. Der Refrain bildete sich aus dem Kehrreim, wie er z.B. in den
altschwedischen Liedern und Balladen zu finden ist, der Wiederholung einer oder zweier Zeilen nach
jeder Verszeile des Liedes, mochte sie dazu wohl oder übel passen. Der Zweck war auch hier, den
Hintergrund einer düstern oder freudigen, ruhigen oder erregten Stimmung im Auf- und Abwogen
der Empfindungen und dem Fortgang der Begebenheiten festzuhalten, das Mittel aber war äußerlich
und gewaltsam und konnte nur ausnahmsweise, durch ein zufälliges Zusammentönen des Kehrreimes
mit den Klängen des forteilenden Liedes, einen rührenden Eindruck machen. Der Kehrreim bildete
sich weiter fort zum Refrain, welcher, die einzelnen Strophen abschließend, als
kunstvolleres Band der Stimmung das Lied zusammenhielt.
Die Bedeutung des Volksliedes ist in unserer Zeit vorzugsweise eine kultur-
und literarhistorische. Die Ueberschätzung desselben, die zu den Moden des Tages gehört,
hängt theils mit dem verdienstlichen Eifer zusammen, mit welchem die Wissenschaft
alle seine vergrabenen Schätze zu Tage förderte, theils geht sie aus einer mehr
raffinirten, als naturwüchsigen Opposition gegen die Fortentwickelung unserer Kunstpoesie
hervor. Wenn das Volkslied selbst auf die Kunstpoesie einen bedeutenden Einfluß gehabt;
wenn besonders der Schatz der altspanischen Romanzen und altschottischen Balladen auf
Bürger, Herder, Goethe u.A. einen unleugbar erfrischenden und zu Nachdichtungen
anspornenden Eindruck gemacht, wenn Goethe selbst die Weise manches italienischen
Volksliedes in einen reineren, künstlerischen Aether gehoben: so darf man
doch nicht vergessen, daß heutzutage umgekehrt die Kunstlyrik wieder die
Volkslyrik befruchtet, daß die Klänge der Bildung bis in die verlorensten Gebirgsthäler und
Wälder dringen und manches neue Volkslied Nichts ist, als ein verstümmeltes Lied von
den Höhen des deutschen Parnaß. Die Ursprünglichkeit des Volksliedes verlangt eine
völlige Abgeschlossenheit von allen Bedingungen der Kultur – wo aber wäre in
unserer Zeit der Eisenbahnen diese noch zu finden? Oder entsprechen die Lieder eines
Hebel, Holtei, Claus Groth, den Bedingungen der eigentlichen Volkspoesie? Sind
sie nicht in ein Volksidiom hineingedichtete Kunstpoesie? Die Sammlungen der Volkslieder haben sich in neuester
Zeit außerordentlich vermehrt, und so schätzbar sie als Ausbeute
literar[283]historischer Studien sind, so droht doch die Ueberfüllung des Marktes mit dieser
Blüthenflora den Bestrebungen der Gegenwart Gefahr, wenn der geschichtliche Standpunkt
verrückt wird und der eines bewundernden Dilettantismus an seine Stelle tritt. Herder's
"Stimmen der Völker" ist eine Mustersammlung, die aus jener Auffassung hervorging,
während Arnim's und Brentano's "des Knaben Wunderhorn" den zweiten Standpunkt vertritt.
Der sinnige Literaturforscher reihte die Liederblüthen aller Völker, besonders der
germanischen und slavischen Stämme, deren Gemüthsinnigkeit am reichsten und
fruchtbarsten hervortritt, zum Kranz; er zeigte damit, wie mannichfach sich der nationale Genius in diesen
dichterischen Hervorbringungen spiegelte, und gab eine willkommene Ergänzung zur Kulturgeschichte der Völker. Arnim und
Brentano dagegen sammelten ihre oft rohen, oft süßlichen, meistens dilettantisch
überzuckerten Volkslieder als Dichtungen von höchstem poetischem Werth, als
ein "Wunderhorn" für den deutschen Knaben, als eine Bildungsschule der Nation. Und nach dem
Vorgange der Romantiker erhielten wir nicht nur serbische und baskische, wallachische,
litthauische und dalmatische, sondern auch finnische, esthische, lappische Volkslieder,
kurz, ein ganzes lyrisches Kuriositätenkabinet, das wohl kein größeres Interesse in Anspruch nehmen darf, als eine
große Waffensammlung, in welcher neben dem altdeutschen Ritterschwert der Kupferspieß
des Eskimo nicht fehlt. Andere Sänger eilten im Harz und in allen deutschen Gebirgen alte und frische
Liederspuren aufzusuchen; noch andere streiften mit Rousseau's Hast die ganze moderne
Kultur ab, um in den Urwäldern des Volksliedes auf allen Vieren zu kriechen. Hiergegen
läßt sich erinnern, daß kein Dichter, der Dauerndes schaffen will, seine Bildung
verleugnen soll, um in den Tiefen etwas Höheres zu suchen. Die verkehrte Volksthümlichkeit
ist auf allen Gebieten eine Reaktion gegen den Fortschritt der Literatur. Oder welcher
Dichter des Augusteischen Zeitalters hätte seinen Ruhm darin gesucht, die Kunstbildung
zu verleugnen, die Ennius, der römische Opitz, seinem Volk geschaffen, um nach dem
Gesetz einer rohen, unplastischen Rhythmik die alten saturninischen Verse
wieder aufzuwecken? Alle Ehre den naiven Sängern oder dem dichtenden Volksgeiste selbst, der seine Empfindungen in
urwüchsigen Liedern ausströmt – aber die Wiedererweckung eines rohern Styls und
knittelversartiger
[284] Rhythmen geht dieser Ehre verlustig! Kann doch die Kunstlyrik heutzutage
"wahrhaft volkthümliche Lieder" aufweisen, so daß jener höhere Standpunkt der hellenischen Kultur, der die
unwahre Trennung zwischen Volks- und Kunstpoesie nicht kennt, wenigstens im
Einzelnen erreicht ist. Anakreon mit seinen leicht flatternden Liederchen, den
reizenden Devisen Amors, wie sie in Deutschland am besten Leopold Schefer und
Wilhelm Müller nachgeahmt, war gewiß ein griechischer Volkspoet, nicht minder
Catull im liederarmen Rom. Rouget de Lisle mit seiner Revolutionshymne hat die Heere der
Republik und des Kaisereiches elektrisirt, während Schiller durch sein "Reiterlied,"
Körner, Arndt den Ausdruck der nationalen Stimmung wunderbar trafen und in allen
Bivouaks der Befreiungskriege mit Begeisterung gesungen wurden. Ja steht nicht in neuer
Zeit Béranger als der echt französische Volkspoet da, der alle Seiten der Nation von
der leichtfertigsten Lebenslust bis zum höchsten Aufschwung des aufbrausenden
Enthusiasmus in seinen Chansons spiegelt? Alle seine Lieder sind echt französischer
Champagner! Und solch' ein einzelner Dichter, welcher die Verkörperung seiner Nation
ist, der ihre Eigenthümlichkeiten in seinem Talent koncentrirt, vertritt das Volkslied besser,
als alle aufgespeicherten Schätze namenloser Volksdichtung!
Wir verkennen nicht, daß das höhere Lied aus dem Volksliede hervorgegangen, daß es
eigentlich dem Alterthum und dem Orient unbekannt, ein Ausfluß christlich-germanischer
Innigkeit ist. Die Griechen und Römer waren in ihrer Lyrik theils zu plastisch, theils
zu reflektirend; die Orientalen zu bilderprunkend, lehr- und spruchreich. Dagegen spricht
in den anglo-normannischen, altfranzösischen und mittelenglischen "Laïs
*)"
sich bereits jener innige sangbare Charakter aus, der noch mehr im deutschen Volksliede
hervortrat. Die Lieder der Minnesänger und Troubadours enthielten ebensoviel Süßliches,
wie Zartes, Spielendes, wie Sinniges; die Liederkost des Meistersanges war roh, derb und
für das Handwerkerthum schmackhaft. Seit Opitz und Flemming die deutsche
[285] Poesie an den klassischen Mustern heranbildeten, gelangte auch das Lied der
Kunstpoesie zur Ausbildung, welche durch den Bilderschwulst der zweiten schlesischen
Dichterschule indeß wieder erstickt wurde. Erst mit den deutschen Anakreontikern Gleim, Uz
und Hagedorn beginnt eine neue Aera des deutschen Liedes, deren höchsten Gipfelpunkt
Goethe bezeichnet. Mit proteusartiger Verwandlungskunst schmiegte sein Genius sich auch
in die Formen des Volksliedes und gab ihnen seltene harmonische Weihe, tiefste Innigkeit,
einen unsagbaren Reiz. Die Lieder "Mignon's," das Lied "an den Mond," "Schlafe, was willst
du mehr" schlugen die verschiedensten Töne des Volksliedes an, aber sie beseitigten
seine rohen Auswüchse und hoben es in einen geläuterten Aether. Die sanften, weichen
Liederklänge Uhland's, Heine's oft leichte und kecke, oft tiefgefühlte Liederchen,
Eichendorff's romantisch träumerische, Hoffmann's von Fallersleben
altdeutsch schlichte und einfache, Geibel's harmonisch ansprechende, Lenau's
melancholische, Roquette's jugendfrische Klänge bezeichnen die weitere Entwickelung
des deutschen Liedes. Alle Empfindungen der Seele, das Naturbild, die wechselnden
Liebesgefühle fanden hier ihre Stätte. Die Liederpoesie des Salons wucherte mit
Gesang und Klavierbegleitung – viel Nichtssagendes und Krankhaftes wurde in
Musik gesetzt und dadurch populair. Eine Reaktion gegen die Trivialität der Wald- und
Mondscheinlieder versuchte die politische Lyrik.
2. Die Ballade.
Die Ballade ist das epische Lied, ein Lied, in welchem der Ton der Stimmung
und die sangbare Form vorwaltet, und welches daher das Ereigniß ganz in Empfindung auflöst.
Nur wenn wir diese Begriffsbestimmung in aller Schärfe festhalten, lassen sich die
Grenzstreitigkeiten zwischen Ballade und Romanze, deren Verwirrung durch den
schwankenden Gebrauch dieser Ausdrücke von Seiten unserer großen Dichter noch vermehrt ist,
ein für allemal grundrechtlich reguliren. Die Romanze ist dann eine episch-lyrische
Mischgattung, eine kleinere "poetische Erzählung," in welcher das Interesse des Kolorits und der
Schilderung überwiegt und die lyrischen Andeutungen und Sprünge das Element der musikalischen
Stimmung, die Sangbarkeit und Kürze,
[286] gänzlich verdrängt. Die Romanze als poetische Erzählung ist daher gar nicht an dieser
Stelle, sondern in der Lehre von der epischen Dichtung zu behandeln.
Die historische Entwickelung der Ballade und Romanze giebt uns für diese Unterscheidungen
freilich nur einen schwachen Anhalt. Romance, romanzo hieß in den romanischen
Sprachen anfänglich jedes Gedicht der Volkssprache im Gegensatze zu den lateinischen Gedichten. Im
Spanischen wurde diese Bezeichnung dann auf episch-lyrische, volksthümliche Gedichte übertragen, deren Rhythmus, der
drei- und vierfüßige Trochäus, ebenfalls diesen Namen erhielt. Die ältesten spanischen
Romanzen, wie die vom Cid, waren historisch-episch. Ihnen schlossen sich die
Ritterromanzen der wandernden Sänger, die maurischen und Schäferromanzen an. Größere
Sammlungen, Romanceros, wurden seit der Mitte des 16. Jahrhunderts herausgegeben.
Der vorwiegend epische Charakter und das farbengesättigte Kolorit der Romanze giebt uns ein
Recht, sie auch nach ihrer historischen Entwickelung als poetische Erzählung in das
epische Gedicht zu verweisen. Anders verhält es sich mit der Ballade, ein
Namen, der allerdings auch südlichen Ursprungs ist, indem das italienische "ballata"
im 12. Jahrhundert sonett- und madrigalartige kleinere Gedichte bezeichnet. Für das epische
Volkslied wurde der Namen im 14. Jahrhundert zuerst in England und dann in Schottland
angewendet. Aus solchen Volksliedern sind nicht blos in Deutschland, sondern auch in Rußland die großen
Volksepopöen entstanden, doch wandte man die Bezechnung: Ballade in Deutschland
erst an, als die englisch-schottischen Vorbilder bei uns eingebürgert wurden. Der nordische
Charakter gab dem epischen Volksliede etwas Schroffes, Springendes, Phantastisches, aber
auch jene Lakonismen der Empfindung, welche sich, durch den Gesang hevorgehoben, an die
musikalische Begleitung anlehnen konnten. Das Gespensterhafte, Unheimliche der alten
nordischen Sage war eine mehr zufällige Zuthat, und es muß ungeeignet erscheinen, den
Unterschied der Ballade von der Romanze auf dies Hereinragen einer
dämonischen oder spuk- und märchenhaften Welt in die Begebenheiten des Lebens zu
begründen. Die Ballade ist ein Lied, die Romanze eine Erzählung; die Ballade
sangbar, die Romanze nicht; die Ballade hebt die Handlung in der Stimmung auf, die Romanze die Stimmung
[287] in der Handlung; die Ballade ist von seelenvoller Kürze, die Romanze von farbenreicher
Ausführung; die Ballade skizzirt das Epische nur in traumhaften Umrissen, die Romanze giebt ihm den
vollen Glanz der Schilderung; die Ballade ist wesentlich lyrisch, die Romanze vorwiegend
episch. Diese Bestimmungen, die aus dem Wesen der Dichtungen hervorgehn, scheinen geeignet, die Grenzen
zwischen beiden Gedichten so scharf zu ziehen, daß eine Vermischung und Verwechslung derselben nicht mehr
möglich ist.
Eine Revision des uns überlieferten Balladen- und Romanzenschatzes nach den eben
aufgestellten Grundsätzen würde ergeben, daß von den Schiller'schen episch-lyrischen
Gedichten nur der "Ritter Toggenburg" wegen seines sangbaren Charakters hierher gehört, während Goethe's vom
Hauch der Stimmung wunderbar durchzitterter "Erlkönig" ein durchgreifendes
Musterbild der "modernen" Ballade ist. Der echte moderne Balladendichter ist Heinrich Heine im
"Buch der Lieder," während im "Romancero" die Romanze, die ausgeführte Erzählung,
überwiegt. In seinen Balladen: "die Grenadiere, die Heimführung, die Botschaft, Belsazer, die
Fensterschau," in seinen unübertroffenen Gedichten von der "Lorelei" und vom "Hirtenknaben" in
vielen, einzelnen kleinen Liedern, in denen das Epische gleichsam im lyrischen Aether
verzittert, ist der liederartige Charakter, das stimmungsvolle Element in mustergiltiger
Weise vorherrschend. Dies sanfte Verschweben des Epischen charakterisirt auch einzelne
Balladen von Uhland z.B. das Schloß am Meer, der Traum, Abschied u.a.,
während des "Sängers Fluch" zu den farbenreichen Romanzen gehört. Ebenso traumhaft
sind einzelne Balladen Brentano's und Eichendorff's, neuerdings hat
Theodor Fontane den Balladenton mit Glück getroffen, wenn er auch von den
altenglischen und schottischen Volksballaden her den düster schauerlichen Charakter
festhielt. Es ist in der That keine Nothwendigkeit für die Ballade der Neuzeit, aus Dr. Percy's
altem Balladenbuch die phantastischen Naturmächte, elementarischen Geister, Feen, Hexen
und sonstigen Gespenster zu opernhafter Ausschmückung mithinüberzunehmen; ebenso
wenig wie ein mittelalterlich ritterliches Kostüm zu ihrer unabweislichen Bedingung
gehört. Die Riesen der Edda hatten ihre Zeit, die tapfern Degen der Nibelungen die ihrige;
die Vertiefung in eine
[288] Welt untergegangener Sagen hat einen literarischen und wisenschaftlichen Reiz; aber dieser Reiz ist
unfruchtbar für die echte Volkspoesie der Gegenwart. Solch' eine Haudegen-Ballade, wie
"des Deutschritters Ave" von Geibel kann in unserer Zeit keine Sympathieen erwecken.
