Emanuel Geibel

 

 

Text
Editionsbericht
Werkverzeichnis
Literatur: Geibel
Literatur: Poetologische Lyrik

 

                    An Georg Herwegh.

 

5   Es scholl Dein Lied mir in das Ohr
So schwertesscharf, so glockentönig,
Als wär' aus seiner Gruft empor
Gewallt ein alter Dichterkönig.
Und doch! Ich weis' es nicht von mir,
10   Ich muß Dich in die Schranken laden;
Komm an in voller Harnischzier,
In offnem Felde Kampf mit Dir,
Kampf, Du Poet von Gottes Gnaden!
 
Bist Du Dir selber klar bewußt,
15   Daß Deine Lieder Aufruhr läuten?
Daß jeglicher nach seiner Brust
Das Aergste mag aus ihnen deuten?
Der Zwerg, der matte Pfeile schnizt,
Wohl! schieß' er, ohne fest zu zielen!
20   Doch, wer vom Wetterlicht umblizt
Im Donnerwagen grollend sizt,
Der soll nicht mit den Zügeln spielen.
 
Fürwahr ein Sämann scheinest Du,
Der Samen streut – doch der Zerstörung,
25   Ein Glöckner, der aus ihrer Ruh
Die Völker stürmt – doch zur Empörung.
[91] Du willst die Flamme, die so rein
Und heilig stralt durch alle Lande,
Du willst den warmen Gottesschein
30   Zur Fackel Herostrats entweih'n,
Und schwingst sie wild zum Tempelbrande.
 
Wozu sonst dieses Schwerterklirr'n,
Die Kriege, die Dein Lied gefodert,
Die hast'ge Glut, die durch Dein Hirn
35   In tausend Funken prächtig lodert? –
O nein! Das ist nicht deutsche Art.
Wohl ringen wir auch für das Neue;
Um's Freiheitsbanner dicht geschart,
So stehn auch wir, doch aufbewahrt
40   Aus alter Zeit blieb uns die Treue.
 
Verhaßt ist er auch uns, wie Dir,
Der Unterjocher der Gedanken,
Und keinen Deut begehren wir
Von jenen übermüt'gen Franken.
45   Wir wollen auch, daß frei das Wort
Durch alle Lüfte möge fluten,
Es dünkt auch uns in Süd und Nord
Das Wort der beste Freiheitshort –
Doch soll darum Dein Volk verbluten?
50    
Nein! Glaub, der Tag ist bald erwacht,
Der Morgen naht, wo wir's erringen,
Nicht ohne Kampf, doch ohne Schlacht;
Der Geist ist stärker als die Klingen.
Geharnischt steht er auf dem Plan;
55   Er, der mit Luther'n einst gefochten,
Durch tausend Lanzen bricht er Bahn,
Und mag die Hölle dräuend nah'n:
Der Lorbeer bleibt ihm doch geflochten.
 
[92] Drum thu dein Schwert an seinen Ort,
60   Wie Petrus that, da er gesündigt;
Die Freiheit geht nicht auf aus Mord:
Blick nach Paris, das dir's verkündigt!
Vom Geist will sie gewonnen sein;
Doch wer ihr Kleid, so rein und heiter,
65   Mit blut'gem Makel mag entweih'n,
Und säng' er Engelsmelodei'n:
Der ist der Welt, nicht Gottes Streiter.
 
Ich sing' um keines Königs Gunst,
Es herrscht kein Fürst, wo ich geboren;
70   Ein freier Priester freier Kunst,
Hab' ich der Wahrheit nur geschworen.
Die werf' ich keck Dir ins Gesicht,
Keck in die Flammen Deines Branders;
Und ob die Welt den Stab mir bricht,
  In Gottes Hand ist das Gericht.
Gott helfe mir! Ich kann nicht anders.

