Text
Editionsbericht
Literatur: Kühne
Literatur: Zeitung für die elegante Welt
[889] In der Revue des deux mondes lesen wir eine Abhandlung von Henri Blaze über deutsche Dichter und Musiker, besonders in Bezug auf Uhland und Dessauer. Man übersetzt den Artikel in deutschen Journalen, man thut sich etwas zu gute auf diese Anerkennung deutscher Poesie von Seiten der Franzosen, die schrittweise sich immer mehr uns nähern, um sich allmälig in den Zusammenhang unserer literarischen Interessen zu stellen. Die französische Kritik gewinnt langsam immer einen Fußbreit Land mehr auf dem Boden deutscher Intelligenz, und so könnte es dem Freunde seines Volkes nur eine neue Genugthuung scheinen, auch Uhland vom Auslande gefeiert zu sehen. Bei alle dem muß sich die deutsche Kritik verwahren, damit diese allmälige und aphoristische Kenntnißnahme unserer Zustände nicht für mehr als für Studieneifer des Dilettantismus hingenommen werde. Der Standpunct, von dem aus über Uhland in dem bezüglichen Artikel geurtheilt wird, ist ein abgelegener, ein aus Unkenntniß der sonstigen Lage der Dinge einseitig festgestellter, und es thut noth, den Mittelpunct zu übersichtlicher Kritik in Betreff der deutschen Lyrik in jetziger Zeit sich nicht verrücken zu lassen.
In Deutschland wird Uhland als Haupt der schwäbischen Dichterschule aufgefaßt, mit deren Werth und Wirksamkeit von einem besondern Standpuncte des süddeutschen Lebens aus sein eigener Dichterwerth auf bedingte Weise zusammenhängt. Dem schwäbischen Dichterkreise gegenüber hat sich in Niederdeutschland, in Berlin zumal, eine Heine'sche Dichtersecte gruppirt, die in ganz andern Lebenselementen Stoff und Begeisterung findet. Als dritte Emanation des deutschen lyrischen Geistes hat außerdem noch die Muse des österreichischen Patriotismus Anspruch auf Geltung und Anerkennung zu machen. Auch mit baierschen Dichtern that man an Ort und Stelle groß, und nennt dort, in Ermangelung großer Gedichte, mindestens große Namen, die vorurtheilsfrei zu kritisiren die Polizei nicht gern sieht. Es läßt sich nicht läugnen, daß in München neben den bewundernswürdigen stolzen Königsbauten auch Verse gemacht werden, und wäre es auch blos, um die Prachtgebäude, in deren Construction sich ein großartiger Kunsttrieb gefällt, zu besingen und dafür die nöthigen Inschriften zu machen. Diese mögen nun weder gehauen noch gestochen seyn; genug, man haut sie ein und sticht sie fest. Wenn man ein schönes Bauwerk mit schlechten Versen bewirft, so ist das gewissermaßen nach dem alten bekannten Jesuiten-Spruche: Ein guter Zweck heiligt auch schlechte Mittel. Und wenn einmal ein herrlicher Königsbau dasteht, etwa ein Odeum, ein Theater, so ist es in der That nur eine ganz beiläufige Nebensache, wenn Eduard von Schenk ein Stück Arbeit in Versen dazu liefert, um den Leuten weis zu machen, das Haus sey nicht um der architektonischen Liebhaberei willen, sondern zur Beförderung der deutschen Poesie [890] aufgeführt. Ich finde es, wie gesagt, ganz natürlich, daß sich zu einem neu erbauten hübschen Festsaale ein gutes Gelegenheitsgedicht einstellt, so etwas findet sich dann wie von selbst. Man mache deshalb kein Aufhebens davon: Herr v. Schenk ist