Dichter, wie Burns und Thomas Moore, schöpfen zwar aus dem schottischen
und irischen Volksleben; aber sie wissen doch der Sage eine echt menschliche und dauernde
Bedeutung zu geben und sie ganz in die Empfindung des Herzens aufzulösen. Indeß finden wir
bei Letzterem schon die Ansätze zu einer modernen Ballade! Béranger in einzelnen
episch gefärbten Chansons, Heine in seinen meisterhaften "Grenadieren," Zedlitz
in der "nächtigen Heerschau" haben mit Glück die Bahn betreten, die zu einer Verjüngung
der Ballade führt. Das jüngste Zeitalter ist reich genug an großartigen Reminiscenzen,
welche ein begabter Dichter in stimmungsvollen und sangbaren Balladen verwerthen kann – und so
wenig ein französischer Grenadier der großen Armee unsere nationalen Sympathieen besitzt, so versetzt er uns doch eher
in eine dichterisch sympathetische Stimmung, als ein alter Deutschritter, der einem
Litthauer-Häuptling den Schädel spaltet. Jene düstern schottischen Balladendichter
haben aus der Stimmung ihrer Zeit herausgedichtet – dichten wir so aus der unsrigen heraus! Haben
wir den Muth, alle akademischen Exercitien zu vermeiden, ob sie in Nachdichtungen der
Römer und Griechen oder der eigenen durch die germanischen Studien galvanisirten Volkspoesie bestehen.
Nur aus der Stimmung unseres Jahrhunderts heraus wird die echte Ballade gesungen, mag sie, wie oft bei
Heine, das eigene Erlebniß liederartig gestalten oder irgend eine Begebenheit des
socialen und politischen Lebens, aus der Fülle des eigenen Herzens wiedergeboren, in
frischem Liederquell hervorsprudeln lassen!
3. Das erhabene und komische Lied.
Obgleich sich das Lied meistens in der reinen Mitte des einfach Schönen bewegt, so
kann es sich doch auch den erhabenen und komischen Stoff aneignen. Das religiöse Lied
unterscheidet sich von der Hymne dadurch, daß es den erhabenen Gegenstand nicht in seiner
Erhabenheit feiert, sondern die hingebende, andachtsvolle Stimmung des eigenen Gemüthes,
das Gefühl der Getragenheit durch eine höhere Macht, in
[289] warme innige Klänge haucht. Unsere geistlichen Lieder, wie z.B. "wie groß ist
des Allmächt'gen Güte" und "wach auf, mein Herz, und singe," athmen diese ganze Innigkeit und
Festigkeit einer gottergebenen Gesinnung. Luther, Simon Dach, Flemming, Paul
Gerhard, Gellert, Lavater u.A. haben den geistlichen Liederschatz unserer
Nation mit den werthvollsten Spenden bereichert. Auf der andern Seite geht das komische
Lied aus der Stimming des frischesten Wohlseins und Wohlbehagens hervor.
"Ich hab' mein' Sach' auf Nichts gestellt," das ist der von Goethe angeschlagene
Grundton dieser Liederpoesie, ihr Wesen eine die Welt in die Schranken fordernde Jovialität.
Ein großer Theil der geselligen Lieder, der Studenten-, Trink- und Hochzeitlieder,
hat diesen heitern Charakter, der durch den allgemeinen Chorgesang sich zu lauter Fröhlichkeit steigert.
Auch das scherzhafte Ereigniß kann für ein solches fröhliches Lied willkommenen
Stoff hergeben. Opitz und Goethe, Holtei, Kopisch und Reinick
haben hier oft den richtigen Ton getroffen. Das bekannte Lied von Kopisch:
"Als Noah aus dem Kasten war" zeigt uns, wie diese unbefangene Heiterkeit selbst
die ehrwürdigen biblischen Gestalten in ihre Kreise zieht, ohne gerade in das
Burleske zu verfallen. Ueberhaupt bedarf das komische Lied eines
geschmackvollen Haltes, in seiner ausgelassenen Stimmung einer sittlichen Hemmung,
wenn es nicht in eine plebeje Zotenpoesie ausarten oder jenen dilettantischen Reimschmieden und
Versmachern anheimfallen soll, welche in die Saiten greifen, wie des Silen's Maulesel in die
Saiten Apoll's.
Dritter Abschnitt.
Die Lyrik der Begeisterung: die Ode.
Wenn das Gefühl des Dichters sich jenen ewigen Objekten zuwendet, wie Gott, Natur, Menschheit: so wird es mit begeistertem Aufschwung zu ihnen hinaufstreben; es wird sie zu erreichen trachten und, nachdem es sie voll in die Seele aufgenommen, mit vollen und mächtigen Klängen feiern. Auch die großen Gestalten der Fürsten und Helden, die Thaten des Krieges, die Siege des Gedankens stimmen die Seele zu diesem begeisterten Aufstreben; selbst die Empfindungen des Herzens, die Liebe, [290] die Freundschaft fallen in den Kreis dieser höheren Lyrik, nur muß dann der Dichter seiner Empfindung eine größere Tragweite geben, seine eigne Lust, sein eigenes Leid zu Lust und Leid der ganzen Menschheit erweitern.
So hat die Ode einen bedeutsameren Inhalt, als das "Lied". Ihre Geburtsstätte ist ein von den großen Mächten
des Lebens und den Phänomenen der Geschichte und Natur erregtes Gemüth, das im Bestreben, sie zu erfassen und sich
anzueignen, seine ganze eigene Kraft und Tiefe entwickelt. Während das Lied "etwas Knospenartiges und nur
halb Erschlossenes" hat, ist die Ode eine vollentfaltete Blüthe der Lyrik. Einzelne Oden, wie die der Sappho und
überhaupt der melischen Lyrik der Griechen, stehn an der Grenze des Liedes; aber sie unterscheiden sich
doch von ihm durch eine freiere und kunstvollere Haltung. Die Gluth der Leidenschaft sprengt die
einfach innige Form des Liedes; sie überstürzt sich in bewegteren Rhythmen; sie erhebt den Gegenstand,
der sie erfüllt, mit kühnerem Schwung über das Maaß und die Schranke des Gewöhnlichen. Das einfache
Gefühl geht in seine eigenen Tiefen zurück; das Lied ist wie eine Mimose! Ihm genügt eine Berührung von
Außen, und es faltet sich zusammen. Die Begeisterung jauchzt in alle Welt hinaus, was sie erfüllt: sie feiert sich
selbst in der Feier ihres Gegenstandes; sie sucht in der Welt umher nach Farben zu seinem Schmuck,
nach Klängen zu seinem Ruhm! Die Ode erscheint daher objektiver, als das Lied; sie erschließt
größere Perspektiven der Anschauung und des Gedankens; aber immer ist ihr das übertrömende
Gefühl, der hinreißende Schwung der Seele das
ἑν και παν
,
das alles Andere, Aeußere in sich verzehrt. Darum hat die Welt der Erscheinung kein selbstständiges Recht;
ihre Bilder werden aus dem Zusammenhang gerissen; die Trunkenheit des Dichters irrt von dem einen zum andern,
erhascht sie im Flug und schlingt sie um ihren Thyrsus. Deshalb ist auch der Charakter der Ode in Bezug auf
Komposition, sprachlichen Ausdruck und Rhythmus wesentlich vom Charakter des Liedes verschieden.
Die Komposition der Ode verstattet kühne Sprünge der Phantasie, welche die Bilder ohne alles behagliche Verweilen nur in lyrischen Fresken malt. Die Erregung des Odendichters ist allen großen Erregungen der Seele verwandt; sie hat etwas Visionaires, Prophetisches, Verzücktes. Doch auch da, wo sie minder gewaltig auftritt, läßt ihre [291] Unruhe sie nicht bei einem einzelnen Bilde verweilen, weil ja kein einzelnes die Fülle der Begeisterung erschöpfend spiegeln kann. Schon der am meisten epische Odendichter, Pindar, flicht eine Reihe plastischer Gemmen zum Kranz; aber die geistige Vermittelung ist eine kühne, welche die ergänzende Phantasie herausfordert. Das aber ist das Wesen der Gedankenverbindung in der Ode: abgerissene, vom Fluthstrom des Geistes aneinandergeschwemmte Bilder, kurz angedeutete kühne Uebergänge, Auslassungen und Sprünge; aber die scheinbare Unordnung und Willkür beherrscht von einer tieferen Einheit des begeisterten Gedankens. Freilich dürfen seine Abschweifungen nicht gänzlich zerstreuender Art sein, wie z.B. im zehnten pythischen Gesang des Pindar die Schilderung des Landes der Hyperboreer. Er mahnt den Sieger, daß er nicht ein ganz unbedingtes Glück finden, nicht wie Perseus in das Land der glückseligen Hyperboreer den Weg finden werde. So ist der Uebergang zur Schilderung dieses Landes wohl vermittelt; aber die Episode drängt sich zu sehr in den Vordergrund, und Pindar selbst hält eine Rechtfertigung für nöthig, indem er die Weise seines Siegesgesanges mit der Biene vergleicht, die ihren Honig aus verschiedenen Blumen sammelt. Wenn Horaz die Meerfahrt seines Freundes Virgilius (I, 3.) besingt, so beginnt er mit einem herzlichen Wunsche, daß ihm die andere Hälfte seiner Seele erhalten bleibe, daß das Schiff den Freund sicher an Attika's Gestade aussetze! Der Liederdichter hätte diesen Wunsch mit inniger und sinniger Wärme ausgesprochen und die ganze Gluth der Freundschaft in seine Verse gehaucht! Der Odendichter aber springt alsbald zu andern kühnern Bildern ab! Er sieht das Schiff, das den Freund trägt, in seinem Kampfe mit den Fluthen – und dies einzelne Bild wird ihm zum Bilde der ganzen, kühnen und ringenden Menschheit, welche den Gefahren der Fluthen und Stürme, der Brandungen Adria's, den schwimmenden Ungeheuern der Tiefe trotzt und über die von den Göttern gesetzte Scheidung des Oceans auf frevelndem Floß hinausschifft! Er schaut im Geiste den ganzen Trotz der Menschen gegen die Götter; den Uebermuth des Prometheus, der ihnen das Feuer raubt, des Dädalus, der sich auf menschlichen Flügeln in den Aether wagt, des Herkules, der durch den Acheron dringt; und aus einem der Freundschaft geweihten Liede wird eine der gedankenvollsten und die einzig titanische Ode des Horaz, indem [292] sich die Meerfahrt des Freundes zu einem großen Bilde der rastlos strebenden Menschheit erweitert. In "der Frühlingsfeier" besingt Klopstock den Lenz, aber nicht, wie der Liederdichter, der einzelne anmuthige Bilder wie Blumen zum Kranze reiht. Der Odensänger entrollt ein großes kosmisches Gemälde – wir sehn die Siebengestirne aus Strahlen zusammenströmen, aber auch das grünlich goldene Frühlingswürmchen neben dem Dichter spielen. Diese Malerei, entgegengesetzt einer harmonischen und ruhigen Schilderung, springt vom Größten auf das Kleinste; aber die erhabene Begeisterung des Dichters schlägt die Brücke zwischen Himmel und Erde.
Wie die Komposition, wird auch der sprachliche Ausdruck der Ode von großer Kühnheit und
oft stürmischer Bewegtheit sein. Die großartige Metapher und die Hyperbel treten hier an die Stelle der episch
malenden Vergleichung. "Das Roß mit seinem Donner im Halse schnaubet Entsetzen durch seine Nüstern! Sein Huf
stampfet die Erde auf; es erkühnet sich in seiner Macht und eilt entgegen den Gerüsteten!
Es spottet der Furcht, weichet nicht dem Schwerdt! Mag entgegen ihm rasseln der Köcher, der
Wurfspieß schimmern und Speer – es verschlingt die Erde in brausender Wuth
und harret der Drommete nicht!" So schildert einer der kühnsten Odensänger, der Dichter des
Buches Hiob, das Schlachtroß – wie ganz anders malt der Epiker Homer. "Der
geschmetterte Wald dampft" – singt Klopstock vom Gewitter. Das ist echter Lapidarstyl der
Ode! Stolberg feiert in seiner "Hymne auf die Erde" den Rheinstrom:
Dich seh' ich als Knabe,
Wo mit umwölkter Hand die Natur an gängelndem Bande
Ueber Nebel und stürmenden Winden und zuckenden Blitzen
Deinen wankenden Tritt auf zackiger Felsenbahn leitet!
Nur Pindar zeigt in seinen Gesängen noch ein vorwiegend episch-plastisches Element.
Das Beiwort muß in der "Ode" von schlagender Kraft sein – hier sind neue
und kühne Bildungen und Zusammensetzungen erlaubt, wenn auch ihr Uebermaaß der Ode
ein gekünsteltes Aussehen giebt. Schon die Beiwörter Pindar's sind nicht stereotyp
wie die Beiwörter Homer's; sie sind nicht blos malend, darstellend, sondern auch gedankenvoll.
Pindar singt vom "bezähmenden Golde"
[293]
(δαμασιφρονα
χρὺσον),
vom männerbeglückenden Reichthum
(μεγανορος
πλουτον),
von erdeschleichender Rede
(χαμαιπετέων
λόγων)
!
In diesen stolzklingenden, oft metaphorischen und kühn personificirenden Beiwörtern
liegt vorzugsweise die schwungvolle Kraft des Thebanischen Sängers, dessen Vorbild
die deutschen Odendichter nacheiferten, die Bildsamkeit der Muttersprache
zu kühnen Neubildungen benutzend. Freilich stand bei ihnen nicht immer der gute
Geschmack zu Pathen. Auch im Gebrauch der Inversionen dürfte größeres Maaß anzurathen sein,
da allzu häufige syntaktische Verrückungen dem Ganzen ein unnöthigerweise verschnörkeltes
Aussehn geben. Die stürmisch bewegte Begeisterung Klopstock's wird
auch bisweilen gesucht, offenbart aber in einzelnen Oden alle Schönheiten,
welche ihre Sprachbändigende Kraft hervorzubringen vermag. Welche hinundherflackernde Gluth der Sprache in
seiner "Frühlingsfeier!" Mit einem hyperbolischen Optativ und einer Inversion
beginnt das Gedicht:
Nicht in den Ocean der Welten alle
Will ich mich stürzen – schweben nicht u.s.f.
Dann drängen sich Wiederholungen einzelner Worte, Ausrufungen, ganzer Sätze aus der Fülle des Herzens heraus; Fragen wechseln mit erhabenen Lakonismen des Ausdruckes; wie Blitze des Herrn im geschilderten Gewittersturm eilen beflügelte Sätze:
Und die Gewitterwinde? Sie tragen den Donner!
Wie sie rauschen, wie sie die Wälder durchrauschen!
Und nun schweigen sie. Langsam wandelt
Die schwarze Wolke.
Seht ihr den neuen Zeichen des Nahen, den fliegenden Strahl?
Hört ihr hoch in der Wolke den Donner des Herrn?
Er ruft: Jehova! Jehova! Jehova!
Und der geschmetterte Wald dampft!
Kleinere Sätze nimmt diese wogende Sprachfluth mit syntaktischer Licenz in sich auf:
Nun ist, wie dürstete sie, die Erd' erquickt!
Oden, die nicht solchen hohen Aufschwung haben, sondern mehr an der Grenze des Liedes stehn, können eine minder zerspaltene Architektonik und mehr harmonische Getragenheit auch in ihrem sprachlichen Bau zur Schau stellen.
Die Rhythmik der Ode bedient sich, im Einklang mit ihrer
Kom[294]position und sprachlichen Einkleidung, der kühnsten metrischen Maaße. Der
Bau der Strophe, Gegenstrophe und Schlußstrophe, wie ihn Pindar gefugt, ist aus jenen
Marmorquadern der plastischen Sprache Griechenlands aufgebaut, deren Gewicht in unumstößlicher
Weise bestimmt war. Die regelrechteren Strophen der melischen Lyrik,
des Alkäus und Sappho, eignete Horaz dem lateinischen
Idiom an, und Klopstock, Voß, Platen machten sie in Deutschland heimisch.
Die Ode ist eine so prächtige, lyrische Form, so geeignet für große Bilder und Gedanken, für einen Genius, der das Ewige aus dem fliehenden Strom der Zeit herauszuheben sucht, daß man bedauern muß, sie, trotz des lyrischen Aufschwunges der neuesten Zeit, fast in Vergessenheit gerathen zu sehn. Fragt man nach den Gründen ihrer täglich wachsenden Verschollenheit: so tritt uns zunächst die absichtlich gelehrte und unvolksthümliche Haltung entgegen, welche von Klopstock ab bis auf Platen und Minckwitz von den Odendichtern angenommen wird.
