Theodor Fontane

 

 

Text
Editionsbericht
Werkverzeichnis
Literatur: Fontane
Literatur: Almanach u. Taschenbuch
Literatur: Literarisches Zentralblatt für Deutschland

 

[Rezension]

 

Musen-Almanach, deutscher, für das Jahr 1853. Herausgeg. von O. F. Gruppe. Berlin, 1853. G. Reimer. (X, 390 S. 16.) geb. mit Goldschn. 1 Thlr. 15 Sgr.

 

Man hat die Musen-Almanache die "Laubfrösche der Reaction" genannt; wenn sie oben auf sind, so bedeutet's "Schön-Wetter". Wir constatiren die Richtigkeit der Beobachtung, aber wir hüten uns wohl, gehässige Schlüsse daraus zu ziehen. Mag sein, daß das erste Wiedererscheinen des Musenalmanachs eine Art Schlußstein unseres Restaurationswerkes bildete; mag sein auch, daß – bei plötzlicher Wendung des Blatts – der loyale Dichter-Train, über Gebühr und Verdienst, zum Vortrab wurde, und die "Trompeter der Freiheit" weit hinter sich zurück ließ; – wir von unsrem einseitig poetischen Standpunkt aus, können nicht eben viel Bedauerliches darin erblicken und machen kein Hehl daraus, daß uns die schwarzweiße Poesie unter allen Umständen lieber ist als die rothe. Nachdem wir uns so von vornherein als keine principiellen Gegner der Musen-Almanache zu erkennen gegeben haben, mag man unsere Bedenklichkeiten um so gerechtfertigter finden, die wir nicht umhin können, gegen die uns vorliegende Sammlung laut werden zu lassen. Nach unserem Dafürhalten muß solchem Almanach eine bestimmte Idee, eine Art Prinzip zum Grunde liegen, und weder Laune, noch Zufall, noch Rücksichten dürfen bei der Auswahl das entscheidende Wort führen. Das Prinzip, das wir fordern, kann nur ein Zweifaches sein: entweder die besten Namen zu bringen, oder neue Namen, die einmal die "besten" zu werden versprechen. In beiden Fällen wird es unmöglich sein, uns 65 Dichter (wie geschehen ist) vorzustellen, und in beiden Fällen wird eben um deshalb den wenigen Auserwählten Raum und Gelegenheit geboten werden, sich in Wahrheit geltend zu machen. Wir wissen wohl: beides ist schwer; aber muß es denn leicht sein? Einen Autoritäten-Salon schenken wir dem Herausgeber (sie stellen sich uns ohnehin vor), aber das wäre ein ächter Musen-Almanach-Redacteur, der Deutschland nach jungen unentdeckten Talenten durchreiste, wie wirs gelegentlich nach alten unentdeckten Volksliedern tun. Das wäre ein Musenalmanach, der z. B. vor 2 oder 3 Jahren den Otto Roquette, den Hrn. von Schack, den Paul Heyse und den Theodor Storm auf einen Schlag gebracht und ihnen, nebst wenigen andern, den ganzen Raum des Almanachs eingeräumt hätte. Ein solcher Musenalmanach würde ein Vorläufer, ein Stern der Verheißung sein, der das Publikum aufmerksam machte, auf das, was da kommt. Aber wenn wir auch Schweres verlangen, so verlangen wir doch nicht das Schwerste und wir wissen sehr wohl, daß eine Verwirklichung unseres Wunsches auf fast unübersteigliche Hindernisse stoßen würde. So mache man denn aus beiden Principien eins, so gebe man denn eine Tafelrunde vom alten Helden und von Jung-Roland's dazu, aber man halte strenge Wacht am Eingang zu den Schranken und forsche genau "nach Namen und Zeichen." Nicht die Zahl der Ritter giebt dem Turniere Glanz, sondern ihr Geschick und ihr Ruhm. Entspricht der uns vorliegende Musenalmanach diesen Forderungen? nein! der Herausgeber scheint dem gäng und gäben Spruch seiner Heimath gefolgt zu sein: "die Menge muß es bringen", was sich, da es sich um einen Musenalmanach handelt, auch allenfalls in die Worte kleiden ließe:

"Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen,
Wer Vieles bringt, wird Manchem etwas bringen;"

"Etwas" hat er uns in der That gebracht, aber wir bekennen offen, daß uns dies "Etwas" nicht genügt. Franz Kugler, Kopisch, v. Merckel, v. Lepel, Paul Heyse haben Vortreffliches beigesteuert, aber nicht genug, um die Armee von Mittelmäßigkeit zu decken, die hinter ihnen aufmarschirt. Möglich, daß manch' Held unter den dünnen Gestalten ist, die jetzt wie halb ausexercirte Rekruten vor uns stehen, möglich selbst, daß sie in einem eingereichten Manuscript bereits gezeigt haben, was sie können. Aber der verschwiegene und zurückhaltende Herausgeber hat in den meisten Fällen von dem eingereichten jungen Wein nur einen [14] Tropfen Spiritus für die Leser des Musen-Almanachs abdestillirt, und eben so wenig wie eine Schwalbe schon den Sommer macht, macht ein Gedicht den Dichter. Wir wissen z. B. zufällig, daß Albert Türck ein höchst talentvoller junger Poet ist, aber aus seinem "Lied" lernt kein Leser kennen, wen er vor sich hat. Nicht jedes Gedicht kann und braucht eine "Leonore", ein "Erlkönig", ein "Löwenritt" zu sein; viel öfter ist es eine Gesammtheit, die uns den Dichter giebt. Drum weg mit der Mittelmäßigkeit! für den wahren Poeten aber heiße es:

Raum dem Flügelschlag einer Dichterseele.

 

 

 

 

Erstdruck und Druckvorlage

Literarisches Centralblatt für Deutschland.
1853, Nr. 1, 1. Januar, Sp. 13-14.

Ungezeichnet.

Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck (Editionsrichtlinien).


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