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Editionsbericht
Literatur
§. 1. In der lyrischen Poesie spricht sich das innere Gefühl
lebhaft in Begeisterung, Freude oder Wehmuth aus, durch Gegenstände erregt, die dem Gemüthe
des Dichters am nächsten liegen, oder, wenn sie ihm auch entfernter sind, durch anziehendes,
bedeutsames und reinmenschliches Interesse auf dasselbe wirken. Da nun der Lyriker
sein eigenes Gemüth darstellt und seine Empfindungen als die der ihm eigenen
Natur offenbart, strömen solche am stärksten in glühendem Feuer empor, oder
sie ergießen sich am innigsten in sanfter Wärme nach Verschiedenheit des
Gegenstandes, der entweder eine heitere oder traurige Stimmung des Herzens
hervorbringt – und so unterscheidet sich diese Dichtung von den
übrigen, wo der Sänger, bei aller Begeisterung, ohne eine gewisse Ruhe
nicht Herr seines Stoffes werden kann. Denn im Gebiete der epischen und
dramatischen Poesie soll er den Charakter und das Eigenthümliche fremder
Naturen richtig auffassen, wo er denn auf jenem eine aus der Erfahrung hervorgehende und
von ihm selbst angeschaute Begebenheit schildert, auf diesem die poetische
Ansicht des Weltlebens zu einem klaren und selbstständigen Bilde gestaltet,
das er als gegenwärtig darstellt, und in der didaktischen Gattung soll etwas
vom Tone des kalten Verstandes, wiewohl mit dichterischer Einkleidung,
herrschen, während die Lyrik das innere Leben des Dichters, in tiefes schönes
Gefühl aufgelöst und vom harmonischen Geiste seiner Kunst durchdrungen,
unmittelbar erscheinen läßt. Auch ist sie vorzugsweise die Poesie des
Gesanges, wie schon ihr Name bezeugt, der von der griechischen Lyra
(Leier), zu welcher ehemals Gedichte dieser Art gesungen wurden, herkommt;
denn näher als andern Gattungen ist ihr die Tonkunst verwandt, weil diese
ebenfalls – nur nicht durch die Sprache, sondern durch unartikulirte, aber
harmonisch verbundene, Töne – die Gefühle offenbart, welche, da sie
aus der individuellen Natur des Dichters hervorgehen, die lyrische Poesie
[49] am meisten für den lebhaften Ausdruck des Gesanges eignen. Verschieden ist
der Gegenstand, so auf das Gemüth desjenigen wirkt, der sich in subjectiven
Empfindungen über ihn ausspricht. Entweder stellt sich derselbe als übersinnlich
und religiös dar, oder er gehört der sinnlichen Welt, aber der höheren
Menschheit an, oder er besteht in einer freundlichen und harmlosen
Erscheinung des Lebens, oder offenbart eine Sehnsucht nach Veränderung.
Daher unterscheidet man vier Hauptformen der lyrischen Dichtung, als:
1. Hymnus (Hymne).
2. Ode.
3. Lied.
4. Elegie.
Einiger besondern technischen Formen, die, ihrer Natur nach, in das
Gebiet der Lyrik gehören, sey am Ende dieses Abschnittes gedacht.
§. 2. Der Hymnus oder Lobgesang, dessen Gegenstand
das Höchste, die Gottheit selbst, oder ein göttliches Bild – Symbol derselben –
ist, erscheint als die erhabenste Gattung der Oden, indem er die
Eigenschaften und Wege der Allmacht und den Geist ihrer Schöpfungswerke
im unermeß'nen Reiche der Natur bewundert, verherrlicht und
anbetet, wo denn das Endliche gleichsam in das Unendliche
versinkt. Darum erfordert er den höchsten lyrischen Schwung und ein reines
Gefühl der Andacht, das in warmer Begeisterung emporschwebt. Auch einzelne große
Gegenstände der Natur, auch denkwürdige Begebenheiten der Religionsgeschichte
verschiedener Völker, können Stoffe zu Hymnen seyn, insofern der Dichter sich weniger
mit ihrer Erzählung, als mit ihren Wirkungen auf seine Empfindung, beschäftigt.
Doch trägt der griechische Hymnus einen epischen Charakter, mit
lyrischer Einlassung, weshalb er auch den Hexameter zum Versmaße wählt.
In ihm sind Mythen der Götter, als anschauliche Thatsachen, geschildert,
und nur im Eingange und am Schluß tritt die Subjectivität des Dichters als
kindlich-fromme Gesinnung seiner Zeit hervor. In anderer Weise tönt der
hebräische Lobgesang, bilder- und farbenreich, der glühenden Phantasie der
Morgenländer und ihrer Religion
[50] gemäß. Die Hymnen der Neuern sind größtentheils rein lyrisch und
offenbaren meist ein zum Unsichtbaren und Unendlichen emporstrebendes
Gefühl, wiewohl auch einige Dichter die antike Form gewählt und selbst etwas
von der Betrachtungsweise der Griechen und Römer angenommen haben.
Klopstock's erhabene, ächt-religiöse Dichtungen dieser Art
verlieren sich oft in den Ton der Elegie.
§. 3. Was die Literatur des Hymnus betrifft, so spendet uns das
Alterthum die trefflichsten Muster, unter welchen die in der Bibel
enthaltenen Gesänge oder Psalmen der Hebräer wohl als die
ältesten ihrer Gattung zu betrachten sind.
Bei den Griechen erscheinen zuerst die Hymnenkreise, welche mit den
Namen des Orpheus und des Homer bezeichnet werden. Aber beide
gehören einer späteren Zeit an. Die Orphischen, einen
mystisch-mythologischen Sinn athmend, fallen zum Theil in die der
persischen Kriege, auch einige derselben in die Alexandrinische Periode;
doch können manche davon auf Ueberlieferungen älterer Poesieen gegründet seyn.
Die Homerischen Hymnen sind wahrscheinlich das Werk einer Sängerschule,
die nach Homer entstand und noch lange fortblühte, weshalb sie die der
Homeriden genannt ward. In diesen Dichtungen zeigt sich der epische
Charakter mehr, als in jenen; auch sind sie klarer und anschaulicher, selbst da, wo
– wie in dem großen Hymnus auf Demeter (Ceres) – das Mysteriöse hervortritt.
Uebrigens verrathen einige durch ihre von früheren abweichende Darstellungen
verschiedener Mythen ein späteres Zeitalter. Unter den Oden des Pindar
und den Chorgesängen griechischer Tragiker, namentlich in dem Oedipus des
Sophokles und der Iphigenia in Aulis des Euripides,
finden sich manche, die, ihrem Geist und Stoffe nach, zu dem Gebiet des
Hymnus gehören. Spätere, in dieser Gattung ausgezeichnete, Dichter sind
Kallimachus, Proklus und Kleanthes.
Von Hymnen der römischen Poesie besitzen wir noch den erhabenen
Säkulargesang des Horaz und einige seiner Oden, die verschiedenen
Göttern gewidmet sind. Sie
unter[51]scheiden sich durch die lyrische Form und mehr Ausdruck des
subjectiven Gefühls von denen der Homeriden und anderer griechischen
Dichter; doch haben sie hierin mit den oben erwähnten des Pindar
und der Tragiker manche Aehnlichkeit. Ein späterer lateinischer Dichter
in diesem Felde war Prudentius, christlicher Religion und im
vierten Jahrhundert lebend. Seine Lobgesänge haben wirklich poetischen
Geist und vereinen, bei ihrer dunkeln Mystik, fromme und
andachtsvolle Gesinnungen mit einem feierlichen Klange. Dies gilt auch von
einigen Kirchenliedern der darauf folgenden Zeit des Mittelalters.
Aus der scandinavischen Dichtung sind uns zwei treffliche, hieher gehörige,
Stücke erhalten worden, nämlich: Regner Lodbrocks Todesgesang und
das prophetische Lied der Walkyren, beide durch die Uebersetzung
in Gräter's nordischen Blumen, ersterer zudem durch Weiße's
Nachbildung bekannt. Auch Ossian, der gefühlreiche Celtische
Barde, hat einige Lieder in dieser Weise gesungen. Kommen wir auf die Zeit des
Mittelalters, welche man als die erste oder fränkischePeriode desselben
(unter Karl dem Großen und seinen Nachfolgern) bezeichnet, so finden
sich hier in altdeutscher Sprache noch einge Lobgesänge auf die
heil. Jungfrau und ein begeisterter Siegeshymnus auf Ludwig III.
nach der wider das normannische Heer gewonnenen Schlacht. Aus der zweiten
Periode, jener Blütenzeit der Minnesänger, besitzen wir ebenfalls ein
Loblied auf Maria, von Konrad von Würzburg, und aus der dritten,
oder der des Meistergesanges, eine freie Nachbildung des hohen Liedes,
von Heinrich von Meißen, genannt Frauenlob, der jedoch, wie
bereits erwähnt, noch im Geiste der Minnesänger dichtete.
Unter den Neueren haben die Italiener mehrere Gedichte dieser Art, welche
entweder unmittelbar an die Gottheit oder an Heilige und Märtyrer gerichtet
sind. Manchen darunter fehlt es nicht an poetischem Geist und an
Wärme der Empfindung, obschon sich auch nicht selten das
Spielende, Gezierte und Fremdartige einmischt. Ihre vorzüglichsten
[52] Hymnendichter sind Bernardo Tasso, Chiabrera, Menzini,
Lemene und Mattei.
Die Poesie der Franzosen ist auch an Hymnen nicht arm, wiewohl sie
von ungleichem Werthe sind. Schon Ronsard hat sich in dieser
Gattung versucht. Die besten der später darin aufgetretenen Dichter waren der
Odensänger J. B. Rousseau, der mit Feuer und Schwung mehrere
Psalmen nachahmte, sein Freund Duché, L. Racine, durch
den Ausdruck eines sanften religiösen Gefühls ansprechend, und
le Franc de Pompignan. Unter den Hymnensängern der neuesten Zeit
erscheint Lamartine, durch Tiefe der Gedanken, Wärme und
Erhabenheit, als der vorzüglichste.
Die Engländer besitzen treffliche Dichtungen dieser Art. Im höheren
Odenfluge sind die von dem Lyriker Cowley und Prior's
Hymnus an die Sonne gedichtet. Vorzüglichen Werth hat Thomsons's schöner
Hymnus an Gott, womit er sein großes Gemälde der Jahreszeiten beschließt,
und sein dieser Dichtung eingeflochtener Lobgesang auf Brittannien. Auch
schätzbare Stücke von Gray und Akenside gehören hieher, so wie
manche der geistlichen Lieder von Watts (meist Nachahmungen der
Psalmen), worin zwar oft ein mehr gemäßigter Ton, aber ächt-religiöser
Sinn, herrscht.
Die vorzüglichsten Hymnen neuer Zeit möchten unter den Deutschen zu
finden seyn. Mit Luther, dessen andachtsvolle geistliche Lieder
sich manchmal zum Fluge des Hymnus erheben, beginnt die Geschichte
der Haupt- und Nebenperioden unserer neueren Poesie. Nach ihm folgten
Wekherlin (der 30 biblische Psalmen übersetzte),
Flemming, Paul Gerhard, Günther, Drollinger, Brockes,
und späterhin v. Haller, E. v. Kleist, A. Cramer, Klopstock,
J. A. Schlegel, Münter, Uz, Wieland, Lavater, die beiden Grafen von
Stolberg, M. Mendelssohn, Niemeyer, v. Herder, Novalis (v. Hardenberg),
Voß, v. Knebel etc. Die Hymnen dieser Dichter sind theils alleiniger Ausdruck
des subjectiv-religiösen Gefühls, theils neigen sie sich in Form,
Gedanken und Darstellungsweise mehr zur antiken Ansicht. Einige der
ausge[53]zeichnetsten von jeglicher Art werden wir in der
Beispielsammlung näher charakterisiren.
§. 4. An den Hymnus schließt sich das, ihm verwandte,
geistliche Lied, welches meist dem nämlichen Stoffe geweiht,
aber nicht von so hohem Schwung und so bilderreich, wie jener, ist.
Sowohl zum Kirchengesang, als zur häuslichen Erbauung und
Gottesverehrung, bestimmt, erreicht es seinen Zweck durch den
Ausdruck sanfter Religions-Empfindungen, die es einfach, jedoch erhebend
für Geist und Herz, vorträgt, und durch faßlichen Inhalt, welcher mehr
das in reiner Andacht emporstrebende Gefühl, als den betrachtenden
Verstand und die Phantasie, beschäftigt. Immer soll das geistliche Lied
Anbetung der Gottheit und an diese gerichtet seyn. Es ist ein dem
Schöpfer huldigender Gesang, auch oft Ermahnung zu den Pflichten gegen ihn und
den Nächsten, so wie fromme Ergießung des Herzens in Dank für das empfangene
Gute, oder belehrend, tröstend und stärkend in frohen und traurigen,
in süßen und bitteren, Ereignissen des Lebens.