weiter nichts als ein Gelegenheitsdichter für die Königsbauten. Ueberhaupt rede man mir nicht von ausnahmsweise baierschen Dichtern, deren Handwerk ein durchaus secundaires ist, und mit den Richtungen der literarischen Gegenwart, mit den Bedürfnissen und der Stimmung der deutschen Nation kaum einen Zusammenhang hat. König Ludwig selbst denkt, auch wenn er dichtet, immer nur an seine Bauwerke, in denen ohnedies mehr Rhythmus und Poesie ist als in seinen Poesieen; in einem Plane, einem Grundrisse, den er in begeisterter Entzückung entwirft, verräth sich am eigensten sein großartiger Kunstsinn. Was der Graf von Platen-Hallermünde gedichtet hat, kann unmöglich für eigentliche Dichtung gelten, es sind architektonische Schaustücke, und diese technische Linguistik oder linguistische Technik mit antiken Maßen, die man in Baiern Platen-Hallermünde'sche Poesie nennt, ist im Grunde nur ein beim alten Voß betriebenes Sprachstudium, das sich ein in sich selbst verliebter Dilettantismus zu Nutze macht, um in diesen Uebungen zu schwelgen. Der alte ehrsame Johann Heinrich Voß hat sein unsterbliches Verdienst um die deutsche Literatur, denn er griff wie ein handfester Anatom unserer Muttersprache in die Rippen und Eingeweide, erforschte ihre Einsaugsporen und ihre Abzugscanäle; der alte Voß hat sein unsterblich Theil davon. Aber heut zu Tage müßte man über solchen architektonischen Versbauten Hören und Sehen verlieren, und das ist dem Grafen Platen widerfahren, denn er meint, er sey ein Dichter, wenn er Stanzen leimt.
[894] Also mit Erlaubniß der baierschen Polizei – nichts mehr von
ausnahmsweise baierschen Dichtern! Wir haben genug zu thun mit der
soliden und tugendhaften Hausmannskost der schwäbischen Pfahlbürger,
mit der blassen Kopfhängermiene der berliner Muse, die vor Thatenhunger
und Ideendurst moquant und witzig wird, und mit jener vollbackigen Lyrik,
die sich an den vollen Fleischtöpfen der wiener Küche und der
österreichischen reichhaltigen Sagenstoffe sättigt. Nach diesen drei
Seiten hin scheint sich die lyrische Poesie des jezigen Deutschlands
in dreifacher Gliederung provincialisirt zu haben. Es wäre interessant,
wenn statt des deutschen Musenalmanachs, der wie der unharmonische
deutsche Reichskörper eine kritiklose und ziemlich confuse
zusammengeworfene Sammelei bildet, auf jedem der
drei Puncte ein jährlicher Complex von
lyrischen Dichtungen erschiene, und wir im Stande wären, einen
schwäbischen, einen wiener und einen berliner Musenalmanach neben
einander abzuwägen. Wem diese Zerspaltung der deutschen Interessen nicht
behagte, der könnte sich dann immer noch zu einzelnen Persönlichkeiten
wenden, die neben diesen provinciellen Gestaltungen zu Gesammtmassen und
Dichterschulen, aller besondern Localität enthoben, in sich selbst ein
allgemeines deutsches Interesse zu pflegen und zu vertreten fortfahren.
In einer einzelnen, scheinbar ganz losgerissenen Individualität erhält
sich in der Regel der weit tiefere Zusammenhang mit dem Kern der
Nationalität, während überall, wo sich ein Ton in bestimmten Kreisen
fixirt und Gemeingut einer Coterie wird, die Einflüsse einer
gevattermäßigen Gemeinschaft die allgemeinere Wirksamkeit zerstören.
