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Editionsbericht
Literatur: Arnim
Literatur: Volkslied
Literatur: Anthologie
Wenn das Volk beym Einzuge seines Helden die Pferde vom Wagen spannt, so thut es das wohl nicht, weil es besser ihn zu ziehen meint, eben so spreche ich von Volksliedern im Allgemeinen nur darum, einen guten Sinn zu bewähren nicht aber die wichtigen Untersuchungen über Einzelne derselben zu verdrängen oder aufzugeben; daß ich zu Ihnen spreche, findet in unsrer Befreundung sein Recht und in der Sache seinen Grund. Haben Sie doch Selbst mehr gethan für alten deutschen Volksgesang, als einer der lebenden Musiker, haben Sie ihn doch nach seiner Würdigkeit den lesenden Ständen mitgetheilt, haben Sie ihn doch sogar auf die Bühne gebracht, in allem Hohen ist kein Ueberdruß, so werden Sie Sich gern wieder mit mir zu einer hohen und herrlichen guten Sache hinwenden. – Ich führe Ihnen manche Beobachtung vor, aus verschiedenen Zeiten, aus verschiedenen Gegenden, alle einig in dem Glauben, daß nur Volkslieder erhört werden, daß alles andre vom Ohre aller Zeit überhört wird. – Was ist erhört? – Alles was [426] geschieht, was nur entfallen, nicht vergessen werden kann, was nicht ruht, bis es das Höhere hervorgebracht, das ist erhört. Wohl wuste ich das lange nicht, viele werden es mir nie glauben, denn jeglicher muß selbst im Schweis seines Angesichts den Kreis der Zeit um und um bis zum Anfange in sich durchlaufen, ehe er weiß, wie es mit ihr steht und wie mit ihm! – Was ich unsre Zeit nenne, was in allen lebt, als Methode, was keinem ein Wunder, das fängt mir in der Welt der Nachgedanken mit Kirchenliedern an, lange von mir nicht gehört, bleiben sie mir doch gegenwärtig. Ich hörte sie als Kind von meiner Wärterin beym Ausfegen der Zimmer, das in gleichem Zuge sie <begleitete>, mir ward dabey ganz still, ich muste oft an sie denken, jezt mögen Kinder sie seltener hören, und ich weiß nicht, was sie statt ihrer denken mögen. Nachher hörte ich in geselligen Kreisen allerley Lieder in Schulzens Melodieen, wie sie damals in raschen Pulsen des Erwachens sich verbreiteten, mein Hofmeister rühmte sie nächst Gellert, mir war es nur ums Ausschreien darin zu thun, die Langeweile der Welt kümmerte mich nicht. Jezt muß ich sagen, sie sind nicht ohne Beystand gewesen gegen das damalige Streben zu Krankheit und Vernichtung (die Sentimentalität *), es war doch darin ein [427] wahrer Ton, wie im derben Lachen aus Herzensgrund. Nachher scheint mir die Kraft wunderlich zerrissen, vieles geht glänzend vorüber, da steht die Menge mit offnem Munde, dann sinkt es unter im Hexenkessel überschätzter Wissenschaft, worin sie damals überkocht wurde. Was mir im Worte lieb, das hörte ich nie allgemein singen, und die schönen Melodieen pfiff ich lieber nach, die falschen Kukuk-Eyer zu verdrängen, welche dem edlen Singevogel ins Nest gelegt. Hörte ich von Gebildeten, nach Ihrer Eingebung zum Flügel singen: Kennst du das Land, wo die Zitronen blühen, da sah ich die vier Wände umher wie herkulische Säulen, die nun für lange Zeit den thätigen lebhaften Theil des Volkes von dem feurigen Bette der Sonne trennen. Sah ich dann still vor sich jemand den wunderbaren Fischer (Göthe's) lesen, es war mir, als sähe ich den herrlichen Gedanken halb ziehen halb sinken ins Wasser, keine Luft wollte sich ihm gestatten. – So ging es dem Herrlichen, während die schlechten Worte zum Theater sich erhoben, das damals mit Redensarten national werden wollte, in der That aber immer fremder wurde der Nation, zulezt sich sogar einbildete über die Nation erhaben zu seyn (wohl einiger Fuß hoher Bretter willen, wie das Hochgericht über die Stadt.) Ja wie ein Wiederhall führte der edle Klang diese schlechten Worte durch die Gassen, und die ernsten blauen Chorschüler, wenn sie vor dem Hause sich zusammenstellten, waren von dem Streit des Doktors und Apothekers, des Poeten und Musikers befangen. Ein schönes Lied in schlechter Melodie behält sich nicht, und ein schlechtes Lied in schöner Melodie verhält sich und ver[428]fängt sich bis es herausgelacht; wie ein Labirinth ist es, einmal hinein, müssen wir wohl weiter, aber aus Furcht vor dem Lindwurm, der drin eingesperrt, suchen wir gleich nach dem ausleitenden Faden. So hat diese leere Poesie uns oft von der Musik vielleicht die Musik selbst herabgezogen. Neues muste dem Neuen folgen, nicht weil die Neuen so viel Neues geben konnten, sondern weil so viel verlangt wurde: so war einmal einer leichtfertigen Art von Liedern zum Volke Bahn gemacht, die nie Volkslieder werden konnten. In diesem Wirbelwind des Neuen, in diesem vermeinten urschnellen Paradiesgebären auf Erden waren auch in Frankreich (schon vor der Revolution, die dadurch vielleicht erst möglich wurde), fast alle Volkslieder erloschen, noch jezt sind sie arm daran, was soll sie an das binden, was ihnen als Volk festdauernd? Auch in England werden Volkslieder seltener gesungen; auch Italien sinkt in seinem nationalen Volksliede, in der Oper durch Neuerungssucht der leeren Leute; selbst in Spanien soll sich manches Lied verlieren und nichts Bedeutendes sich verbreiten. – 0 mein Gott, wo sind die alten Bäume, unter denen wir noch gestern ruhten, die uralten Zeichen fester Grenzen, was ist damit geschehen, was geschieht? Fast vergessen sind sie schon unter dem Volke, schmerzlich stoßen wir uns an ihren Wurzeln. Ist der Scheitel hoher Berge nur einmal ganz abgeholzt, so treibt der Regen die Erde hinunter, es wächst da kein Holz wieder, daß Deutschland nicht so weit verwirthschaftet werde, sey unser Bemühen.
Wo ich zuerst die volle, thateneigene Gewalt und den Sinn des Volksliedes vernahm, das war auf dem Lande. In warmer Sommernacht weckte mich ein buntes Geschrey. Da sah ich aus meinem Fenster durch die Bäume, Hofgesinde und Dorfleute, wie sie einander zusangen:
[429] Auf, auf, ihr Brüder und seyd stark!
Der Abschiedstag ist da,
Wir ziehen über Land und Meer
Ins heisse Afrika.