 

 

 

 

Erstdruck und Druckvorlage

F. M. Franzén: Der Rabulist und der Landprediger.
Gespräch in der Sakristei über Ja und Nein der Gegenwart in Kirche und Staat.
[zusammen mit] Emanuel Geibel an den Verfasser der "Gedichte eines Lebendigen".
Lübeck: Rohden 1842, S. 90-92.

Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck (Editionsrichtlinien).

Entstanden: Februar 1842.

URL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10038730
URL: https://books.google.de/books?id=h30AAAAAcAAJ

 

 

Aufgenommen in

 

Kommentierte und kritische Ausgabe

 

 

 

Werkverzeichnis


Verzeichnis


Jacob, Herbert (Bearb.): Deutsches Schriftstellerlexikon 1830 – 1880.
Bd. G. Berlin: Akademie Verlag 2000.
S. 78-97: Art. Geibel.



Geibel, Emanuel: Gedichte.
Berlin: Duncker 1840.
URL: https://books.google.fr/books?id=9CxcAAAAcAAJ
100. Aufl. 1884.

Geibel, Emanuel: Zeitstimmen. Zwölf Gedichte.
Lübeck: Aschenfeldt 1841.
URL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10925600
PURL: https://hdl.handle.net/2027/uc1.$b613955

Geibel, Emanuel: Gedichte.
Zweite vermehrte Auflage: Berlin: Duncker 1843.
PURL: https://hdl.handle.net/2027/hvd.hnyb45
URL: https://books.google.fr/books?id=daAuAAAAYAAJ
URL: https://archive.org/details/bub_gb_daAuAAAAYAAJ

Geibel, Emanuel: Gedichte.
Dritte stark vermehrte Auflage: Berlin: Duncker 1844.
PURL: http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0000374400000000

Geibel, Emanuel: Gedichte.
Dreizehnte Auflage: Berlin: Duncker 1848.
URL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10108553

Geibel, Emanuel: Juniuslieder.
Stuttgart u. Tübingen: Cotta 1848.
URL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10108558
URL: https://archive.org/details/juniuslieder01geibgoog
PURL: https://hdl.handle.net/2027/uc1.$b160801

Geibel, Emanuel / Heyse, Paul: Spanisches Liederbuch.
Berlin: Hertz 1852.
PURL: https://hdl.handle.net/2027/uc1.$b148654
URL: https://archive.org/details/spanischeslieder00geib
URL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10607465

Geibel, Emanuel (Hrsg.): Gedichte von Hermann Lingg.
Stuttgart und Tübingen: Cotta 1854.
URL: http://digitalisate.bsb-muenchen.de/bsb10125647
URL: https://archive.org/details/gedichte01ling
PURL: https://hdl.handle.net/2027/dul1.ark:/13960/t8qc29v8v

Geibel, Emanuel: Neue Gedichte.
Stuttgart u. Augsburg: Cotta 1856.
URL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10108556
URL: https://archive.org/details/bub_gb_6oE6AAAAcAAJ
URL: https://books.google.fr/books?id=6oE6AAAAcAAJ

Geibel, Emanuel / Schack, Adolf Friedrich von: Romanzero der Spanier und Portugiesen.
Stuttgart: Cotta 1860.
PURL: https://hdl.handle.net/2027/mdp.39015032232442
URL: https://archive.org/details/romanzeroderspa00geibgoog
URL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10607466

Geibel, Emanuel (Hrsg.): Ein Münchner Dichterbuch.
Stuttgart: Kröner 1862.
URL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10108563
URL: https://archive.org/details/bub_gb_6pc7AAAAcAAJ
PURL: https://hdl.handle.net/2027/hvd.hny397

Geibel, Emanuel / Leuthold, Heinrich: Fünf Bücher französischer Lyrik
vom Zeitalter der Revolution bis auf unsere Tage in Uebersetzungen.
Stuttgart: Cotta 1862.
URL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10091732
URL: https://archive.org/details/fnfbcherfranzsi00leutgoog
PURL: https://hdl.handle.net/2027/uc1.$b258719