Zu diesen mit ihrer Gesinnung, ihrem Dichten und Denken an keine
besondere Scholle, an kein abgepferchtes Vaterländchen im großen
deutschen Lande gebundenen Dichtern gehört vor allen Rückert, der
nicht in Schwaben, noch in Berlin, noch in Wien sich seine Begeisterung
holte, sondern am Busen des Orients, an der Quelle einer paradiesischen
Kindheit die Milch des Lebens trinkt, die für jeden Deutschen gleich sehr
ein Labetrunk der tiefsten Seele ist. In diesem indogermanischen Weisen
ist eine ganz gesonderte Persönlichkeit; wir könnten sie barock nennen,
wäre sie nicht so geistig überwältigend; und doch strömt in diesen Adern
das ächteste deutscheste Blut. Wo sich Secten gestalten, verbleichen die
Farben der Persönlichkeit, es wird ein interessanter Gevatterschnack,
wir können Hinz und Kunz nicht mehr sondern. Ob Ferrand oder Hagendorff
das Lied gesungen, ist kaum zu unterscheiden, und was der Edle von Prutz,
der Ritter von Tschabuschnigg, und wie die vielen wiener Herren alle
heißen mögen, auf gut wienerisch singen, klingt so sehr aus der Masse
eines unorganisch vegetirenden Lebens, als wenn die liebe Gemeinde in
aufgelöster Hingebung anhebt: Führ' Du die Lämmlein auf die Weide –
Das kritische Raisonnement des Franzosen über Uhland stellt diesen
Dichter als den Hauptvertreter der gegenwärtigen Nationalstimmung,
als den König der neuesten deutschen Lyrik hin. Henri Blaze kennt nicht
das ganze, so verschiedentlich geaderte Blutsystem des deutschen Lebens;
er weiß nichts von den österreichischen, nichts von den Dichtern der Mark,
und wenn auch diese Unkenntniß weniger zu schiefer Auffassung der
lyrischen Literatur der Gegenwart verführen könnte, so wird sein Urtheil
doch gebrechlich, wenn er neben Uhland den gemüthstieferen Rückert
ignorirt. Was er über das pantheistische Temperament des deutschen
Geistes im Allgemeinen sagt, klingt sehr wahr und treffend; aber es
würde wahr und treffend seyn, hätte er Rückert's Muse, die hier ihre
schönsten Elemente findet, kennen gelernt. "Uhland," sagt er, "ist der
populairste Dichter
[895] Deutschlands, der Dichter der Universitäten und Tabernen." Daß
ein Dichter nichts Sangbares geschrieben, würde in Italien von Gewicht
seyn, um ihn weniger für einen ächten Vertreter der Nation zu halten;
in der deutschen Literatur ist das Sangbare nicht schon um deswillen
das Beste. Rückert's Liedern kann man nicht immer singen, es sind keine
Uhland'schen Rundgesänge: aber man kann mit ihnen ins Kämmerlein gehen
und beten. Mit Heine kann man sich die Welt auf die kecke Fingerspitze
stellen und mit dem Universum eine herkulische Tändelei treiben. Die
Heine'sche Weltanschauung ist eine nothwendige Richtung der Zeit nach
einer Seite hin. Die Franzosen lernen
auch diese Seite nicht ganz fassen,
Heine hat sich vergeblich bemüht, sie ihnen en naturel
und in Person zu
eröffnen. Was sich im Saintsimonismus als verwandtschaftlich hiermit
bekundet, bleibt unter den Franzosen nur eine Gesellschaftsmaxime,
während uns jede neue Weltanschauung tiefer durchdringt, so daß wir
sie im Gedichte erst zur Offenbarung bringen. Dies ist die eine Seite
des deutschen modernen Geistes, die Weltanschauung des Witzes. Der andere
Endpunct unsers geistigen Daseyns bleibt das betende Gemüth. Mit Heine
sprang dem modernen Deutschen die Ader des Witzes auf und das heiße Blut
sprudelte so jäh, daß sich ihr Gefäß zu erschöpfen drohte; Heine fühlte
sich matt und ließ sein Blut in den Schmuz fließen. Dies ist die eine
Richtung der jetzigen deutschen Lyrik, von der der Franzose nichts
versteht: die Lyrik des Humors. Heine ist der moderne Verstand, der vor
Schmerz witzig wird. In Rückert haben wir den Gegenpol der deutschen
Lyrik, Rückert ist unser betendes Herz. Nicht den Pfaffen, nicht den
halleschen Mystikern, noch den berliner Pietisten, nicht Hengstenberg,
noch Steffens verdanken wir es, wenn wir heut zu Tage im Gedichte noch
beten können, sondern Friedrich Rückert, der in den Fluthen des Ganges
seine deutsche Brust gebadet. Jene haben die Frömmigkeit zu einem Sumpfe
voll gedankenscheuer Angst, den christlichen Beter zu einem lichtscheuen
Uhu gemacht; Rückert's fromme Gedanken wiegen sich wie lichte
Schmetterlinge auf den Blumen der heiligen Mutter Erte, seine Gebete
lachen wie Engelsköpfe aus heiterm Himmelsblau in eine beglückte
Gotteswelt. Die Pietisten haben das Gebet mit der Welt verfeindet, und
diese Verfeindung, die sie in das Leben gebracht, ist das Werk des bösen
Geistes.