Sie brachen ab und auf zu ihren Regimentern, zum Kriege. Damals klang manches daran, was mir so in die Ohren gefallen, alles reizte mich höher was ich von Leuten singen hörte, die nicht Sänger waren, zu den Bergleuten hinunter bis zum Schornsteinfeger hinauf. Später sah ich den Grund ein, daß in diesen schon erfüllt, wonach jene vergebens streben, auf daß ein Ton in vielen nachhalle und alle verbinde *), der höchste [430] Preis des Dichters wie des Musikers, ein Preis der nicht immer jedem Verdienste gefällt (wie manche Blume wird zertreten, aber das frische Wiesengras bringt tausend), aber auf lange Zeit gar nicht erschlichen werden kann, so daß jedes hundertjährige Lied des Volkes entweder im Sinn oder in Melodie, gewöhnlich in beyden tauget. –
Und als ich dieses feste Fundament noch unter den Wellen, die alten Straßen und Plätze der versunkenen Stadt noch durchschimmern sah, da hörte ich auf, mich über die großentheils mislungenen Versuche vieler Dichter und Musiker, besonders des Theaterwesens zu ärgern. Vielleicht würde einmal das Vortreffliche sonst gar nicht entstehen, gar nicht verstanden werden! Wo etwas lebt, da dringt es doch zum Ganzen, das eine ist Blüte das andre Blat, das dritte seine schmierige Wurzelfasern, alle drey müssen vorhanden seyn, auch die saubern Früchtchen, die abfallen. Störend und schlecht ist nur das Verkehrte in sich, der Baum mit der Krone eingepflanzt, er muß eine neue Krone, eine neue Wurzel treiben, oder er bleibt ein dürrer Stab. Dieser Art von wahrer Störung ist die Beschränkung aller Theatererscheinungen in Klassen und für Klassen der bürgerlichen Gesell[431]schaft, die entweder ganz unfähig der Poesie, oder unbestimmt in ihrem Geschmacke geworden. Beschränkung ist aber das Tugendprincip der Schwachheit, das Allgemeine verdammet sie, darum kann das Ueberschwengliche nie von ihr gefordert werden. Der Einfluß davon ist unbegrenzt, denn indem die Schauspieler das Gemeine vornehm machen wollen, machen sie das Ungemeine auch nichts weiter als vornehm (sie lassen Müller und Schornsteinfeger sich an einander abreiben). So suchen nun die Künstler aller Art um in gleichen Verhältnissen zu leben, wie sie dieselben gewöhnlich darstellen, da ihren Lohn, wo sie selten hingehören und nimmermehr hineinpassen sollten, wo es der Zweck des ganzen mühevollen Lebens, sich so leise wie möglich neben einander wegzuschieben, sie denken nicht, daß die besten Steinschneider Sklaven, die besten altdeutschen Mahler zünftig waren. Daher das Abarbeiten ihrer edelsten Kraft an Formen des Anstandes, die ihnen sich selbst gegeben, wenn sie wirklich etwas Würdiges geben: Daher das Bemühen der Kunstsänger zu singen, wie Vornehme gern reden möchten, ganz dialektlos, das heist, sie wollen singen ohne zu klingen, sie möchten blasen auf einem Saiteninstrumente. O ihr lebendigen Aeolsharfen, wenn ihr nur sanft wäret; und wenn ihr sanft wäret, o hättet ihr doch Ton. Dem geschickten Künstler sind die Dialekte Tonarten *), er vernachläßigt keine, wenn er gleich nur in einer sich selbst vorgezeichnet finden kann, das heutige Theater treibt sie aus einander nach Süden und Norden, Osten und Westen, keiner kann sich fügen dem Fremden, da doch alle einander in Volksliedern begegnen, wie Lustkähne, die eben erst vom gemeinschaft[432]lichen Gespräche im Dunkeln auseinander treiben, bald wieder zusammen, sich gleich wieder verstehen durch Aneignen und Weiterstreben, wenn auch in jedem das Gespräch sich anders gewendet. – Hinter dem <vornehmen> Anstande, hinter der vornehmen Sprache versteckt, scheiden sie sich von dem Theile des Volks, der allein noch die Gewalt der Begeisterung ganz und unbeschränkt ertragen kann, ohne sich zu entladen, in Nullheit oder Tollheit. Unsre heutige Theater- und Konzert-Theilnehmer, wie würden sie auseinander springen, bey wahrer reiner Kunsthöhe, sie würden umsinken in der reinen Bergluft, oder fühllos erstarren. Ruft nicht diesen Ton, ihren eigenen menschlichen Ton hinein ihr Sänger, sie würden springen wie Gläser, die tausendmal an einander gestoßen, doch nur zersungen werden können mit ihrem Ton! – Sey ruhig gutes Publikum, den Ton haben deine Sänger längst verloren, das Lebende von dem Todten zu scheiden, dabey kannst du noch das Heil deiner schlaffen Seele in (dem englischen Salzfläschchen) ihrer höheren Kritik suchen, in den wenigen vortrefflichen Formeln, welche die ganze Welt packen und sie in der Gravitation zwischen Ernährung und Zeugung erhalten, worin ihr wie Mücken spielt. – Mit großer Bravur können wohl diese vortrefflichen Kunstsänger ihren Kram ausschreien und ausstöhnen, man versuche sie nur nicht mit einem Volksliede, da verfliegt das Unächte, laßt sie auch nicht mit einander reden, sie singen wohl noch mit einander, aber mit dem Sprechen geht der Teufel los. Entweder haben ihre Sangstücke so unbedeutenden Charakter, daß er gar nicht verfehlt werden kann, oder wenn wir zum rechten Verstande davon kämen, wir würden sie hinunter jagen von ihren Bretern, und uns lieber selbst hinstellen, zu singen, was uns einfiele und allen wohlgefiele, Ball schlagen, ringen, springen und trinken auf ihre Gesundheit. – Wollt ihr Sänger uns mit [433] der Instrumentalität eurer Kehle durch Himmel und Hölle ängstigen, denkt doch daran, daß dicht vor euch ein großes physikalisches Kabinet von geraden und krummen hölzernen und blechernen Röhren und Instrumenten steht, die alle einen höheren, helleren, dauerndern, wechselndern Ton geben als ihr, daß aber das Abbild des höchsten Lebens oder das höchste Leben selbst, Sinn und Wort, vom Ton menschlich getragen, auch einzig nur aus dem Munde des Menschen sich offenbaren könne. Versteckt euch eben so wenig hinter welschen Liedern, dem einheimischen Gefühl entzogen seyd ihr dem Fremden nur abgeschmackt. Nein, es ist kein Vorurtheil der Italiäner, daß jenseit der Alpen nicht mehr Italiänisch gesungen werde, daß selbst nationale Sänger ihren reinen italiänischen Gesang in der Fremde verlieren: Denkt auch daran, daß es gar nichts sagt, fremde Sprachen melodischer zu nennen, als daß ihr unfähig seyd und unwürdig der euern. Das weiß ich wohl, die Kunstübung erbt ohne meinen Rath, wie die Pocken, in allen kränklichen Reizungen der Städtlichkeit, Philosophie und Liederlichkeit auf alle Wohlgesittete, die sich den Bart nicht scheren, wenn er lang, sondern wenn ihr Tag gekommen; nicht einheizen, wenn sie frieren, sondern wenn ihr Stunde gekommen, ja es giebt ordentliche Register über die Kunst auf dem Rücken aller der buntjäckigen Leute, denen die alten Komödienzettel auf den Rücken geklebt, ich meine die Journalisten. Wie vielmal diese Vogelscheuchen mit ihren unmaßgeblichen Meinungen sich drehen, wohin der Schlauch der Kunstspritzen sich wendet, die Kunst wendet sich selten mit der Noth unsrer Zeit zu einer reinen Thätigkeit, sie ist fast nie nothwendig, sondern den meisten eine böse Angewohnheit (wie der Schnupf-Tabak, die Leute verwundern sich, wie schnell sie den Geschmack aufgeben, wenn sie die Dose einmal in eine andre Tasche stecken). Es müste sonderbar in [434] ihren Winter hinein blühen, wenn ihnen so der Sinn für das Große eines Volks aufgehen sollte und für sein Bedürfniß, darum sind eigentlich die Künstler aller Art der Welt so überflüßig, wie sie gegenseitig ärmlich, zufrieden, wenn einer sie versteht unter tausenden, glücklich, wenn dieser eine keinen Ueberdruß an ihnen erlebt: Mag nur keine neue Völkerwanderung kommen, was würde von dem allen bleiben, – sicher keine Athenische Ruinen!