Auf Dichtungen dieser Art aus dem Mittelalter ist schon im Art.
Hymnus (§. 3.) hingewiesen. Unter den Neuern
besitzt England einen vorzüglichen Sänger geistlicher Lieder an
Watts, und in Deutschland haben viele seiner trefflichsten,
auch meist in andern Gebieten der Musenkunst berühmte, Geister
diese edle Bahn betreten. Solche waren in früherer Zeit
Luther, Flemming, P. Gerhard, Rist etc.; aus der späteren
sind Gellert, A. Cramer, Klopstock, Gieseke, v. Cronegk,
J. A. Schlegel, C. A. Schmidt, Uz, Lavater, Neander, Funk, Niemeyer,
Sturm, Voß, Tiedge, Frau von der Recke, Knapp, Witschel,
Mahlmann u.a.m. zu nennen. Eine schöne Sammlung deutscher
Kirchen- und Erbauungslieder von Dichtern des 16. 17. 18.
und 19. Jahrhunderts enthält namentlich das evangelisch-protestantische
Gesangbuch der Pfalz.
§. 5. In der lyrischen Poesie hat die Ode nach
dem Hymnus (der selbst Ode im höchsten Sinne des Wortes ist) den ersten Rang.
Bei den Griechen und Römern führte jedes zum Gesang sich eignende
Gedicht der Hauptgattung diesen
[54] Namen, und so wurden die heroischen Gesänge des Pindar, die
erotischen der Sappho, des Alcäus u.a., die anmuthigen
Lieder des Anakreon, und die, auf verschiedene Gegenstände der höheren
und gewöhnlichen Lebensverhältnisse gerichteten, lyrischen Stücke des
Horaz insgesammt als Oden bezeichnet. Darum bewog der
mannichfaltige Charakter, welchen diese Dichtungsart in der antiken
Poesie trägt, die Neueren, eine bestimmtere theoretische Eintheilung zu
treffen, und so wurde nicht allein das Lied von der eigentlichen
Ode getrennt, sondern auch diese selbst erfuhr zwei Abtheilungen,
so daß man die heroische Ode, welche die Größe menschlicher
Unternehmungen besingt, und die philosophische, deren Gegenstände
solche Wahrheiten sind, die auf das Gefühl und die Phantasie lebhaft
wirken und sich des lyrischen Ausdrucks besonders empfänglich zeigen, in
Bezug auf ihren Inhalt, unterscheidet. Aber in der Form sowohl, als im
Wesen, sind beide einander gleich. Gedankenreichthum, blühende und
feurige Einbildungskraft, inniges Gefühl und die lebhafteste Begeisterung für
seinen Gegenstand, den er durch den Zauber der Phantasie zum reinsten
Ideal erhebt, sind die Eigenschaften des wahren Odendichters, und hiedurch
entsteht in ihm eine Reihe ausdrucksvoller Bilder und Empfindungen, die ihn im
lyrischen Schwunge mit sich fortreißen. Der Flug, den die Ode nimmt, ist
kühn, rasch, ja oft verwegen, aber, obschon er nicht immer planmäßig
erscheint, doch nie regellos, indem er genau die Gegenstände zeigt,
welche auf die Seele des Dichters wirken. Auch die äußere Form in
Sprache und Rhythmen soll dem Charakter der Ode treu und im Einklange
mit der Kühnheit, Erhabenheit und Tiefe ihrer Gedanken seyn. Entsteht
nun dadurch, daß der begeisterte Sänger keine geregelte Folge seiner
Ideen, Bilder und Ausdrücke beobachtet, die sogenannte lyrische Unordnung, so
ist diese doch mehr scheinbar, als wirklich, indem auch bei dem
freiesten Aufschwunge dichterischer Phantasie immer eine gewisse
Ordnung der Kunst und der Gedankenreihe besteht. Allerdings entfernt sich der
lyrische Dichter in seinen wechselnden Gefühlen von jedem streng-logischen
Gesetze; aber wenn auch sein Werk
[55] keinen bestimmten Plan verräth, so fehlt doch dieser nicht,
indem die Hauptabsicht des Darstellenden gleichsam hinter seiner
Phantasiereihe verborgen ist. Darum wird zugleich Einheit des Gegenstandes,
welchem die vorzüglichste Empfindung in der Seele des Dichters zum Grunde
liegt, in der Ode, wie bei allen poetischen Hervorbringungen, erfordert.
Alle einzelnen Theile desselben sollen mit dem herrschenden Gefühl übereinstimmen;
doch sind sie eben so viele Quellen der Mannichfaltigkeit, indem
hiedurch die Phantasie einen Reichthum von Bildern und Vorstellungen, die
mit dem Hauptgegenstande verwandt sind oder auf ihn Bezug haben, herbeiführt.
– Wegen der raschen und feurigen Entwicklung des Gefühls, das sich
in der Ode zeigt, scheint sie nicht selten der Klarheit in
Gedanken und Bildern zu ermangeln; doch fehlt diese in einem ächten
poetischen Werke nie, und auch hier darf keine absichtliche Dunkelheit
den reinen Kunstgenuß trüben. Zudem soll Feuer und Erhabenheit
der Ideen und Ausdrücke, aber nicht Schwulst oder eitler Pomp,
der sehr oft dadurch entsteht, daß ein niedriger Gegenstand durch kühne
Sprachformen mühsam gehoben wird, in dieser Dichtungsart herrschen.
Wesentliche Eigenschaften derselben sind auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit,
wornach der gewählte Gegenstand mit den durch ihn erregten Bildern,
Vorstellungen und Empfindungen in verhältnißmäßigem Einklange steht,
und Kürze der Gedanken und des Ausdrucks, weil das stark
erregte Gefühl, welches die Ode belebt, in einem weitschweifigen
Gesange zu sehr angespannt und darum nothwendig ermatten würde. –
Da der Oden-Dichter Gegenstände behandelt, die weit weniger populär sind,
als die, welche das Lied zuläßt (obschon auch in diesem bei aller
Popularität keine Gemeinheit statt finden soll),
so darf allerdings von seiner Seite mehr, als von der des Liedersängers,
eine gewisse Gelehrsamkeit hervortreten, und er kann annehmen,
daß sein Leser mythologische, historische, geographische, selbst einige
astronomische, und andere Kenntnisse, die einer ästhetischen Anwendung
fähig sind, besitze. Nur darf die Offenbarung dieser Gelehrsamkeit
nicht in Ueberladung, Prunk und Pedanterie ausarten.
Haupt[56]sächlich muß in dieser lyrischen Gattung eine Würde
herrschen, die mehr ist, als bloße Feierlichkeit der Sprache und des
Styls, indem die ächte Ode, wie ein vorzüglicher Theoretiker sagt,
"den Leser auf einen idealen, wenn auch nicht immer philosophischen,
doch über die gewöhnlichen Ansichten der Dinge erhabenen, Standpunkt
der Betrachtung stellt."
§. 6. Was die rhythmische Form betrifft,
welche der Odendichter anwendet, so hatten die Griechen und Römer
verschiedene lyrische Versarten, deren Muster sich fast alle in den
Oden des Horaz finden. Als die gewöhnlichsten nennen wir:
1. DieAlcäische Strophe: vorzüglich wohllautend, festen und erhabenen Ganges.
2. DieSapphische: anmuthig, oft sich der Schwermuth und liebender Sehnsucht, manchmal auch ernster Betrachtung, weihend.
3. DerAsklepiadeische Vers: entweder allein, oder strophisch im Wechsel mit demglykonischen, auch mit diesem und einempherekrazischenVerse, gebraucht. Er trägt einen malerischen Charakter.
4. DerChoriambische: von lebhafter und feuriger Bewegung, doch zuweilen auch dem Ausdruck sanfter Empfindungen dienend.
5. DerJonische: gewöhnlich unstrophisch gebraucht, mit hüpfendem, aber melodischem Gange.
6. DerArchilochische: Hexameter oder Senare, mit kürzern jambischen und archilochischen Versen wechselnd. Das größere Versmaß dieser Art wechselt mit Zeilen, wovon immer die erste in hexametrischer Form, aber siebenfüßig, ist, und die zweite aus eilfsylbigen Jamben besteht.
7. DerAlkmanische: Hexameter mit Tetrametern oder vierfüßigen, alkmanischen Versen wechselnd.
8. DerHendekasyllabus: Dieser, zuerst vonCatullgebrauchte, Vers hat Aehnlichkeit mit den drei ersten der Sapphischen Strophe, nur daß bei ihm der Daktylus in der zweiten, wie dort in der dritten, Sylbe steht. Er wird gewöhnlich bei Stoffen, die einen naiven oder rüh[57]renden Ausdruck erheischen, aber auch manchmal bei andern Gegenständen, angewandt.
9. Der schwungreicheGalliambus, in welchem der nämliche Dichter eine dithyrambische Ode sang.
Außer diesen und andern Versmaßen, gibt es noch ein freieres, doch eben
so bestimmten Gesetzen unterworfenes, das sich namentlich bei Pindar
und in den Chorgesängen der griechischen Tragiker findet.–
Fast alle Dichter neuerer Zeit haben auch für die Ode den Reim gewählt;
doch muß, wie schon oben bemerkt worden, immer die rhythmische Form der
Erhabenheit des Gegenstandes angemessen seyn. Die Deutschen allein
gebrauchen in dieser lyrischen Gattung, nebst dem Reim, auch das antike
Metrum, und Voß hat dasselbe sogar in einigen seiner Oden und Lieder
sehr glücklich und malerisch mit jenem zu vereinen gewußt. –
(S. den vor. Abschn. §. 10.)
§. 7. Die heroische Ode ist, wie bereits erwähnt, der
Größe menschlicher Unternehmungen gewidmet. Heldenruhm, patriotische
Handlungen, Adel und Erhabenheit des Geistes, sind die Gegenstände,
welchen der Sänger hier seine Harfe weiht. Kriegerische Thaten, oder
ähnliche, wo physische Kraft sich mit Seelenstärke vereint, gewähren
allerdings einen vorzüglich wirksamen Stoff zu Dichtungen dieser Art,
aber auch andere große Tugenden, in welchem Stand und
in welchen Verhältnissen man sie auch übt, gehören unter den Begriff
des Heroischen und werden von dem Odendichter verherrlicht. Zudem geräth
derselbe manchmal durch ein Ereigniß, das ihn betraf, von seiner
Phantasie fortgerissen, in eine Reihe mythischer und heroischer Bilder
und Vorstellungen, wofür Horazens Ode auf einen stürzenden Baum,
und die von Ramler auf ein Geschütz, als treffliche Beispiele
dienen.
Von Dichtungen der Griechen in dieser Gattung besitzen wir noch mehrere
der Oden Pindar's, welche sich durch den höchsten Schwung, durch Feuer und
Gedankenreichthum auszeichnen. Er weihte sie den Siegern in den großen
griechischen Kampfspielen, welche zu Olympia, Nemea, Delphi
(die Pythischen) und auf dem Isthmus gefeiert wurden; aber
[58] er sang zugleich freie Gedanken und Gefühle, die ihm sein großer
Genius eingehaucht, und knüpfte an den Stoff, von dem er ausging,
Verherrlichung der Götter und denkwürdiger Begebenheiten der Vorzeit.
– Die einst so geschätzten Oden des Alcäus und anderer
hellenischer Lyriker sind leider! meist verloren gegangen, und nur wenige
Bruchstücke davon kamen auf unsere Zeit.
Unter den lyrischen Dichtungen der Römer in der höheren Gattung haben sich
die des Horaz durch alle Jahrhunderte bewahrt. Sie galten von jeher, und
mit Recht, als ein wahres Vorbild für jeglichen Sänger auf diesem Felde. Mehrere
davon gehören in den Kreis der heroischen Ode; sie zeichnen sich durch
Wohlklang, Erhabenheit, Kraft und patriotische Begeisterung (auch da,
wo der Dichter allein dem Augustus und seinem Hause oder dem Mäcenas
huldigt) aus, und offenbaren, wenn er auch griechischen Mustern folgte,
ganz seine eigenthümliche Natur und Gesinnung.
Es ist nicht zu läugnen, daß unter dem großen Reichthum an Oden dieser Art, den die neuere poetische Literatur besitzt, man nicht wenige findet, welche in feurigem Schwung und in Schönheit des Ausdrucks den besten Mustern des Alterthums mit lobenswerthem Erfolge nachstreben.
Die Italiener rühmen sich hier des berühmten Petrarca, so wie der
Dichter Chiabrera, Testi, Guidi, Redi, Gigli, Frugoni u.A., die
allerdings viel poetisches Verdienst haben. Uebrigens sind sie entweder in
Bildern und Gedanken, nicht in der Form, genaue Nachahmer der Alten, oder
etwas verschwenderisch mit Allegorie und Spielen des Witzes.
Unter den lyrischen Dichtern der Franzosen hat Malherbe zuerst die
Sprache mehr ausgebildet und dem Verse mehr Wohlklang ertheilt.