[897] Rückert hat das Gebet wieder mit der Welt versöhnt; der keusche Friedenshauch des verlorenen Paradieses weht uns an in seinen Liedern. Er heult und flennt nicht, wenn er betet, er lacht in seinen Gebeten; ein lockiger Engelskopf, der in süßer Anmuth der ganzen Welt seine Lippen zum Kusse bietet: das ist die Betermiene dieses deutschen Dichters, der seine deutsche Weisheit uns für indische ausgibt. Ein in seinem Gott vergnügtes, ein himmelsseliges, ein lachendes Antlitz – das ist das Höchste, das Tiefste, das ist das Angesicht des Christkindes. Die Generation des jetzigen literarischen Deutschlands würde sich in Melancholie, Sarkasmus und Zähneknirschen aufreiben, wenn es außer diesen Elementen, in denen sie sich bis zur Tollheit gefällt, kein anderes Ferment des deutschen Lebens gäbe. Wer nicht wie Rückert frommselig und keusch seyn kann, wem das reine Kindeslächeln im Gebete versagt ist, wird den Schaum seiner Begeisterung bald verspritzt haben, und nach den Gifttropfen, die von seiner sprudelnden Lippe träufelten, sich bald vergebens umschauen: das zürnende Meer der Zeit, das immer von neuem aus der Tiefe aufrauscht, hat seinen Geifer spurlos weggespült.
Rückert hat keine Partei, scheinbar keine neue Tendenz; dennoch ist sein Leben das frischeste, ein nie gesehener Strom voll deutscher Ewigkeit. Er ist, als der tiefste Gegensatz zu Heine, ein Vertreter der zweiten Richtung der deutschen Lyrik. Der Franzose kennt diese Seite unserer Lyrik nicht. Henri Blaze nennt Uhland den Priester des deutschen Bewußtseyns, den Repräsentanten des deutschen Geistes, wie dieser sich in lyrischer Form gegenwärtig entfaltet. Es will nicht viel sagen, wenn man behauptet, in Uhland sei keine Faser undeutsch. Auch Heine ist deutsch. Die baare Verwegenheit der ironischen Opposition ist eine wesentliche, eine höchst nothwendige Lebensbedingung des jetzigen Deutschlands. Wird diese Richtung mit täppischer und renommistischer Knabenhaftigkeit verfolgt, wie dies von einigen Männern des sogenannten jungen Deutschlands geschieht, so benutzt dies der Körper des deutschen Lebens blos, um nach dieser Seite hin sich seiner Exremente zu entledigen. Ich brauche diejenigen Bücher des sogenannten jungen Deutschlands, die für nichts als Excremente des deutschen Geistes bei seinem gegenwärtigen Uebelbefinden zu erachten sind, nicht weiter hier zu nennen, da ich mit ihnen in diesen Blättern schon fertig wurde. Allein für deutsch müssen Gutzkow und Laube immer gelten, jener schon, weil er grobkörnig und massiv genug ist, und der Andere hat ja sogar eine Zeit lang mit der Orthographie teutsch renommirt, obwohl sich bei ihm gerade der Uebelstand bekundet, daß er bisher doch meistens nur Heine's Nachsprecher war, während Gutzkow in seiner Wally eigenthümlicher und tiefer irrte und schon um deswillen sich fundamentaler zu entwickeln im Stande seyn wird.
[898] Doch zur deutschen Lyrik zurück, denn Heine ist uns schuldig
daran, daß man aus dem, was er sang, eine Doctrin machte, und diese in
Romanen predigte. Es ist sehr schlimm, wenn die Anhänger dasjenige als
Lehre weiter verbreiten, was dem Genie im Momente der Eingebung
herausblitzt. –
Heine und Rückert sind gegenwärtig die Pole der deutschen Lyrik.