Wir ahnden es schon hier, was wir in unsrer Geschichte nachgehend so allgemein durchgreifend fanden, es wird wohl ein sehr allgemeines Verhältniß zur früheren Geschichte ihm Grund legen. Denken wir dem nach, auf dem dunklen schwankenden Schiffe der Gedanken, sehen wir uns um nach den Wunderblumen, nach den Wasserlilien, was die fernen Küsten umgab, da sehen wir nur eine Stelle erleuchtet, dahin sieht des Steuermanns Auge, es ist die Windrose, sie schwebet fest und wandellos und führt uns wohl weit weg. Die Erde ist umschifft, wir haben kein heimliches Grauen mehr vor dem Weltende, es liegt fest und sicher vor uns, wie unser Tod, es ist in aller Welt ein Verbinden getrennter Elemente, <welches> die innere Kraft jedes Einzelnen schwächt, nur mit höchster Anstrengung jedes Einzelnen glücklich beendigt werden kann. – Vielleicht mag dies blos allgemein seyn, und darum gar nichts, aber so ist der Uebergang immer von sich zur Welt, ich will ihn wenigstens nicht verschweigen, vielleicht daß einer ihn mit mir fand. – Zunächst hängt wohl dieses Herabsinken schönerer Bildung mit einer allgemeinen großen Erscheinung der vorigen Jahrhunderte zusammen, ich meine mit dem allgemeinen Klage- und Elend-Wesen. Dieses sonderbare Bewustseyn, wie ein Träumender läst es das Glück aus der Hand fallen, weil ihm träumet, es falle, er müsse darnach greifen und nun hält es Glück und Traum für nichts, [435] weil es ihm nicht fortdauert. Als vorzeiten die Flagellanten in Selbstgeisselung wehklagend durch alle Straßen den Strom der Vorübergehenden in ihren Ton hineinrissen *), so verstummte in dieser späteren Selbstpeinigung der Furcht noch einmal aller edle Gemüthston. Die Regierungen glaubten es ihre Pflicht diesen Jammer zu stillen, statt ihn in sich ausgehen zu lassen, aber sie waren demselben Zeitgeiste unterworfen, statt einer höheren Thätigkeit machten sie gegenthätige (antipoetische) Bemühungen, das Fieber sollte sich schwächer zeigen, indem sie die gesammte Kraft des Körpers minderten, von dem Zwecke des Fiebers hatten sie keine Vorstellung, es war ihnen ein Mißverhältniß weiter nichts. Die nothwendigen Lasten des bürgerlichen Vortheils wurden Einheimischen wie Fremden versteckt und heimlich, das Regierungwesen schien daher den Regierten dunkel und sündig. Nochmehr, es wurden ihnen Grenzen des Nothwendigen gesezt, man schnitt die Freude davon ab – so ward ihrem Leben aller Werth genommen, es entstand eine Sehnsucht nach dem Tode, an sich selbst Tod, der mit seinem Knochenarm dem Lebenden eine Fallgrube gräbt. In der Liebe ist keine Furcht, sagt Johannes, es war diese Klage über die Selbstentleibung von Deutschland, wie jene der Chrimhilde, welche immer neue Verzweiflung herbeyführte. Die Spaltung war gemacht, der Keil eingetrieben, bald sollte der Staat nicht [436] mehr für die Einwohner, sondern als ldee vorhanden seyn, manches Volk kannte seinen eignen Namen nicht mehr und wo ein Staat sich selbst geboren, da sah man, daß die andern eigentlich nur noch Namen waren. Dieses Elendseyn wurde so auffallend, wie aus wurmstichigem Holze der gelbe Staub, allen hing es an, die auch vom Holze keinen Splitter, die Sentimentalität war nur eine Färbung, ganz erscheint es in der kläglichen Sprache der niedern Stände vieler Gegenden. Weisheit wurde es den freudigen Augenblick wie Unglückszeichen zu meiden, während seiner festesten Dauer sein Vergehen voraus zu sehen, und den künftigen hellen Blick des Glückes zu trüben, mit der Erinnerung, es gab noch einen helleren. Jeder wuste über sein Leben etwas zu sagen, nur hatte keiner Leben, so wurde das Leben verachtet, der Tod gefürchtet, und die Genialität bey dieser Aermlichkeit in Völlerey gesezt *). So war diese eitle Weis[437]heit (wie die Petersburger Mägde um Schminke betteln sollen)! So wurde auf einmal die ganze Welt arm, schlechte Zeit, schlechte Sitten und Weltuntergang, verkündet in allem Frieden, in allem Ueberfluß, in allem Frühling. Weil keiner dem Drange seiner Natur, sondern ihrem Zwange nachleben wollte und konnte: so wurde schlecht Geld und kurze Ehle in Gedanken, wie auf dem Markte. Kein Stand meinte, daß er wie die Früchte der Erde durch sein nothwendiges Entstehen trefflich gut sey, sondern durch einige Taufformeln vom Zwecke ihres Geschäfts. So wollte der Adel das Blut verbessern, die Kaufleute bildeten sich ein, eigentlich nur zur sittlichen Kultur der Welt zu gehören, die Grübelnden, in ihren Worten sey Seligkeit, die aber alles verachteten, meinten es besonders getroffen zu haben. Es ließe sich viel sagen über die allgemeinen Aspekten <dieses> Phänomens, gehen wir nur in die nächste Gemähldesammlung eines alten Hauses, wie auf einmal wahre Häßlichkeit, und mahlerische Falschheit in die Welt gekommen. Wichtiger ist es, die Wirkungen dieser allgemeinen Erscheinung im Volksliede zu beobachten, sein gänzliches Erlöschen in vielen Gegenden, sein Herabsinken in andern zum Schmutz und zur Leerheit der befahrnen Straße *).
Da alles, wie wir sahen, klagend und gebrechlich erschien, [438] so verloren die Regierungen alle Achtung, alles Vertrauen zu dem Einzelnen; was nicht durch allgemeinen Widerspruch und Aufruhr sich verdammte, das schien der Aufmerksamkeit unwürdig, und dieser allgemeine Widerspruch wurde durch drückende Verbote in seiner Aeußerung, selbst dem bestgesinnten Herrscher so lange unhörbar gemacht, bis seine Wuth, nicht sein besserer Wille alles überschrieen. Wem der Zufall zu einer wirksamen Stelle verhalf, dem glaubte man einen solchen vollständigen Volksverstand angetauft, daß sich das ganze Volk in ihm ausspreche. Freilich, wenn einer nur reden darf, so redet er immer am klügsten, die Mühe verschiedene Sinne zu vereinigen, wie es in der Berathschlagung versucht, in der Gesetzgebung ausgeführt wird, ward ganz überflüßig dadurch, man verwunderte sich über das kinderleichte Regierungsgeschäft. Das Volk kam dahin, die Gesetze, wie Sturmwind, oder irgend eine andre unmenschliche Gewalt zu betrachten, wogegen Waffnen, oder Verkriechen, oder Verzweifeln diente. In diesem Sinne wurde lange geglaubt, viele zusammen könnten etwas werden, was kein Einzelner darunter zu seyn brauche, so sollte sich kein einzelner Krieger bilden, sie wurden zur Ruhe und zum nährenden Leben eingepfercht, sie musten dem ewigen Streite gegen die Barbaren entsagen. Man wollte keinen Krieger, doch wollte man Kriegsheere, man wollte Geistlichkeit, aber keinen einzelnen Geist. So wurde das Thätige und Poetische im Lehr- und Wehrstande allmählig aufgehoben, wo nicht die allmächtige Noth alle Kräfte lüftete, nur der Nährstand konnte nicht so unumschränkt vernichtet werden, nähren muste sich doch jeder, so kümmerlich es seyn mochte. Darum finden wir auch das neuere Volkslied, wo es sich entwickelt, diesem angeschlossen in mäßiger Liebe, Gewerb- und Handelsklagen, Wetterwechsel und gepflügtem Frühling. Aber so wenig die Glieder ohne den Magen, so [439] wenig war