Text
Editionsbericht
Literatur: Laube
Literatur: Zeitung für die elegante Welt
Gedichte von Nikolaus Lenau. Stuttgart und Tübingen, bei Cotta. 1832.
Ich freue mich sehr, die Uebersicht der neu erschienenen Poesien mit einem so vollgültigen Manne wie Lenau schließen zu können. Er ist wie ein poetischer Cäsar aufgetreten: er kam, sah und siegte, und ist stolz von uns gegangen, wie ein Cäsar, nachdem er uns beschenkt. Das Zeugniß seines vollen Werthes reicht er den Deutschen am Gränzufer, setzt den Fuß auf den Bord des Schiffes, grüßt noch ein Mal mit der Hand, und die Lippe flüstert: "Lebe wohl, arme Heimath, armes Vaterland, das freie America will ich suchen, und wiederkehren, wenn ich ein freies Vaterland finde". – So verläßt uns Einer nach dem Andern, und sie sind fast Alle aus den Reihen der Besten, die da scheiden. Armes Vaterland, wie müssen Deine Reize welk geworden seyn, daß Deine feurigsten Freunde sich von Dir wenden und die schönere Fremde suchen! Heut ein heißes Herz, und morgen wieder eins, das grollenden Abschied klopft auf den Rheinbrücken, oder auf dem Verdecke des fortfliegenden Dampfbootes; – wie der ungestüme, schwankende Gedanke wirbelt die Rauchwolke in unbegränzte Luft, sie weiß nicht, was sie findet, aber sie sucht Neues, Besseres, sie breitet sich aus und löst sich auf in Sehnsucht. Wir verlieren unsere besten Männer, aber unsere Poesie gewinnt die besten Lieder. Die schönsten Töne sind es, die da heraufklingen, wenn das Schönste des Menschen, sein Herz, zerspringt. Es gibt nirgend einen solchen Handel mit Millionen als in der Poesie, wo das Herz mit seinen Schmerzen der Einsatz, die Welt mit aller Herrlichkeit der Preis ist. Wenn der Poet vor übergroßem Leide von der Straße hinwegzieht, wo seine Liebste wohnt, das Land verläßt, wo seine Väter wohnten: dann ist er reicher denn Du, Rothschild, denn er verliert das, was sein ganzes Herz füllte, und der unendliche Schmerz, den er dafür eintauscht, ist der riesige Wechsel, vor dessen Einlösung alle Banquiers der Erde erschrecken würden. Es gibt Schmerzen, die unbezahlbar sind, und was am ersten zum Opferchristenthume bekehren könnte, ist der thränenreiche Gedanke, daß das schönste Kind unsers schönsten Weibes, der Poesie, die Thräne, der Schmerz ist. Man muß unglücklich seyn, um glücklich zu werden. Denn die Poesie ist das höchste Glück, weil sie mehr gewährt, als die ganze Welt gewähren kann. Sie braucht die Welt nicht, sie ist selbst eine, und weil sie eine schönere ist, tröstet sie.
Eine Durchgangsepoche wie unsere Zeit, wo Leib und Seele eines sterbenden Jahrhunderts sich unter aufschreienden Schmerzen trennen, wo die Sehnsucht wie durstiges Hochland nach erquickendem Regen lechzt, wird nicht die schönsten, aber sie wird die innigsten Gedichte bringen. Denn zur Schönheit fehlt's an Ruhe, aber zur Wahrheit ist stachelnde Aufforderung da, und jede Wahrheit trifft tief nach Innen, denn sie kommt tief von Innen. Und was unserer neuen Poesie an Schönheit fehlt, das ersetzt sie an Wahrheit; es ist eine moderne Barbarei, mit der wir das Herz mit all seinen Wunden, seinen Geschwüren, seinen zuckenden Bewegungen ans Sonnenlicht reißen – es ist Danton's und Robespierre's Terrorismus, dem sich unsere Poesie hingegeben. Die Helden der französischen Revolution sind nebenbei in Deutschland nur aus unsern zitternden Zeitungen der neunziger Jahre und den bestallten Historikern, die aus Amtseifer und eigner Muthlosigkeit mitzitterten, bekannt. Man kennt nur ihre winterlichen Thaten, nicht ihre Frühlingsgedanken, von ihrer Poesie sind den meisten Deutschen nur [87] einige blutige Reime zugekommen. Aber nur der feige Regierungsrath-Historiker verwirft zitternd jenes furchtbare Mittel, den Schrecken. Er war an der Zeit, er war das einzige Rettungsmittel; der Arzt muß nicht bleich werden, wenn er das Glied wegschneidet, um den Menschen zu retten – auch unser Mensch war in Gefahr, zu verkümmern, zu vertrocknen in dürrer Leblosigkeit der Formpoesie, der magern Nahrung. Die Frucht der Civilisation diene dazu, daß unser Terrorismus nicht weiter gehe, als Noth thut, daß er sich mehr und mehr zum bloßen lebendigen Leben abstufe, je weniger die Menschen noch der alten