Ihm folgten in der heroischen Ode Boileau, sehr geschätzt im
didaktischen Fache, hier bei großer Korrektheit einen zu gekünstelten
Flug nehmend; La Motte, mehr an Ideen als an Bildern reich,
aufstrebend und korrekt, jedoch von zu geringer Wärme, und J. B. Rousseau,
vielleicht der trefflichste Odensänger Frankreichs, kraftvoll, erhaben
und feurig, wenn auch manchmal zu reich
[59] an Sentenzen, welchen er aber durch die Lebendigkeit des
Vortrags immer einen lyrischen Anstrich zu geben weiß. In
Rousseau's Bahn trat späterhin Lebrun auf, der sich
den Namen des französischen Pindar erworben; auch möchte er an
kühnem Schwung, Erhabenheit und Gedankenstärke von keinem lyrischen
Dichter seiner Nation übertroffen, ja kaum erreicht seyn. Als
rühmlich sind noch unter Mehreren Rouget de Lisle, Verfasser
der Marseiller Hymne, Chénier, auch La Harpe,
und aus der neuesten Zeit Delavigne, in dieser Gattung zu
nennen.
England zählt mehrere schätzbare Odendichter, wie: Oldham,
Waller, Dryden, Pope, Mason, Akenside, West, Gray etc. etc.
Besonders nahmen die vier letztern einen hohen Flug, und zeigen viele
Kraft und poetische Schönheit. Ein großer Theil der brittischen
Lyriker weihte den Gegenständen und Ereignissen der Zeit seine
Kunst.
Schon in den früheren Perioden der deutschen Poesie gab es
Dichtungen, welche man zu dieser Gattung rechnen kann, besonders die
feurigen Kriegs- und Siegsgesänge von Veit Weber aus dem 15.
Jahrhundert. Auch von Luther gehören einige Lieder hieher,
so wie späterhin einzelne Ideen und Bilder in Gedichten von
Wekherlin, Opitz, Flemming, Tscherning, Zinkgräf, Andr. Gryph,
S. Dach, Günther, die heroischen Lobgesänge von Besser und
König etc. etc. Aber den Rang, welchen in dieser Sphäre, wie
überhaupt in der höhern lyrischen Gattung, die deutschen Dichter über die
aller andern Nationen des neueren Zeitalters erlangt, bestimmen
vorzüglich die schätzbaren, zum Theil meisterhaften, Stücke, die im
vorigen und gegenwärtigen Jahrhundert A. Cramer, Uz, Luise Karsch,
Ramler (sehr würdig auf Horazens Bahn), Klopstock (groß in
Bardengesängen und andern Oden heroischer Art), Denis, Mastalier,
Kretschmann, die beiden Grafen von Stolberg, Voß
(ausgezeichnet durch Ideenreichthum und vollendete Rhythmik),
Fr. Cramer, Schubart, F. J. Emerich, von Stägemann u.A.
geliefert haben.
[60] §. 8. Das, was man philosophische oder didaktische Ode
nennt, hat ein ziemlich ausgebreitetes Feld. Im engern Sinne versteht man darunter ein
Gedicht, dessen Gegenstand erhabene, das Gemüth begeisternde, Lehren und Wahrheiten
sind, die aber der Dichter mehr aus der practischen als aus der speculativen
Philosophie entnommen hat, wo er denn in schönen Bildern seine Reflexion auf die
höchsten Angelegenheiten des menschlichen Lebens richtet, oder auch gegen
Entartung und Laster, die seine Seele schmerzlich anregen, in die Schranken tritt.
Betrachten wir diese Dichtungsart im weitern Sinne, so können auch
Erscheinungen in der Natur, Ideale der Kunst und des Lebens,
Begebenheiten der Geschichte und Scenen individueller Verhältnisse, welche stark auf Geist und
Gefühl wirken, sehr zweckmäßige Stoffe ihrer Darstellungen seyn, indem ihnen
der Dichter eine moralische Seite abgewinnt, wenn diese auch nur im
Vorüberfluge berührt wird. Ueberhaupt ist die didaktische Ode kein
Lehrgedicht, und ihr Sänger steht hier weniger auf dem Standpunkte der
Reflexion und des Forschens als es bei jenem geschieht, sondern die
Betrachtungen über Tugend, Pflicht und andere das Gemüth anregende
Gegenstände werden hier zu leidenschaftlicher Empfindung gesteigert
und zu lyrischem Aufschwung erhoben, so daß, wie Eschenburg sagt,
"die Gedanken sich in Bilder, die Zergliederungen in Gemälde, und die
Beweise in lebendig dargestellte Beispiele verwandeln." –
Die lyrische Dichtung der Griechen trägt mehr einen plastischen, die
der Römer einen didaktischen Charakter, der in manchem Betracht schon
dem der neueren Zeit ähnlich ist. Viele der Oden des Horaz gehören zur philosophischen
Gattung, und sie bleiben immer die schönsten Muster in der edlen Kunst,
die Grundsätze des Weltweisen mit warmen Gefühlen zu vereinen und in
dichterischer Kraft vorzutragen.
– Unter den neueren lateinischen Dichtern haben Balde (der zur Zeit des
30jährigen Kriegs lebte und dessen Oden Herder schön nachgebildet hat), der
Pole Sarbiewsky, auch Sarbievius genannt (von welchem Götz einige
Dichtungen im Deutschen gab), ferner Flaminius, Lotichius
[61] und Johannes Secundus, den Ton des Horaz am glücklichsten
getroffen. –
Von dem, was Italien in dieser Gattung lieferte, werden besonders mehrere
Stücke des an Gedanken und zärtlichem Gefühl so reichen <Petrarca>, die Oden des
Filicaja (aus dem 17. Jahrundert), theils heroisch, theils didaktisch
und religiös, durch sehr edle Empfindungen, Natur und Wohlklang ausgezeichnet, und
die geschätzten Hervorbringungen des in der neuesten Zeit durch seine
Schicksale und Leiden so berühmt gewordenen Silvio Pellico,
genannt.
Die französische Odenpoesie, welche sich vorzüglich zum Rhetorischen
und Philosophischen zu neigen scheint, hat hierin viel Treffliches gespendet.
Man kennt mehrere schätzbare Stücke dieser Art von J. B. Rousseau, Voltaire,
J. Racine (einige Chöre in der Athalia), L. Racine, Gresset, Thomas,
und in der neuern Periode die von Lamartine (durch erhabenen Schwung,
Gedankenfülle, Tiefe und Zartheit der Gefühle wohl der Erste, unter den
jetzigen Lyrikern seiner Nation), Victor Hugo, Chênedollé u.A.
Die philosophischen Oden der Engländer haben meist einen kräftigen
Lehrton und körnige, oft zur Schmermuth sich neigende, Gedanken, Einige auch hohen
Schwung und lebhaftes Kolorit, was wieder bei Andern fehlt. Ihre vorzüglichsten
Dichter in diesem Felde sind Shenstone, Akenside, Collins (eben so
musikalisch als meisterhaft charakterisirend), Miß Carter (bekannt durch
mehrere schätzbare Schriften, hier durch ihre schöne und gehaltreiche Ode
an die Weisheit, welche Uz so trefflich nachgebildet hat), Th. <Warton>,
und der spätere Lord Byron, der aber in seinen genialen Dichtungen oft
ein zerissenes Gemüth und eine gewisse Freigeisterei der Leidenschaften
offenbaret.
Unter den Deutschen finden sich schon in der Periode des
Minnegesangs verschiedene religiöse und moralische Oden, und in der des
Meistergesangs mehrere Oden und Lieder, namentlich des Heinrich von
Meissen (Frauenlob), die geistlichen Gegenständen gewidmet sind.
Ferner gehören Luther und die bereits genannten Dichter aus dem 17. und
[62] am Anfange des 18. Jahrhunderts hieher. Als philosophische Odendichter
der neueren Zeit, sind v. Haller (ernst und kräftig), v. Hagedorn,
v. Creuz, v. Gemmingen, Uz, Ramler, Klopstock (durch Gedankenreichthum,
tiefes Gefühl und eine edle Sentimentalität in dieser Gattung besonders
hervorleuchtend), und auf Klopstock's Bahn Voß, Hölty, die Grafen
von Stolberg, der geniale Baggesen (ein Däne, aber vieles
in deutscher Sprache dichtend), Schönborn, Heydenreich, Conz, Hölderlin,
dann wieder in ganz eigenthümlicher Weise v. Herder, v. Goethe, v. Schiller,
auch viele Spätere, unter denen sich der Graf von Platen auszeichnet,
und welche mit mehr oder weniger Glück den verschiedenen Beispielen jener
Meister folgten.
§. 9. Eine Nebengattung der höheren Lyrik, welche das Mittel zwischen der
Hymne und der heroischen Ode hält, ist die Dithyrambe oder der
Dithyrambus, dessen Name von einer Benennung des Bacchus herkommt.
Schon in früher Zeit wurden die Dithyramben als Lobgesänge auf den Rebengott
gedichtet und bei seinen Festen in Griechenland angestimmt, nachmals aber
durch die Kunst noch sehr vervollkommnet. "Hier – sagt ein deutscher
Aesthetiker – ging das höchste sinnliche Leben in religiöse Bedeutung
über, die Phantasie erhob sich zu Visionen, und der wilde Taumel wurde zur
prophetischen Begeisterung." Es waren Gesänge von feurigem, aber ungeordnetem,
Schwunge, durch Kühnheit der Bilder und Neuheit der Sprache ausgezeichnet.
Man pries darin die Gaben des Bacchus, feierte seine Thaten, und verehrte ihn
als Gott der Anpflanzung und der Sittlichkeit, wodurch auch Wissenchaften und
Künste gefördert und verbreitet wurden. Den letzten Sinn haben einige der
modernen Dichter, welche Dithyramben im antiken Geiste sangen, vorzüglich aufgefaßt.
Der Sänger Arion, aus Methymna auf der Insel Lesbos, dessen Geschichte theils
mythisch, theils historisch ist, wird gewöhnlich für den Erfinder der
Dithyramben und des bacchischen Reigens in der Tragödie gehalten. Als spätere
griechische Dithyrambendichter sind bekannt: Lasos,
[63] Perikletos, Melanippides, Bakchilides, Philoxenos und Pindar.
Man kennt nur wenige Bruchstücke dieser Art unter den Ueberresten ihrer
Dichtungen, namentlich ein schönes Fragment von Bakchilides, das
Athenäus aufbewahrte. Pindar's Dithyramben, welche Horaz
verherrlicht, möchten wohl die vorzüglichsten Muster seyn; doch
leider sind keine ächten davon mehr übrig, als etwa die 13. olympische Ode,
die nach Ton und Inhalt in dieses Feld zu gehören scheint. –
In der römischen Poesie tragen die zwei dem Bacchus geweihten Oden
des Horaz II. 19 und III. 25 einen völlig dithyrambischen Charakter.
Die oben gedachte Ode des Catull in galliambischem Versmaße, welche die
Raserei des Athys mit so lebhaften Farben schildert, wird für die
Nachbildung einer griechischen Dithyrambe gehalten. –
Auch Dichter der neueren Zeit, wie bei den Italienern Angelo Poliziano, Redi und
Baruffaldi, bei den Franzosen J. B. Rousseau, u.A., und bei den
Deutschen Willamov, Maler Müller, Voß etc. etc.,
haben diese Gattung glücklich nachgeahmt.
§. 10. Das Lied hat zwar den Hauptcharakter aller lyrischen Poesie, der
im dichterischen Ausdruck <subjectiver> Empfindungen besteht; doch unterscheidet es
sich von der Ode durch einfachere Sprache und minder hohen Schwung, wiewohl es lebhaften Geist,
sinnige Natur und herzliches Gefühl athmen soll. Die Gegenstände, welche den
Liederdichter begeistern, sind entweder von heiterer oder von schwermüthiger Art; im ersten Fall
ist das Lied reiner Ausdruck der Freude, im letzten hat es einen elegischen
Anstrich. Die Stoffe, wodurch es veranlaßt wird, sind mannichfaltiger Art; daher man nach
Verschiedenheit des Inhalts und des Zwecks mehrere Liedergattungen annimmt.
Der religiösen oder geistlichen haben wir, als einer besondern,
dem Hymnus verwandten, Dichtung schon oben gedacht. Die sogenannten
weltlichen, zur gegenwärtigen Klasse gehörigen, Lieder werden eingetheilt:
1) In die von leidenschaftlichem Charakter, welche sich in sanften
Gefühlen der Liebe oder der Freundschaft ergießen; 2) In solche, die Gegenständen
der Natur, ländlichen Freuden und
Beschäftigun[64]gen gewidmet sind; 3) In gesellige, wodurch die
freundliche Unterhaltung bei der Tafel und bei muntern Gelagen noch mehr
belebt und gesteigert wird; 4) In moralische, den Tugenden des
Herzens und der Verbreitung edler und sittlicher Empfindungen geweiht;
5) in National- und Kriegslieder, zur Erweckung der Vaterlandsliebe
und Verherrlichung großer Thaten, auch zur begeisternden Erinnerung an
merkwürdige Begebenheiten der vaterländischen Geschichte, bestimmt.