der Magen ohne die andern Glieder in jener uralten Fabel, auch der Nährstand wurde enger, freudeleerer, bedürftiger, befangener in dem Herkommen; nirgend leisteten Feld, Haus- und Werkarbeit, <wie's> ihre Bestimmung, die Nothdurft des Menschen mit geringerer Noth zu bestreiten. Die Scheidung zwischen Freude und Bedürfniß war einmal gemacht, es ist das Eigenthümliche des Bösen, wie der Krankheit, wo es erscheint, da erscheint es ganz, in ganzer Thätigkeit, das Gute hingegen und die Gesundheit wie Sterne dunkeler Nacht wird selten nicht sichtbar, dafür leuchtet sie ewig, während der fliegende feurige Drache in Funken zerstiebt. Die Bauern mochten klagen, daß ihnen alle Freude milder Gabe genommen, die singenden frommen Bettler wurden wie Missethäter eingefangen und gefangen gesezt; verkappt, still und heimlich mußte nun Armuth umherschleichen. Wenigstens hätte das doch eine aufrichtige öffentliche Untersuchung erfordert, ob wir auf der Bildungsstufe uns befinden, wo sein eigner Herr nicht seyn kann, der sich nicht selbst ernähren kann. Vielleicht würde sich finden, daß keiner mehr sein eigner Herr, daß alle bereits eingefangen in einem großen Arbeitshause: Wozu also das Arbeitshaus im Arbeitshause! – Ich greife unter dem Vielen nur heraus, was mir am nächsten. – Wo es Volksfeste gab, da suchte man sie zu entweihen durch Abnehmung alles lebendigen Schmuckes, oder durch ungeschicktes Umfassen, wobey sie ihn zerbrechen, oder bis sie gefährlich schienen in übler Nachrede. Schauspiel, Gaukelspiel und Musik, wie die Stadt sie zur Versöhnung für ihre Einkerkerung braucht, und das Land, wie es sich daran freut in dreytägiger Hochzeit, in taggleichen nachtgleichen Kirmes, alles dies wurde Eigenthum einzelner, um es besteuern zu können, und durch den einen Schritt einem strengen, äußern Drange, einer fremden Bestimmung, einem Stolze unterworfen, als [440] wäre solche Lust etwas für sich, ohne die, welche sie hören, als wären sie Meistergilden wie jene Alten *). Neue Feste konnten unter den Umständen so wenig als neue Sprüchwörter allgemein werden, die Roheit äußerte ihr überflüßiges Leben in privilegirter Unzucht. Freude und Geist blieben in einzelnen Kreisen verschlossen, ein Spott gegen die andern und selbst verspottet; die bestehenden öffentlichen Vergnügen, Maskenbälle, Vogelschießen, Einzüge wurden meistens antheillosere Formen, wie alte heilige Christbäume armer Familien, immer wieder beleuchtet, immer dürrer in Blättern. Die Volkslehrer, statt in der Religion zu erheben, was Lust des Lebens war und werden konnte, erhoben schon früh gegen Tanz und Sang ihre Stimme: wo sie durchdrangen zur Verödung des Lebens und zu dessen heimlicher Versündigung, wo sie überschrieen, zum Schimpf der Religion. Der Nährstand, der einzig lebende, wollte thätige Hände, wollte Fabriken, wollte Menschen die Fabrikate zu tragen, ihm waren die Feste zu lange Ausrufungszeichen, und Gedankenstriche, ein Komma meinte der, hätte es auch wohl gethan. Noch mehr, seine Bedürftigkeit wurde den andern Ständen Gesetz (sie musten alle zur Gesellschaft mediziniren), weil der Nährstand eines festen Hauses bedarf, so wurde jeder als Taugenichts verbannt, der umherschwärmte in unbestimmtem Geschäfte, als wenn dem Staate und der Welt nicht gerade diese schwärmenden Landsknechte und irrenden Ritter, diese ewige Völkerwanderung ohne Grenzverrückung, diese wandernde Universität und Kunstverbrüderung zu seinen besten schwierigsten Unternehmungen allein [441] taugten. Es ist genug träger Zug im Menschen gegen einen Punkt, aber selten ist die Thätigkeit, welche durch Einöden zieht und Samen wunderbarer Blumen ausstreut, zu beyden Seiten des Weges, wo er hintrifft, allen gegeben, wie der Thau, wie der Regenbogen: doch wo er, vom Winde getragen, hinreicht, da endet die unmenschliche Einöde, es kommen gewiß, die sich unter den Blumen ansiedeln, um aus ihnen Lust und Leben zu saugen. – Warum zieht es uns in Büchern an, was wir von den ersten Entdeckungsreisen, von den Weltfahrten, von ziehenden Schauspielern, insonderheit was wir von dem wunderbaren Wandel des Zigeuner-Reichs lesen, im Kriege ächte Soldaten, im Frieden zutrauliche Aerzte (dessen die gelernten sich jezt fast alle entwöhnt); ich erinnere mich noch ihrer nächtlichen Feuer im Walde, wie sie mir aus der Hand wahr sagten: Und sagten sie mir etwas Gutes, so sage ich wieder Gutes von ihnen. Wie die kleinen Zwerge, wovon die Sage redet *), alles herbeyschafften, was sich ihre stärkeren Feinde zu Festen wünschten, sich selbst mit Brodrinden des Mahles begnügend, aber einmal für wenige Erbsen, die sie aus Noth vom Felde nächtlich ablasen, jämmerlich geschlagen und aus dem Lande verjagt wurden, wie sie da nächtlich über die Brücke wegtrappelten, einer Schaafheerde zu vergleichen, wie jeder ein Münzchen niederlegen muste und wie sie ein Faß damit füllten: So danken wir die mehrsten unsrer Arzeneyen den Zigeunern **), [442] die wir verstoßen und verfolgt haben: Durch so viel Liebe konnten sie keine Heimath erwerben! –
Auch die hellen Triangel der Böhmischen Bergleute klingen den Kindern nicht mehr, am Leitbande
darnach zu treten; die treuen heilgen Drey Könige begrüßen sie nicht mehr! – Aber was rede ich
von Kindern, während die Politiker zehnmal in einer Viertelstunde zwischen Aufklärung und
Verfinsterung die Welt wenden lassen, weil es in ihre Köpfe aus allen Ecken hineinbläst,
den alten Staub zu heben und wegzutreiben, vielleicht ist in der Zeit anders geschehen, was nicht bemerkt wurde,
eben weil es geschah? – Das Wandern der Handwerker wird beschränkt, wenigstens
verkümmert, der Kriegsdienst in fremdem Lande hört ganz auf, den Studenten sucht man
ihre Weisheit allenthalben im Vaterlande auszumitteln und zwingt sie voraus darin zu bleiben,
während es gerade das höchste Verdienst freyer Jahre, das Fremde in ganzer Kraft zu
empfangen, das Einheimische damit auszugleichen. Dafür wird dem Landmann gelehrt, was er nicht braucht,
Schreiben, Lesen, Rechnen, da er wenig Gutes mehr zu lesen, nichts aufzuschreiben,
noch weniger zu berechnen hat. In der Stadt macht die körperliche Uebung drückender geistiger
Anstrengung Platz, um Kinder in die Plätze der Männer einzuschieben. Es mag verkehrt seyn
*),
wie zuweilen die Alten
[443] in den Schulen behandelt worden, aber Wahnsinn
ist es, während die Gebildeten sich ihrer als Meister rühmen und
Aeltern aus Gewohnheit ihnen wohl wünschen, daß unwissende
Vorsteher diese einzige uns übrige feste historische Wurzel ausreissen: Sind denn Kinder
Kartenblätter, die thörichte Spieler einander an den Kopf werfen? – Was erscheint,
was wird, was geschieht? – Nichts? – Immer nur die Sucht der Bösen die Welt
sich, und alles der Nichtswürdigkeit in der Welt gleich zu machen,
alles aufzulösen, was enger als ein umzäuntes Feld, an den Boden
des Vaterlandes bindet, der Gedanke, es ist derselbe Boden, auf dem
wir in Lust gesprungen. Wer so denkt, wird fest und herrlich sich