Geibel, Emanuel: Heroldsrufe. Aeltere und neuere Zeitgedichte.
Stuttgart: Cotta 1871.
URL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10091732
URL: https://archive.org/details/heroldsrufeaelt00geibgoog
PURL: https://hdl.handle.net/2027/nyp.33433075725063


Duncker, Albert (Hrsg.): Emanuel Geibel's Briefe an Karl Freiherrn von der Malsburg und Mitglieder seiner Familie.
Berlin: Paetel 1885.
URL: https://archive.org/details/bub_gb_G_k4AQAAMAAJ

[Fehling, Emil Ferdinand; Hrsg.:] Emanuel Geibels Jugendbriefe. Bonn – Berlin – Griechenland.
Berlin: Curtius 1909.
URL: https://archive.org/details/emanuelgeibelsju00geib
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/001780710

Petzet, Erich (Hrsg.): Der Briefwechsel von Emanuel Geibel und Paul Heyse.
München: Lehmann 1922.
URL: https://archive.org/details/derbriefwechselv00geibuoft

[Struck, Gustav; Hrsg;:] Briefwechsel Emanuel Geibel und Karl Goedeke.
Lübeck: Selbstverlag der Stadtbibliothek 1939.

Reiss, Hans / Wegener, Herbert (Hrsg.): Briefe an Henriette Nölting 1838 - 1855.
Lübeck: Schmidt-Römhild 1963.

Hillenbrand, Rainer (Hrsg.): Franz Kuglers Briefe an Emanuel Geibel.
Frankfurt a.M. u.a.: Lang 2001.

 

 

 

Literatur: Geibel

Ammon, Frieder von: Politische Lyrik. In: Handbuch Lyrik. Theorie, Analyse, Geschichte. Hrsg. von Dieter Lamping. 2. Aufl. Stuttgart 2016, S. 152-159.

Berg, Wolfgang: Der poetische Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung unter Georg von Cotta (1833 – 1863). Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Literatur in den Jahren nach Goethes Tod. In: Archiv für die Geschichte des Buchwesens 2 (1960), S. 609-715.
Vgl. S. 671-676.

Bock, Adolf: Das Phänomen der jetzigen Lyrik. In: Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst.
1842:
Nr. 87, 13. April, S. 345-346
Nr. 88, 14. April, S. 349-351
Nr. 89, 15. April, S. 353-354
Nr. 90, 16. April, S. 357-360
Nr. 91, 18. April, S. 361-363.
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/000542560
URL: http://www.ub.uni-koeln.de/permalink/2009/00/katkey:255582

Denkler, Horst: Zwischen Julirevolution (1830) und Märzrevolution (1848/49). In: Geschichte der politischen Lyrik in Deutschland. Hrsg. von Walter Hinderer. Würzburg 2007, S. 191-223.

Druvius, Ute: Propreußische Propaganda. Zu Emanuel Geibels Herrscherlob An König Wilhelm. In: Gedichte und Interpretationen. Bd. 4: Vom Biedermeier zum Bügerlichen Realismus. Hrsg. von Günter Häntzschel. Stuttgart 1984 (= Universal-Bibliothek, 7893), S. 346-356.

Frank, Horst J.: Literatur in Schleswig-Holstein. Bd. 3: 19. Jahrhundert. Teil 1: Im Gesamtstaat. Neumünster 2004.
Kap. 13: Vergänglicher Ruhm: Emanuel Geibel (S. 404-432).

Häntzschel, Günter: Die deutschsprachigen Lyrikanthologien 1840 bis 1914. Sozialgeschichte der Lyrik des 19. Jahrhunderts. Wiesbaden 1997 (= Buchwissenschaftliche Beiträge aus dem Deutschen Bucharchiv München, 58).
Geibel passim (Register).

Heyse, Paul (Hrsg.): Neues Münchner Dichterbuch. Stuttgart 1882.
PURL: https://hdl.handle.net/2027/hvd.hny99k
Mit sechs Gedichten von Geibel ("Elegien").