Trägheit angehören. Vossens Spießbürgerlichkeit, Matthisson's kränklich weinerliches Wesen, Schlegel's geziertes, hohles Reifrockspreizen, und das faule gegenseitige Antoasten und Geschleck; selbst Göthe's Marmorkälte mußten von den neuen Schreckensmännern unserer Literatur angefallen, ja alle die Ueberflüssigkeiten jener Poeten und Schriftsteller, deren Legio ich hier nicht aufzählen kann, mußten guillotinirt werden, damit wir das Unverfälschte, Gute von ihnen behielten. Und die Geschichte wird einst mit Achtung die Helden unsers literarischen Schreckens nennen: unsern Danton-Menzel mit der Löwenstimme, den Robespierre-Börne mit dem weichen Gemüthe, und Sanct Justus-Heine mit dem blutigen Herzen und der schwertscharfen, schonungslosen Lippe. Durch die Spirallinien der Menschenclassen werden noch Jahre lang jene angeschlagenen Töne schwirren, ehe sie den Kreislauf vollendet, ihre Früchte werden gereift seyn müssen, ehe ihre Befruchtung allgemein anerkannt wird. Es ist nichts weniger bekannt, als die geschichtliche Botanik; mit Mühe erlernen Viele den Namen der aufgeschossenen Pflanze, aber den Samen erkennen immer nur Wenige. Die Helden der Geschichte haben immer die meisten Feinde gehabt: Christus ward gekreuzigt, Muhammed vergiftet, Abälard entmannt, Huß gebraten, Rousseau verlacht, Napoleon aus der Menschheit verwiesen, die deutschen Schriftsteller werden eingesperrt und entehrt. – –
– Aber der Anstoß zu diesem Reinigungsprocesse ist gegegeben, wir
Späteren haben das Gegebene zu benutzen, fortzufahren, so lange es noch
Noth thut, im kleinen, in den Winkeln aufzuräumen, die jenen
Heerstraßengeistern entgangen sind, und – einzulenken, sobald die
hineingeworfenen Negationen allmälig positive Gesetze, Normen, Regeln
geworden sind, Acht zu haben, wann die Zerstörung der classischen
Zeit selbst classisch geworden ist. Damit nicht auch Embryonen gemordet
werden, muß dies geschehen; unsern Nachkommen bleibt das Zertrümmern
oder Verjüngen unseres Werks, denn die Erde geht, und die Civilisation
mit ihr.
Je später die subjective Poesie kommt, desto geläuterter verlangen wir sie; als Heine sie begann, da hatte der Mensch wenig oder nichts zu thun, bergender Nebel lag auf Meer und Land, fast nur am eigenen Individuum durfte der Poet Entdeckungsreisen versuchen. Wie ganz anders ist es schon jetzt; des Nebels Falten sind breit aus einander geschlagen, hier und da sehen breite Streifen blauen Himmels herein, wir haben uns zum Theil aus unserer zusammengedrückten Stellung aufgerichtet, wir möchten mitunter schon fliegen – was wir aber möchten, ist Sache der Poesie. Wer jetzt also dichtet, soll sich umsehen in der Welt; er lebt in einer Zeit der Universalität, er soll sein Herz erweitern, und nicht nur seine Schmerzen mittheilen, sondern auch die Schmerzen der Menschen theilen. Das ist der Uebergang von der übermächtigen Subjectivität. Und diesen Uebergang bildet Lenau. Die große Figur des Individuums, welches dichtet, wird so lange zwar nicht zerschlagen werden, als das Schwert unserer Tage dahin gerichtet ist, die Rechte des Individuums vollkommen geltend zu machen. Aber die Interessen des Individuums werden sich verallgemeinern, ausbreiten, das Individuum wird sich selbst universell bilden, und wann einst das Ich und die Allgemeinheit einander liebend, unauflöslich in die Arme sinken, da ist die Zeit erfüllt.
Diese Annäherung findet sich in diesen Gedichten. Der Dichter ist nicht sparsam mit seinem eigenen Schmerze, aber der Schmerz pocht schon weniger eigensinnig auf sein persönliches Vorrecht, er ist schon umgänglicher, humaner, vaterländischer. Die Sprache ist kühn, stark, wild wie der Löwe, aber schon nicht mehr grausam wie der Tiger, erschreckend wie seine Sprünge; nicht mehr so bizarr und grotesk, wie das alles uns in der neuen Schule oft begegnet. Sie ist gewaltig, selten erschreckend, mannesfest, mannestapfer, manneskühn, weniger jünglingswild. Es ist die gereiftere, männliche Jugend unserer Dichtkunst. Ich kann hier auf den bloßen Ausdruck verweisen, er wird in seiner Kraft darthun, was ich meine:
Brausend fliegt des Todes Jagdhund
Sturm bergan in wilder Eile,
Seinen Herrn zu suchen, irrt er
Durch die Felsen mit Geheule.