und seinen Nachkommen bauen, wem aber die Baukunst fehlt, dem
fehlt ein Vaterland. Wer nun fühlt, daß seinem bessern Leben ein
Vaterland fehlt; geh' in die Komödie, sagt mancher, da ist poetischer Genuß,
da singt's und klingts! – Aber was ist das poetischer
Genuß? – Wo das Wesen dem Leben ausgegangen, da sendet es einen Schatten zu unsrer
Furcht, daß wir uns selber nicht vergessen:
So ist unser Schauspiel vom wahren Volksschauspiel ein fratzenhafter Schatten; und kein
Volksschauspiel kann entstehen, weil es den Künsten kein Volk giebt; die äußere
Noth hat sie verbunden nicht innere Lust, sonst wäre ein Volk, so weit man deutsch am Markte
reden hört. Wisset, Künstler sind nur in
[444] der Welt, wenn sie ihr nothwendig, ohne Volksthätigkeit ist kein Volkslied und selten
eine Volksthätigkeit ohne dieses, es hat jede Kraft ihre Erscheinung, und was sich vorübergehend
in der Handlung zeigt, das zeigt in der Kunst seine Dauer beym müssigen Augenblicke. Kritik ist dann
ganz unmöglich, es giebt nur Bessermachen und Anerkennen, nichts ganz Schlechtes; unendlich viel
läst sich dann in der Kunst thun, wenig darüber sagen denn sie spricht zu allen und in allen wieder,
kein Vorwurf ist dann das Gemeine, so wenig es den Wäldern Vorwurf, daß sie alle
grün, denn das Höchste, das Schaffende wird das Gemeinste, der Dichter ein
Gemeingeist, ein spiritus familiaris in der Weltgemeine. –
Daß aber Volksthätigkeit wirklich fehle, wer zweifelt, es fehlt an Krieg, es fehlt an Frieden, eine unerschwingliche Last wälzt sich den Söhnen auf! – Daß ich klage, werden Sie sagen, was ich selbst als die höchste Lästerung des Jahrhunderts angeklagt; wer kann sich freymachen allein, aber drein wettern möchte ich können mit Fluch und Blitz: Blau Feuer, sagte der wackere Schärtlin, alle Kopisterey und Kortisaney zerrissen, wir würden alle reich! Seit ich denken kann, merke ich einen immer langsamern Gang menschlicher Thätigkeit, wie die Stunden der Ruhe und Nahrung einander verdrängen und beeinträchtigen, so haben alle Leidenschaften und Liebhabereyen ihre kürzere Periode, geringeren Grad; die meisten springen von ihrem Geschäfte ab, wie dürres Holz vom Heerd, ja viele dringen nie bis zu der Einigkeit der Welt mit sich vor, wo eines sie erfüllen und befriedigen kann, das sind die sehnenden, wähnenden Embryonen von Menschen, wenigen ist Jugend, wenigen Alter. Wie die Balken unsrer Decken heutiges Tags von einem sonst unbekannten Schwamme verschwächt werden, so werden die Menschen um uns plötzlich hohl und leer, da sie noch kaum angefangen zu [445] tragen und zu stützen, zu leisten und zu streben. Wo seyd ihr versunken? Ihr liegt verloren im Allgemeinen, im Weltmeere mit tausend Schätzen. Den Störchen möchte ich zuwinken: Bleibt weg, holt keinen aus dem großen Wasser auf die Welt, er sehnt und treibt sich doch wieder hinein, wie es auch ebbend vor seinem Fuße fliehen mag. Aber es giebt nur einen Teufel und viel Engel, ist wohl noch Rettung, ist die Wahl nur eure Qual? – Ob sich etwa die Welt ausruht zum Ausserordentlichen? Das Speculiren, was so ernsthaft genommen wird, macht es wahrscheinlich, denn dies ist der Traum der Thätigkeit, nur der Morgenträume sind wir uns bewußt. Wenn ich Abends im Wintersturm beim Schauspielhause *) vorüberziehe, wo Licht und Leben erloschen, ich denke wohl, die stille Uhr über den langwierigen Stunden wird einmal anschlagen, der hohe Dekkel sich eröffnen vom Sarge, die Larve wird durchbrochen von einem bunten Chor, die neue Bande aufsteigen, ausfliegen durch das Land, fliegen auf allen Tönen, alle erwecken, die schon schlafen gegangen! Das Eis hält lange, ehe es bricht und trägt viel, aber wer nur einmal über das glatte Eis durch alle wunderbare Bahnverschlingungen seiner Vorläufer fest dahingefahren, wo seine Augen den Schein der Sonne vor sich her springen sahen, er ahndet das freudige Leben im freyen Strom – zu schwimmen darin, zu segeln darauf, hindurch dem rauchenden Hirsche nachzureiten, dann bey ihm auszuruhen im Grünen, die Sterne darin zu sehen, kommen und untertauchen in ewiger Witterung. Ja, wer nur einmal im Tanze sich verloren und vergessen, wer einen Luftball ruhig wie die Sonne emporziehen [446] sah, den lezten Grus des Menschleins darin empfing, der jemals vom jubelnden Taktschlage der Janitscharen hingerissen, einen Feind gegen sich, den muthigen Freund neben sich glaubte, der die Reiter auf Wolken gegen sich ansprengen sah, unwiderstehlig, wie ein Tompetenstoß den mächtigen Strom hemmte; der etwa gar im Sonnenscheine einer Kriegsflotte Anker-Lichten sah, wo wenige Augenblicke hinreichten voll Weben und Leben auf Masten und Stangen, diese goldenen Schlösser und Gallerieen, alle wie Flossen eines Fisches ruhig in das luftbegrenzte Meer hinschwinden zu sehen, alles Dinge, die uns umgeben, uns begegnen, der muß an eine höhere Darstellung des Lebens, an eine höhere Kunst glauben, als die uns umgiebt und begegnet, an einen Sonntag nach sieben Werktagen *), den jeder fühlt, der jedem frommt. Und wären sie tausendmal nicht gehört, es brauchen nur einmal, wenn dieser Tag gekommen, und diese Morgenstunde, alle Thürmer herunterposaunen zu dem Liede der Schüler, zu den Glocken, wie wir auch sanft ruhen, wir werden doch lieber erwachen, da wird alles anspringen, da wird die Last sich heben, wie die Anker bey dem einfachen Liede der Matrosen, wenn sie nur alle zusammen singen. Was ich hoffe ist kein leerer Traum, die Geschichte hat es so oft bewährt, wie das reine Streben der Menschen in gewissen Perioden siegend und singend hervortritt, Kunstwerke gefunden, erfunden und höher verstanden werden! Wer kann sich enthalten, zu glauben, wo er in eine heisse Glashütte tritt, einige rothe Netze um ihn ziehen, andere mächtig das Glas für ihn aufblasen, was da aus dem rothen Feuer durchsichtig werde, sey ein Jubelbe[447]cher, ihn im heißen Netze zu kühlen: und ist es nun gekühlt, so ist es ein elendes gebrechliches zitterndes Singglas, kein Glas wobey er singen kann. Es sind der Singgläser doch endlich genug gemacht, wir werden endlich alle zusammenschlagen zum Pokal<!> Bricht aus den Springkugeln dazu die Spitze, daß sie zu Staub zerfallen, in dem lange schon die große Zahl der Dichter, Schauspieler und Sänger scheinlebend umherverkauft wurde. – Hört nur, wie die Zugvögel schön singen dem neuen Frühling; da ziehen schon die wackern Handwerksgenossen mit Bündel und Felleisen in langen Reihen über den Weg; wie sie zusprechen bey ihrem Zeichen; wie die Fensterscheiben und das goldene Schild vom echten Grundbaß erzittern, wo sie singen ist keine Halbstimmigkeit, wo Deutsche gebraucht werden, von London bis Moskau und Rom, kein halbsinniges Lied:
Frisch auf, ihr Bursche! wandert mit,
Holt Bündel und Felleisen,
Doch eh wir mit dem lezten Schritt
Der Stadt den Rücken weisen,
Schenk Mädchen uns noch Kuß und Wein,
Drauf mit der Sonn zu reisen.
Liebesrose, Lied 18.