Heine vergißt seine Philosophastereien, er ist in Boulogne am Meere
und will wieder Lieder dichten. Rückert saß und sitzt nach wie vor am
Ufer des Ganges und taucht sein deutsches Herz in den paradiesischen
Spiegel der Liebe Gottes. In beiden ist eine neue Weltanschauung, das
heißeste Ferment zur deutschen lyrischen Muse in den gegenwärtigen
Zeitläuften. Der Franzose, der diese Gipfelpuncte unserer neuesten Lyrik
nicht versteht, versteht überhaupt nichts von uns, wenigstens sieht
er die geheimen Adern des deutschen Musenberges nicht. Henri Blaze
kennt blos Uhland und hält den schwäbischen Musageten für den allgemeinen
deutschen Apollo. Doch hören wir, was er von ihm sagt, denn ganz fehl
tappt seine Kritik nicht, der Verstand des Franzosen blinzelt auch
durch das blumige Laub seines in exaltirter Stimmung geschriebenen
Aufsatzes hindurch. Eine Parallele mit Béranger, die er anstellt, aber
doch auch sogleich wieder verwirft, ist nicht glücklich. Béranger sang
Napoleon. Das bezeichnet, das stempelt ihn, das macht ihn zum Franzosen,
mochte er sonst ein Pariser, ein Bretagner oder gar Gascogner seiner
Landschaft nach seyn. Uhland fehlte ein großer, allgemein deutscher
Gegenstand, um aus einem Schwaben ein Deutscher zu werden. Seine
Balladen sind allerdings Gemeingut, sie sind Musterstücke in Haltung,
Form und Gedankenpräcision; nur vergesse man nicht, daß die Form und
Weise des Gesanges von Göthe gelernt ist. In seinen subjectiv lyrischen
Dichtungen haben wir Uhland's Gesinnung, seinen Menschen. Hier ist der
liebenswürdigste Charakter von der Welt; aber seine Inspiration reicht
nicht sehr weit über das solide Hausglück der schwäbischen Gemüthlichkeit.
Er ist auch fromm, aber nicht gotttrunken und geistesselig wie Rückert;
Uhland's Religion ist die Religion der Schwelle und des Heerdes. Diese
Engigkeit des Gesichtskreises fällt ganz natürlich dem Franzosen auf,
nur muß er als solcher sie preisen, weil sie seinem ganzen Denken und
Sinnen fehlt, während der jugendliche Deutsche der Jetztwelt sie
altväterisch nennt und sich ihr mit seiner Poesie zu entwinden
anhebt. "Oft findet man bei Uhland – sagt Henri Blaze – mitten
in einem
Kriegsliede eine Strophe voll Ruhe und friedlichen Glückes wie eine
Maiblume auf dem Schlachtfelde. In jedem Augenblicke unterbricht er sich,
um mit Dir von häuslichen Tugenden zu sprechen; die alten Sitten
beherrschen ihn. Die häuslichen Tugenden, das alte Recht, die alten
Sitten, auf denen seine Poesie beruht, dies sind auch allerdings keine
Dinge, in den Sand geschrieben; der Sturm der Revolution stäubt sie
nicht fort, wie die Lilien von einem Throne."
Daß eine Poesie tugendhafter ist als eine andere, macht sie um deswillen noch nicht bedeutsamer. Ein moralisches Lied kann ein sehr dürftiges Gedicht, und ein anderes, in denen der Teufel seine Finten losließ, kann ein sehr bewundernswürdiges, großes, tiefes Werk seyn. Jedenfalls ist der Dämon ein besserer Poet als eine solide Strumpfwirkerseele
[903] Doch hören wir den Franzosen weiter. Er gefällt sich wieder in
einer Vergleichung. "Uhland und Novalis," – heißt es – "auf
den ersten Anblick
die schärfsten Gegensätze und doch durch ein geheimnisvolles Band wie
Brüder verwandt, Uhland und Novalis haben jeder nur ein Buch geschrieben,
aber in diesem Buche ist mehr von reiner, wahrer Liebe, von aufrichtigen
Thränen, von reinmenschlichem Schmerz zu finden, als in allen Elegien
unserer Zeit. Immer findet man in diesem Buche denselben Grundgedanken,
dieselbe Blume auf diesem Gefilde; aber der Gedanke wechselt in
verschiedenen Phasen, die Blume schillert in allen Farben,
die das Gestz ihres Daseyns bedingt.