Sie nehmen daher einen höhern Schwung und nähern sich hiedurch der Ode,
wie z.B. in den Gesängen des Tyrtäus, in den Kriegsliedern von
Gleim, und in manchen andern aus früherer und späterer Zeit,
geschieht. Auch giebt es 6) Lieder von epigrammatischer Natur,
die einen muntern Witz oder leichten Scherz ausdrücken, ohne daß sich darum der
Dichter in spitzfindige Gedanken verlieren soll; wohin auch die
Parodie ernster lyrischer Poesieen gehört. – Das Lied
bildet die Hauptform der leichtern Gattung lyrischer Poesie. Darum
muß auch sein Vortrag, dem Inhalte gemäß, in Ausdruck und
Bewegung leicht, einfach und gefällig seyn. Wohlklang ist eine wesentliche
Eigenschaft desselben, da es sich nicht allein zur angenehmen Lektüre,
sondern vorzugsweise für den Gesang und die musikalische Begleitung,
eignen soll. Hiernach muß auch die Wahl des Versmaßes und der
Strophenbau von dem Dichter beobachtet seyn, wo denn ein leichtes und
fließendes, nach dem eigenthümlichen Charakter jeder Sprache
angewandtes, Metrum am besten jenen Zweck erreicht. In der antiken Poesie
wurden besonders der fortlaufende dreifüßige Jambus und der vierfüßige
Trochäus des Anakreon und die Sapphische Strophe, aber auch andere
lyrische Versmaße, gebraucht. In der neuern, auch deutschen, Dichtung
entbehrt man des Reims nicht gern, da er an sich musikalisch, und für den
Gesang einer metrisch-gleichmäßigen Strophe sehr passend ist, ja oft den
Ausdruck noch erhöht. Doch haben wir auch Beispiele, daß antik gemeßne
Lieder in neuern Sprachen durch Meister der Tonkunst einen hohen Grad
musikalischer Schönheit erlangt, wie Matthisson's gefühlvolle
Dichtung Adelaide mit Beethoven's
[65] Composition, und einige andere, beweisen, und dies gewährt uns zugleich
ein Bild, auf welche Art sich bei den Griechen die Muse der Tonkunst mit der des
lyrischen Gedichts verbinden mochte.
§. 11. Unstreitig war das Lied die früheste Art von Poesie,
und sogar bei den wildesten Völkern wird das Bedürfniß für Musik, Gesang und
Tanz gefunden. Ihre Volkslieder sind historischen Erinnerungen, der Anfeuerung zu
Muth und Kriegsthaten, geselliger Freude, religiöser Andacht etc. etc. geweiht,
wie die unter civilisirten Nationen, nur daß Letztere mehr ausgebildet sind.
Auch bot schon in der Urzeit das harmlose Hirtenleben, die damit verbundene
Unschuld und Zärtlichkeit, dann die rüstige Jagd, das Fischergewerbe, und überhaupt die
Natur in ihren wohlthätigen und schreckhaften Wirkungen, Stoff zum Ausdruck
des dichterischen Gefühls, wovon namentlich aus der ältesten Geschichte
des patriarchalischen Morgenlandes noch manche Spur übrig ist.
Griechenland besaß viele Liederdichter, welche die mannichfaltigsten Gegenstände besangen,
und man kennt noch mehrere Stücke dieser Art aus der Zeit, wo seine geistige
Kultur sich entwickelt hatte, obschon manche derselben nur als Fragmente
zu betrachten sind. Den schönsten Kranz dieser lieblichen Blumen enthält die
griechische Anthologie, wo auch die Namen verschiedener Dichter, wie
Simonides, Meleager, Theognis, Palladas, u.A.m. angezeigt sind.
Eine merkwürdige Erscheinung sind ferner die sogenannten Skolien oder Tischlieder,
welche nach beendigtem Mahle zur Lyra oder Flöte gesungen wurden.
Ihr Inhalt war entweder moralisch oder Aufmunterung zu geselliger Freude,
manchmal auch historisch und mythisch, wo er den Erinnerungen an
patriotische Thaten und an Götter und Heroen galt. Der schöne Sinn für
heitern und zugleich weisen Lebensgenuß, der den Griechen so eigen war,
spricht sich besonders in der Sammlung jener anmuthigen, naiven, mit ächter
lyrischer Leichtigkeit gesungenen, Lieder aus, welche meist der Liebe und den
Gaben des Bacchus huldigen, und die man gewöhnlich dem berühmten
Anakreon
[66] zuschreibt. Ein Theil derselben mag wohl von ihm, der andere aber von späteren
Dichtern seyn, so daß man das Ganze als eine in seiner Manier gespendete
Blumenlese betrachten kann. Von der Dichterin Sappho, deren
unglückliche Liebesgeschichte bekannt ist, sind nur zwei Oden oder Lieder
und einige Fragmente übrig. Sie athmen ein glühendes, zärtliches und
elegisches Gefühl, und sind den meisten Ausgaben des Anakreon beigedruckt,
wiewohl sie auch einzeln erschienen. Sappho, bei den Griechen die
zehnte Muse genannt, ist Erfinderin der bereits erwähnten Strophe, die ihren
Namen trägt.
Obschon die Römer, welche die Poesie der Griechen nachgeahmt, auch Gesänge
mit musikalischer Begleitung hatten, so war bei ihnen doch das heitere Leben
und der Sinn für die Harmonieen des Liedes nicht so einheimisch, wie bei
jener in allen Beziehungen mit dem vollendetsten Kunstsinne begabten Nation.
Verschiedene Gedichte des Catull, welche theils erotischen Tändeleien, theils
andern angenehmen oder traurigen Gegenständen gewidmet, auch meist von
elegischer Farbe sind, können wir zu der gegenwärtigen Klasse rechnen. Ein
vorzüglich schönes Stück dieser Art ist sein Carmen nuptiale oder
Hochzeitgesang. Auch wird das berühmte Pervigilium Veneris (Nachtfeier
der Venus), welches Bürger so trefflich nachgebildet, von Einigen ihm,
von Andern einem spätern Dichter, zugeschrieben. Unter den lyrischen Dichtungen
des Horaz finden sich mehrere, wo er in leichtem und anziehendem Ton Liebe,
Freundschaft, gesellige Freuden und Natur besingt, und die man, wenn auch hie
und da die philosophische Besonnenheit des Dichters hervortritt und sie der
Form nach in den Kreis der Ode gehören, doch dem Inhalte nach als Lieder
betrachten kann.
Die Sprache der Italiener ist melodisch und eignet sich vorzüglich
zum Gesang, wenn auch viele ihrer Lieder eine gekünstelte Form, und
entweder einen vorherrschend elegischen oder auch einen didaktischen und
epigrammatischen Charakter haben. Die trefflichsten, dem Wesen dieser
Gattung am meisten entsprechenden, Stücke sind von Testi,
[67] Chiabrera, Zappi, Filicaja, Paolo Rolli, Metastasio, Frugoni, Pignatelli,
Maffei, Gozzi, Casti, u.A. –
Schon frühe ward in Spanien das Lied mit der Guitarre begleitet; doch
bestehen die ältern Sammlungen meist aus Balladen und Romanzen, welche
aber dort von ganz lyrischer Natur sind. Uebrigens findet man darunter einige
schöne Volkslieder, die blos subjective Gefühle aussprechen. Treffliche
Dichter in dieser Gattung aus etwas späterer Zeit sind: J. Boscan, Garcilasso de la Vega,
Mendoza, Castillejo, Estevan Manuel de Villegas, Luis de Leon, Vincente de
Espinel, Cervantes, Quevedo, u.A. Einige solcher spanischen Gesänge,
die ein wahrhaft romantischer Geist belebt, sind von Herder in seiner
schätzbaren Sammlung der Volkslieder übersetzt. Unter den lyrischen
Dichtungen der neuesten Periode haben sich namentlich die erotischen
Schäferlieder von Don Francisco Iglesas de la Casa durch blühende
Darstellung, Naivetät und Anmuth vielen Beifall erworben.
Keine andere Nation übertrifft in der Liederpoesie die Franzosen, ja vielleicht
gebührt ihnen darin der erste Rang. Ueber die anmuthigen Gesänge der
Troubadours und Trouvères, im Mittelalter, und der sie
nachahmenden Dichter aus den nächsten Jahrhunderten, haben wir schon §. 13 des
vor. Abschn. Einiges bemerkt; eine umständlichere Anzeige erlaubt uns der
Raum nicht. Herzlichkeit und naiver Witz charakterisiren die Lieder, welche bis in
die Zeit Ludwig XIV. erklangen, wie die von Marot,
Melin de Saint Gelais etc. etc. In den meisten von diesen bis in die
gegenwärtige Periode gedichteten herrscht, bei vervollkommneter Sprachbildung,
Anmuth, Scharfsinn, Munterkeit und gemüthliches Wesen, in manchen auch
epigrammatischer Witz, dagegen wieder andere einen elegischen Ton haben.
Wohl findet sich auch mitunter ein Stück, wo zu freie Bilder und Gedanken hervortreten;
doch unter allen Nationen giebt es einzelne Hervorbringungen, welche man deßhalb
tadeln kann. Der französischen Liederdichter, von denen manche auch den
besten deutschen, wie Hagedorn,
[68] Gleim, Uz, Weiße, Götz, Jacobi, Gotter etc. etc. zum Vorbilde gedient,
ist eine große Zahl. Unter den vorzüglichsten nennen wir nur Chapelle,
Lainez, Chaulieu, de la Fare, Moncrif, Desmarais, Hamilton, Saint-Aulaire,
Vadé, Panard, Voltaire, de Lattaignant, Piron, Dorat, Pezay, Bernard,
Riboutté etc. etc. Auch die neuere Zeit hat mehrere treffliche
Sänger in dieser Gattung hervorgebracht, unter welchen sich besonders der
originelle und geistreiche Béranger auszeichnet. Selbst der
berühmte Staatsmann und Taktiker Carnot ist als gefühlvoller lyrischer
Dichter bekannt. Eine Menge ausgewählter Stücke von verschiedenen
Verfassern enthalten die Anthologie française und andere
Sammlungen.
Die englische Poesie, deren lyrische Anfänge, wie bereits erwähnt,
schon in den Naturdichtungen der Minstrels an das Licht traten, ist ziemlich
reich an Liedern, die theils einen gefühlvollen, zärtlichen und elegischen,
theils eine heitern, scherzenden oder anakreontischen, Charakter,
jedoch immer die eigenthümliche Farbe ihres Landes, tragen. Die Sammlungen
englischer und schottischer Gesänge, welche D'Urfey, Miß Cooper, Ramsay,
Aikin, Smollet, <Dodsley>, Percy etc. etc. geliefert, enthalten zwar meist
Balladen; doch finden sich darunter auch manche, sehr anmuthige, Lieder.
Man kennt davon mehrere Nachbildungen im Deutschen aus früherer und jetziger
Zeit. Als einzelne Dichter Englands, welche im Felde des Liedes auf verschiedene
Art glänzen, sind, außer dem großen Dramatiker Shakspeare, der auch in
dieser Gattung trefflich ist, Ben Johnson, Suckling, Denham, Dryden,
Cowley, Waller, Sedley, Lord Landsdown, Prior, Shenstone, Thornton, Percy,
Mißstreß Barbauld, Aikin, Soame Jenyns, Hayley, Scott etc. etc. zu
erwähnen.
Die ältesten ausgebildeten Lieder der Deutschen sind aus jener
blühenden Epoche, welche die Kunst der Minnesänger bezeichnet.