Es ist mir wohl begegnet im Herbste, wenn schon alles fast still und abgefallen, einen dichten krausen Baum mit sich umrungenen Aesten, von Staaren wie durchdrungen, klingen und gleichsam auffliegen zu sehen, so sangen mir deutsche Handwerker lüftend ins Herz bey dumpfer Nachtluft holländischer Kanäle, ein kleines Segel flatterte von ihrem Gesange, an bunten Bändern schien das Schiff schneller fortgezogen. Wer hat so etwas nicht öfter erlebt und sey es auch nur im Traume? So hörte ich auch über die Londonbrücke Hannöversche Flüchtlinge: ein freyes Leben – hinsingen, als ich mit Sehnsucht nach meinem [448] Vaterlande den Wasserspiegel herabsah, da schien mir auch jener Boden befreundet mit seiner zornigen rothen Abendsonne. – Noch nicht ganz erdrückt von der ernsthaften Dummheit die ihr aufgebürdet, lebt euch das fröhliche gesangreiche Symbol des werkthätigen Lebens, die Freimaurerey. Noch stehen mitten inne als Künstler und Erfinder der neuen Welt die herrlichen Studenten; sie heften die höchsten Blüthen ihrer frischen Jahre sich an den bezeichnenden Hut und lassen die farbigen Blätter hinwehen weit über Berg und Thal und in die Wasser. – Auch die Bänke der rauchenden Wachstuben werden nicht immer von den Musen gemieden, und wenn sie auch zuweilen nicht hinein können, so sehen sie doch nach ihrem Lieblingssitz durch die Fenster: wenn die überwachte Schildwache Nachts ein schauerliches Anschlagen der Gewehre hört, sie spielen mit den blanken schnellfertigen, lebendigen Gewehren. Es wird eine Zeit komrnen, wo die drückende langweilige Waffenübung allen die höchste Lust und Ehre, das erste der öffentlichen Spiele, höchste Kraft und Zierlichkeit zu einem Tanze verbunden ausdrücket. Für jede Thätigkeit giebt es einen Preis, wer diesen kennt, hat jene. Wer hat es erlebt, was den Schwindelnden auf glattem Stege hält, unter ihm brauset der Strom, Felsen und Bäume drehen sich über ihm, – ein mächtiger Marsch hält ihn, fällt er ihm zur rechten Zeit ein, und aller Schwindel verschwindet, wie die Tritte hinter seinem Rücken. So begreift man Taillefers Gesang, der in jener berühmten Schlacht bey Hastings, England für Wilhelm eroberte, indem er die unerschütterliche Ordnung der Sachsen durchschrie. So mag auch wohl die Macht der <runischen> Verse gewesen seyn. Wir begreifen nun leicht, wie unsere gebildetere Zeiten bey der Vernachläßigung des ärmeren Lebens (denn das sind die unteren Klassen jetzt) so viele leere Kriegslieder entstehen sahen, während jeder der früheren deut[449]schen Kriege in dem gemeinsamen Mitwirken Aller zu großer That herrliche Gesänge hervorrief. Wer hat es je vor- oder nachgedichtet, was Zinkgref *) aus aller braven Landsknechte Mund im öden dreissigjährigen Kriege, lehrend uns zu Gemüthe führt:
Drum gehe tapfer an, mein Sohn, mein Kriegsgenosse,
Schlag ritterlich darein, dein Leben unverdrossen
Fürs Vaterland aufsez, von dem du frey es auch
Zuvor empfangen hast, das ist der Deutschen Brauch.
Dein Herz und Auge laß mit Eifers Flamme brennen,
Kein menschliche Gewalt wird dich vom andern trennen.
Es weht von deinem Haupt die Fahne bald hinweg,
Der Jugend Uebermuth, der Unordnung erweckt.
Kannst du nicht fechten mehr, du kannst mit deiner Stimme,
Kannst du nicht rufen mehr, mit deiner Augen Grimme
Den Feinden Abbruch thun in deinem Heldenmuth,
Nur wünschend, daß du theur verkaufen mögst dein Blut. **)
Im Feuer sey bedacht, wie du das Lob erwerbest,
Daß du in männlicher Postur und Stellung sterbest,
An deinem Ort bestehst fest mit den Füßen dein,
Und beiß die Zähn zusamm und beyde Lefzen ein.
Daß deine Wunden sich lobwürdig all befinden,
Da vorne auf der Brust, und keine nicht dahinten,
[450] Daß dich dein Feind der Tod im Tod bewundernd zier,
Dein Vater im Gesicht dein ernstes Leben spür.
Mein Sohn, wer Tyrannei geübriget will leben,
Muß seines Lebens sich freiwillig vor begeben,
Wer nur des Tods begehrt, wer nur frisch geht dahin,
Der hat den Sieg und dann das Leben zu Gewinn.
Ja wir fühlen es, wie die Sprache unter dem gewaltigen Triebe in solchen Punkten sich weitet, wir sehen dagegen die ruhige sinkende Erde asiatischer Steppen in der stillen Versteinerung (Steinfermentation) allmählig allem lebenden Eindrucke sich verschließen, jene Freiheit alter Sprache, die Starrheit der heutigen, sie sagen mehr, als ich sagen mag. Doch dieses wie so manches andere wunderbare Lied ist aus den Ohren des Volkes verklungen, den Gelehrten allein übrig blieben, die es nicht verstehen, alle Volksbücher sind so fortdauernd blos von unwissenden Speculanten besorgt, von Regierungen willkührlich leichtsinnig *) beschränkt und verboten, daß es fast nur ein Zufall, oder ein hohes Schicksal, wie uns so manches Wunderschöne in diesen Tagen angemahnt hat, zu fühlen und zu wissen, zu ahnden, zu träumen was Volkslied ist und wieder werden kann, das Höchste und das Einzige zugleich durch Stadt und Land **). [451] Aber in den Gelehrten, wie sie vom Volke vergessen, so liegt gegenseitig in ihnen der Verfall des Volks, das tiefere Sinken der Gemüther, die Unfähigkeit mit eigenwilliger froher Ergebenheit dienen und mit unbesorgtem allgemeinen Willen zu befehlen, ja bis zur Unfähigkeit des Vergnügens, was die tiefste Entartung andeutet, die fast aufgegebene Freiheit des Lebens. – Die Gelehrten indessen versassen sich über einer eigenen vornehmen Sprache, die auf lange Zeit alles Hohe und Herrliche vom Volke trennte, die sie endlich doch entweder wieder vernichten oder allgemein machen müssen, wenn sie einsehen, daß ihr Treiben aller echten Bildung entgegen, die Sprache als etwas Bestehendes für sich auszubilden, da sie doch nothwendig ewig flüssig seyn muß, den Gedanken sich zu fügen, der sich in ihr offenbahrt und ausgießt, denn so und nur so allein wird ihr täglich angeboren, ganz ohne künstliche Beihülfe. Nur wegen dieser Sprachtrennung in dieser Nichtachtung des besseren poetischen Theiles vom Volke mangelt dem neueren Deutschlande großentheils Volkspoesie, nur wo es ungelehrter wird, wenigstens überwiegender in besondrer Bildung der allgemeinen durch Bücher, da entsteht manches Volkslied, das ungedruckt und ungeschrieben zu uns durch die Lüfte dringt, wie eine weisse Krähe: wer auch gefesselt vom Geschäfte, dem läst sie doch den Ring niederfallen des ersten Bundes. Mit wehmüthiger Freude überkömmt uns das alte reine Gefühl des Lebens, von dem wir nicht wissen, wo es gelebt, wie es gelebt, was wir der Kind[452]heit gern zuschreiben möchten, was aber früher als Kindheit zu seyn scheint, und alles, was an uns ist, bindet und lößt zu einer Einheit der Freude. Es ist, als hätten wir lange nach der Musik etwas gesucht und fänden endlich die Musik, die uns suchte! –
Es wird uns, die wir vielleicht eine Volkspoesie erhalten, in dem Durchdringen unserer Tage, es wird uns anstimmend seyn, ihre noch übrigen lebenden Töne aufzusuchen, sie kommt immer nur auf dieser einen ewigen Himmelsleiter herunter, die Zeiten sind darin feste Sprossen, auf denen Regenbogen Engel niedersteigen, sie grüßen versöhnend alle Gegensätzler unsrer Tage und heilen den großen Riß der Welt, aus dem die Hölle uns angähnt, mit ihrem Zeigefinger zusammen. Wo Engel und Engel sich begegnen, das ist Begeisterung *), die weiß von keinem Streit zwischen Christlichem und Heidnischem, zwischen Hellenischem und Romantischem, sie kann vieles begreifen und was sie begreift, ganz, und rein, ein Streit des Glaubens wird ihr Wahnsinn, weil da der Streit aufhört, wo der Glau[453]be anfängt; noch wahner der Streit über Kunst *), welche nur ein Ausdruck des ewigen Daseyns. Wo Kugel auf Kugel trift, da sinken beyde einträchtig zusammen, wie die Hexameter zweyer Homeriden. – Wen die Musik nun einmal wirklich berührt, den drängt und treibt sie etwas aufzusuchen, was nicht Musik **), worin sie ihre vorübereilende Macht binden kann. Im Alterthume scheint die Musik der Plastik näher verbunden, vor den Götterbildern tönend zu erscheinen, war ein Fest, die Memnonseule ist uns ein Symbol dafür; vielleicht war Musik eben so in der Zeit der Mahlerey dieser sehr <nahe>; allgemeiner ist Musik und ursprünglicher (bey uns besonders an den Ufern der Donau) dem Tanze, (am Rheine) dem Worte verbunden ***). Der deutsche Tanz, das einfache Zeichen der Annäherung, Verbindung und Aneignung wächst an den Ufern der [454] Donau, bis zur reichsten inneren Bedeutsamkeit im oberösterreichischen Ländrischen, die Musik wächst und wetteifert mit ihm in hoher Erfindsamkeit und der Sinn beschränkt sich immer fester auf die gemeinschaftliche eigne Bildung des Volks *). Es ist nicht jene wohlige frohmüthige Zärtlichkeit durch Schwaben und Oesterreich, die uns in den unzerrissenen Gegenden des Rheins ergreift, es ist öfter ein Spott der Liebe in der Liebe, ein Uebermuth, der sich verzagt stellt, ein Kind das sich vor unsern Augen hinter einen Strauch stellt, heraus rufend: Wo bin ich? So ist Melodie und auch ihr Wort, wo sie zu Worten kommt, in der Liebe (die sich selbander Einsamkeit ist), beym Weine, beym Jagdtreiben, auf Wallfahrten, oder wo das Alter die Sehnen der Füße abspannt:
Es ist nit lang, daß es g'regnet hat,
Die Bäumli tröpfle noch,
Ich hab einmal ein Schätzl gehabt,
Ich wollt ich hätt es noch.