Bald öffnet sie sich dem Sonnenstrahl, bald neigt sie ihr Haupt,
heute trägt sie ihre Thautropfen wie ein Halsgeschmeide von Perlen,
morgen, wenn sie stirbt, in Thränen. Beide Dichter wandeln durch das
Leben hin mit dieser Blume in der Hand, und streuen ihre Blätter
überall hin, in den Bach, auf den Rasen, auf ein Grab. Ich glaube:
diese Blume sieht so ziemlich aus wie das menschliche Herz."
Das klingt sehr schön, ist aber unbrauchbar, es paßt auf jeden echten
lyrischen Dichter. Uhland und Novalis sind ohnedies sonst himmelweit von
einander verschieden, wie Tag und Nacht, oder vielmehr wie ein
gemüthlicher Feierabend und eine selige Nacht voll üppiger
Liebestraume. "Uhland's Balladen," – sagt Mr. Blaze endlich,
und dies ist
das beste, verständigste Wort seiner Rede, – "sind mit Besonnenheit und
Einfachheit entworfen, größtentheils mit emsiger Sorgfalt ausgeführt.
Die reiche und rhythmenvolle deutsche Sprache hilft dem Poeten gleichsam
von selbst in Takt und Harmonie hinein; deshalb finden sich die
materiellen Eigenschaften des Styls in Deutschland auch bei Dichtern
des zweiten Ranges so häufig. Man findet in diesen Balladen weder die
tiefe Empfindung wie in der Braut von Korinth, noch das dramatische
Leben und die ergreifenden Schauer wie in Bürger's Lenore.
Es sind kleine
Gedankenwelten in der simpelsten Form, nie aber ohne Grazie."
Uhland ist in den Kreisen seines Denkens und Dichtens meisterhaft vollendet und groß, aber die Kreise selbst sind nicht groß, der Horizont seiner Gedanken und Gefühle ist eher eng als weit zu nennen. Wir Deutschen wären glücklich, aber arm in diesem Glücke, wenn wir um keinen andern Schmerz und um keine andere Freude wüßten, als in Uhland's schönen Harfenklängen ertönt. Es ist doch nur ein altes Glück, ein alter Hausfriede, eine veraltete Liebe und ein Haß, der fast unwahr geworden ist, was in Uhland's Saiten laut wird. Unser Haß hat mehr zu zerstören, unsere Liebe mehr zu gewinnen, der Schmerz des jugendlichen Geistes ist weit qualvoller tiefer, verzehrender, verwirrender, als Uhland's solide Pietät, die sich noch der liebenswürdigen hausväterlichen Gemächlichkeit erfreut, und sein mäßiger, ehrsamer Freiheitsstolz, der über die Leipziger Schlacht die unreif gebliebenen Früchte derselben ignorirt, jemals zu ermessen vermochte.