Die Manessishe Sammlung, von Bodmer und Breitinger
(1752) neu herausgegeben, enthält Bespiele von 140 dieser lieblichen
Sänger, unter denen, nebst einigen fürstliche Personen, wie Kaiser
Heinrich,
[69] König Konrad der junge, König Wenzel von Böhmen,
Herzog Heinrich von Breslau, Markgraf Heinrich von Meissen
etc. etc., namentlich Heinrich von Veldeck, Hartmann von der Aue,
Wolfram von Eschenbach, Walter von der Vogelweide, Nicolaus Klingsor,
Reinmar der ältere und jüngere, Ulrich von Lichtenstein,
Graf Friedrich von Leiningen, der Schenke von Limburg,
Wachsmuth von Mülnhausen, Konrad von Würzburg (der letzte
Minnesänger) etc. etc. hervorstrahlen. Die Bearbeitung eines großen
Theils dieser Lieder hat Tieck, und nach ihm Wilh. Müller,
in einer jetzt mehr verständlichen Sprache, geliefert, und mehrere
derselben wurden von Gleim, auch von Götz, u.A. nach freigewählter
Form, aber in verwandtem Geiste, gesungen. Sodann haben sich Spätere,
auch der Verfasser des gegenwärtigen Handbuchs, in Nachbildungen
Einzelner versucht. – Die zarten harmonischen Töne, welche
von der Laute des Minnegesangs erschollen, findet man nicht mehr
unter den darauf folgenden Meistersängern, wiewohl sich auch
von dort manche herzliche und ansprechende Lieder bis auf unsere Zeit
erhalten haben, die von Hadlaub (mehr der vorhergehenden
Periode angehörig), Heinrich v. Müglin, Muscatblüt, Peter
Suchenwirth, Oswald v. Wolkenstein etc. etc. gedichtet sind. –
Außerdem besitzen wir eine Menge sogenannter Volkslieder, vom
Mittelalter an durch alle Jahrhunderte dauernd, welche theils
bekannte klassische Dichter, theils Unbekannte, die man wohl als
Stegreifsänger, wie die italienischen Improvisatoren, betrachten
kann, zu Verfassern haben. Sie tragen meist ein ächt nationelles oder
provinzielles Gepräge, und viele darunter sind gemüthlich, rührend
oder scherzhaft, aber auch mehrere flach und unbedeutend. Wenige der
ältern Volkslieder im engern Sinne des Worts, die kunstlos und nur
einfache Naturdichtungen sind, haben sich unverändert erhalten. Da
sie, gleich manchen Sagen und Legenden, blos im Volke fortlebten,
so mußten sie auch – wie A. Schreiber richtig bemerkt
– ihre Farbe nach Zeit und Boden wechseln. –
Die deutschen Dichter des 17. bis in den Anfang des
[70] 18. Jahrhunderts haben manches heitere Lied, aber auch manches
gesungen, welches das ernste Gepräge jener stürmischen,
verhängnißvollen Zeiten trägt, die ihrem Vaterlande so vieles Leid
schufen. Unter ihnen müssen vorzugsweise Wekherlin, Schede
(Melissus), Opitz, Zinkgräf, Scultetus, Lundt, Flemming, Rist,
Tscherning, Andr. Gryphius, Simon Dach, v. Hofmannswaldau,
Schwieger, v. Besser, Günther etc. etc. genannt werden. –
Durch Fr. v. Hagedorn, der eben so glücklich in
originellen Weisen sang, als er französische und brittische
Dichter nachahmte, ward die neuere deutsche Liederpoesie begründet, indem
er zugleich um die Ausbildung der Sprache und die Reinigung des
Geschmacks ein wesentliches Verdienst hat. Würdig, und mit ächtem Beruf
für diese Dichtungsart in ihren verschiedenen Gestaltungen, betraten
die von ihm eröffnete Bahn Uz, Gleim, Götz, Ebert, Lessing,
Zachariä, v. Cronegk, Weisse, J. G. Jacobi, Gotter, Miller, Schubart,
Hölty, A. Schmidt, v. Gerstenberg, die Grafen von Stolberg,
Boie, Claudius, Ewald, v. Göckingk, Bürger, Voß, v. Göthe, v. Schiller,
Bürde, v. Matthisson, v. Salis, K. W. Müller, A. W. v. Schlegel,
F. W. A. Schmidt, Meißner, v. Wildungen, F. J. Emerich, O. Reichard,
Tiedge, Conz, Haug, Baggesen, Kind, Mahlmann, Sophie Mereau,
Luise Brachmann, Fr. Schmitt, Klamer Schmidt, Siegmund und Leo
von Seckendorf, Fernow, Friederike Brun, Th. Körner, Weisser, Gries,
Wilh. Müller, Helmine v. Chezy, M. v. Schenkendorf, Arndt, Uhland,
Pfitzer, König Ludwig von Bayern, G. Schwab, Duller, Freiligrath,
Hoffmann v. Fallersleben, A. v. Chamisso, J. Kerner, Heine, Herwegh,
Wagner, Hub, Becker, Schuler, v. Gaudy, v. Zedlitz, E. Geibel, und
Andere mehr, die sich in diesem reichhaltigen Theile unserer Poesie
einen rühmlichen Kranz erwarben. Unter den Stiftern der romantischen Schule,
welche zugleich lyrische Dichtungen in der ihr ganz eigenen Manier
geschaffen, bemerkt man vorzüglich
A. W. [71] und Fr. v. Schlegel, Tieck, Novalis (v. Hardenberg),
W. v. Schütz, Rückert etc. etc.. Was die Hervorbringungen der großen
Menge deutscher Dichter aus der gegenwärtigen Periode in der von ihnen am
meisten besuchten Sphäre des Liedes anbelangt, so verweisen wir, ohne die
ausgezeichnetsten, dem Publikum bekannten, Namen, deren auch Einige schon
oben genannt sind, anzuführen, auf das, was wir im §. 15 d. v. Abschn.
in diesem Betracht überhaupt erwähnt haben, und fügen nur hinzu, daß sich
unter den zahlreichen Leistungen jener Sänger viele Spreu, aber auch manches
Gold findet, Letzteres namentlich da, wo sie, fern von der affektirten und
unverständlichen Manier, die nur allzusehr in Schwung gekommen ist, sich zu der
klaren und gemüthlichen Weise ihrer bessern Vorgänger hinneigen. Auch diene die
Poesie, zu deren edlem Berufe die Anregung vaterländischer Begeisterung
gehört, nicht politischen Zwecken, die ihrem Wesen fremd sind. –
Als schätzbare Sammlungen, worin eine Auswahl von Liedern und lyrischen Dichtungen
überhaupt enthalten ist, nennen wir nur: Ramler's lyrische Blumenlese,
die Vossischen, Bürger'schen, Schiller'schen etc. etc. Musenalmanache,
Matthisson's lyrische Anthologie, die Bespielsammlungen von Eschenburg
und Müller zu ihren Theorien etc. etc. Eigentliche Volkslieder,
oder solche, die, ihrem Wesen nach, volksthümlich sind oder werden können,
findet man gesammelt in Herder's Stimmen der Völker, im Bragur, in
Meißner's Apollo, des Knaben Wunderhorn, von v. Arnim und
Brentano, den Volksliedern der Deutschen von F. K. Freihrn. v. Erlach,
u.A.
§. 12. In keiner lyrischen Dichtungsart offenbart sich die
Individualität des Sängers so genau, als in der Elegie. Ihr Charakter
besteht in dem Ausdruck sanfter Gefühle, entweder solcher, die ganz
schwermüthiger Natur sind, wenn sie dem Verluste eines geliebten Gegenstandes oder
unerfüllter Sehnsucht nach dem, was dem Herzen theuer ist, gelten, oder solcher,
die aus ernsten Betrachtungen und Erinnerungen hervorgehen, oder auch
derjenigen, die in einer ruhigen und heitern Stimmung der Seele, sey es mit dem
[72] Hinblick auf schöne Tage der Vergangenheit oder auf stille Freuden der
Gegenwart, sich erheben, die aber nie ohne einen Anhauch von Wehmut sind,
weil sich auch in glücklichen Zuständen oft das Gefühl der Beschränkung und der
Vergänglichkeit eindrängt. Bei den Griechen und Römern hieß Elegie im
Allgemeinen jedes Gedicht, das in Distichen, oder in fortlaufender
Abwechselung eines Hexameters und eines Pentameters, verfertigt war, von
welcher Art auch sein Inhalt seyn mochte. Der Pentameter entstand, wie
Böttiger (in Wieland's attischem Museum, I.) erwiesen hat, aus dem Gebrauche der
kriegerischen Doppelflöte bei den Lydiern, weshalb auch die ältesten Dichter
nur Kriegslieder in diesem Versmaße sangen. Daher wurden die heroischen
Gesänge des Tyrtäus Elegieen genannt, obschon sie, ihrem Wesen
nach, in das Gebiet der Ode gehören. Einige schreiben die Erfindung dieser rhythmischen
Form dem ohngefähr gleichzeitigen Mimnermus, aus Kolophon, in Jonien, zu, welcher sie
zum Ausdruck zärtlicher, sanftklagender Gefühle, in den seiner geliebten
Flötenspielerin Nanno geweihten Dichtungen gebrauchte. Nachher
ward sie von dem Lyriker Simonides für seine Epigramme und
Epitaphien angewandt, so daß man einem jeden kleinen Gedicht dieser Art
den Namen Elegeion gab. Manche deutsche Theoretiker der neueren Zeit, welche
den Charakter einer jeden Dichtungsart hauptsächlich nach der Form zu
bestimmen geneigt sind, möchten wohl nur das als eigentliche Elegie
gelten lassen, was das gedachte Metrum hat, während Andere den oben
angedeuteten Inhalt solcher Gedichte als ihre wesentlichste Eigenschaft
betrachten. Wir treten der letztern Meinung bei, und glauben demnach ebenfalls,
daß man Elegieen im engern Sinne des Wortes von Poesieen anderer Art, die im elegischen
Versmaße gedichtet sind, unterscheiden müsse. Schon der Name, der aus dem griechischen
E! E!
λεγειν
,
welches "Ach! Ach! rufen" heißt, abgeleitet seyn soll, könnte den
poetischen Ausdruck einer wehmüthigen oder zärtlichen Empfindung,
im leidenden oder wonnigen Zustande des Gemüths, ankündigen. Wenn
auch die antike metrische Form sich eben so gut zu kriegerischem
[73] Schwung erheben oder in Spielen des Witzes flattern kann, als sie
in milder Klage oder in sanften Gefühlen ausströmt, so war doch der Begriff dieser
Dichtungsart, nämlich der wahren Elegie in ihren verschiedenen
Nüancen, bei den Griechen und Römern im Ganzen der nämliche, wie bei den
Dichtern neuerer Zeit, welchen jene auch hier, wie in andern Gattungen,
mehr oder minder zum Vorbilde dienten. Daß übrigens auch Zeit, Ort und
Lebensverhältnisse manchen Einfluß auf die Gefühlsweise haben, ist in der
menschlichen Natur begründet. Sehr richtig charakterisirt
Bouterwek (II. S. 108) die Elegie als "ein lyrisches
Situationsgemälde, das weniger durch Gedanken, die von rascher
Reflexion ausgehen, als durch ausführlichere Darstellung eines
bestimmten Gemüthszustandes, das subjective Gefühl des Dichters
ausdrückt." Ihr Ton ist zwar verschieden nach den Ursachen der
Trauer oder Sehnsucht, und nach der Individualität des Dichters; aber
stets soll Milde darin vorherrschen, obschon diese auch manchmal
durch eine stürmische Aufwallung des Gemüths unterbrochen seyn darf.
Nur eignen sich wilde Ausbrüche der Leidenschaft eben so wenig, als zu weichliche
oder wohl gar geheuchelte Klagen, für ein ächt-elegisches Gedicht.
Oft geschieht es, daß der Sänger sich von der großen Weltbühne in
die ländliche Einsamkeit flüchtet, und dort seine Laute zu rührenden
Akkorden stimmt, sey es, weil ein geräuschvolles Leben ihn beunruhigt
und seine idealen Ansichten stört, oder weil er für seine
liebenden Empfindungen, in Freude oder Leid, ein Echo der Natur zu
finden hofft. Auch vertraut er oft einem befreundeten Wesen die tiefsten
Gefühle seines Herzens, und wenn dieses von Liebe erregt wird, offenbart er
dem erwählten Gegenstande im dichterischen Gesang alle Wünsche und
Hoffnungen, die ihn beseelen, und jeden innern Kampf, den er
bestehen muß. Zuweilen hat ein lyrisches Gedicht, das seiner Form
nach zu den Oden gehört, Stoff und Ton mit der <Elegie gemein>,
und beide verlieren sich alsdann ohne bestimmte Gränze in einander,
wofür G. Müller einige Oden Klopstock's, wie die Sommernacht,
die frühen Gräber etc. etc. mit Recht als Beispiele anführt, wie denn das
[74] Nämliche auch von noch andern deutschen Dichtungen dieser Art
gelten möchte. Die Elegieen von Göthe, worin er, mit Ausnahme einer
sehr rührenden, die auf einen tragischen Gegenstand gerichtet ist, schön sinnliche
erotische Empfindungen mit denen des Herzens vereint, und die von
Voß, theils die Gefühle holder Erinnerungen, theils idyllisches Behagen
ausdrückend, nähern sich, nicht allein durch die metrische Form, sondern auch
wegen der Naivetät ihres Charakters, vorzüglich den Schöpfungen der
antiken Welt. – Das von den Alten für die Elegie gewählte Versmaß,
wo der Hexameter mit dem Pentameter wechselt, möchte der Natur dieser
Dichtungsart, welche auch bei nicht traurigem Stoffe immer die Farbe einer
sanften Schwermuth hat, am angemessensten seyn, indem ernste Ruhe und
zugleich eine gewisse Einförmigkeit des Ganges hier an ihrer Stelle sind,
auch der feierliche Schritt des heroischen Sylbenmaßes durch den
Pentameter unterbrochen und gemäßigt wird.