Odi profanum vulgus et arceo!
Und diese Unvolksthümlichkeit wird nicht durch die Stoffe der neuen Ode, sondern durch ihre Behandlungsweise hervorgerufen. Eine kunstvoll verwickelte Metrik hemmte sowohl den Schwung der Dichter selbst und zwang sie zu Künsteleien, als sie auch mit ihrem studirten Wohllaut nicht auf die Empfänglichkeit des deutschen Volkes rechnen durfte.
Ich habe in meinen "Neuen Gedichten" eine volksthümliche Wiedergeburt der Ode
durch den Reim anzubahnen versucht, nach welchem einmal der sehnsüchtige und
unüberwindliche Zug unserer Lyrik geht. Daß dieser Reim unseren antiken Strophen
nicht widerspricht, hab' ich schon oben dargethan. Sie erhalten erst durch ihn volle
rhythmische Klarheit und ansprechenden Zauber. Allen Mitstrebenden aber, denen die
herrliche "Ode," welche für jeden großen Inhalt des Jahrhunderts eine willig tragende
Form ist, am Herzen liegt, schlag' ich folgende Formen zu ihrer Wiederbelebung vor:
1) Die gereimten Horazischen Strophen, die alcäischen, sapphischen und
asklepiadäischen und gereimte rhythmische Neubildungen auf ihrer Grundlage.
2) Gereimte, freie, wechselnde Verse in der Art, wie sie reimlos von
[295] Stolberg, Kosegarten, Goethe, Heine in seinen Nordseebildern,
gereimt von mir in meiner "Hymne an den Tod" angewendet wurden.
3) Gereimte Pindarische Strophen, Gegenstrophen und Schlußstrophen von metrischer Strenge, aber Einfachheit, sodaß die Gegenstrophe ein bis in's Kleinste entsprechendes Gegenbild der Hauptstrophe, die Schlußstrophe ihre taktvolle Vereinigung ist *).
4) Gereimte jambische Strophen von abwechselnder Länge der Verszeilen, wie sie mit großem Geschick Uz besonders in seiner Theodicee und Ramler in einigen Oden gebildet. Z.B.
Mit sonnenrothem Angesichte
Flieg' ich zur Gottheit auf! Ein Strahl von ihrem Lichte
Glänzt auf mein Saitenspiel, das nie erhab'ner klang.
Durch welche Töne wälzt mein heiliger Gesang,
Wie eine Fluth von furchtbarn Klippen
Sich strömend fort, und braust von meinen Lippen. Uz.
oder
Dein König, o Berlin, durch den du weiser
Als alle deine Schwestern bist,
Voll Künste deine Thore, Felsen deine Häuser,
Die Flur ein Garten ist. Ramler.
Die zweite und dritte Form eignet sich mehr für hymnenartige Gesänge; die erste und vierte für einfachere, dem Liede näherstehende Oden.
Je nachdem die Begeisterung des Dichters die höchsten unerreichbaren Mächte der Welt
und des Lebens ansingt, oder das menschlich Nahe und Verwandte feiert, oder im
Taumel des irdischen Lebens eine göttliche Beseligung findet, kann man die Ode
in die Hymne, die eigentliche Ode und die Dithyrambe eintheilen.
1. Die Hymne.
Die Hymne ist in freiester und kühnster rhythmischer Form ein Hinansingen zur Gottheit, zu den ewigen Mächten, von denen der Mensch sich abhängig fühlt. So ist sie religiös im weitesten Sinne des Wortes, und [296] selbst die Verzweiflungspalmen der Skepsis, wie Shelley in seiner "Queen Mab" sie anstimmt, gehören in ihren Kreis, weil das Gemüth selbst in gebrochenster Sehnsucht nach dem Höchsten aufringt.
Die schönsten Hymnen enthält die Hebräische Poesie. Jehova, der Höchste, der Allmächtige,
der zürnende Gott wird gefeiert in seiner erhabenen Majestät als Schöpfer der Welt. Alle
großen Phänomene der Natur sind seine Thaten! Er fliegt einher auf den Fittigen des Sturmes;
er neigt die Himmel und fährt herab; seinem Mund entströmt verzehrende Gluth in der Wetter Schlag.
Zugleich ist er der Gott seines Volkes; alle diese religiösen Hymnen sind die höchsten patriotischen Weihegesänge. Das
Wesen dieser hebräischen Poesie hat Herder mit unvergleichlicher
Feinfühligkeit für das charakteristisch Schöne und mit meisterhafter Reproduktion
der großen Muster ein für allemal auseinandergesetzt. Der alttestamentliche Prometheus
"Hiob" ist der Urahn jener modernen Shelley'schen Skepsis; im Buche Hiob sind
die kühnsten, gedankenvollsten Hymnen der Hebräer enthalten, deren reiche und
glänzende Bildlichkeit oft einen grandiösen Schwung nimmt. Die Fackel eines majestätischen Geistes
erleuchtet das All bis in seine tiefsten Abgründe und erlischt zuletzt vor der größeren Glorie und
Majestät des Jehova. Von den Propheten ist Jesaias der Erhabenste; er schreibt den
Lapidarstyl der Hymne mit großen und ewigen Zügen. Gewitterhaft ist sein Zorn, zermalmend sein
Hohn, z.B. wenn er Jehova's Strafgericht über die Babylonier und Assyrer schildert (14. Kapitel).
Hinabgebeugt zu den Todten ist dein Stolz
Hinunter deiner Harfe Siegeston;
Der Moder deine Decke.
Dein Bett ist unter dir der Wurm,
Wie bist du gefallen vom Himmel, du Morgenstern!
(NachHerder.)
Diese Parallelismen des Jesaias haben eine zerschmetternde Kraft! Sanfter tönen
die Psalmen Davids, sie sind subjektiver, aus dem persönlichen Geschick herausgeboren,
Gebete um Errettung, Trostlieder im Leiden, Dankeshymnen, Preisgesänge auf den
Schöpfer der Natur und auf jenes Glück, das zu Antium keinen Tempel hatte, auf das Glück der
Tugendhaften. Bei allen milden, weichen Klängen der Ergebung und manchen höchst
anmuthigen und lieblichen Schilderungen, an denen
[297] die Psalmen reich sind, fehlt es ihnen doch keineswegs an energischem
Hymnen-Schwung, wir erinnern an jene Stellen voll großartigster dichterischer
Intuition und Schlagkraft, wie: "Er schauet die Erde an, so lebt sie; er rühret die Berge an, so rauchen sie."
Die griechischen Hymnen von Orpheus, Homer und Kallimachos, zu denen noch einzelne
Chorgesänge des Aeschylos und Sophokles zu rechnen sind, wie z.B. im König
Oedipus der Gesang an die Götter um Abwendung der über Theben verhängten Seuche,
erreichen die hebräischen nicht in Bezug auf erhabenen Schwung und haben einen vorzugsweise
epischen Charakter. So enthält die Homerische "Hymne" auf Dionysos eigentlich eine
Ovidische Metamorphose, indem sie eine That und Verwandlung des Gottes in anmuthig
anekdotischer Form erzählt. Die Siegeshymnen Pindar's, des thebanischen Sängers,
welche den Preis der Sieger doch immer in den Preis der Götter verweben, lassen sich an Schwung
und Kühnheit noch am ersten mit den biblischen Hymnen vergleichen. Doch sind sie ihnen in Bezug
auf die Behandlungsweise entgegengesetzt. Die feurige Begeisterung der Propheten verzehrte gleichsam
in sich alle irdische Bildlichkeit; ihre Phantasie schwelgte in den Parallelismen
der Bilder, die alle den einen, großen, unaussingbaren Gedanken spiegelten. Die Komposition ihrer Hymnen und
Psalmen war daher von durchsichtiger Einfachheit. Dagegen ist gerade die Komposition von Pindar
labyrinthisch verschlungen, und das Geheimniß seiner Kühnheit besteht in den scheinbar immer
abgerissenen Gedankenfäden, welche doch zuletzt ein kunstvolles Gewebe bilden. Die Hymnen
Pindar's sind plastisch, eine Reliefdarstellung der Thaten der Helden und Götter wechselt darin
mit Weisheitssprüchen, die mit energischen Zügen in den Marmor gegraben sind. Auch diese
Hymnen liefern den Beweis dafür, daß die Lyrik der Griechen sich nie ganz von der Epik losgerungen hat. Man
vergleiche im vierten pythischen Gesange die Schilderung des Argonautenzuges, im dritten die
Geschichte des Asklepios, im neunten die der Nymphe Kyrena. Kein Gesang entbehrt eines
epischen Schmuckes, keiner gnomischer Weisheitslehren, die allerdings in den stolzen Rhythmen und der
typischen Fassung wie erhabene Offenbarungen eines Orakel spendenden Gottes ertönen.
Von den Römern kann nur Horaz im würdig-feierlichen "carmen
[298] seculare" als Hymnendichter erscheinen, dagegen hat die neulateinische
Poesie in ihren Hymnen z.B. auf die Jungfrau Maria, die mittelhochdeutsche Dichtkunst in den Hymnen
Gottfried's von Straßburg einen innigen, von Andacht trunkenen Aufschwung genommen. Die
Hymnendichter der letzten Jahrhunderte, der italienische Bernardo Tasso, der die
Einheit des Kolorits durch mythologische Anspielungen unterbricht, die Franzosen
Jean Baptiste Rousseau, Louis Racine, le Franc, die Engländer Cowley, Prior,
Thomson (in der Schlußhymne seiner Jahreszeiten), Gray, Watts und selbst Wieland in
seinen Jugendgedichten, von Kleist, Cramer, Herder (in dem Geist der Hebräischen Poesie) und
Klopstock haben eigentlich nur Nachahmungen und Nachdichtungen der biblischen Hymnensänger geschrieben.
Dagegen sind Hölderlin's "Hymne an den Aether," die Goethe'schen Hymnen
"Prometheus," "Gesang Mahomets," und einzelne schwunghafte Gedichte, Mörike's "An die Nacht,"
"mein Fluß," in echt modernem Sinn ewigen Mächten der Natur und des Geistes gewidmet. Auch
in Shelley's "Queen Mab", in Byron's "Manfred" und "Himmel und Erde" sind titanische Hymnen des ringenden
Menschengeistes zerstreut. Ich selbst habe in meiner "Hymne an den Tod" in den "Neuen Gedichten"
schwunghaft wechselnde, gereimte Rhythmen für diese erhabene Dichtform gewählt.
2. Die eigentliche Ode.
Die Ode feiert in kunstvolleren Rhythmen und erregterem Gang, als das Lied, hervorragende
Helden, Staatsmänner, Dichter oder allgemeingültige Empfindungen des menschlichen Herzens. Das
Gefühl der Liebe, der Freundschaft, Sehnsucht, Wehmuth, läßt sich in die "Form der Ode" bringen,
wenn ihm der Dichter einen tieferen, ewigen Gehalt zu verleihn vermag oder die Gluth der Liedenschaft
eine den Rahmen des Liedes sprengende Gewalt erreicht. Darum darf man jene Oden der lesbischen
Sängerin, in denen die Allgewalt der Liebe bis zu todesartigen Schauern geschildert wird,
wohl nicht zu den Liedern rechnen. Der Kreis, den die Horazische Ode umschrieben, bestimmt noch heute die
Grenzen ihres Gebietes. Man hat zwischen heroischen, didaktischen oder philosophischen Oden
u.s.f. unterschieden, aber diese Unterscheidung ist weder nothwendig noch erschöpfend.
[299] Liebe hat, außer der leidenschaftlichen Sappho, schon Horaz in seinen
"Oden" verherrlicht, die komfortable, sinnliche Liebe bei'm Mischkrug, selbst häßliche und
widerwärtige Entartungen der Sinnlichkeit. Innige Herzensliebe durchdringt einzelne Oden
Klopstock's, der auch, nach dem Vorbilde des Venusiners, seinen Freunden schöne
lyrische Denkmäler setzte. Der günstigste Stoff für die Ode ist das geschichtliche Leben
der Menschheit, am günstigsten, wenn es in frischer Gegenwart ergriffen wird. Schon Alkäos besingt das auf den
hochgehenden Wogen der Revolution hin und her geschaukelte Staatsschiff, und in den meisten Oden des Horaz,
besonders in denen an den großen Augustus, spiegelt sich die ganze
Glorie der weltbeherrschenden Roma. Es ist ein ethnographischer Kosmos, den der Dichter
in seinen alcäischen und sapphischen Strophen ausmalt. Von dem nahen Sabinergebirge und
dem schneeschimmernden Sorakte wendet der Dichter den Blick auf den Kaukasus, auf die Syrtenstrudel,
singt von Persern und Brittannern, Iberern und Medern, vom schweifenden Scythen und von
Sabäa's niebezwungenen Königen! Ebenso wendet er rückwärts den Blick in die Geschichte seines
Volkes, zu Romulus und Numa, Kurius und Kamillus – bei aller Nachahmung der griechischen
Vorbilder läßt er den stolzen Römergeist in ihren Formen walten. Als die Deutschen in Friedrich dem Großen wieder einen
volksthümlichen Helden hatten, folgten Ramler und Klopstock dem Vorgang des Horaz und feierten seinen
Ruhm. Auch die wechselnden Ereignisse der französischen Revolution von ihrem verheißungsvollen
Anfang bis zu den späteren Gräueln begleitete Klopstock mit einem Odenschwung, der
feurig seine Sympathieen und Antipathieen aussprach. Platen verherrlicht ebenfalls
große Fürsten und Zeitgenossen in seinen "Oden," in denen die antirussische Gesinnung oft
einen haßglühenden Ausdruck findet. Auch Hölderlin weiht den Deutschen zwei bedeutsame
Strophen. Byron's Ode auf "Napoleon" athmet den echten brittischen Freiheitsstolz, während in
Victor Hugo's "Oden" die Begeisterung für die Bourbon's mit stolzen imperialistischen Reminiscenzen wechselt.
Die Ode als glänzender Spiegel der Zeitgeschichte und der nächsten Vergangenheit, als eine Dichtung,
in welcher große geschichtliche und Welt-Perspektiven entrollt und bedeutende Zeitgenossen gefeiert werden, empfiehlt
sich den Dichtern der Gegenwart,
[300] welche den ewigen Gehalt unserer Zeit für alle Zeiten auszusprechen bestrebt sind.
Auch für einen den Tiefen der Natur und den Räthseln des menschlichen Lebens zugewendeten Gedankenflug
ist die Ode eine treffliche Form, nur muß sie nicht einer behaglich sinnenden Reflexion oder gar einem
lehrhaften Tone verfallen, nicht abstrakte Begriffe oder allegorische Gestalten ansingen. Dies
haben einige ältere englische und französische Odendichter nicht vermieden. Wenn Thomas
die Zeit, Shenstone die Gesundheit, Akenside den Argwohn, Miß Carter die Weisheit, Collins
die Leidenschaften, Thomas Warton den Selbstmord andichtet: so befinden wir uns unmittelbar
im Gebiete einer nüchternen Reflexion, welche sich in aller Breite ausgießt, während die
Ode nur im Schwung die leuchtenden Gipfel des Gedankens berühren darf. Hierin ist Klopstock
nachahmenswerthes Vorbild, während Hölty sanftere Ergüsse edler Naturbegeisterung
in anmuthige Rhythmen aushaucht. Gerade für die eigentliche "Ode" eignen sich die antiken
Strophen, besonders in der gereimten Form, während die Hymne und Dithyrambe in ihrem freieren,
stürmischen Takt die Weise Pindarischer Strophen oder der kühnsten rhythmischen Wechsel verlangen.