Dagegen singen wohl die Jungen:
In dem Wasser schnalzt der Fisch,
Lustig wer noch ledig ist.
Was von den Sizilianern erzählt wird, die spielende Freudigkeit, in der alles zum Liede wird und ohne die Nichts ein [455] Lied, die findet sich fast dort allein, wo ein Blat mit Reimen, die sie an Bildern, oder in Jagdbüchern absuchen *), jung und alt erfreut. Als zwey eigenthümliche Wiederklänge dieses Sinns, welche statt zu wiederholen, die Worte umkehren sind die tiefgefühlten Berglieder der Bayrischen und Tyroler Alpen zu hören, so auch die rein witzigen Lieder, wie sie zur Zeit des Faschings in den Tanzkellern der Wiener Vorstädte umgehen, die kommen und gehen wie die Wünsche, wie die Sorgen der Zeit, ohne der Ewigkeit eingedruckt zu werden **). –
[456] Vom Tanze verlassen in der Sommereinsamkeit, zu einfach anderer Kunst singt der Hirte an den Quellen des Rheins dem ewigen Schnee zu:
Ist noch ein Mensch auf Erden,
So möcht ich bey ihm seyn.
So klingen die Quellen des Rheins hinunter, dann immer neuen Quellen und Tönen verbunden, vom lustigen Neckar angerauscht, ein mächtiger Strom, der von Mainz mit dem weinfröhlichen singenden Mayn verbunden, nur geschieden von ihm durch Farbe, doppelstimmig die vergangene Zeit in heutiger Frische umschlingt, eine sinnreiche Erinnerung für uns. Staunend saß ich da unter den lustigen Zechern im vollen Marktschiffe, sah drey wunderlichen <Musikern> mit immer neuem Liede zu, jeder ihrer Züge eine alte ausgespielte Saite, jeder ihrer Töne ein ausgebissen Trinkglas, ewig hin und zurück geht das Schiff, ihre Wiege, ihr Thron, sie sinds, die diese arme wüste Marktwelt (wie Kraut und Rüben unter einander geworfen) zu einem wechselnden, lauten und stillen Gedanken-Chore verbinden, daß neben ihnen die ruhigen reichern Dörfer wie unerreichbare Sterne und Monden, ohne Sehnsucht, ohne Preis vor[457]überschwimmen. Das Wunderbare hat immer einen fremden Uebergang, der Zauberstab unterscheidet sich erst von einem gewöhnlichen Stabe nur durch die Farbe, so mag auch diese Kunst uns nur vorbereiten auf jene höhere am Rheine, der endlich ermüdet vom wechselnden Reiz, wie das Gold im Sande sich verliert. Hier zwischen den Bergen beym Ostein leben noch alle die hochherzigen Romanzen, die Herder und Elwert gesammelt *), viel schönere noch, die eben nur selten gehört werden, weil sie nur selten wahrhaft sich fügen; sie sind in dem Munde der meisten Schiffer und Weinbauern gleich der pastorella gentil, der zingarella und ähnlichen in Italien. Wie die Jacht mit den Reisenden durch das Wasser schäumt, in jeder Uferkrümmung von den Trümmern der Vorzeit einen Wiederhall aufruft, so wechseln die Lieder, und wo sie aussteigen:
Der Kukuk mit seinem Schreyen,
Macht fröhlich jedermann,
Des Abends fröhlich reihen
Die Maidlein wohlgethan,
Spazieren zu den Brunnen,
[458] Bekränzen sie zur Zeit,
All Volk sucht Freud und Blumen,
Mit Reisen fern und weit.
Kennst du das Land wo die Zitronen blühen? Italien ist entdeckt, wo der Wein reift an allen Orten. Und als ich im mittelländischen Meere schiffte, der Schiffer sein Lied sang auf alles, was uns traf, Windstille und Seekrankheit, bis ihm der Sturm das Lied von der Lippe blies, da floß der Rhein. Ganz besonders ist es aber der Rhein, wenn sich die Winzer zur schönsten aller Ernten im alten Zauberschlosse der Gisella, Nachts versammeln, da flammt der Heerd, die Gesänge schallen, der Boden bebt vom Tanz:
Da droben am Hügel
Wo die Nachtigal singt,
Da tanzt der Einsiedel,
Daß die Kutt in die Höh springt.
Viele der Singweisen deuten auf einen untergegangenen Tanz, wie die Trümmer des Schlosses auf eine Zauberformel deuten, die einmal hervortreten wird, wenn sie getroffen und gelöst. Durch die lustige Schaar der Winzer zieht dann wohl ein Frankfurter mit der Guitarre, sie sammeln sich um ihn, sie staunen dem König von Tule, der Becher stürzt in den Rhein, der Ernst ihres Lebens wird ihnen klar, wie wir klar sehen in wunderbaren Gedanken durch dunkle Nacht. – Wo Deutschland sich wiedergebiert, wer kann es sagen, wer es in sich trägt, der fühlt es mächtig sich regen. – Als wenn ein schweres Fieber sich löst in Durst, und wir träumen das langgewachsene Haar in die Erde zu pflanzen, und es schlägt grün aus und bildet über uns ein Laubdach voll Blumen, die schönen weichen den später schöneren, so scheint in diesen Liedern die Gesundheit künftiger Zeit uns zu begrüßen. Es giebt oft Bil[459]der, die mehr sind als Bilder, die auf uns zuwandeln, mit uns reden, wäre so doch dieses! Doch bewährt die tiefe Kunstverehrung unserer Zeit, dieses Suchen nach etwas Ewigem, was wir selbst erst hervorbringen sollten, die Zukunft einer Religion, die dann erst vorhanden, wenn alle darin als Stufen eines erhabenen Gemüths begriffen, über das sie selbst begeistert ausflorirt. In diesem Gefühle einer lebenden Kunst in uns wird gesund, was sonst krank wäre, diese Unbefriedigung an dem, was wir haben, jenes Klagen der Zeit. Wir denken umher und werden aufmerksam, wie so vieles uns nimmer abgestoßen, wenn wir es nicht verkehrt angezogen, wie der größere Theil der Welt, eine fremde Atmosphäre, durch unsere Luft hätte hindurch gehen können, für uns unschwer, für uns unwarm, keine Macht über uns habend, als unsere Furcht davor. Große Kunst des Vergessens, in dir scheidet sich alle fremde Pestilenz von unsrer Heimath, fort mit dem Fremden im Fremden, die Welt klimatisirt sich uns, fort mit dem Fremden im Einheimischen! Nur darum ist Italien uns Italien, weil es kräftig genug war, lange das Fremde zu übersehen: von seinen Schauspielen her klingen noch die Lieder allen durch die Gassen, und die Handwerker, die vor den Thüren arbeiten, lernen sie den Vorübergehenden ab, Eitelkeit kennen sie dabey nicht, denn sie kennen die Freude darin. Da mag die Musik wohl den giftigen Biß der Tarantel heilen. – Darum kann ich auch der Engländer nicht zürnen, die über eine Ministerveränderung kaum aufmerken, während ein italienisches Musikwunder im höchsten Glanze vor ihnen erscheint, sie müsten ihr Höchstes opfern, wenn sie diese Göttergunst erhalten wollten. Hören sie doch mit herzlicher Theilnahme jedem rothbemäntelten Weibe an der Strasenecke zu, das von Maria von Schottland singt, jagen sie doch dem Jagdhorn eifrig nach und regen die Füße, wo die schotti[460]sche Sackpfeife sich hören läßt. Nein, eine höhere Musik giebt es wohl nicht, als die der Matrosen von Lord Nelsons Sieg, wie sie die Hüte schwenken und die Stimmen, daß die Wolken verziehen von ihrem Konzertsaale, wo Wagenrollen der Akkord und Grundbaß. Ich denke mir dabei die Worte des Kaisers: *) "Heiliger Gott! Heiliger Gott, was ist das? Der ein hat eine Hand, so hat der andre ein Bein, wenn sie dann erst zwo Händ hätten und zwey Bein, wie wollt ihr dann thun?"