In neueren Sprachen hat man ebenfalls mit zweierlei Zeilen, gewöhnlich mit männlichen und weiblichen Alexandrinern, gewechselt, oder auch irgend ein anderes Metrum gewählt, wenn nur elegischer Ton und Inhalt beobachtet wurde. Im Deutschen, wo es allein für möglich gilt, haben ausgezeichnete Dichter das antike elegische Versmaß mit dem besten Erfolge nachgeahmt, Manche doch auch die obige und andere moderne Formen angenommen, besonders den fünffüßigen gereimten Trochäus und den fünffüßigen gereimten Jambus, in abgemeßnen Strophen, wo denn jener sich mehr zum tiefen und schmelzenden Tone der Wehmuth, dieser zum Ausdruck feuriger Liebe im rascheren Fluge der Phantasie eignet.
§. 13. Von den Elegieen der Griechen, welche ihrem Inhalte
nach zu dieser Gattung gehören, sind nur einzelne, aber herrliche,
Bruchstücke übrig, nämlich das, was man von Mimnermus und den
spätern Dichtern Phanokles und Hermesianax noch besitzt.
Die eigentlichen Elegieen des Philetas und Kallimachus sind
verloren gegangen; denn des Letztern Festgesang auf das Bad der Pallas,
obwohl in elegischen Versen, gehört mehr dem Gebiete des
[75] Hymnus an. Uebrigens kann man auch eine der zwei auf unsere Zeit
gekommenen Dichtungen der Sappho, ihres schwermüthigen Charakters wegen,
zu der gegenwärtigen Klasse zählen.
In der römischen Poesie tragen, wie schon erwähnt, manche erotische
Gedichte des Catull die elegische Farbe. Seine anmuthige Elegie:
die Locke der Berenice ist Nachbildung einer verlorenen des
Kallimachus. Durch drei nach ihm folgende Dichter sind die Römer
unübertrefflich in dieser Gattung. Der vorzüglichste ist Tibull
durch sanftes Gefühl, kunstlosen und doch sehr harmonischen Ausdruck.
Properz, ein Nachahmer des Philetas und Kallimachus, erscheint
weniger rührend und gemüthlich, aber voll bewundernswürdiger Kunst im
Spiel des Witzes mit der Sinnlichkeit und dem Herzen, auch reich an Bildern und
Gleichnissen, worin er jedoch manchmal zu weit geht. Von Ovid, der viele
seiner Gedichte in elegischem Versmaße gab, muß man vorzüglich die
Tristia oder Klaggesänge über seine Verbannung hieher rechnen,
worin sich das bekannte Talent des Dichters in Bildern der Phantasie und im
Wohlklange des Verses, so wie die lebhafte Trauer über sein hartes
Schicksal, offenbart, zuweilen aber auch die Rührung des Lesers
durch zwecklose Antithesen und Wortspiele gestört wird. Zudem können
die Amores und Remedia amoris (Liebesgesänge und
Heilmittel der Liebe) im weiteren Sinne des Worts hier eine Stelle
finden. Auch Horaz neigt sich in einigen seiner Oden zur elegischen
Weise. Verschiedene andere, dieser Dichtungsart angehörige, Stücke sind dem Virgil,
Cornelius Gallus, Pedo Albinovanus etc. etc. beigelegt worden, was jedoch mehr oder
minder zweifelhaft ist. – Unter den lateinischen Elegikern neuerer Zeit
werden vorzüglich Johannes Secundus und Lotichius Secundus genannt.
Bei den Italienern ist der gefühl- und kunstreiche Petrarca der
vorzüglichste Elegieendichter; er hat meist zu seinen Poesieen dieser Art
die Form der Canzone (s.w.u.) gewählt. Außerdem haben sich der im
romantischen Epos so berühmte Ariosto, die Dichterin
Vittoria Colonna,
[76] ferner Torquato Tasso, Flaminio, Alamanni, Menzini, u.A.,
darin ausgezeichnet, welche vorzüglich die Terze Rime, oder die
dreizeilige Stanze im jambischen Sylbenmaß, wegen ihrer wohlklingenden
Verbindung und ihres feierlichen Ganges, hiezu anwandten.
In Frankreich haben die Damen Henriette de Boligni (Gräfin
de la Suze), Deshoulières, Dufrénoy, Victoire Babois
und Desbordes-Valmore Elegieen voll sanfter und feiner Empfindungen
gespendet; auch besitzt man gefühlvolle und anmuthige Stücke dieser Art
von den Dichtern <Bernard>, Colardeau, Chénier, Edm.
Gérard etc. etc., die trefflichsten jedoch von
Lamartine, dessen Poesieen überhaupt einen elegischen Charakter
tragen.
Der ernste und contemplative Sinn der Britten neigt sich besonders
gern zu schwermüthiger Betrachtung hin; darum haben auch mehrere elegische
Dichter, wie Gay, Hammond, Shenstone, Gray (vorzüglich berühmt
durch seine Elegie auf einem Dorfkirchhofe, auch im Deutschen durch
Gotter, Seume, v. Gemmingen u.A. glücklich nachgeahmt),
Mason, Beattie, Jerningham etc. etc. viel Schätzbares in dieser
Gattung hervorgebracht.
Die Deutschen haben auch dieses für ihren Geist und ihr Gefühl so sehr
geeignete Feld der Poesie auf das rühmlichste angebaut. Schon unter den
Meistersängern findet man Elegieen; spätere besitzen wir von
Opitz, v. Canitz, v. Besser, Brockes u.A. Deutsche Hauptelegiker
der neueren und neuesten Zeit sind: v. Haller, Klopstock, Gleim,
v. Kleist, v. Gemmingen, Weisse, Götz, Klamer Schmidt, v. Nicolay,
Gotter, Claudius, Hölty, Bürger, Miller, J. G. Jacobi, die Grafen
von Stolberg, Kosegarten, Voß, v. Göthe, v. Schiller
(der oft das Didaktische mit dem Elegischen vereint),
v. Matthisson, v. Salis, Friederike Brun, Tiedge,
A. W. v. Schlegel, König Ludwig von Bayern (vorzüglich
auf Schillers Bahn), v. Brinkmann, F. J. Emerich, E. Schulze
etc. etc.
[77] Eine Nebengattung der Elegie, oder auch eine Elegie in Briefform,
ist die Heroide, für deren Erfinder Ovid gehalten wird.
Sie unterscheidet sich, ihrem Wesen nach, von der poetischen Epistel,
welche zur didaktischen Dichtung gehört. Auch spricht der Dichter in der
Heroide nicht selbst, sondern er läßt eine fremde Person, durch ihre
Lage oder durch irgend eine leidenschaftliche Anregung dazu
aufgefordert, einer andern ihre Gedanken und Gefühle schriftlich
mittheilen. In der Regel wählt man hiezu Personen und Stoffe, die dem
Leser aus der Geschichte und Mythologie bekannt sind; doch kann auch der
Dichter beides selbst erfinden; nur muß er im letztern Fall um so
mehr darauf bedacht seyn, den unbekannten Charakteren und Situationen
durch seine Darstellung ein lebhaftes Interesse zu verleihen. Der
Name Heroide mag wohl daher entstanden seyn, daß Ovid
die meisten seiner poetischen Briefe dieser Art als von Gattinnen der
Heroen geschrieben annimmt. Uebrigens betrifft der Inhalt und
Ausdruck solcher Dichtungen gewöhnlich die Leidenschaft der Liebe,
jedoch weniger die Erklärung zärtlicher Empfindungen, als die Klage
und Trauer über hoffnungslose oder getrennte Liebe, und die Sehnsucht
nach Wiederverein. Doch können auch andere Gegenstände, die das
Gemüth lebhaft anzuregen fähig sind, wie die innigen Verhältnisse zu
Aeltern, Geschwistern und Freunden, oder irgend eine ideale Betrachtung,
hier statt finden. Die Schreibart und Sprache der Heroide soll
natürlich und ungekünstelt, und, ihrer elegischen Natur gemäß, ein
wahrer und rührender Ausdruck der Gefühle seyn, mögen sich diese nun
in sanfter Klage oder in leidenschaftlicher Stärke des Affekts ergießen,
wobei aber jedesmal der schicklichste Ton für die Charaktere der
Personen, ihre Lage und Umstände zu beobachten sind.
Von den Griechen sind uns keine Poesieen dieser Art bekannt.
Unter den Römern hat Ovid – der entweder die
Gattung selbst erfand, oder, wie Eschenburg zu vermuthen
scheint, wenigstens die Form derselben aus einem uns nicht mehr übrigen
Elegiker der Griechen entlehnte – ein ganzes Buch Heroiden
gedichtet. Wie in allen seinen
[78] Werken, zeigt sich auch hier eine reiche Phantasie in Bildern
und Gedanken, und viele Schönheit der Darstellung und des Ausdrucks
leidenschaftlicher Regungen, welcher jedoch manchmal die zu große
Ueppigkeit des Witzes und die zu stark hervortretende Kunst des
Dichters schaden möchte. Außerdem gehört eine Elegie des Properz,
nämlich die Epistel der Arethusa an Lycotas (B. IV. Eleg. III.),
in dieses Gebiet.
Die besseren italienischen Heroidendichter sind Remigio
Vannino, mit dem Beinamen Fiorentino, ein glücklicher
Uebersetzer der Ovidischen Stücke dieser Art; Bruni, der sich
aber zum Gekünstelten neigt, und
Lorenzo Crasso, der übrigens so weit geht, daß er auch
Adam an Eva schreiben läßt.
Unter den Franzosen fand die Heroide vielen Beifall, in der
sich mehrere ihrer Dichter, wie Fontenelle, Dorat, Pezay, Colardeau,
La Harpe, Barthe, Mercier, Blin de St. More, u.A. mit Glück versucht
haben. Die von ihnen aufgeführten Personen sind zum Theil aus der
mythischen und romantischen, jedoch meist aus der historischen Welt.
In England trat zuerst Drayton in dieser Dichtungsart
auf, und wählte dazu nur ausgezeichnete Charaktere der englischen
Geschichte. Später gab Pope eine schöne metrische Uebersetzung
der Ovidischen Heroide: Sappho an Phaon; aber seinen Hauptruhm
in dieser Gattung erlangte er durch den herrlichen poetischen Brief:
Heloise an Abailard. Außer ihm sind Fenton, Lord
Hervey, Langhorne, Warwick, und Jerningham als gute Dichter
im gegenwärtigen Fache zu erwähnen.
Man kennt deutsche Heroiden aus dem 17. Jahrhundert, welche
Hoffmannswaldau und Lohenstein geliefert haben. Im
vorigen dichtete Wieland seine Briefe der Verstorbenen, worin
sich ein tiefes und reines Gefühl, mit den Grundsätzen platonischer
Philosophie, ausspricht. Seitdem ward dieses Feld von den Deutschen
wenig mehr betreten. Namentlich gab Schiebeler zwei ernste
Heroiden und eine von komischem Inhalt, und Büger eine
treff[79]liche freie Nachbildung der Pope'schen: Heloise an
Abailard. Schön und rührend ist auch die, welche
A. W. v. Schlegel dem Andenken seines als hannöverscher
Offizier in Ostindien verstorbenen Bruders weihte.
§. 15. Wir gedenken noch einiger technischen Formen,
die zum Theil der romantischen Poesie angehören und worin sich in wenigen,
aber treffenden, Gedanken und Bildern der lyrische Ausdruck des
Gefühls, wenn auch mit epigrammatischer Wendung, offenbart. Die
meisten dieser kunstreichen Formen sind wahrscheinlich von
provenzalischer Erfindung, woher sie denn auch in andere Länder
übergingen. Obwohl nicht zu läugnen ist, daß sie durch den
vorgeschriebenen Bau der Verse, bei ihrem beschränkten Umfange,
gewisse Fesseln tragen, die besonders dem deutschen Dichter, dessen
Sprache eine freiere Bewegung liebt, hemmend und lästig werden können,
so hat sich doch auch hier manches unverkennbare Talent gezeigt, das
Phantasie und Gefühl mit den Künsten der Rhythmik und des Reims gleichsam
zu verschmelzen und auf gedrängte Art irgend eine sinnige, starke oder zarte,
Idee wirksam zu verkünden weiß. Man rechnet zur gegenwärtigen Rubrik
folgende Dichtarten: 1) Die Canzone; 2) das Sonett; 3) das Madrigal;
4) das Rondeau; 5) das Triolet; 6) die Glosse; 7) die Sestine;
8) verschiedene kleinere Formen, die einem leichten Spiel des
Witzes, einer flüchtigen empfindsamen Betrachtung, oder einer muntern
Tändelei gewidmet sind.