3. Die Dithyrambe.
Diese aus der Hymne hervorgegangene, aber ihr entgegengesetzte Dichtung, welche die ganze Fülle,
den ganzen Taumel irdischer Beseligung athmet, darf man nicht für veraltet erklären,
wenn auch schon Herder in der zweiten Sammlung seiner Fragmente behauptet, daß sie für unser
Zeitalter nicht mehr passe, sondern für eine wenig gebildete sinnliche Zeit,
in welcher sie auch ihren Ursprung genommen. Wenn Herder dabei an jene sclavischen
Nachahmungen der Alten denkt, wie sie Willamov seiner Zeit versucht oder die
Italiener Redi, Baruffaldi, Chiabrera, Magalotti u.A., welche mit antiker Bacchusmaske einen
durcheinander wogenden Verskarneval dichteten, so ist ihm nur Recht zu geben; denn der
indische Bacchuszug, das monotone Evoëgeschrei, das Schwenken eines gedankenlosen Thyrsus, Mänaden-
und Satyrchöre mit einem gelehrten Tumult in Noten erläuterter Instrumente paßt durchaus nicht
mehr in unsere Zeit. Anders bei Pindar und Bacchylides, seinem
[301] Zeitgenossen, anders bei Horaz, der dem weinlaubbekränzten Gott in seine
süßen Gefahren folgt! Diese Dichter sangen aus dem Glauben und den Sitten
ihres Volkes, aus seinem unmittelbaren Leben heraus! Doch gerade die Dithyrambe ist
solch' einer Wiedergeburt aus dem Geiste unserer Zeit fähig. Der aufjauchzende Vollgenuß irdischer Wonne ist ein
unsterbliches Erbtheil der Menschen und übt eine befreiende Kraft auf alle stumpfen,
sorgengedrückten Gemüther. Es ist freilich ein großer Schritt von der gedankenlosen
Bestialität in Auerbach's Keller zu Heinse's schönheittrunkenen römischen Orgien. Die
Trunkenheit eines großen Gemüthes ist niemals gedankenleer; der von Bacchus gewaltsam fortgerissene
Horaz sinnt ein unsterbliches Lied auf Cäsar's Ruhm, das nichts Gemeines, Sterbliches,
das bisher nie Gesungenes enthalte! Stumpfe Gemüther, deren Sinnlichkeit sich brutal
vordrängt, sind überhaupt von der Schwelle der Dichtkunst zurückzuweisen. Sind nicht
Goethe's "Wanderer's Sturmlied" und "Harzreise im Winter" Dithyramben? Hat Heine nicht in seinem
Bremer Rathskeller eine humoristische Dithyrambe gedichtet? Ich selbst habe in meiner "Dithyrambe" eine
gedankenvolle Trunkenheit in freiwogenden Rhythmen durch den wachsenden Rausch begleitet. Wir meinen,
das dithyrambische Thema lasse für unsere Zeit die größten Variationen zu, und wenn
schon Schiller in seiner antikisirenden Dithyrambe singt:
Nimmer, das glaubt mir,
Erscheinen die Götter,
Nimmer allein.
Kaum daß ich Bacchus, den Lustigen habe,
Kömmt auch schon Amor, der lächelnde Knabe,
Phöbus der Herrliche findet sich ein;
so brauchen wir blos diesen Götterkreis in den Kreis der modernen Lebensmächte zu verwandeln, um den reichen Inhalt zu erkennen, dessen die Dithyrambe fähig ist. Von der übermüthigen Stimmung jener Ungebundenheit, welche ihre Sache auf Nichts gestellt hat, durch alle heiß loderne Begeisterung des Weines und der Liebe hindurch bis zu jenem geistvollen Taumel, in dessen Gährung höhere Blitze der Offenbarung herniederleuchten – welch' eine Skala von Stimmungen, Empfindungen, Gedanken für ein reiches Dichtergemüth, das sich ja schon anundfürsich [302] in einer gehobenen Stimmung befindet! Selbst ein unruhiger Krankheitsstoff der Zeit und des Herzens kann vorübergehend in einer ausstürmenden Dithyrambe mit ausgähren! Wir machen auf alle diese höheren lyrischen Gattungen die Talente der Gegenwart um so mehr aufmerksam, als die liederartige, an das Klavier gebannte Lyrik so sehr in erdrückender Massenhaftigkeit vorherrscht, daß unter dem Banne ihrer weitverbreiteten Trivialität die originelleren Formen der Lyrik, die ein genialeres Gepräge zulassen, fast in Vergessenheit zu gerathen drohn.
Vierter Abschnitt.
Die Lyrik der Reflexion: die Elegie.
Der lyrische Dichter kann nicht blos der Empfindung im Lied einen
koncentrirten und musikalischen Ausdruck geben, nicht blos mit schwunghafter
Begeisterung große Gedanken und kühne Bilder im Flug der Ode erhaschen –
er kann auch sein Denken und Empfinden in einer Kette zusammenhängender Bilder
ausspinnen. Während das Lied und die Ode eine schlagende Kürze des Ausdrucks verlangen, jenes,
um die unmittelbare Empfindung zu treffen, diese, um der Energie des schwunghaft
aufgeregten Geistes gerecht zu werden: darf sich die Elegie in freien,
ungehemmten Ergüssen ergehn, mit mehr Ruhe die vorschwebenden Bilder ausmalen,
alle angeschlagenen Saiten voller austönen lassen; ja dieser Wellenschlag der hinundhergehenden
Empfindung gehört zu ihrem eigensten Wesen. Indem hier der Ausbreitung des dichterischen Geistes mehr Raum gegeben,
indem ihm sowohl das schildernde Verweilen, als das sinnige Vertiefen gestattet wird, eignet sich diese
Gattung vorzugsweise für eine Epoche der Gedankenbildung, die mancherlei
Vermittelungen durchlaufen hat, und der größte Theil
der modernen Lyrik gehört in ihren Kreis. Zunächst aber müssen wir historisch
rechtfertigen, daß wir den Ausdruck: Elegie, dem gewöhnlich eine engere Bedeutung
gegeben wird, zur Bezeichnung dieser umfangreichen lyrischen Gattung, ja der ganzen Gedankenpoesie der
Gegenwart anwenden.
Das griechische Wort: Elegos
(
ἔλεγος
)
bedeutet allerdings zunächst
[303] ein Klagelied und stammt wahrscheinlich aus Kleinasien, wo die Karer und Lyder gerade in Todtenklagen
und überhaupt in melancholischer Sangesweise ausgezeichnet waren
*).
Diese Klagelieder Kleinasiens wurden vom Flötenspiel begleitet, und auch in Griechenland war die
Flöte, und nicht die Kithar oder Lyra, die musikalische Genossin der Elegie und
begleitete sowohl die kriegerischen Gesänge des Tyrtäos, wie die dichterischen Vorträge, welche die
zweite Hälfte der Gastmähler, der Symposien, belebten. Hier war die
eigentliche Stätte der griechischen Elegie, welche die engen Grenzen des Klageliedes bereits
überschritten und sich zu einer vielumfassenden Gattung ausgebreitet hatte. Die Griechen
bestimmten die Gattungen der Dichtung nach der metrischen Form, welche mit dem Inhalte zu einem plastischen
Gusse verschmolz. So bedeutete das Wort Elegeion bei ihnen eine metrische Gestaltung, die
Verbindung des Hexameters und des Pentameters, und Elegie war ihnen ein in dieser
metrischen Form abgefaßtes Gedicht. Der Charakter des Distichons, in welchem der epische
Hexameter, der beflügelt in's Weite strebt, im Pentameter zur Rückkehr, zur Einkehr in sich
selbst eingeladen wird, gab allen diesen Gedichten einen reflektirenden Zug,
und man darf mit Recht behaupten, daß die ganze Reflexionspoesie der Hellenen der elegischen
Gattung angehört! Wie manichfach war der Inhalt der griechischen Elegie! Kriegerisch und politisch
bei Kallinos und Tyrtäos, zwischen Politik und Liebe schwankend bei
Mimnermos, zwischen Politik und Philosophie bei Solon und Theognis,
behielt sie in einzelnen Dichtungen des Archilochos und Simonides ihren
ursprünglichen nänienartigen Charakter in der Trauer um die Todten bei, während sie in andern sich im Lobe des Weines
und der Hetären erging und ein heiteres Behagen zu erwecken suchte, ja hinundwieder, wie in den
Versen des jonischen Sängers Asios, selbst einen humoristischen, die epische Würde parodirenden
Charakter annahm. Die Fülle der von den griechischen Elegikern angeschlagenen Töne ist so mannichfach, daß
man fast das einheitliche Band zu vermissen glaubt, wenn es nicht eben in jener durch das Versmaaß
bestimmten reflektirenden Dichtweise
[304] gegeben wäre. In Rom, wo der Nationalcharakter diese Richtung des Gemüthes begünstigte,
hat die Elegie von allen Dichtarten die größte Vollkommenheit erreicht. Auch hier
zog sie eine Fülle von Empfindungen und Gegenständen in ihren Kreis, obwohl das erotische
Element vorwiegt. Auch trat hier ihr Grundcharakter, das Hin- und Herwogen der Gefühle, die an einer
Reihe von Bildern hinundhergehende Reflexion, noch entschiedener und kunstmäßiger als bei den Griechen hervor.
Der Blick auf die antike Elegie zeigt hinlänglich, mit welchem Unrecht sich diejenigen auf die Alten berufen, welche den Begriff der Elegie in der gewohnten engen Weise beschränken.
Doch nachdem wir die Einseitigkeit dieser Begriffsbestimmungen nachgewiesen, wird uns der tiefere
Zusammenhang zwischen der elegischen Dichtung in unserer weiten Auffassung
und der Urbedeutung des Wortes nicht entgehn. Die
Stimmung des reflektirenden Dichters, ja das Wesen der dichterischen Reflexion selbst wird stets einen
elegischen Zug behalten, der als ein weiches Element der Stimmung solchen Dichtungen
zu Grunde liegt. Die Reflexion dringt nicht in die Tiefe der Dinge ein; sie geht nur zwischen ihren
Beziehungen hinundher. So bleibt ihr, bei allem Wechsel der Anschauung und Empfindung, eine
Unbefriedigung zurück, die sich selbst in der Freude als stille Wehmuth niederschlägt, den kriegerischen
Akkorden das düstere Vorgefühl des Todes beimischt, einem für den Aufschwung des Staates und der
Nation begeisterten Gemüth bei aller vorwärts drängenden Begeisterung doch die Klage über die
verkommene Gegenwart einhaucht und über den wechselnden Situationen der Liebe
gerade durch das Bewußtsein dieses Wechsels einen wehmüthigen Schleier legt. Die Vergänglichkeit alles
Irdischen ist der durchklingende Grundton aller Reflexionen. Es genügt, wenn dieser Ton nur
hier und dort aus der Elegie heraustönt, ja wenn er nur wie ein leisezitternder Hauch
darüber schwebt, nur von dem feineren Gefühl empfunden wird. Er kann auch gleichsam nur ein
ausweichender Ton, eine harmonisch wieder aufgelöste Dissonanz sein; der Dichter kann von
ihm ausgehn, ohne zu ihm zurückzukehren. In der That finden wir bei den großen
Reflexionspoeten aller Zeiten diesen elegischen Zug, diese Grundstimmung, aus welcher
die ganze Dichtgattung hervorgegangen. Wie tönt die Trauer um den Verfall des
Vaterlandes schon aus den Elegien des
[305] Theognis! Welch' wehmüthiger Rückblick auf die Tapferkeit der alten Smyrnäer,
welche reizende, aber gerade durch die Ahnungen der Vergänglichkeit anmuthig gefärbte Feier der Jugend und
Schönheit findet sich in den Elegieen des Mimnermos! Tibull geht
in einer seiner kunstvollsten Dichtungen von den Schrecken des Krieges aus und mischt so in die Schlußfeier des
Friedens einen elegischen Hauch
*).
Wer zuerst zu Tage gebracht die schrecklichen Schwerter,
Wild im Busen fürwahr schlug ihm ein eisernes Herz.
Da begann den Menschen der Mord und die Schlachten begannen,
Und ein kürzerer Weg wurde geöffnet dem Tod.
Wie mischt sich im Liebesroman seiner Delia mit aller Freude über verbotenen Genuß die leise
Klage darüber, daß der volle gesicherte Besitz der Geliebten ihm fehlt. Wie wandelt sich
selbst bei dem kühneren Properz die glückliche Liebe in eine unglückliche um! Wir erinnern nicht an Petrarca's
Sonette, an viele Kanzonen der Troubadours – die ganze reiche Gedankenpoesie der
Neuzeit verleugnet jenen Grundzug der Stimmung nicht. Die römischen Elegieen Goethe's
sind dem Tibull und Properz nachgedichtet und erhalten dadurch ihren Reiz, daß die Liebe des
Dichters, selbst vergänglich und flüchtig, unter den Trümmern einer großen
Vergangenheit dahingaukelt. In den
"Göttern Griechenlands"
von Schiller, den "Idealen" und ähnlichen
Gedichten unseres größten Reflexionspoeten läßt die Sehnsucht nach einer versunkenen
Phantasiewelt oder nach der innigen Vermählung des Gedankens und der Wirklichkeit den
Schmerz der nüchternen Gegenwart um so tiefer empfinden. Im "Schutt" von Anastasius Grün
rankt sich die Wehmuth des Dichters noch um die alten Thürme und Klöster; das europäische
Mittelalter singt sein Schwanenlied; aber in seine Ruinen weht der frische Hauch über den
Ocean herüber aus der neuen Welt! Nikolaus Lenau klagt um das verlorene Paradies des
Glaubens oder um verlorenes Liebesglück; Alfred Meißner in seinen "Trümmern" um das Weh der
Armen, der Enterbten, der ganzen Menschheit! So ist der Grundzug der Reflexionspoeten allerdings
durch die Vergänglichkeit des Irdischen bestimmt. Die Stimmung des elegischen Dichters ist ein den
Erschei[306]nungen hingegebener Sinn, der gleichsam mit ihnen ebbt und fluthet,
von Empfindung zu Empfindung, von Bild zu Bild hinläuft, aber bei seiner Rückkehr aus der
Fülle der Welt und ihres wechselnden Spiels in das eigene Gemüth kaum eine andere Ausbeute
mitbringt, als die Einsicht in die rasche Flucht der Erscheinungen, die wie ein melancholischer
Duft dann über allen Bildern zittert, die er entrollt. Der Inhalt kann so mannichfaltig
sein, wie die Erscheinungswelt, wenn er sich auf jene Grundfärbung der Seele auftragen läßt.
Wir erwähnten bereits die kriegerischen und sympotischen Elegieen der Griechen, die erotischen der
Römer. Die Sirventes der Provençalen, viele Elegieen Paul Flemming's haben einen
politischen Zug. Liebe und Freundschaft, Staat und Krieg, das religiöse Gefühl (Lamartine, Lenau),
die Weltgeschichte (Schlegel, Schefer), der ringende Gedanke (Schiller, Byron), die gesellschaftlichen Zustände und die
Menschheit (Grün, Meißner, Sallet, Beck) geben eine weitreichende Skala der Stoffe für den elegisch reflektirenden
Grundton. Die Todtenklage im engern Sinn ist natürlich nicht ausgeschlossen – nur
darf sie in der Form nicht so kurzathmig sein, wie meistens bei Salis und Hölty,
– denn dadurch geht sie in die Gattung des "Liedes" über – sondern muß mit
sinniger Reflexion, wie in den "Kanzonen" von Zedlitz, ihre Todtenkränze auf die Gräber legen.
In der Komposition unterscheidet sich die Elegie wesentlich von der engen und innigen
Einheit des Liedes und von den skizzenhaften Sprüngen der Ode. Sie führt uns eine
zusammenhängende Kette von Bildern und Empfindungen vor, gestattet dem Dichter eine freie
Umschau über Welt und Leben, selbst die Schaustellung einer vielfach vermittelten Bildung; sie
führt mit Behagen eine Fülle von Variationen über das ursprüngliche Thema aus. Doch dürfen die
Uebergänge von einer zur andern nicht so schroff und gewagt sein, wie die Sprünge der Ode,
sondern leicht, fließend und natürlich. Je mehr sich mit dieser Natürlichkeit ein kunstvoller
Fugengang vereinigt, je überraschender bei aller Klarheit die Rückkehr von scheinbaren Abweichungen zum Grundton,
ihr Hinüberführen in denselben ist, je glücklicher
die Elegie Anfang und Schluß harmonisch zu verweben weiß:
desto kunstvoller wird die Gliederung ihres ganzen Organismus, desto gefälliger der Eindruck sein, den sie
hervorbringt. Auch der Elegiker geht von einer bestimmten
Situa[307]tion aus, mag dies nun eine Lage des Gemüthes oder ein Verhältniß
der äußern Welt sein, wie in den Delia-Elegieen des Tibull sein Kriegszug, seine Erkrankung, die
Studienreise des Properz nach Athen, Schiller's "Spaziergang," Meißner's Wanderung in's Gebirg nach einer
"Zeit der Schmerzen;" aber es handelt sich in der Elegie nicht, wie im Liede, darum, diese eine Situation
in einem einzigen Akkord der Stimmung aufgehn zu lassen, sondern sie ist nur der Ausgangspunkt für eine
Reihe anderer, welche sich ungezwungen an sie anschließen. Deshalb läßt sich auch für die äußerliche Ausdehnung
der Elegie keine Grenze ziehn; die römischen Musterelegieen des Tibull, Properz und Ovid
bilden sogar meistens einen größeren Cyklus, in dessen umfassende Gliederung sich die einzelnen Elegieen
kunstmäßig einreihn. Aehnliche umfangreiche Elegieen der Neuzeit sind z.B. die
Todtenkränze von Zedlitz und der Schutt von Anastasius Grün.