Es ist ein Jäger, der zu treffen weiß, welcher spricht. Nikolaus Lenau ist übrigens die lieblichste Vereinigung des sanften Uhland, der so zauberhaft singend an die Schwelle unserer Zeit trat, der mit gleichem Schwabenherzen ein Zwillingsbruder Schiller's scheint und des pittoresken Heine, der das Herz mit geistigen Blitzen bewehrt hinauswirft in die tiefverachtete, heißgeliebte Welt. Hat sich Lenau nun in diesen Ge[88]dichten abgefunden mit all den kleinen, lieben Schmerzen, hat er uns in mehrern Ungarn betreffenden Gedichten, in dem zauberhaft golden blinkenden Romanzenkranze "Clara Hebert" gezeigt, wie schmeichelnd und weich er sich fremden Armen hingeben könne: so hat er unser Vertrauen auf neue Romanzen dergestalt gesteigert, daß wir ihm einen fliegenden Boten nach America nachsenden möchten, der ihn verpflichte, am Hudson oder am Amazonenstrome süßen Sagen und Geschichten nachzuhängen. Der schöne Johannes Casimir, der bleiche Polenkönig auf dem steilen Provenzalenschlosse, wo er mit Clara der goldensten Liebesgedanken pflegt, soll ihm den Blick nachsenden, mit welchem der mit Diamanten und Reiherfeder neu geschmückte Sarmatenfürst auf der Schloßtreppe von seinem Mädchen scheidet – der Blick wird ihn bewegen, mehr denn diese eine Romanze zu singen. Ich suche ein Lied für unsere Leser und finde eins für Polen; ist es lästig, ist es rührend, ist es die Gottheit herausfordernd, daß, wo ein großes Herz seine Lieder bluten läßt, die heißesten Tropfen auf jenes unglückliche Land fallen? (Es fehlt eben an Raum, ich werde das Lied im nächsten Blatte mittheilen.)
Erstdruck und Druckvorlage
Zeitung für die elegante Welt.
Jg. 33, 1833, Nr. 22, 31. Januar, S. 86-88.
Ungezeichnet.
Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck
(Editionsrichtlinien).
Zeitung für die elegante Welt online
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URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/002128827
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/008893404
URL: https://de.wikisource.org/wiki/Zeitung_für_die_elegante_Welt
Zeitung für die elegante Welt Index
Alfred Estermann: Die Zeitschriften des Jungen Deutschland.
Indices.
2 Bde. Nendeln (Liechtenstein) 1975.
Zeitschriften-Repertorien
überarbeitet; aufgenommen in
das rezensierte Werk
Literatur: Laube
Bampi, Zeno: "Ecco Venezia".
Kunstreflexion und "Poesie" im literarischen Venedig-Bild bei August von Platen
und beim jungdeutschen Reiseschriftsteller Heinrich Laube.
In: Venedig in der deutschen Literatur.
Hrsg. von Erik Schilling u. Oliver Bach
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Brandmeyer, Rudolf: Poetiken der Lyrik: Von der Normpoetik zur Autorenpoetik.
In: Handbuch Lyrik. Theorie, Analyse, Geschichte.
Hrsg. von Dieter Lamping.
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Cimmino, Giuseppina: Gegenwart in Latenz.
Verfahren und Figurationen von Präsenz in der Zeitdiagnostik des Vormärz (1830-1848).
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Dziemianko, Leszek u.a. (Hrsg.): Heinrich Laube (1806-1884).
Leben und Werk. Bestandsaufnahmen - Facetten - Zusammenhänge.
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Die jungdeutsche "Mission" der Literatur.
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Literatur: Zeitung für die elegante Welt
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Ananieva, Anna: Der Leipziger Voss Verlag.
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Auf der Schwelle zur Moderne:
Szenarien von Unterhaltung zwischen 1780 und 1840.
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Ananieva, Anna / Haaser, Rolf: Elegante Unterhaltung:
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und ihre deutschsprachigen Nachfolger in Prag und Ofen-Pest.
In: Katja Mellmann, Jesko Reiling (Hrsg.):
Vergessene Konstellationen literarischer Kommunikation zwischen 1840 und 1885.
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Houben, Heinrich H.: Zeitschriften des jungen Deutschlands.
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URL: https://archive.org/details/zeitschriftende00houbgoog
Obenaus, Sibylle: Die deutschen allgemeinen kritischen Zeitschriften
in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Entwurf einer Gesamtdarstellung.
In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 14 (1973), Sp. 1-122.
Edition
Lyriktheorie » R. Brandmeyer