§. 16. Die Canzone, von größerem Umfange als die
übrigen jener Gattungen, ist gewöhnlich in mehrere Stanzen oder Strophen
abgetheilt, in welchen die Stellung der Verse, mit eilf-, neun- und siebenfüßigen
wechselnd, und die der Reime gleichförmig ist. Eigentlich hält diese
Form das Mittel zwischen der Ode und dem Lied oder auch der Elegie,
welcher sie durch ihre Empfindungsgemälde und ihren feierlichen Gang
ähnlich ist, so wie sie manchmal den philosophischen Ernst der Ode, aber nicht den
Kraftschwung und die Gedankenfülle derselben, vielmehr etwas Ueppiges und Weiches,
hat. Auch nimmt man mehrere Arten der Canzone an und unterscheidet
besonders zwei, welche sich auf
[80] Dichtungsweisen der antiken Welt beziehen und daher die anakreontische und die
pindarische genannt werden. Erstere wird mehr bei dem Lied und Letztere mehr in der
Odenpoesie angewandt. Von den Provenzaldichtern kam diese Form schon im 13. Jahrhundert zu
den Italienern, ward aber vorzüglich schön und regelmäßig von Petrarca
ausgebildet. Geschätzte Dichter, die wir schon erwähnt, namentlich aus
dem 16. Jahrhundert, wie Luigi Alamanni, Chiabrera, der diesem Gesang
einen kühneren Schwung verlieh, und Andere, auch Spanier und Portugiesen,
betraten mit würdigem Erfolge Petrarca's Bahn, sowohl in der anmuthig leichten als in
der ernsten und elegischen Canzone. Mehrere Deutsche neuerer Zeit, besonders aus der
romantischen Schule, ahmten diese Dichtart nach, und neben manchem
Verunglückten ward auch hierin manches Treffliche geleistet, wenn auch das eigentliche
Lied und die Ode im genaueren Sinne des Wortes der deutschen Dichtung mehr
zusagen. Eher noch scheint unter den südlichen Versmaßen die bekannte
achtzeilige Stanze, in fünffüßigen Jamben, mit dreimal wiederkehrendem
Reim und zwei Schlußreimen, für unsere Poesie, sowohl im romantischen Epos
als in lyrischen Stücken, geeignet, wie die Beispiele vorzüglicher Dichter
lehren. Auch ward, jedoch weniger, die oben erwähnte dreizeilige Strophe,
zum Theil mit Glück, von einigen Romantikern nachgebildet.
§. 17. Das Sonett, dessen Name von dem lateinischen Worte
sonare oder dem italienischen suonare herkommt, weswegen es auch
ehemals im Deutschen ein Klang- oder Klinggedicht hieß, ward ohne
Zweifel zuerst von den südlichen Troubadours, vielleicht nach einer
Volksmelodie, geübt, worauf es denn in die italienische und aus dieser in
die spanische und portugiesische, auch bald in die englische Poesie
überging. Später ward diese Form auch in Frankreich und Deutschland
nachgeahmt. Seinem Wesen nach ist das Sonett gewöhnlich ein Ausdruck zarter
und inniger Gefühle des Herzens, wie der Liebe, der Freundschaft, religiöser
Stimmung etc. etc.; doch kann es auch heroischen, didaktischen und
satyrischen Inhalts, und wie dort lieblich,
[81] gefühlvoll und andächtig, so hier erhaben, belehrend und witzig, seyn;
nur bleibt das lyrische Element immer vorherrschend. Der metrische Bau
dieser Dichtart besteht aus vierzehn, gleich langen, Zeilen, nämlich aus
zwei Quatrains (vierzeiligen Strophen) und zwei Terzinen (dreizeiligen
Strophen), wo jene durch zwei viermal wiederkehrende, diese durch
zwei dreimal wiederkehrende, Reime künstlich
miteinander verbunden sind; doch wird in Betreff der Letztern auch
einige Freiheit erlaubt. Das übliche Versmaß ist bei den Italienern,
Spaniern und Portugiesen der fünffüßige Jambus, auch bei den
Engändern unter dem Namen blank verse (s. §. 10 d. vor.
Abschn.), nur daß er hier größtentheils mit männlichen, dort mit weiblichen,
Reimen schließt. Die Franzosen nehmen hiebei gewöhnlich den
Alexandriner an, was auch früher im Deutschen geschah; von unsern späteren
Sonettendichtern jedoch ward mehr der fünffüßige Trochäus und der vier-
oder fünffüßige Jambus gebraucht. Dermalen wird Letzterer, nach
italienischem Vorbilde, fast allein angewandt, auch schließt er in manchen
Stücken dieser Gattung mit weiblichen Reimen, wiewohl man solche
häufiger mit männlichen abwechseln läßt, was auch dem Geist unserer Sprache weit
angemessener seyn möchte. Uebrigens soll am Schluß der vierten und achten Zeile
der Sinn des Gedichts vollständig seyn, was auch in den beiden Terzetts statt
haben muß, so daß zwischen den zwei Hauptabtheilungen ein Ruhepunkt in der
Gedankenreihe eintritt. – Es ist nicht zu läugnen, daß der
gekünstelte und gezwungene Bau des Sonetts, der durch obige Regeln
begründet ist, manche Schwierigkeiten hat, weshalb auch hierin so viel
Mißlungenes hervorgebracht wurde. Darum, und weil dasselbe in seinem
geringen Umfange so leicht zu übersehen ist, sey der Dichter, wenn
ein schönes Ganzes entstehen soll, darauf bedacht, daß sich durch
ausgebildete Diktion und gewandten Styl der, zarte oder starke, Gedanke
in reizender Harmonie der rhythmischen Form anschmiege, wie es denn nicht
an Beispielen fehlt, daß sinnige Dichter, die zugleich geschickte
Verskünstler sind, sehr ansprechende und meisterhafte Sonette
liefern können.
[82] Aus Italien kam, wie bereits erwähnt, diese Gattung zu den
übrigen Nationen Europa's. Das Hauptmuster, nicht allein für die Dichter
seines Vaterlandes, sondern auch für alle auswärtigen, bleibt <Petrarca>,
dessen Sonette die edelsten und sanftesten Gefühle, worin sich besonders
eine platonische Liebe ausspricht, und eine reiche lebhafte Phantasie
mit den höchsten Schönheiten des dichterischen Ausdrucks und des
Wohlklanges der Verse vereinen. Es fehlte nicht an einer Menge von Nachahmern
unter seinen Landsleuten, deren keiner ihn jedoch erreichen konnte.
Sie haben zum Theil gute, aber zum Theil auch mittelmäßige und unbedeutende,
Sonette gespendet. Die besten sind von Bernardo und Torquato
Tasso, Castiglione, Vittoria Colonna, Beccuti, Alamanni, Annibale Caro,
Giov. della Casa, Pucci, Tansillo, A. di Costanzo, Lemene, Zappi, Guidi,
und verschiedene aus neuerer Zeit.
In die spanische Poesie haben zuerst Boscan und Garcilasso
im Anfange des 16. Jahrhunderts italienische Formen, und namentlich die des Sonetts,
eingeführt. Sie hatten darin an Lope de Vega, Cervantes, Mendoza, Ulloa,
Gongora etc. etc., so wie in Portugal an Camoens u.A.,
geschätzte Nachfolger, während sich auch manches von geringem Werthe fand.
Schon im 13. Jahrhundert hatte sich diese Dichtart aus dem südlichen in das
nördliche Frankreich verbreitet. Mit Erlöschung der provençalischen
Poesie hörte auch das ihr angehörige Sonett wieder auf, bis es im 16. Jahrhundert
neu bearbeitet, anfänglich aber nur als Spiel des Witzes betrachtet ward.
In der Folgezeit richtete man es auch auf ernste, sentimentale und
erotische Gegenstände. Unter den französischen Dichtern sind hier
Melin de St. Gelais, Scarron, Fontenelle, de Bellay, Gui de Tours,
Henault, Regnier, Desmarais, auch Einige aus der jetzigen
Epoche, bemerkenswerth.
Bei den Engländern war das Sonett ehemals mehr im Gebrauch
als gegenwärtig, und vorzüglich sind einige in höhern Gattungen
ausgezeichnete Dichter, wie Spenser,
[83] Shakspeare und Milton, auch in dieser unter
Andern zu erwähnen.
In Deutschland hat man im 17. Jahrhundert, und zwar erst durch
Wekherlin, sodann durch Opitz und Flemming,
die Sonettendichtung näher kennen gelernt. Aber nach diesen würdigen
Vorgängern erschien eine Menge trivialer Reimereien, unter welchen
hie und da wohl ein besseres Klanggedicht hervortrat. Verschiedene
gute Dichter des 18. Jahrhunderts, wie Gleim, Schiebeler,
Fr. Schmitt u.A., gaben auch einige wohlgelungene Sonette.
In größere Aufnahme jedoch kam die Gattung durch Bürger, der
mehrere gefühlvolle und anmuthige Stücke dieser Art schuf. Auch Göthe
hat einige treffliche Sonette gespendet. Das Meiste hierin geschah
aber von A. W. v. Schlegel, durch besonders glückliche Anwendung
dieser Form für den Ausdruck feiner und tiefer Empfindungen, wie
auch zur poetischen Reflexion über mancherlei Gegenstände des Lebens
und der Kunst. Dabei ist er an rhythmischem Wohlklange von Keinem
übertroffen, und er schloß sich in Stellung des Verses und der Reime
besonders treu seinen Urbildern an. In der nämlichen Manier, als
Ergießungen des subjectiven Gefühls, entweder durch weltliche oder
durch religiöse Gegenstände erregt, wurden Sonette von
Fr. v. Schlegel, Tieck, Novalis (v. Hardenberg), Isidorus
Orientalis (Graf v. Loeben), de la Motte <Fouqué> etc. etc.
gedichtet. Aber das Beispiel dieser talentvollen Sänger der romantischen
und romantisch-mystischen Schule war zugleich Ursache, daß Deutschland
mit einer Flut von südlichen Formen, und besonders von Sonetten,
überschwemmt wurde, wovon ein großer Theil ohne dichterischen Geist
und Gehalt, und nur in der metrischen, obwohl zwangvollen, Composition
einigermaßen richtig war. Doch ward diesem Unwesen, sowohl durch die
Opposition einer klassisch-poetischen Partei, als durch die Abneigung des Publikums,
nach und nach gesteuert, obgleich geschätzte Sonettendichter, wie
Fr. Rückert, Körner, der Graf von Platen, Uhland, u.A.,
verdiente Anerkennung fanden. Auch in der gegenwärtigen Zeit beschreiten
wieder Mehrere,
[84] zum Theil nicht ohne Erfolg, dieses Gebiet, deren Dichtungen jedoch
von ungleichem Werthe sind.
§. 18. Das Madrigal ist ein kleines lyrisches Gedicht,
dessen gewöhnliche Länge nicht unter sechs und nicht über eilf oder
zwölf Zeilen beträgt. Es hat ein bestimmtes Vers- und Sylbenmaß, wiewohl meist drei-
und vierfüßige Jamben oder Trochäen dazu gebraucht werden. Was den
Ursprung seines Namens betrifft, so hat wohl die Meinung, daß es von dem
Worte Mandre, was in der Provençalsprache einen Schäfer
bedeutet, herkommt, die meiste historische Wahrscheinlichkeit. Auch diente es
in den Zeiten der Troubadours, wie in den späteren, oft zum Ausdruck
zärtlicher Empfindungen, die man arkadischen Schäfern oder
Schäferinnen beilegt. Die letzte Sylbe scheint sich auf das altdeutsche
Wort Gall, nämlich Schall oder Laut, zu beziehen, was
auch der Name Nachtigall verkündet. Welchen Stoff jedoch das Madrigal
habe, so besteht sein Charakter in einem sinnigen Gedanken, wo aber das
ernste, rührende oder muntere Gefühl vorherrscht. Hiedurch unterscheidet es sich
von dem eigentlichen Epigramm, und hat Aehnlichkeit mit mehreren Stücken
dieser Gattung, welche die griechische Anthologie enthält.
Aus der Provençaldichtung kam das Madrigal zu den Italienern
und Franzosen. Unter den Erstern haben sich Petrarca, Tasso,
Lemene etc. etc., unter den Letztern Montreuil, Moncrif, Lainez,
Voltaire, Bernard, Bernis, Dorat, Boufflers etc. etc. darin
ausgezeichnet. Auch deutsche Dichter, wie v. Hagedorn,
Götz, Hamann, Lessing, v. Göthe, Gotter, Voß, Manso, A. W. v. Schlegel,
Tiedge, u.A., haben anmuthige, sinn- und gefühlreiche, Madrigale,
theils nachgeahmt, theils originell, gespendet.
§. 19. Das Rondeau oder Ringelgedicht, eine fast
noch künstlichere Form, als das Sonett, ist, nach Boileau, französischen
Ursprungs, und besteht gewöhnlich aus dreizehn Zeilen, wo zwischen der achten
und neunten, und dann nach der dreizehnten, das erste Wort oder die erste
Hälfte des Verses als Refrain wiederholt wird. Die Franzosen nennen
[85] dies ein Rondeau doublé und unterscheiden dasselbe von dem
Rondeau redoublé, welches sechs vierzeilige Strophen enthält.