Zur Erläuterung der elegischen Komposition wählen wir zwei Muster aus der alten und neuen Zeit. Die dritte Elegie der ersten Buches von Tibull:
Ohne mich, Messala, durchschifft ihr ägäische Meerfluth,
Bliebet ihr meiner doch du und die Deinen gedenk!
wird von Otto Gruppe, der sich um die sinnvolle Anordnung und kritische Sichtung der römischen
Elegiker große Verdienste erworben, in folgender Weise erläutert
*):
"Hier ist kein einfacher Fortgang, sondern in reichem Wechsel geht der Gedanke von Scene zu Scene.
Eine wirkliche Situation liegt zu Grunde: der Dichter erkrankte unterwegs, als er Massala nach Aegypten
begleiten wollte, und mußte auf der Insel Korcyra zurückbleiben. Dies setzen die ersten Verse sogleich
in's Licht, wo er bedauert, dem Messala nicht folgen zu können, und den Tod noch um Schonung bittet.
Der sehr naheliegende Gedanke, daß ihm hier die Mutter, die Schwester und Delia zur Bestattung fehle,
führt sogleich auf das elegische Gebiet, und die Bilder des Abschiedes von Rom und der gesuchten Zögerung treten
mit großer Lebendigkeit entgegen. Ein ferneres Tableau
giebt der mit leichten Zügen hingestellte Isisdienst der Delia und
die Schilderung, wie die Geliebte der Göttin die Herstellung des
[308] Dichters danken soll: überall blickt hier die inngste Liebe wie ein reiner Goldgrund durch
die brillanten Farben des Gemäldes durch. Der einfache Wunsch der Heimkehr giebt den schnellen
Uebergang zur Ausbreitung jener idyllischen Gemälde, welche Tibull fast in keiner seiner Elegieen
fehlen läßt: das Gedicht gewinnt hier einen Ruhepunkt. Sogleich aber wird es wieder durchschnitten,
und von Vers zu Vers ändert sich überraschend Sinn und Stimmung. Der Dichter lehrt durch kunstreiche
Wendungen auf seinen Tod zurück und setzt seinem Grabe eine Inschrift. Er hofft auf ein gutes Schicksal
in der Unterwelt: hier nimmt das Gedicht wieder einen sanften, verweilenden Charakter an. Aber es erwartet
uns ein neuer wirksamer Gegensatz, die Schilderung von dem Sitze der Verdammten,
welcher eine schöne Ausführung gegeben ist. Und doch ist dies nur eine Folie zu dem, was folgt, es dient die reizenden
Scenen durch den Kontrast zu heben. Der Dichter verwünscht Alle, welche seiner Liebe entgegen sind, an den
Ort der Strafen und ist so zugleich mit schnellem Gedankenfluge wieder bei seiner Delia. Nun
wird ihre Keuschheit in dem ausgesuchtesten Bilde gemalt, wie die Alte, die Hüterin ihrer Tugend,
neben ihr sitzt und ihr Märchen bei'm Schimmer des Lämpchens erzählt. Die spinnende Magd vollendet das Bild
bürgerlicher und idyllischer Häuslichkeit; sie schläft über der Erzählung der Märchen ein.
Aber so schön dies ist, so ist es doch
auch nur die Vorbereitung für das Schönere, das folgt. Unangemeldet von jener Magd,
zur Ueberraschung seiner Delia und nicht minder des Lesers stellt der Dichter sich jetzt vor, wie er plötzlich
eintritt, wie Delia, die sich's häuslich bequem gemacht unter ihren Frauen,
mit gelöstem Haare und nacktem Fuße ihm in die Arme läuft. Der Wunsch, daß dies wahr werde,
macht den einfachen Schluß aus. Das Gedicht kehrt hiermit vortrefflich zum Anfange zurück,
wo die Trennung von dem Geliebten so rührend geschildert worden." Von der neueren Reflexionslyrik
verdient vorzugsweise der "Schutt" von Anastasius Grün wegen seiner großartigen Komposition
Beachtung. Das Gedicht tritt freilich aus dem subjektiven Rahmen heraus;
es schließt sich nicht an ein inneres oder äußeres Erlebniß
des Dichters an. Die Bilder, die es uns vorführt, sind scheinbar losgelöst
von der persönlichen Stimmung des Poeten und mit dem
Geschick anderer erfundener Persönlichkeiten verwebt. Doch das Auge des Dichters
schaut
[309] aus ihnen heraus; es ist nur eine rasche und flüchtige Metamorphose, welche die
Lebhaftigkeit der Betrachtung und Schilderung erhöht. Im "Schutt" von Grün ist es der
Dichter selbst, der aus dem venitianischen Kerker den Blick auf das freie Meer wendet, sich
in die Geheimnisse des Klosters vertieft und von Pompeji's und Herkulanums Trümmern
nach dem freien Nordamerika hinüberschaut und mit visionairer Begeisterung die
Weltgeschichte in ihren großen Krisen und ihrer versöhnungsreichen Zukunft erfaßt. In der
ersten Elegie: "der Thurm am Strande" sehen wir einen gefangenen venetianischen
Freiheitsdichter. Die elegische Poesie des Kerkerlebens mit seiner Sehnsucht in's Freie, die durch die
arme Umgebung zu phantasievoller Ausmalung des Kleinsten angeregte
Phantasie bietet, ähnlich wie in Saintine's "Picciola" und
Byron's "prisoner of Chillon" eine Fülle anziehender Bilder und
Empfindungen. Zuletzt wird der Gefangene freigelassen, aber als er im Spiegel
einer Quelle sein ergrautes Haupt, sein von der langen Knechtschaft durchfurchtes
Antlitz sieht, da kehrt er freiwilig in seine Haft zurück. Die zweite Elegie: "eine
Fensterscheibe" führt uns in das Klosterleben, in den Beichtstuhl des Priesters, läßt
manche Gestalten, denen die Ascese einen eigenthümlichen Stempel aufgedrückt,
an uns vorüberwandeln und zuletzt zur mitternächtlichen Stunde die Mönche
aus ihren Särgen steigen und den Erbauer des Klosters selbst einen Klagehymnus über
die Gegenwart anstimmen, welche die Zier der stolzen Säulen gebrochen hat.
Die dritte Elegie: "Cincinnatus" führt uns an Bord eines Schiffes,
welches nahe bei Pompeji im Golf von Neapel ankert,
und verlegt die Betrachtungen des Dichters in die Seele eines freien Nordamerikaners,
der sich am Bord dieses Schiffes befindet. Die Situation ist außerordentlich glücklich
gewählt, um der Phantasie einen ungezwungenen Flug aus der alten in die neue Welt zu gestatten.
Das trümmerreiche Italien mit seinen verschütteten Städten, mit seinem in Genuß und Müßiggang
versunkenen Volke, wo die Weltgeschichte ihre Rolle ausgespielt zu haben scheint,
wird auf's Wirksamste kontrastirt mit dem jugendlich aufstrebenden Lande der Freiheit, der
ursprünglichen Natur, des frischen Pflanzerlebens, wohin der Dichter alle diejenigen
einladet, denen das Vaterland durch Pfaffenwuth, durch Ketten jeder Art verleidet ist.
Die vierte Elegie: "Fünf Ostern" zeigt uns große weltgeschichtliche Fresken im
Kaulbach[310]schen Styl, anknüpfend an die Sage, da Christus jährlich zu Ostern vom Oelberge herab auf die
Stätte seines Wirkens schaue. Am ersten Ostern erblickt er das von Titus zerstörte, am zweiten das von den
Kreuzfahrern eroberte Jerusalem; am dritten ist es in der Gewalt der Beduinen, nur besucht von dem
einsamen olivenfarbenen Wanderer, dem Juden; am vierten wird es von streitsüchtigen Mönchen bewacht
unter der Herrschaft der Janitscharen. Einer von ihnen, höheren Sinns,
hängt andächtig an Zions Zinnen, voll Sehnsucht, daß
das Kreuz wieder auf ihnen erglänze, und grüßt als nahenden Befreier den großen Feldherrn
Napoleon, der Gottfried's Söhne an diese Küste geführt. Doch seine Hoffnung wird nicht erfüllt.
Das fünfte Ostern erscheint in ahnungsvoller Beleuchtung; eine Vision enthüllt uns die Zukunft.
Alles ist Glanz, Fülle, Wonne; Saaten wogen auf altem Schutt; Rosen blühen über Golgatha.
Ein glückliches Volk wohnt hier, ernst und heiter, wie die Gestirne, schön wie Rosen,
stark wie Cedern; Krieg, Knechtschaft, Lug ist vergessen. Schwert und Kreuz werden
aufgefunden, doch von Niemandem mehr erkannt.
Dieser ganze kunstvolle Cyklus von Elegieen spiegelt, trotz der Verschiedenheit der Situationen und des
Reichthums der wechselnden Scenen, einen Grundgedanken, der sich in jeder Elegie in anderem Farbenspiele
bricht. Dieser Gedanke ist nicht philosophisch klar und läßt sich in keine
bestimmte Formel fassen; er gehört jenem träumerischen Gebiete der Reflexion an,
welche, aus der Stimmung des Dichters herausgeboren,
über eine Fülle von Bildern den eigenthümlichen Hauch dieser Stimmung ausgießt. Die Grundstimmung
des Dichters aber ist die Wehmuth über die Trümmer der Weltgeschichte, über das verfallende Europa, und
die Sehnsucht aus diesen alternden Zuständen, aus diesem "Schutt" heraus in eine
freie und jugendfrische Welt, deren harmonische Versöhnung, deren volle, der ganzen
Welt aufgehende Glorie in den Schlußakkorden des fünften Ostern gefeiert wird. Alle
Gestalten der Geschichte hat der Dichter gleichsam in ein elegisches Pantheon versammelt,
das verschüttete Alterthum, das versinkende Mittelalter, Kerker und Klöster, den
Mönch und den Juden läßt er in seiner magischen Laterne vorübergleiten, und gerade
die rasche Flucht der Erscheinung, die besonders in den fünf Ostern einen
schattenhaften Eindruck macht, dient dazu, die Vergänglichkeit des Irdischen um so lebhafter dem Gemüthe
vorzuführen.
[311] So schweift die Reflexion von Bild zu Bild, ja sie weicht scheinbar in kühnen Fugen aus,
aber wir werden immer zum Grundton zurückgeleitet. So können wir, trotz der weiten
Ausdehnung des modernen Elegieencyklus, trotz der großen Verschiedenheit des Stoffes und der
Weltanschauung, deren Bereicherung und Erweiterung zu verkennen nur einer einseitigen
Bildung vorbehalten bleibt, in der Rhythmik der Komposition, ihrem farbenreichen Scenenwechsel,
ihrem hinundherwogenden Gange die Aehnlichkeit zwischen der antiken und modernen
Elegie nicht vermissen.
Die Mischung, die schon im antiken Distichon, in der Vereinigung des Hexameters und
Pentameters angedeutet ist, die Mischung von Beschreibung und Betrachtung
bildet das eigentliche Wesen der Elegie, das sich in ihrer Totalität ebenso ausprägt, wie
in jedem einzelnen Bilde. Soll diese Mischung einen gesunden und erfrischenden Eindruck machen: so darf keines ihrer
Elemente überwiegen. Im Allgemeinen freilich scheint das erstere mehr dem Alterthum, das zweite
mehr der Neuzeit eigen zu sein; aber schon die gnomischen Elegieen der Griechen zeigen, daß auch hier die
Betrachtung bis zur Sprengung der abgeschlossenen Kunstgattung und zum Uebergang in das
Lehrhafte überwog. Ein Ueberrest der Beschreibung dagegen würde ebenfalls aus der elegischen
Gattung herausfallen. Beide müssen überdies sich nicht von der höheren Einheit emancipiren wollen: von
der lyrischen Grundstimmung des Dichters. Ein sehr harmonisches Verhältniß
zwischen beiden zeigt uns
z.B. der Schiller'sche Spaziergang, ebenso "das Lied von der Glocke", in welchem
letzteren Gedicht die Beschreibung doppelter Art ist, zunächst an das Technische
des Glockengusses anknüpft und dann erst die Zustände des bürgerlichen Lebens
schildert, welche dem Dichter in ungezwungenster Weise kurze, aber bedeutsame Reflexionen an die
Hand geben.
Was die Ausdrucksweise der Elegie betrifft, so ist man noch immer mit Horaz und
Gottsched geneigt, von derselben die größte Einfachheit zu verlangen. Eher trifft schon
Boileau das Richtige, wenn er von der Elegie
einen gehobenern Ton, als von der
Idylle verlangt, dabei aber die Kühnheit ausschließt
*).
Die Kühnheit der Ode paßt
[312] in der That nicht für die Elegie; aber sie darf schwunghafter auftreten, als das Epos und das Lied. Vom Epos,
von dem sie bei den Alten ja den Hexameter überkommen, überkam sie auch das Recht, ihre
Bilder mit verweilender Schilderung auszumalen; vom Liede aber darf sie den musikalischen
Schmelz für die Darstellung der Beschauung und Empfindung in Anspruch nehmen. Schon Tyrtäos
malt seine Kriegsbilder mit Homerischer Klarheit:
Dulde denn wohl ausschreitend ein Jeglicher, beide die Füße
Festaufstemmend im Grund, Zähn' in die Lippen gedrückt,
Hüften sodann und die Schenkel hinab und die Brust und die Schultern
Hinter des räumigen Schilds Bauche nach Wunsche gedeckt;
Und in der Rechten erheb' er zum Schwung den erdröhnenden Schlachtspeer
Und graunregend daher wehe vom Haupte sein Busch *).
und singt dann erst mit weichtönendem Klang der Gefallenen Ruhm, die Klagen des Volkes,
die Ehre der Sieger. Wie lebendig schildert Tibull das Jagdleben, in welches die
Leidenschaft der glühenden Sulpicia die Freuden der Liebe hineinzaubern möchte! Wie episch
wird von diesem Dichter die Schönheit dieser Sulpicia durch den Reichthum des Schmuckes
illustrirt, bei dessen Schilderung der Dichter behaglich in fernen Zonen verweilt:
Sie allein nur ist werth von allen Mädchen, daß Tyrus
Bringt weich wollenes Fließ, doppelt in Purpur getränkt,
Sie besitze die duftige Saat, die der Araber ferne
Ihrem Dienste geweiht pflegt auf den würzigen Au'n,
Und das Edelgestein, das der schwarze Inder, der Sonne
Nachbar, liest an des Meers rothem Korallengestad. **)
Solche Ausmalungen entsprechen nicht der "niedrigen" Schreibart, welche man von der
"kleinen" Elegie verlangt. Wenn dies schon von der antiken Elegie gilt, so noch mehr von der
modernen Gedankenpoesie. Das Kolorit der Schilderung kann so glänzend sein, wie es die Phantasie des
Dichters nur zu geben vermag; Empfindung und Beschauung so tief und innig,
wie es einer reichen Begabung nur immer zu Gebote steht. Die gleichmäßige Wärme
Schiller'scher Idealität, die wohl schwunghaft
[313] ist, aber in einem harmonischen Fluß und Guß bleibt, ohne zu den kühnen
abgerissenen Wendungen und Sätzen der Ode zu greifen, bleibt für die ganze Gattung mustergültig. Ein allzureicher
Bilderschmuck, wie wir ihn bei Grün, Lenau und Beck finden, mag überhaupt hin und wieder
gegen den geläuterten Geschmack verstoßen; aber in unserer Gattung nicht mehr, als in jeder andern. In Bezug
auf die geeignete metrische Form haben wir schon bemerkt, daß die Elegie der Alten
einem bestimmten Versmaaß ihren Namen verdankt. Dies Versmaaß, das Distichon, stellt zugleich an sich selbst
die Emancipation der Lyrik von der Epik dar, indem hier zuerst der stolze, epische Sechsfüßler,
eines Fußes beraubt, in der fünffüßigen Zeile gleichsam wehmüthig erlischt. Gleichzeitig sehn wir im Distichon die
erste noch schüchterne Form strophischer Bildung. Die ganze klassische Elegie und ihre
Nachdichtungen, Goethe's "römische Elegieen" und Schiller's "Spaziergang" sind in diesem
Versmaaß gedichtet, das in der That für die Vereinigung von Schilderung und Reflexion
mustergültig erscheint. Der Genius der deutschen Sprache aber verlangt zum vollen lyrischen Ausdruck
den Reim – und deshalb möchten wir den Dichtern der Gegenwart das Distichon nicht
empfehlen. Gerade durch den Reim und die Strophenbildung, die von seinen Verschlingungen
abhängig ist, sind der modernen Lyrik andere Mittel geboten, die Rückkehr des sinnenden
Gemüthes in sich selbst auch in der äußeren Dichtform abzuspiegeln. Es kommt nur darauf an, das
Charakteristische der elegischen Versform, das Horaz sehr treffend bezeichnet, wenn er von
"versibus impariter iunctis" spricht, auch in der modernen
Versbildung auszudrücken. Dies hatte schon der Altmeister unserer neuen Poesie, Martin Opitz, eingesehn und
deshalb statt der langen zwölf- und dreizehnsylbigen Verse mit ungetrennten Reimen, welche noch der alte
französische Elegiker E. Desportes und nach ihm die französische Elegie überhaupt angewendet, seine
Elegieen in Alexandrinern mit weiblicher und männlicher Endung und getrennten
Reimen geschrieben und auch in dieser Form die siebzehnte
Elegie des ersten Buches von Properz übersetzt:
Auf dieser wüsten Stätt', in dieser stillen Heide,
Da Niemand innen wohnt, als nur der Westenwind,
Da kann ich ungescheut genug thun meinem Leide,
Wo auch die Steine nur still und verschwiegen sind.
