Text
Editionsbericht
Literatur
Lyrik oder Lyrische Poesie heißt diejenige Hauptgattung der Poesie, die das
innere Gefühlsleben zum Gegenstande ihrer Darstellung hat. Sie ist das subjective Aussprechen
subjectiver Gefühle und zeigt sich daher in ihrer geschichtlichen Entstehung
immer und überall später als das Epos, das an äußere Gegenstände und Begebenheiten anknüpft.
Natürlich muß die wahre lyrische Poesie zunächst alle Erfodernisse der Poesie überhaupt erfüllen;
sie muß dem innern Gefühle mittels der Phantasie eine klare, anschauliche Gestalt geben und
die innere Wahrheit ihres Inhalts mit idealer Auffassung verbinden. Von der Lyra (s.d.),
als dem Instrumente, mit dem die Griechen derartige Gedichte begleiteten, hat sie ihren Namen.
Ferner kann das lyrische Gedicht im Vergleich mit Epos und Drama immer nur einen
verhältnißmäßig kleinen Umfang haben, und endlich stimmt zu dem Inhalte dieser Gedichte
die strophische, mehr oder weniger regelmäßige Form, die noch durch manche besondere
Kunstmittel, z.B. den Refrain, gehoben wird.
Der Form nach kann man die lyrischen Gedichte eintheilen in solche, die großartige Gefühle
in ihrer tiefsten Erregung und Kraft in entsprechender, erhabener Form ausdrücken und
vorzugsweise Hymnen (s.d.), Oden (s.d.) und Dithyramben (s.d.) genannt werden, und
in solche, die innigere, aber ruhigere Gefühle in einfacherer Form aussprechen, wie das eigentliche
Lied (s.d.).
Dem Inhalte nach theilt man sie ein in geistliche und weltliche Lieder, welche letztere
wieder in eine Menge Unterabtheilungen, wie Liebes-, Natur-, Trink-, Kriegs-, Volkslieder u.s.w., zerfallen.
Häufig nimmt das lyrische Gedicht eine lehrhafte Wendung, was jedoch schon ein Abirren von seiner vollen Reinheit ist.
Wie die dämmernde Gefühlswelt des Menschen mehr im Orient und im Christenthum ihre
wahre Entwickelung und Bedeutung erlangt hat, so hat sich auch die lyrische Poesie
in der jüdischen und christlichen Anschauung vollständiger und allseitiger entwickelt
als in der plastischen Anschauungsweise der Griechen und Römer.
Die lyrischen Gedichte des Alterthums haben entweder starke epische Beimischungen,
wie bei Pindar, dem berühmtesten griech. Lyriker, oder sie gehen in das Lehrhafte über.
Fast nur das Liebeslied erlangte bei den Griechen durch Sappho und Anakreon
und bei den Römern durch Catull, Tibull, Properz und Horaz eine höhere Stufe der Vollendung.
Aus den ersten christlichen Jahrhunderten sind uns besonders herrliche lat. Kirchenhymnen erhalten.
Einen überaus reichen Aufschwung nahm die weltliche Lyrik seit dem 12. Jahrh. in
Südfrankreich und Spanien, etwas später in Italien, wo sie sich in die künstlichen
Formen des Sonetts, der Canzone, Sestine u.s.w. kleidete. In Deutschland trat eine
reiche Blütezeit mit dem Minnegesange des 13. Jahrh. ein, der an Mannichfaltigkeit der
Form und des Inhalts noch unübertroffen ist. Während hier in den folgenden
Jahrhunderten die weltliche Lyrik durch handwerksmäßige, später durch gelehrte
Künsteleien und Spielereien verfiel, erhob sich desto glänzender seit der Reformation das
Kirchenlied (s.d.), dessen Hauptrepräsentanten Luther, P. Gerhardt, Klopstock und
Gellert sind. In die weltliche Lyrik kam erst mit der Mitte des 18. Jahrh. ein neues
Leben, das in der frischen Liederlyrik Goethe's seine schönsten Blüten trieb.
(S. Deutsche Nationalliteratur.)
Erstdruck und Druckvorlage
Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände.
Conversations-Lexikon.
Zehnte, verbesserte und vermehrte Auflage. In funfzehn Bänden.
Zehnter Band: Lüneburg bis Myus.
Leipzig: Brockhaus 1853, S. 38.
Ungezeichnet.
Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck
(Editionsrichtlinien).
Brockhaus online
URL: https://de.wikisource.org/wiki/Brockhaus_Enzyklopädie
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