[905] Auch werden in der schwäbischen Dichterschule andere Töne laut, die mich tiefer ergreifen, weil sie von einem tieferen Unglück sprechen, obwohl dies Unglück auch nur einer einzelnen vereinsamten Brust angehört und selten über sich selbst hinfortreicht. Es ist Nikolaus Lenau. In seinen Liedern weht ein Athemzug, der mehr an Tieck's Waldflöten und Orgeltöne gemahnt, während Uhland's Poesie der Form, wenn auch nicht der Gesinnung nach, mit der Göthe'schen befreundet blieb. Gustav Pfizer muß noch mehr Innerlichkeit entwickeln, um für bedeutsamer zu gelten. Er konnte bisher der Schiller'schen Diction nicht ganz entrathen; oft aber überkam es ihn auch wie einen Enkel Schiller's mit geistiger Gewalt, und er sang nicht blos mythologische Begebenheiten der alten Welt, sondern den Völkerschmerz seiner Zeit. Unter Pfizer's Gedichten sind einige Griechen- und Polenlieder; in ihnen weint ein schönes warmes Herz *). Diese Thränen halten wir ihm zu gute; solche Thränen würde Schiller weinen, wenn er wieder jung unter uns träte, seine Weltseele würde den Völkerschmerz des Jahrhunderts zur Religion unserer Zeit erheben. Aber Eins würde ihm für den Kampf in der Gegenwart fehlen, was gegenwärtig unerläßlich ist; er würde nicht scherzen und spotten können über das, was unbesiegbar scheint und auch dem heiligsten Prophetengrimme eine eherne Stirn entgegenstreckt. Die Thränen würden auf seiner Wange zu Krystall werden, sein Schmerz würde in sich selbst erstarren. Er würde Felsblöcke gegen die Verächter der Freiheit und die Bonzen des Wahns schleudern, und müßte doch vielleicht erliegen, weil er die Geißel verschmähte und die kleinen Waffen der Satyre nicht zu handhaben wüßte. Diese kleine Waffenführung des Spottes haben einige berliner Lyriker von Heine gelernt; aber ihr Herz ist eng, ihre Seele nicht weit und offen genug, um dies ganze Weh der Zeit zu begreifen. Sie besingen lieber einen Zwirnsfaden, wie das im gottseligen "Freimüthigen" ein junger Berliner selbst gerühmt, sie reden in ihren Liedern von ihrem Ennui, und meinen es dem Heine darin nachthun zu können. Sie singen als stäken sie halb in Schnürleibsuniform, und weil sich das Herz nicht weiten kann, belächeln sie in kleinen Liedern ihre enge Taille.
Und während das so in Schwaben und in der Mark geschieht, schnurren die wiener Poeten ihr hundertsparriges Rädchen nach wie vor so gemüthlich ab, daß uns angst wird, weil uns die Frage quält, ob denn diese Edlen wirklich von [906] Anno 1835 find. Selbst die schönsten Balladen von Vogl und Seidl täuschen uns nur eine Weile über uns selbst, so daß wir wähnen, unsere Zeit sey so schön und glückselig wie ihre Lieder. Die wiener Literatur ist ein abgepferchtes Eldorado, das außerhalb Deutschlands liegt. Und nur wenn einer davon läuft und weitere "Spaziergänge" macht, so wagt er's, eine kleine lustig-melancholische Schwalbe, die an dem Burgfenster nistet, an die Scheibe picken und fragen zu lassen: "Erlaubt man's wohl, daß ich so frei bin, frei zu seyn?" – Wahrlich, ich sage Euch, wenn Ihr nicht werdet, wie dieser Schwalben eine, so werdet Ihr nicht ins Himmelreich kommen. Ihr müßt Euch annisten, ihnen ins Fenster schauen, – und wenn sie Euer Nest zerstören, so habt Ihr ihnen doch ganz naiv die helle Glasscheibe besudelt, wie die kleine allerliebste Schwalbe.
[Fußnote, S. 905]
*) In letzter Zeit hat sich G. Pfizer mit Uebersetzung einiger Dichtungen
Byron's beschäftigt (Stuttgart, Liesching, 1836. 405 S. 8.), die in
Diction wie in Auffassung des Sinnes für sehr gelungen gelten können.
Wir finden in der Sammlung außer einer großen Anzahl einzelner kleiner
Gedichte auch die Ode an Napoleon, die hebräischen Gesänge, Mazeppa,
Parisina, Lara, das Drama: "Der umgestaltete Ungestaltete," ein
Bruchstück aus dem Don Juan u. a. Wir theilen in den nächsten Blättern
eine Probe der trefflichen Uebersetzung mit. D. Red.
zurück
Erstdruck und Druckvorlage
Zeitung für die elegante Welt.
Jg. 35, 1835:
Nr. 223, 12. November, S. 889-890
Nr. 224, 13. November, S. 894-895
Nr. 225, 14. November, S. 897-898
Nr. 226, 16. November, S. 903
Nr. 227, 17. November, S. 905-906.
Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck
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Lyriktheorie » R. Brandmeyer