[314] Flemming, Dach, Tscherning folgten seinem Beispiele, und Emanuel Geibel bewies
in seinem Gedicht: "Welt und Einsamkeit," daß die moderne Reflexions-Lyrik auch den
Alexandriner in dieser Weise wohl verwenden kann:
O rühmet immerhin mir eure lauten Feste,
Zu denen man geschmückt mit prächt'gen Rappen fährt;
Wo stetes Lächeln kränzt die Stirnen aller Gäste,
Als sei der Tod nicht mehr und jedes Leid verklärt,
Wo Scherz und Lüsternheit sich ineinander ranken,
So wie der üpp'ge Mohn dem Korn sich lodernd mischt:
Wo Alles blitzt und sprüht, Demanten und Gedanken,
Als gält's ein Feuerwerk, das vor bezahlten Schranken
Vielfarbig auf in's Dunkel zischt.
Die kunstvollere Gliederung der Strophe, die gegen den Schluß hin im dreifachen weiblichen Reime voller austönt, um dann im vierfüßigen Jambus zu erlöschen, giebt zugleich ein Beispiel, welche mannichfachen Variationen strophischer Bildung der Alexandriner verträgt, und wie dieser von Freiligrath bereits zu kühneren und abwechselnden Sprüngen dressirte Vers ein gefügiger Träger der modernen Reflexion werden kann.
Die aus dem Orient überkommenen Strophen, wie z.B. die Ghaselen, sind zu kindlich und monoton und
zwingen den Gedanken unwillkürlich zu rasch wiederkehrenden Parallelismen, so daß sie sich
wohl zum Aufreihen einer didaktischen Perlenschnur eignen, aber den freieren Flug der
Schilderung und sinnigen Betrachtung lähmen. Anders verhält es sich mit der melodischen Architektonik der
italienischen Strophenformen, des Sonettes und der Kanzone. Als Beispiele,
wie vortrefflich die moderne Gedankenlyrik diese romanischen Formen verwenden kann, erwähnen wir
Platen's Sonette auf "Venedig" und Max Waldau's Kanzone: "O diese Zeit." In
beiden ist nicht nur die Form meisterhaft gehandhabt, sondern auch der Ausdruck elegischer
Reflexion in mustergültiger Weise getroffen. Dennoch können wir diese italienischen
Strophenformen für größere Cyklen nicht unbedingt empfehlen, da sie auf die Länge durch ihre
üppige Reimfülle ermüden. Der fünffüßige Jambus, in freier Reimverschlingung oder strophisch
geschult, wie ihn Schiller in den
"Göttern Griechenlands,"
Grün im "Schutt," Lenau in "Glauben,
Wissen, Handeln" sogar mit daktylischer Unterbrechung, Leopold Schefer
[315] im "Abschied von Griechenland" angewendet, oder auch der fünffüßige Trochäus, den z.B. Matthisson in seiner
bekannten Elegie auf den Trümmern eines alten Bergschlosses gebraucht, bieten sich von
selbst dem modernen Elegiker dar, wenn sie auch erst durch eine kunstvolle Behandlung, welche
dem Wellenschlag reflektirender Empfindung in der Reimpaarung und Strophenbildung gerecht wird, die
Wahl des Poeten rechtfertigen.
Die Gattungen der Elegie und ihre Hauptvertreter erfordern zu übersichtlicher Darstellung einen kurzen historischen Überblick.
1. Die klassische Elegie *).
Die griechische Elegie entwickelte sich aus dem Epos und bildet die Uebergangsstufe zwischen
Epos und Lyrik. Leider sind uns von ihren Meisterwerken nur Bruchstücke übrig geblieben. Der
älteste Elegiker, Kallinos von Epehesos, ist ein jonischer Herwegh, der die Jünglinge seines
Vaterlandes in unmittelbarer begeisterter Ansprache aus weichlicher Erschlaffung zur That emporruft. Auch
Archilochos von Paros, bekannt durch seine beißenden und schmähenden Jamben und von
manchen alten Autoren in Bezug auf dichterische Begabung dem Homer an die Seite gestellt,
dichtete politisch-kriegerische Elegieen, daneben Klage- und Trostgedichte, z.B. auf den Tod des
im Schiffbruch umgekommenen Gatten seiner Schwester. Am vollsten und kräftigsten griff
Tyrtäos in die Saiten, Sparta's Körner im messenischen Kriege, mit lyrischem
Aufschwung und plastischer Kraft den Tod für's Vaterland feiernd. Auch ein im engern
Sinne politisches Gedicht, die Eunomia (Gesetzlichkeit), mit unmittelbarer Beziehung auf
Staatsverhältnisse und innere Unruhen und mit der Tendenz die Gemüther zu beschwichtigen, hat er verfaßt.
So beginnt die griechische Lyrik geradezu als politische, als eine Gattung, welche
nach der Ansicht einiger literarischen Autoritäten der
[316] Neuzeit ganz aus der Poesie herausfallen soll. Den Uebergang zur erotischen
Elegie macht der Kolophonier Mimnermos, der seine geliebte Flötenspielerin Nanno in wehmüthigen
Versen besingt und in seine Elegieen, die mit Vorliebe bei der Vergänglichkeit der
Jugend und Schöheit verweilen, manchen historischen und politischen Stoff verwebt, der
aber mehr im träumerischen Lichte der Vergangenheit, ohne unmittelbaren Bezug auf die Gegenwart
dargestellt wird. Bei Solon, bei dem geistvollen Philosophen Xenokrates, welcher bereits
den Muth besaß, Weisheit höher zu stellen, als den bei olympischen Spielen
errungenen Ruhm, und bei Theognis von Megara, der die zerrütteten Zustände der
Vaterstadt, die Herrschaft des Volkes beklagt, seinem Hasse gegen die emporgekommene
Geldaristokratie einen beredten Ausdruck giebt, das Thema von Reichthum und Armuth auf
das Mannichfachste variirt, nimmt die Elegie einen gnomischen Charakter an,
der zum Theil aus der Poesie herausfällt. Nur in einzelnen an Kyrnos gerichteten Distichen des
Theognisläßt sich ein darüberschwebender poetischer Hauch nicht verkennen. Tiefe der
Empfindung findet sich wieder bei dem Simonides von Keos, dem Zeitgenossen der Perserkriege, bei
welchem der klagende und trauernde Charakter der Elegie, wie z.B. in seinem Grabgesang
auf die zu Marathon Gefallenen, mehr als bei allen andern Elegikern hervortritt. Zur Zeit des peloponnesischen
Krieges blühten Jon der Chier, Dionysios aus Athen, Euenos von Paros, der
Terrorist Kritias von Athen, Sänger des heitern Lebensgenusses, hin und wieder
mit politischem Anflug, Antimachos von Kolophon, ein einsamer Lyriker, ohne
Anklang bei seiner Zeit, der in elegischer Todtenfeier um seine frühverstorbene Lyde klagte. Wenn
schon der letztere seine Liebesklagen mit zahlreichen mythologischen Bildern illustrirte,
so überwuchert die Gelehrtenpoesie bei den späteren alexandrinischen Elegikern, wo der
Ton der Empfindung gänzlich im mythologischen Aufwand erstickte. Schon der Zeitgenosse
Alexander's, Hermesianax von Kolophon, besang seine gelehrte Leontion in sehr gelehrten
Distichen, deren erhaltenes Fragment uns einen gereimten Abriß griechischer
Literaturgeschichte giebt. Kallimachos von Kyrene, ein alexandrinischer
Akademiker, der gepriesenste dieser Richtung, verherrlichte das Haar der Berenice in
einer pomphaften Hofelegie, die mit Schmeicheleien für die
Ptole[317]mäer ebenso durchwirkt ist, wie mit astronomischen und sonstigen gelehrten Anspielungen; Philon und
Andromachos von Kreta brachten gar Recepte in Distichen, so daß die Elegie bei
ihnen einen pharmaceutischen Charakter annahm.
Dennoch entzündete sich an einigen Lyrikern Alexandrien's, wie z.B. an Kallimachos, dessen
Elegie auf das Haar der Berenice von Catull übersetzt worden, die Begeisterung der römischen
Dichter, welche uns die römische Elegie schuf, die unter den Dichtversuchen der Römer
gewiß den ersten Rang einnimmt. Die Trias der großen römischen Elegiker, Tibull,
Properz, Ovid, überragt sogar die hellenischen, soweit wir die letzteren aus den erhaltenen
Fragmenten beurtheilen können. Jedoch haben die Römer nicht die politische und
heroische, sondern nur die erotische und reflektirende Elegie angebaut, wenn auch das großartige
Bewußtsein nationaler Bedeutung und Macht oft in schwunghaften Klängen aus ihren engverketteten Distichen tönt. Der
einfachste dieser Elegiker ist Albius Tibullus, der ohne prunkende
Gelehrsamkeit frisch aus dem nationalen Leben schöpfte und sich durch kunstvolle Verwebung scheinbar fernliegender
Bilder zu einem harmonischen Ganzen, durch Lebendigkeit und Anmuth der Schilderung, durch
Natürlichkeit einer weichen, oft schmachtenden Empfindung, die unmittelbar aus der Seele kommt, so wie durch die
Reinheit und Klarheit des sprachlichen Ausdruckes auszeichnet. Anmuthig gezeichnete Bilder des
Landlebens schweifen als gern wiederholte Arabesken beruhigend um die hin
und her wogende Elegie. Die dramatisch bewegte Sulpicia-Elegie mit ihrer
leidenschaftlichen Gluth und der spannende, durch wechselndes Geschick sich entrollende
Cyklus der Delia-Elegieen bilden die Krone der Tibull'schen Dichtungen.
Sextus Aurelius Propertius, der neben den zahlreichen Elegieen an seine Cynthia auch einige
Threnodieen und patriotische Distichen schrieb, besitzt nicht die Naivetät und frische
Unmittelbarkeit des Tibull; aber er übertrifft ihn im schmeichlerischen melodischen
Versfluß, in malerischer Gruppirung und Drapirung, an gelehrter Würde, welche, die kleineren Bezüge des Lebens
verschmähend, sich mehr in einem allgemeinen harmonischen Aether hält. Er verwebt in seine Elegieen
eine Fülle mythologischer Bilder und gelehrter Notizen, welche die plastische Anschauung stören und die
Phantasie stets
[318] aus der bestimmten Situation heraus in die Weite geschichtlicher Perspektiven führen.
Wo Tibull schmachtend und weich erscheint, verräth Properz eine leidenschaftliche Gluth –
und gerade dies Feuer markiger Empfindung sichert ihm eine gleiche Stellung neben dem nationalsten
römischen Elegiker. Der dritte, Publius Ovidius Naso, der genialste aller römischen
Dichter, zeigt uns, ähnlich wie Heinrich Heine in neuester Zeit, die Auflösung des Glaubens und der Liebe, allerdings
noch auf dem plastischen Grunde des antiken Lebens, aber doch schon mit allem Witze einer freispielenden
Ironie. Er giebt sich niemals der
Situation, die er schildert, mit Andacht hin; er zeigt immer in einzelnen Wendungen, daß er
über derselben steht. Er gefällt sich in der frivolen Ausbeutung der dargestellten Liebesscenen,
zeigt aber dabei eine so hinreißende Grazie des Ausdrucks, einen so leichten Fluß von Bild und
Gedanken, eine so anmuthig tändelnde Beredtsamkeit, daß es schwer ist, dieser verführerischen
Begabung zu widerstehn. Der erotischen Gattung gehören seine amores
an, eine ebenso durch die Virtuosität der
Darstellung, wie durch ihre unbekümmerte Offenherzigkeit fesselnde Liebesbeichte. Die "Tristien"
dagegen bringen uns die Klagen des Verbannten, die oft in einen larmoyanten Ton verfallen, da Ovid diesem Geschick geistig
zu erliegen schien und nicht die Ueberlegenheit seines so souverain selbst die Götter
herausfordernden Witzes ebenso bewährte, wie etwa Heinrich Heine in seiner qualvollen Krankheit. Doch ist,
trotz einförmiger Wiederholungen, die Form der "Tristien" fließend, gefällig,
von melodischem Zauber. Dasselbe gilt von den "epistolae ex Ponto," die sonst
nüchterner und notizmäßiger sind. Dieser Trias der großen römischen Elegiker ging Catull voraus in
noch ungeschulter Nachahmung griechischer Muster. Zahlreiche Nachdichtungen der klassischen Elegie,
deren Bedeutung mit ihnen erlosch, geben neulateinische und italienische Poeten. In neuester Zeit
hat Goethe in den "römischen Elegieen" den Ton des Properz mit bewundenswerther
Sicherheit getroffen, August Wilhelm Schlegel in seiner Elegie "Rom"
und Schiller in seinem "Spaziergang"
die antiken Distichen, jener zur Darstellung welthistorischer Trauer, dieser zu einer an wechselne Bilder
anknüpfenden Reflexion im Geiste der alten Elegiker kunstvoll benutzt.
[319] 2. Romanische und orientalische Formen.
Neben dem einfachen Liede schufen die provençalischen Sänger in ihren Sirventes, die
anfangs in der vielgestaltigen und vielfach wechselnden Form der Kanzone abgefaßt waren,
eine Dichtform, in welcher die Reflexion vorwog, und welche der kriegerischen und politischen
Elegie der Griechen, wie der erotischen der Römer entsprach. Hier begegnen wir wieder der
politischen Lyrik, wir sehn die Troubadours unmittelbar aus dem frischen Leben, den Bewegungen
und Kämpfen ihrer Zeit heraus dichten, oft in herbem, bitterm, herausforderndem Ton,
stets aber mit derselben Hingabe an das naheliegende historische Ereigniß, mit welcher sie die Abenteuer der
Liebe feierten. Die Grenze zwischen Lied und Elegie ist hier nicht leicht zu ziehn; doch
gehören wohl alle Gedichte mit kunstvollerer Strophen- und Reimbildung, wo die Reflexion, das
politische Pathos oder die Ausmalung der Situation überwiegt, in die letztere Gattung. Hierher müssen wir ohne
Frage die Tenzonen (Streitgedichte) rechnen, und die Sirventes (Dienstgedichte),
in denen die Troubadours anfangs die Huld der Damen und Fürsten feierten, welchen sie ihren Dienst gewidmet, bis
diese Gedichte im Verlaufe der Zeit das Lob in Tadel verkehrten und einen strafenden,
den Verfall der Verhältnisse beklagenden Ton annahmen.