In beiden Arten jedoch werden durchgängig nur zweierlei Reime, und zwar fünf
männliche und acht weibliche, oder umgekehrt, in regelmäßiger Verschränkung,
angewandt. Uebrigens sind in Betreff der Zeilenzahl und Reimstellung auch einige
Freiheiten erlaubt. Das Ringelgedicht hat Aehnlichkeit mit dem Sonett; es wird gebraucht,
um eine zarte Empfindung oder irgend einen poetischen Gedanken mit leichter
epigrammatischer Wendung auszudrücken, und kann, wenn ein gewandter Dichter des
Mechanischen der Form Meister wird, eine recht gefällige Wirkung hervorbringen.
Doch betrachte man es immer als ein geistreiches Spiel mit einzelnen Bildern
und Ideen, und richte es nicht auf einen großen und umfassenden Gegenstand,
wie z.B. durch Benserade geschah, der, sonst wegen seiner witzreichen
Lieder mit Recht berühmt, den unglücklichen Einfall hatte, die Metamorphosen
Ovid's in Rondeaux nachzubilden. –
Die Franzosen besitzen mehrere wohlgelungene Dichtungen dieser Art, unter welchen
einige Stücke aus ganz alter Zeit, dann die späteren von Voiture, dem
genannten Benserade, Malleville, Madame Deshoulières, und verschiedenen
Neueren, zu beachten sind. Gute deutsche Ringelgedichte haben Götz, der
drei französische Rondeaux in seiner anmuthigen Weise frei nachahmte,
und einige Andere, geliefert.
§. 20. Das Triolet ist eine kürzere Art von Rondeau,
aus acht Zeilen bestehend, in welchen ebenfalls nur zwei Reime spielen,
so daß nach der dritten Zeile die erste, und nach der sechsten die beiden ersten Zeilen,
vollständig oder doch nur mit kleiner Variation, wiederholt werden.
Man hört also die erste Zeile dreimal, woher der Name Triolet entstand. Doch hat diese
Reimform auch manchmal zehn Zeilen, wo denn die Wiederholung der ersten
nach der fünften geschieht, oder neun, bei denen wieder eine andere
Stellung der Verse statt findet. In jedem Fall soll der Sinn des Ganzen schon aus
den zwei ersten Zeilen hervorgehen. Gewöhnlich hat das Triolet nur eine
Strophe; doch kann
[86] man es auch in zwei oder drei Strophen, nur mit Verschiedenheit der Reime, geben.
Seinem Inhalte nach ist es ein kleines Gedicht, wo, wie Bouterwek sagt,
"das lyrische Gefühl in wenigen Worten einen halb tändelnden, halb
ernsthaften, um die anmuthige Wiederholung eines einzigen Gedanken sich
drehenden, Ausdruck sucht." Es eignet sich besonders für das Leichte,
Scherzhafte und Naive, auch Zärtlich-Rührende, und kann durch rechte
Behandlung sehr ansprechend werden. – Diese Dichtungsart stammt
wahrscheinlich von den Franzosen her, die sie auch am häufigsten
bearbeitet haben, und, wie man aus den Beispielen von St. Amant, Ranchin,
und mehrern ältern und neueren Dichtern, weiß, hier als Muster gelten.
Unter den Deutschen hat zuerst Hagedorn sehr anmuthige Triolets gedichtet;
mit Glück folgten ihm darin Gleim, Voß, Tiedge, auch A. W. und Fr. v. Schlegel,
Tieck, u.A. –
§. 21. Ferner kennt man zwei südliche Formen, deren jede hier
besondere Erwähnung verdient, nämlich 6) die Glosse und 7) die
Sestine. Bei der erstern wählt sich der Dichter ein Thema, das aus vier,
ihm selbst oder einem Andern angehörigen, Verszeilen besteht, und bildet
aus dessen Stoffe sein Gedicht in vier achtzeiligen Strophen, wo am
Schluß einer jeden der Reihe nach eine Zeile des Thema's wieder erscheint, während der
Sinn des letztern durch nähere Betrachtung seines Gegenstandes umständlicher
entwickelt wird. Eine Dichtung dieser Art (deren Inhalt entweder ernst oder
scherzhaft ist) kann, wohl durchdacht und ausgeführt, recht zierlich kunstvoll,
gedanken- und witzreich seyn. Die Gattung stammt aus der spanischen
und portugiesischen Poesie, wo sich die ausgezeichnetsten Dichter, wie
Cervantes und Mehrere, darin versucht haben. Von dort kam sie,
besonders durch die romantische Schule, zu den Deutschen, unter welchen man
recht gute, aber auch mißlungene, Glossen findet. Die besten sind von A. W. und
Fr. v. Schlegel (bei denen diese Form auch den Namen Variationen
hat), von Uhland und einigen andern Dichtern. –
Die Sestine umfaßt sechs Strophen, jede von sechs und dann noch eine von drei
Zeilen. Diese Form hat
[87] das Eigenthümliche, daß in jeglicher Strophe die sechs Schlußwörter der
ersten wieder in verschiedener Stellung als solche zum Vorschein kommen, wo immer das
Schlußwort des sechsten Verses zu dem des ersten in der folgenden Strophe wird. Die dreizeilige
Strophe, welche das Gedicht endigt, wiederholt die sechs Schlußwörter
nach der Ordnung, daß jeder Vers zwei davon, eins in
der Mitte und eins am Schluß, enthält. In der Regel sind die Verse der
Sestinen nicht gereimt, obgleich man auch solche, wiewohl selten, findet.
Der Inhalt ist gewöhnlich sentimentaler oder humoristischer Art, und die letzte Strophe
gibt eine kurze Betrachtung über den Sinn des Ganzen. Obschon diese Dichtart nicht
selten durch leere Künstelei und Formenzwang gemißbraucht ward, so kennt man
doch auch Vieles davon, wo Meister der Poesie reiche Ideen, scharfsinnige
Gedanken und zarte Gefühle auf die gefälligste Weise in das hier angenommene
Gewand zu kleiden wußten. Die Sestinenform kam durch die Provençaldichter
nach Italien, sodann nach Spanien, und ward in diesen beiden Ländern von
mehreren Virtuosen der Kunst vorzüglich ausgebildet. Unter den Deutschen
war sie im 17. Jahrhundert geübt, namentlich von Christian Gryphius, der,
obwohl er sonst einen ziemlich guten Geschmack besaß, hier an Verkünstelung
alle seine ausländischen Vorbilder zu übertreffen suchte. Späterhin kannte
man lange nichts mehr von dieser Gattung, bis in neuerer Zeit die romantische
Schule sie wieder hervorrief und einige ihrer Dichter recht wohlgelungene
Stücke darin lieferten. Beispiele hievon enthält die Blumenlese südlicher
Spiele, von Raßmann, der selbst lobenswerthe Sestinen gedichtet, und
manche andere Sammlung.
§. 22. Schließlich erwähnen wir noch 8) verschiedene kleinere
lyrische Formen, die, gut behandelt, als sinnreiche poetische Spiele
ihren Werth haben. Sie kommen besonders bei französischen und deutschen Dichtern vor. Wir
rechnen dahin: a) das Lai und das Virclai, kurze Reflexion
über einen ernsten oder scherzhaften Gegenstand, auch eine traurige oder
zärtliche Empfindung ausdrückend. Die Lais bestehen gewöhnlich aus nur
sechssylbigen Versen,
wo[88]von immer zwei mit einem noch kürzern wechseln, und haben durchgängig nur
zwei Reime. Die Virclais sind von dem nämlichen Bau, und unterscheiden
sich von jenen allein durch die größere Länge und die öftere Wiederkehr der
ersten zwei Zeilen. Diese Form war schon unter den Troubadours üblich,
und wurde von einigen späteren Dichtern Frankreichs nachgeahmt.
b) Das Impromptu oder Verse aus dem Stegreife, in welche
irgend ein artiger oder sinnreicher Einfall gebracht wird. Man kennt deren sehr
anmuthige von dem Grafen Hamilton, L'Attaignant etc. etc., unter den
Deutschen von Bürger u.A. c) Die Bouts rimés oder
Endreime, die dem Dichter von einer andern Person aufgegeben sind.
Man wählt hiezu oft schwere und ungewöhnliche Reime, worin sich keine
gegenseitige Beziehung des Sinnes offenbart. Diesen muß also geschickte und
scharfsinnige Kunst in das Gedicht bringen, was immer einen angenehmen
Theil geselliger Unterhaltung gewährt. Beispiele solcher Endreime findet man
häufig unter den besseren französischen Dichtern jeglicher Epoche,
auch recht gefällige deutsche von Gotter, Bürger etc. etc.
d) Räthsel, Charaden und Logogryphe (Sylben- und Wort-
oder Buchstabenräthsel), die auch öfter in Prosa verfertigt, aber durch
Versification, ächt poetisches Gewand und Kolorit noch ansprechender
werden. Außer einigen poetischen Spielen dieser Art in lateinischer
Sprache sind mehrere, sehr glücklich ausgeführte, im Französischen von
Dufresny, aus dem Mercure de France und von vielen Späteren,
im Deutschen von Wieland, Bürger, Schiller, v. Wildungen, v. Matthisson,
und andern guten Dichtern, auch manche, die geringeren Werth haben,
bekannt.
§. 23. Was poetische Uebersetzungen lyrischer Dichterwerke
anlangt, so sey hier nur derjenigen gedacht, welche man im Deutschen
besitzt, indem wir zugleich auf § 11 des vorigen Abschnitts verweisen.
Als die ausgezeichnetsten führen wir an: 1) Die Nachbildung der hieher gehörigen
Stücke aus der Bibel von Luther, auch in neuerer Zeit von
v. Herder, Cramer, Mendelssohn etc. etc.
[89] 2) Uebertragungen antiker Poesieen, nämlich: Die Homeridischen
Hymnen, größtentheils von Chr. Grafen von Stolberg in seinen
Gedichten aus dem Griechischen, vollständig von Schwenk und
Kämmerer; der Hymnus an Demeter von Voß; einige Hymnen des
Kallimachus, von Chr. Gr. v. Stolberg, und einige
Orphische von J. Fr. v. Meyer; Pindar's Oden von Gedike und Thiersch;
Tyrtäus Kriegsgesänge von Weisse und Chr. Gr. v. Stolberg;
verschiedene Elegieen aus dem Griechischen von A. W. v. Schlegel
im Athenäum; Einzelnes von Voß, Jacobs etc. etc.; Anakreon's und
Sappho's Gedichte von Götz, Ramler und Overbeck;
verschiedene Skolien von Ebert zu seiner Uebersetzung einer
Abhandlung des de la Nauze bei Hagedorn's Oden und Liedern,
und von Herder in seinen Volksliedern; Horazens Oden von Ramler, Voß
und Kl. Schmidt; Catull's Gedichte von Ramler und Schwenk;
dessen Atys von Ahlwardt; die Elegieen des Tibull von
Voß, v. Strombeck, Günther und Richter;
die des Propertius von Voß,
v. Knebel und v. Strombeck; die Klaggesänge des Ovid von
Pfitz, Krieger, und früher von einem Ungenannten; seine Lieder
der Liebe von K. Schlüter, seine Heilmittel der Liebe von v. Strombeck
und v. Gerning, und die Heroiden von einem Ungenannten; außerdem
mehrere Nachbildungen einzelner Stücke. Uebrigens sind die meisten der hier
verzeichneten Werke mit gründlichen Commentarien (besonders die von Voß) oder
mit guten sacherklärenden Anmerkungen begleitet. 3) Nachbildungen moderner
Poesieen des Auslandes, wie in verschiedenen Sammlungen die schönsten
Blumen der italienischen, spanischen und portugiesischen Dichtung
von v. Herder. A. W. v. Schlegel, Gries, Tieck etc. etc.; die der
englischen von v. Hagedorn, Uz, Gotter, v. Herder, v. Knebel,
Kl. Schmidt, Voß etc. etc.; und die der französischen von
v. Hagedorn, Götz, Uz, Gotter, Bürger, Boie, v. Herder, Voß etc. etc..
Ferner gibt es in neuester Zeit eine Menge poetischer Uebersetzungen lyrischer und
anderer Dichterwerke aus allen Sprachen, wovon
[90] manche recht verdienstlich sind, manche aber sich wohl strenge der metrischen
Form anschließen, jedoch in Auffassung und Wiedergebung des dichterischen
Sinns und Ausdrucks der Originale jenen Vorbildern weit nachstehen.
Erstdruck und Druckvorlage
Karl Geib: Theorie der Dichtungsarten.
Nebst einem Anhange über Rhetorik.
Mannheim: Loeffler 1846, S. 48-90.
PURL: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10573902-6
URL: https://archive.org/details/theoriederdichtu00geib
URL: https://books.google.de/books?id=ylRKAAAAcAAJ
Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck
(Editionsrichtlinien).
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