Link, Jürgen: Was heißt: 'Es hat sich nichts geändert'? Ein Reproduktionsmodell literarischer Evolution mit Blick auf Geibel. In: Epochenschwellen und Epochenstrukturen im Diskurs der Literatur- und Sprachhistorie. Hrsg. von Hans U. Gumbrecht u.a. Frankfurt a.M. 1985 (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft, 486), S. 234-250.

Neuhaus, Stefan: Revision des literarischen Kanons. Göttingen 2002.

Neumeyer, Harald: Über die (Un-)Versöhnbarkeit von Poesie und Politik. Robert Eduard Prutz' Die politische Poesie der Deutschen (1843). In: Politische Literatur. Begriffe, Debatten, Aktualität. Hrsg. von Christine Lubkoll u.a. Stuttgart 2018, S. 37-54.

Peitsch, Helmut: Art. Engagement / Tendenz / Parteilichkeit. In: Ästhetische Grundbegriffe. Bd. 2. Stuttgart u.a. 2001, S. 178-222.

Plett, Bettina: Die Emanuel-Geibel-Situation und die Theodor-Fontane-Situation. Anmerkungen zu Stellung und Selbstverständnis zweier Schriftsteller im 19. Jahrhundert. In: Theodor Fontane im literarischen Leben seiner Zeit. Beiträge zur Fontane-Konferenz vom 17. bis 20. Juni 1986 in Potsdam. Berlin 1987 (= Beiträge aus der Deutschen Staatsbibliothek, 6), S. 466-495.

Ruprecht, Dorothea: Untersuchungen zum Lyrikverständnis in Kunsttheorie, Literarhistorie und Literaturkritik zwischen 1830 und 1860. Göttingen 1987 (= Palaestra, 281).

Scheuer, Helmut: Zur "Seelengeschichte des deutschen Bürgertums". Die Lyrik im 19. Jahrhundert von Emanuel Geibel bis Theodor Storm. In: Der Deutschunterricht. Beiträge zu seiner Praxis und wissenschaftlichen Grundlegung 69 (2017, Heft 1), S. 64-75.

Verweyen, Theodor / Witting, Gunther: Emanuel Geibel: 'Dichterfürst' und 'Fürstenknecht'. In: Verehrung, Kult, Distanz. Vom Umgang mit dem Dichter im 19. Jahrhundert. Hrsg. von Wolfgang Braungart. Tübingen 2004 (= Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte, 120), S. 219-242.

Volkmann, Christian: Emanuel Geibels Aufstieg zum literarischen Repräsentanten seiner Zeit. Berlin 2018.

Werner, Renate: "Und was er singt, ist wie die Weltgeschichte". Über Emanuel Geibel und den Münchner Dichterkreis. In: Dichter und ihre Nation. Hrsg. von Helmut Scheuer. Frankfurt a.M. 1993 (= suhrkamp taschenbuch, 2117), S. 273-289.

Werner, Renate: Ästhetische Kunstauffassung am Beispiel des "Münchner Dichterkreises". In: Bürgerlicher Realismus und Gründerzeit 1848 – 1890. Hrsg. von Edward McInnes u.a. München u.a. 1996 (= Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Bd. 6), S. 308-342.
Vgl. bes. S. 309-312.

Werner, Renate: Gesellschaft der Krokodile. In: Handbuch literarisch-kultureller Vereine, Gruppen und Bünde 1825 – 1933. Hrsg. von Wulf Wülfing u.a. Stuttgart u.a. 1998 (= Repertorien zur deutschen Literaturgeschichte, 18), S. 155-161.

Werner, Renate: Münchner Dichterkreis. In: Handbuch literarisch-kultureller Vereine, Gruppen und Bünde 1825 – 1933. Hrsg. von Wulf Wülfing u.a. Stuttgart u.a. 1998 (= Repertorien zur deutschen Literaturgeschichte, 18), S. 343-348.

 

 

Edition
Lyriktheorie » R. Brandmeyer