Der liebefeindliche Marcabrun eröffnet die Reihe der politisch-kriegerischen Elegiker mit einem
Aufrufe zum Kampfe gegen die Saracenen in Spanien in schwerfälligen Versen und gesuchten Reimen;
Guiraut von Borneil beklagt in drei Sirventen den Verfall des geselligen Lebens, die Trägheit und Roheit
des Adels, rühmt die schönere Vergangenheit und verwebt ein Lob des Königs Richard Löwenherz in
seine wahrhaft elegischen Klänge; der kriegerische, von Dante hochgestellte Bertrand de Born feiert mit
Behagen die Kampf- und Raublust seiner verwilderten Zeit, in deren Händel er verstrickt war; Trotzlieder
gegen die Feinde, Gesänge voll aristokratischen Stolzes, in denen er nach Art des Theognis "die niederträchtigen
Reichen, die mit dem Adel zu streiten wagen" geißelt, finden sich zahlreich unter seinen hinterlassenen Werken;
Pons von Capdueil dichtet, mit mehr Beruf als neuerdings Redwitz, Kreuzlieder voll edler
Beredtsamkeit, am feurigsten aber geißelt Peire Cardinal in seinen Sirventes den
Uebermuth der Großen und der Priester mit
rhetori[320]schem Schwung, doch so, daß die Reflexion die Schilderung ganz in den Hintergrund drängt.
In erotischen Kanzonen zeichnete sich der durch sein tragisches Schicksal bekannte
Guillem von Cabestaing aus, der überspannte und eingebildete
Peire Vidal feiert in einem Kanzonencyklus, der sich um einen geraubten und einen
bewilligten Kuß dreht; Peirol, Arnaut Daniel, Gaucolm Faidit und Andere.
Der Mittelpunkt der italienischen erotischen Dichtung ist Francesco Petrarca,
der das von Guittone von Arezzo erfundene Sonett zur größten Vollkommenheit,
Weichheit und Harmonie durch die ängstliche Feile ausbildete. Das Sonett wurde
durch ihn zur allgemein gültigen Kunstform der italienischen Lyrik. Die einfache
Innigkeit des Liedes, der Aufschwung der Ode war für diese Form unmöglich. Deshalb
konnte in Italien nur die lyrische Reflexion gedeihn, die sich bei minder begabten
Geistern durch den spielenden Reimklang zu Tändeleien und Künsteleien verleiten ließ,
den Gedanken über das Maaß ausdehnte oder verstümmelte, um ihn in diese Dreizehnzeiler
einzuzwängen. Petrarca selbst, ein eitler, um Gunst und Ruhm buhlender, wenn auch vielseitig
gebildeter Geist, ist in seinen berühmten dreihundert Sonetten und Kanzonen an seine
Laura von Vaucluse von einem gesuchten und gezierten Scholasticismus der Empfindung,
von mannichfachen rhetorischen Kunststücken und Wortspielen, von übertriebenen Bildern
und von einer großen Monotonie der Darstellung nicht freizusprechen. Die Anschaulichkeit
der antiken Elegiker fehlt ihm ganz und gar; er weiß uns durch keinen Wechsel der Situation
zu erquicken; die Reflexion brütet schattenhaft über den in's Weite ausgesponnenen
Empfindungen! Wie ganz anders der energische, plastische Dante in seiner Vita nuova!
Von den Vorgängern verdient vorzugsweise Guido Cavolcanti († 1300), ein philosophisch gebildeter, inhaltsvoller
Dichter, Erwähnung. Zu Petrarca's Nachfolgern aber sind mit wenigen Ausnahmen fast alle Vertreter
der italienischen Lyrik zu rechnen, die meistens ohne seine Eleganz und mit Uebertreibung seiner
Schwächen eine Fluth von Sonetten, Kanzonen, Terzinen heraufbeschworen, deren
Gedankenarmuth durch den studirten Pomp der Form nicht verdeckt wird.
Eine ganz einsame Stellung unter den italienischen Lyrikern nimmt der Philosoph
Campanella († 1639) ein, der unter dem Namen
[321] Settimontano Squilla Sonette und Kanzonen voll hoher Gedanken und edelster Begeisterung dichtete.
Die spanische Lyrik war nicht so, wie die italienische, in den Formen der Reflexion
aufgegangen; sie hatte Lied und Romanze, wie wir gesehn,
in originell-nationalen Klängen ausgebildet. Doch konnte
sie dem Andrange der italienischen Reimformen im 16. Jahrhundert nicht widerstehn. Die altspanische Glosse
war eine dem Charakter elegischer Reflexion günstige Form, indem sie die Variationen
der Empfindung und die Rückkehr zum Grundthema deutlich ausprägte. Gegen die eindringende
italienische Form des Petrarca kämpfte Christoval de Castillijo († 1596)
vergebens an. Luis Gongora de Argote († 1627) bildete einen affektirten Styl, estilo culto,
in welchem er seine "Einsamkeiten" und seinen "Polyphem" dichtete.
Hier kleidete sich die Reflexion in eigenthümlich verkünstelte
und verzerrte Satz- und Sprachformen und suchte überdies in Art und Weise der Alexandriner durch
mythologische Gelehrsamkeit zu glänzen. Von den Sonettisten, welche den Namen "Concettisten"
von dem italienischen "concetti," dichterischen Gedanken, annahmen, erwähnen wir Juan Boscan,
Garcilaso de la Vega, Montemayor u.A. In der neuen Zeit hat die salmantinische Dichterschule,
an ihrer Spitze Melendez Valdes, der spanischen Lyrik wieder einen nationalen, von
französischen und italienischen Einflüssen unabhängigen Boden erobert und auch auf dem Gebiete der
Reflexionspoesie manches Treffliche geleistet. Die portugiesische wird am
glänzendsten durch den großen Epiker Luis Camoëns in Sonetten, Kanzonen u.s.w. vertreten.
Von der orientalischen Lyrik hat vorzugsweise die arabische jenen Charakter,
welcher unserer Begriffsbestimmung der Elegie entspricht. Ein kriegerisch bewegtes, thatkräftiges
Leben und feuriges Lieben gab der Schilderung reichhaltigen Stoff, während auf der andern Seite die kahle Natur
mit ihren endlosen Wüsten und schroffen Felsen das Gemüth zur beschaulichen Einkehr in das
eigene Innere einlud. Schon die altarabischen Moallakats, in denen die Schilderung noch
überwiegt, sind hierher zu rechnen; auch in der großen und kleinen Hamasa, den
Sammlungen altarabischer Volkslieder, ist manches der reflektirenden Gattung angehöriges Gedicht
enthalten. Der größte elegische Dichter der Araber ist jedoch Motenebbi († 965),
[322] dessen Reflexion von tiefsinnig brütendem Charakter allerdings oft einen
gesuchten und unklaren Ausdruck annahm, so daß der arabische Kunstrichter Tsaalibi von ihm sagt, er sei eine
Braut von blendender Schöne, die aber täglich die fallende Sucht bekomme.
3. Die moderne Reflexionspoesie.
Die neue Zeit hat nach außen hin viele Perspektiven eröffnet, die Welt der Erscheinung in ihrem
tieferen Zusammenhang ergründet, ein reiches geschichtliches Material angehäuft, durch die
Gedankenarbeit bedeutender Geister metaphysische Tiefen enthüllt, in welche auch die kühnere Intuition der Dichter
herabsteigen konnte. So gewannen die beiden Seiten der Elegie, die Schilderung und
Betrachtung, an Ausbreitung und Gehalt. Sie wurde die Dichtform, welche den
ganzen Reichthum eines weltumfassenden Genius in sich aufnehmen konnte. Wohl hat sich gegen
ihre Koryphäen, einen Schiller, Byron und Victor Hugo, oft die einseitige
Anklage des Rhetorischen erhoben, die aus der Verkennung des Wesens der Elegie und aus der
verkehrten Beschränkung der Lyrik auf das Lied hervorging. Die erotische Poesie der Neuzeit hat sich freilich
vorzugsweise in das Lied geflüchtet. Dagegen hat sich die Elegie gerade
für die tieferen Fragen des Gedankens, für alle die Neuzeit bewegenden Probleme, die in
Fleisch und Blut, in ihre unmittelbare Begeisterung übergegangen, als die geeignete Kunstform
bewiesen.
Mit dem Wiedererwachen der deutschen Poesie im 17. Jahrhundert wurde auch die Elegie
alsbald angebaut. Martin Opitz dichtete Elegieen "vom Abwesen seiner Liebsten,"
Paul Flemming "an sein Vaterland," ein Klagschreiben Germaniens an ihre Söhne, die
Kurfürsten und Stände von Deutschland, voll patriotischen Schwunges. Hofmannswaldau,
eines der Häupter der zweiten schlesischen Dichterschule, folgte in seinen "Heldenbriefen" dem
Muster des Ovid; doch ging bei ihm der Ton der Empfindung unter spitzfindigen Wendungen
und einem gesuchten Pomp des Ausdrucks verloren.
Im 18. Jahrhundert nahm die Elegie einen vorzugsweise idyllischen Charakter an, wofür die
englischen Muster tonangebend wurden. Gray's († 1772) Elegie "auf einem
Dorfkirchhofe" und Oliver Goldsmith's († 1774) Gedicht: "das verlassene Dorf"
wirkten auf
[323] die deutsche Muse ein und fanden ihren Wiederklang in Hölty's: "Schmermuthsvoll und
dumpfig hallt Geläute." Auf landschaftlichem Hintergrunde trugen Salis und
Mathisson ihre Klagen um die entschwundenen Spiele der Kindheit oder die Ruinen des
Mittelalters auf, während Tiedge in seiner "Urania" sich über Gott und Unsterblichkeit
vom Standpunkte thränenreicher Empfindung unter dem Schatten der Trauerweiden in
weitschweifigen Ergüssen erging. Von dieser threnodischen Richtung befreiten erst Goethe
und Schiller die deutsche Elegie; jener, indem er die üppigen Ranken kecker
Sinnlichkeit um Roms welthistorische Trümmer schlang und einen Properzischen Liebesroman
in anmuthige Distichen bannte; dieser, indem er den reichen Inhalt seines Geistes in einer
volltönenden Lyrik mit leisem elegischem Anhauch ausbreitete. In "
den Göttern Griechenlands"
tönt die Klage um eine versunkene Götterwelt, um die antike
Beseelung der Natur, aus einem nüchternen, deistisch aufgeklärten Zeitalter; in der
"Resignation" wird wehmüthiger Verzicht geleistet auf das Arkadien des
Glaubens und Hoffens, auf den Traum der Unsterblichkeit. In den "Idealen"
wird die rauhe Wirklichkeit angeklagt, welche das glühende Herz des Jünglings um Liebe,
Glück, Ruhm und Wahrheit betrogen und ihm nichts gelassen, als die zarte Hand der
Freundschaft und die nie ermattende Beschäftigung. Das schwere Traumbild des Erdenlebens,
den trüben Sturm des Jammers löst der Dichter in der reinen ästhetischen Harmonie auf
(das Ideal und das Leben). Im "Spaziergang" knüpft er an wechselnde
Natur- und Landschaftsbilder ebenso tiefe wie schöne Gedanken über das moderne Leben und
seine geistigen Beziehungen und tröstet sich über den Wechsel der geschichtlichen Thaten
mit der wandellosen Harmonie der Natur. Derselbe Hauch träumerischer Wehmuth ist über
die sonst klar ausgeprägten Reliefbilder des bürgerlichen Lebens im "Liede von der Glocke"
ergossen und zieht sich durch die antikisirenden Studien, die Klage der Ceres und das
"Siegesfest," in welchem die Grundstimmung des Dichters einen bezeichnenden
Ausdruck fand:
Rauch ist alles ird'sche Wesen,
Wie des Dampfes Säule weht
Schwinden alle Erdengrößen. –
[324] Gegen die Hoheit Schiller's, gegen seinen Adel und die ergreifende Kraft einer
in ihren Tiefen erzitternden Seele nehmen sich die Elegieen und Sonette der Schlegel
und der romanische Formenklingklang der Romantiker schwächlich genug aus. Erst der neuesten
Zeit war es vorbehalten, die deutsche Gedankenpoesie wieder zu Ehren zu bringen. Vorzugsweise hat die
österreichische Lyrik jenen träumerischen Ton angeschlagen, welcher Bild und
Reflexion in dämmernder Beleuchtung vermählt. Threnodisch austönend am Grabe
geschichtlicher Größen sind die "Todtenkränze," Kanzonen von Joseph von Zedlitz;
auf reichem Bildergoldgrund trug Anastasius Grün im "Schutt" seine
zwischen dem Grab der alten und der Wiege der neuen Zeit hin und her gehenden Reflexionen auf;
Nicolaus Lenau schaut überall im Spiegel der Natur nur die Züge seines
melancholisch brütenden, von unsteter Skepsis hin und her getriebenen Geistes und leiht der sinnenden
Melancholie einen unnachahmlichen Zauber; Carl Beck knüpft an lebendig kolorirte ungarische
Genrebilder, an die Schilderung Wiens und der "Wartburg" im "fahrenden Poeten"
die Träume eines zerfallenen Gemüthes und einer unbestimmten Sehnsucht, für die
Menschheit zu wirken, für die noch wärmer Alfred Meißner's dichterische Pulse in den
"Trümmern" schlagen. Doch auch andere Dichter haben diese Richtung fortgebildet; Platen feiert die
Lagunenstadt in marmorschönen Sonetten; Freiligrath erhellt plastisch und energisch ausgeprägte Bilder mit der
düster-flackernden Gluth revolutionairer Begeisterung. Franz Dingelstedt bewährt sich
im "Roman" als moderner Tibull und dichtet eine frisch aus dem Leben gegriffene
Liebeselegie, in welcher die jüngste blasirte Kultur der Gesellschaft und die
exotische Natur in einem eigenthümlich wehmüthigen Kolorit verschmelzen. So meisterhaft
Goethe's römische Elegieen sein mögen, so zeigt uns doch diese erotische Elegie
Dingelstedt's, daß auch ohne strenge Nachahmung der Antike der moderne Geist Elegieen schaffen kann,
die der klassischen Vorbilder würdig sind. Hierher gehören auch die Sonette und einige
andere Gedichte Herwegh's, wie z.B. auf den Bergen mit seiner innigen Todessehnsucht,
Max Waldau's sorgsam gefeilte Kanzone: O diese Zeit, welche über die
darniedergetretenen Hoffnungen der Gegenwart klagt, und viele herrliche Dichtungen Emanuel
[325] Geibel's, mag dieser Dichter nun im Lübecker Rathskeller mit Jürgen
Wullenweber und Marcus Mayer Gestalten aus Deutschlands großer Vergangenheit
heraufbeschwören und den Helden der Hansa gegenüber um die verkümmerte Gegenwart trauern, oder
im "Thurmbau zu Babel" dem zerfahrenen, vom Zorn des Herrn auseinander
gescheuchten Geschlecht ein Denkmal setzen, oder im "Bildhauer Hadrian's" die
halt- und glaubenslose und darum auch für die Kunstgestaltung spröde Zeit anklagen. Für
die Passionsgeschichte der Menschheit errichtet Hermann Lingg mit düsterer Energie
seine lyrischen Stationen, malt z.B. im "schwarzen Tod" mit der Kraft
Dante'scher Anschauung und zeigt in seinen Reflexionen eine schwunghaft aus den Tiefen
kommende Weltanschauung.
Die Entwickelung der englischen Reflexionspoesie seit Sidney, Spencer und Cowley zu verfolgen,
liegt außerhalb unserer Aufgabe. Wir erwähnen nur ihre Spitzen: Lord Byron und Shelley.
Jener, Englands größter Lyriker, was die lodernde Pracht des Kolorits und den hinreißenden Schwung einer mit
dem Weltgeschick rechtenden Reflexion betrifft, hat in "Childe Harold's Pilgerschaft"
an eine Fülle europäischer Landschaftsbilder, die mit gleicher Vollendung ausgeführt sind, mag der
Dichter auf dem honigreichen Hymettos oder dem weitschauenden Sunium um Attikas verlorne
Herrlichkeit trauern oder auf dem Rialto um Venedigs versunkene Pracht oder ein Gewitter im Jura schildern,
jene Betrachtungen geknüpft, die seinem durch Genuß erschöpften und doch nach ihm lechzenden Gemüthe, einem mit dem
Weltlauf zerfallenen und doch von Thatendurst verzehrten Geist, der seinen Schmerz
in vornehm nachlässiger Stellung kokett zur Schau trägt, einen eigenthümlichen und
unverkennbaren Stempel aufdrücken. Noch imposanter erscheint die Grundstimmung Shelley's,
der in seiner "Königin Mab" und andern Gedichten durch alle skeptischen
Anwandlungen hindurch leidenschaftlich nach einer geahnten Harmonie strebt, deren
schwunghafte Verkündigung ihn aber mit dem Glauben und den Satzungen der
Gesellschaft in einen neuen, nicht auszugleichenden Widerspruch setzt.
So geht die Klage über die unlösbaren Verwickelungen des
Denkens und Lebens durch seine oft phantastischen, stets seelenvollen Gedichte. Neben diesen Heroen verdient noch
Thomas Campbell († 1844) wegen
[326] seiner schönen Elegie auf die "Schlacht von Hohenlinden" rühmende Erwähnung. Wie
Byron und Shelley unter den englischen, so ragen Victor Hugo und Alphons de
Lamartine unter den französischen Reflexionspoeten hervor. Victor Hugo
in seinen "Voix intérieurs," in den "chants du crépuscule"
und in den "feuilles d'automne," Lamartine in den "méditations" und
"harmonies réligieuses" erschöpfen nach zwei Seiten hin die französische
Reflexions-Lyrik. Jener ist pomphaft, prächtig, grandios in Anschauungen, Bildern, Diktion; dieser weich,
schmelzend, träumerisch zerflossen; jener reich an unnachahmlichem Wohllaut in wechselnden
Rhythmen, dieser von einförmigem Tonfall; jener weiß die eigene Stimmung und die Stimmung
der Zeit zu einer melancholischen Harmonie zu verschmelzen; dieser flüchtet sich unter die fleckenlosen
Engelsfittige der Religion aus allen Trübungen der Gegenwart. Der Herbst und die
Dämmerung sind die Symbole für Victor Hugo's Stimmung, der mit dem Griffe
des Genies Naturbild und Empfindung, das geschichtliche Bild und den Gedanken verschmilzt.
Lamartine dagegen greift aus seiner anachoretischen Einsamkeit nur nach den Bildern der Erde, um seiner
seraphischen Gefühlsverklärung einen Halt, seiner hin und her rankenden Empfindung eine Stütze zu geben. Als dritter ist
Alfred de Musset zu nennen, welcher der Elegik der verlornen Seelen einen oft wüsten und
pikanten Ausdruck gab, dessen Nachklänge sich in Deutschland bei Alfred Meißner und
Franz Dingelstedt finden.
[Die Anmerkungen stehen als Fußnoten auf den in eckigen Klammern bezeichneten Seiten]
[273] *) Aesthetik Bd. 3 p. 1352.
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[273] **) Aesthetik Bd. 3, S. 460 u. folg. und S. 141.
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[284] *) Vgl.: Ueber die Laïs, Sequenzen und Leiche von Ferdinand Wolf.
Heidelberg. 1841.
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[295] *) Solche pindarische "Oden" haben einzelne Engländer zu dichten versucht z.B.
Gray: The progress of poesy, West: institution of the garter u.A.
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[303] *) Ottfried Müller, Geschichte der griechischen Literatur, zweite
Ausgabe. Bd. I. p. 187 u. folgde.
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[305] *) lib. I. 3. nach Gruppe.
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[307] *) Die römische Elegie. Bd. I. p. 11.
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[311] *) Art poétique de Despréaux II. 38 u. folg.
D'un ton un peu plus haut, mais pourtant sans audace.
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[312] *) Weber, die elegischen Dichter der Hellenen. I. p. 18.
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[312] **) Tibull, Eleg. IV., I. 15. nach Gruppe: die röm. Elegie. I. p. 39.
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[315] *) W. Hertzberg, der Begriff der antiken Elegie in seiner
historischen Entwickelung im Literarhistorischen Taschenbuch von Prutz, dritter
Jahrgang S. 205-399; Wilhelm Ernst Weber, die elegischen Dichter der Hellenen 2 Bde.;
Otto Gruppe, die römische Elegie, 2 Bde.; Ottfried Müller, Geschichte der
griechischen Literatur Bd. I. p. 184-228; Bähr, Geschichte der römischen Literatur
3. Aufl. Bd. I. p. 429-461.
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Erstdruck und Druckvorlage
Rudolph Gottschall: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik.
Vom Standpunkte der Neuzeit.
Breslau: Eduard Trewendt 1858, S. 248-326.
Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck
(Editionsrichtlinien).
URL: http://archive.org/details/poetikdiedichtk01gottgoog
PURL: https://hdl.handle.net/2027/hvd.32044079643862
URL: http://www.deutschestextarchiv.de/book/show/gottschall_poetik_1858
Werkverzeichnis
Verzeichnis
Jacob, Herbert (Bearb.): Deutsches Schriftstellerlexikon 1830 – 1880.
Bd. G. Berlin: Akademie Verlag 2000.
S. 342-370: Art. Gottschall.
Gottschall, Rudolf: Die Poesie des Kaukasus.
In: Blätter für literarische Unterhaltung.
1852, Nr. 27, 3. Juli, S. 638-641.
PURL: http://digital.slub-dresden.de/id390927252
[Gottschall, Rudolf]:
Die neue deutsche Lyrik.
In: Die Gegenwart.
Eine encyklopädische Darstellung der neuesten Zeitgeschichte für alle Stände.
Bd. 8. Leipzig: Brockhaus 1853, S. 29-78.
URL: https://archive.org/details/diegegenwartein04unkngoog
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/011543339
Anonym veröffentlicht; vollständig überarbeitet eingegangen in
Rudolph Gottschall:
Die deutsche Nationalliteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts.
Literarhistorisch und kritisch dargestellt.
Bd. 2. Breslau: Trewendt & Granier 1855; hier S. 95-327: Die moderne Lyrik.
URL: http://digitalisate.bsb-muenchen.de/bsb10732719
URL: https://archive.org/details/bub_gb_R4RLAAAAcAAJ
Gottschall, Rudolf:
Die deutsche Nationalliteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts.
Literarhistorisch und kritisch dargestellt.
Bd. 1. Breslau: Trewendt & Granier 1855.
PURL: https://hdl.handle.net/2027/hvd.hnw93c
URL: https://archive.org/details/diedeutschenati03gottgoog
URL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10732718
Gottschall, Rudolf:
Die deutsche Nationalliteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts.
Literarhistorisch und kritisch dargestellt.
Bd. 2. Breslau: Trewendt & Granier 1855; hier S. 95-327: Die moderne Lyrik.
URL: http://digitalisate.bsb-muenchen.de/bsb10732719
URL: https://archive.org/details/bub_gb_R4RLAAAAcAAJ
Gottschall, Rudolf:
Emanuel Geibel's "Neue Gedichte".
In: Blätter für literarische Unterhaltung.
1857, Nr. 24, 11. Juni, S. 429-432.
PURL: http://digital.slub-dresden.de/id390927252
Gottschall, Rudolf: Poetik.
Die Dichtkunst und ihre Technik. Vom Standpunkte der Neuzeit.
Breslau: Trewendt 1858.
URL: http://archive.org/details/poetikdiedichtk01gottgoog
PURL: https://hdl.handle.net/2027/hvd.32044079643862
URL: http://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858
S. 248-326: Die Lyrik.
Gottschall, Rudolf: An die Leser.
In: Blätter für literarische Unterhaltung.
1865, Nr. 1, 1. Januar, S. 1-2.
PURL: http://digital.slub-dresden.de/id390927252
Gottschall, Rudolf: Emanuel Geibel's neueste Gedichte.
In: Blätter für literarische Unterhaltung.
1865, Nr. 3, 19. Januar, S. 39-43.
PURL: http://digital.slub-dresden.de/id390927252
Gottschall, Rudolf: Poetik.
Die Dichtkunst und ihre Technik. Vom Standpunkte der Neuzeit.
Bd. 1.
Zweite, wesentlich verbesserte und vermehrte Auflage.
Breslau: Trewendt 1870.
URL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10573935
PURL: https://hdl.handle.net/2027/njp.32101061815799
Gottschall, Rudolf: Poetik.
Die Dichtkunst und ihre Technik. Vom Standpunkte der Neuzeit.
Bd. 2.
Zweite, wesentlich verbesserte und vermehrte Auflage.
Breslau: Trewendt 1870.
URL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10573936
PURL: https://hdl.handle.net/2027/njp.32101061815799
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In: Blätter für literarische Unterhaltung.
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Nr. 40, 1. Oktober, S. 625-632;
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PURL: http://digital.slub-dresden.de/id390927252
Gottschall, Rudolf: Eine literarische Revolution.
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Gottschall, Rudolf: Dichtungen und Gedichte [Sammelrezension].
In: Blätter für literarische Unterhaltung.
1886:
Nr. 24, 17. Juni, S. 369-373;
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Gottschall, Rudolf: Friedrich von Bodenstedt.
In: Die Gartenlaube. Illustrirtes Familienblatt.
1889, Nr. 16, S. 269-270.
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URL: https://de.wikisource.org/wiki/Die_Gartenlaube
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Gottschall, Rudolf: Hermann Lingg.
In: Die Gartenlaube. Illustriertes Familienblatt.
1890, Nr. 3, S. 43-44.
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URL: https://de.wikisource.org/wiki/Die_Gartenlaube
URL: https://digipress.digitale-sammlungen.de/calendar/newspaper/bsbmult00000624
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/008696504
Gottschall, Rudolf: Poetik.
Die Dichtkunst und ihre Technik. Vom Standpunkte der Neuzeit.
Bd. 1.
Sechste vermehrte und verbesserte Auflage.
Breslau: Trewendt 1893.
PURL: https://hdl.handle.net/2027/uiug.30112114855379
Gottschall, Rudolf: Poetik.
Die Dichtkunst und ihre Technik. Vom Standpunkte der Neuzeit.
Bd. 2.
Sechste vermehrte und verbesserte Auflage.
Breslau: Trewendt 1893.
URL: https://archive.org/details/poetikdiedichtk02gottgoog
PURL: https://hdl.handle.net/2027/uc1.$b55922
S. 5-113: "Die Lyrik".
Gottschall, Rudolf: Die Literatur in der Irrenklinik.
In: Neues Wiener Journal.
1893, Nr. 45, 6. Dezember, S. 1-2.
URL: http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=nwj
Gottschall, Rudolf: Adolf Friedrich Graf v. Schack.
In: Beilage zur Allgemeinen Zeitung.
1894:
Nr. 129, 7. Juni, S. 1-3;
Nr. 130, 8. Juni, S. 3-6.
URL: https://digipress.digitale-sammlungen.de/calendar/newspaper/bsbmult00000002
Gottschall, Rudolf: Glossen zur Aesthetik des Häßlichen.
In: Deutsche Revue über das gesamte nationale Leben der Gegenwart.
Jg. 20, 1895, Bd. 3, Juli, S. 38-54.
URL: http://digital.slub-dresden.de/ppn309851130
URL: https://de.wikisource.org/wiki/Deutsche_Revue
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/007916497
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/004123364
Gottschall, Rudolf: Nikolaus Lenau.
Ein Erinnerungsblatt.
In: Die Gartenlaube. Illustriertes Familienblatt.
1900, Nr. 18, S. 578-579.
[PDF]
URL: https://de.wikisource.org/wiki/Die_Gartenlaube
URL: https://digipress.digitale-sammlungen.de/calendar/newspaper/bsbmult00000624
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/008696504
Gottschall, Rudolf von: Das kritische Richteramt in der Literatur.
In: Deutsche Revue. Eine Monatschrift.
Jg. 31, 1906, Bd. 1, März, S. 300-312.
URL: http://digital.slub-dresden.de/ppn309851130
URL: https://de.wikisource.org/wiki/Deutsche_Revue
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/007916497
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/004123364
Gottschall, Rudolf von: Die deutsche Nationallitteratur des neunzehnten Jahrhunderts.
Litterarhistorisch und kritisch dargestellt.
Bd. 4. 7. Aufl. Breslau: Trewendt 1902.
S. 637-673: Das lyrische Jungdeutschland.
[PDF]
Gottschall, Rudolf [Hrsg.]:
Deutsche Lyrik des neunzehnten Jahrhunderts bis zur modernen Aera.
Mit einer literargeschichtlichen Einleitung.
Leipzig o.J.: Reclam [1908] (= Universal-Bibliothek, 951-955).
S. 3-47: Einleitung.
[PDF]
Gottschall, Rudolf: Literarische Schulen und Cliquen.
In: Deutsche Revue. Eine Monatschrift.
Jg. 34, 1909, Bd. 1, Februar, S. 207-222.
[PDF]
URL: http://digital.slub-dresden.de/ppn309851130
URL: https://de.wikisource.org/wiki/Deutsche_Revue
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/007916497
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/004123364
Literatur
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Brandmeyer, Rudolf: Art. Gedankenlyrik.
In: Handbuch der literarischen Gattungen. Hrsg. von Dieter Lamping.
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Brandmeyer, Rudolf: Poetiken der Lyrik: Von der Normpoetik zur Autorenpoetik.
In: Handbuch Lyrik. Theorie, Analyse, Geschichte.
Hrsg. von Dieter Lamping.
2. Aufl. Stuttgart 2016, S. 2-15.
Differding, Annika: Gegenwartsliteratur als Provokation der Literaturgeschichtsschreibung.
Rudolf von Gottschall und Berthold Litzmann.
In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur
41.2 (2016), S. 431-443.
Enders, Horst: Zur Popular-Poetik im 19. Jahrhundert.
"Sinnlichkeit" und "inneres Bild" in der Poetik Rudolph Gottschalls.
In: Beiträge zur Theorie der Künste im 19. Jahrhundert.
Hrsg. von Helmut Koopmann u.a. Bd. 1.
Frankfurt a.M. 1971
(= Studien zur Philosophie und Literatur des neunzehnten Jahrhunderts; 12, 1), S. 66-84.
Fantoni, Francesca: Deutsche Dithyramben.
Geschichte einer Gattung im 18. und 19. Jahrhundert.
Würzburg 2009 (= Epistemata; Reihe Literaturwissenschaft, 649).
Vgl. S. 65-70.
Felten, Georges: Diskrete Dissonanzen.
Poesie und Prosa im deutschsprachigen Realismus 18501900.
Wallstein Verlag 2022.
Lamping, Charlotte / Schwarz, André: Philosophische Lyrik.
In: Handbuch Lyrik. Theorie, Analyse, Geschichte.
Hrsg. von Dieter Lamping.
2. Aufl. Stuttgart 2016, S. 145-151.
Marggraff, Hermann: Zur Poetik.
In: Blätter für literarische Unterhaltung.
1859, Nr. 9, 24. Februar, S. 153-161.
PURL: http://digital.slub-dresden.de/id390927252
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/100319397
URL: https://archive.org/details/bltterfrliterar21unkngoog
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Zum Diskurs der Photographie in der Zeit des Realismus.
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S. 225-228: Verzeichnis von Ästhetiken (1839 – 1900).
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Ästhetische Theorie im 19. Jahrhundert.
In: Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit 1848 – 1890.
Hrsg. von Edward McInnes u.a. München u.a. 1996
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Pott, Sandra: Poetologische Reflexion.
Lyrik als Gattung in poetologischer Lyrik, Poetik und Ästhetik des 19. Jahrhunderts.
In: Lyrik im 19. Jahrhundert. Gattungspoetik als Reflexionsmedium der Kultur.
Hrsg. von Steffen Martus u.a.
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German Scholarly Aesthetics and Poetics in International Context, 1770 – 1960.
With Bibliographies by Anja Zenk, Jasmin Azazmah, Eva Jost, Sandra Richter.
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Ruprecht, Dorothea: Untersuchungen zum Lyrikverständnis in Kunsttheorie,
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Todorow, Almut: Gedankenlyrik. Die Entstehung eines Gattungsbegriffs im 19. Jahrhundert.
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Ein kommentiertes Datenreferat zu populären Poetiken.
In: Grundfragen der Lyrikologie.
Bd. 2: Begriffe, Methoden und Analysedimensionen.
Hrsg. von Claudia Hillebrandt u.a.
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Zymner, Rüdiger (Hrsg.): Handbuch Gattungstheorie.
Stuttgart u.a. 2010.
Edition
Lyriktheorie » R. Brandmeyer