Noch lehrreicher ist vielleicht die Zusammenstellung der Walischen
Bardengeschichte mit den Schottischen Sängern
**).
Jene lebten in
einer festen Kunstverbindung, hatten vieljährigen Unterricht, Ehre,
Fürstengunst, aber seit sie von der Religion geschieden, treten ihre Gesänge fast nur im
äussersten Elende schön und rein hervor; das nur läutert sie zur Wahrheit,
dagegen entstanden bey ihnen sonst
nur lächerliche Streitigkeiten für Harmonie gegen Melodie, Machtsprüche und alles das
kritische Elend, was nachahmend auch bey uns
über der Poesie
***)
schwebt.
[461] Nur da geachtet, wo sie recht und ganz
gehört wurden, ohne Kunstregel und Schule blieben die Schottischen
Bänkelsänger dem Großen und der Erfindung treu, so konnte ihnen auch die Form nicht fehlen.
Die Wälischen klagten immer, die Kunst sterbe aus, sie war aber schon in ihnen ausgestorben; die Schotten
hatten viel Größeres zu klagen und zu freuen, denn die Kunst lebte
ihnen; bey jenen mußte ein Gesez den Schülern verbiethen, ihre
Lehrer in der Begeisterung nicht zu rupfen und auszulachen; diese brauchten keinen solchen wunderlichen
Anlauf zur Poesie, wer dichtete, dem war dies Natur und Leben, wobey er keine Gesichter
schnitt. Die Lieder der Wälischen konnten durch einen tollen Eroberer fast vertilgt werden, diese
Schottischen leben sich noch aus dem Herzen des Volks in den Mund unsterblich. – Wenn nun so
einfache leichte Kunst viel wirkt, wie kommt es, daß oft die schwere gehäufte sogenannte Kunst
nichts leistet? Wer nicht das Höchste
will, kann auch das Kleinste nicht; wer nur für sich schafft in stolzer
Gleichgültigkeit, ob es einer fasse und trage, wie soll er andre erfassen und ergreifen; wer
nur um jenes Völkchen buhlt, das immer läuft und klappert, sich immer was zu sagen hat
und eigentlich nie etwas sagt; sie gleiten beide ab, nicht weil die Welt wirklich Eis,
sondern weil sie die beyden Eispole aufsuchen. – Auch müssen wir oft denken, es ist unendlich
leicht, recht künstlich zu scheinen, wenn man das Leichte schwer und das Schwere leicht nimmt;
doch was ist dieser Schein? Er wäre das Wesen, wenn es nicht
er[462]schiene
*).
Solch eine Spiegelung nach oben nach unten, wie sie leer, so vorübergehend ist sie, und doch geht
darin Morgenstrahl und Leben, Aussicht und Hoffnung auf, ein ewiges geistiges Menschenopfer. Sehe
jeder nur frey und ganz, wie er gestellt, und einer ist dem andern nothwendig, keinem ist das astralische
Verhältniß entzogen, jeder ist ein Künstler, der das mittheilen kann, was ihm eigenthümlich
im All, die andern zu erklären. Dem aber sind die Aspecten besonders günstig, dem ein
wichtiges allgemeines Wirken mühlos vorbereitet, der ohne Arbeit erndtet und alle ernährt
im gottähnlichen Leben: So wird es dem, der viel und innig das Volk berührt, ihm ist
die Weisheit in der Bewährung von Jahrhunderten ein offnes Buch in die Hand gegeben, daß er
es allen verkünde, Lieder, Sagen, Sprüche, Geschichten und Prophezeihungen, Melodieen
**),
er
[463] ist ein Fruchtbaum, auf den eine milde Gärtnerhand weiße und rothe Rosen eingeimpft zur
Bekränzung. Jeder kann da, was sonst nur wenigen aus eigner Kraft verliehen, mächtig in das Herz der
Welt rufen, er sammelt sein zerstreutes Volk, wie es auch getrennt durch
Sprache, Staatsvorurtheile, Religionsirrthümer und müßige Neuigkeit, singend zu einer
neuen Zeit unter seiner Fahne. Sey diese Fahne auch nicht gestickt mit Trophäen, vielleicht nur
das zerrissene Segel der schiffenden Argonauten, oder der versezte Mantel eines armen Singers
*),
wer sie trägt, der suche darin keine Auszeichnung, wer ihr folgt, der finde darin seine
Schuldigkeit, denn wir suchen alle etwas Höheres, das goldne Flies, das allen gehört, was
der Reichthum unsres ganzen Volkes, was seine eigene innere lebende Kunst gebildet, das Gewebe
langer Zeit und mächtiger Kräfte, den Glauben und das Wissen des Volkes, was sie begleitet in Lust
und Tod, Lieder, Sagen, Kunden, Sprüche, Geschichten, Prophezeihungen und <Melodieen>, wir wollen
allen alles wiedergeben, was im vieljährigen Fortrollen seine Demantfestigkeit bewährt,
nicht abgestumpft, nur farbespielend geglättet, alle Fugen und Ausschnitte
hat zu dem allgemeinen Denkmahle des größten neueren Volkes, der Deutschen, das Grabmahl
der Vorzeit, das frohe Mahl der Gegenwart,
der Zukunft ein Merkmahl in der Rennbahn des Lebens: Wir wollen wenigstens die Grundstücke
legen, was über unsre Kräfte andeuten, im festen Vertrauen, daß die nicht fehlen
werden, welche den Bau zum Höchsten fortführen und Der, welcher die Spitze aufsetzt
allem Unternehmen. Was da lebt und wird und worin das Leben haftet, das ist doch weder von heute,
noch von gestern, es war und wird und wird seyn, verlieren kann es sich nie, denn es
[464] ist, aber entfallen kann es für lange Zeit, oft wenn wir es brauchen, recht
eifrig ihm nachsinnen und denken. Es giebt eine Zukunft und eine Vergangenheit des Geistes,
wie es eine Gegenwart des Geistes giebt, und ohne jene, wer hat diese?
Berlin im Januar 1805.
Ludwig Achim von Arnim.
Herr Kapellmeister Reichardt hat einen Theil des vorstehenden Sendschreibens in seiner geachteten
musikalischen Zeitung bekannt gemacht; er forderte bei dieser Gelegenheit von mir den Abdruck des
Ganzen. Wie erfreulich ist es mir, etwas zu thun, was ihm lieb und würdig schien, indem
ich zugleich für den Zweck dieser Betrachtungen der Volkslieder durch die Sammlung aus dem
Wunderhorne mitwirke. Von dieser unsrer Sammlung kann ich nur mit ungemeiner Neigung reden,
sie ist mir jezt das liebste Buch, was ich kenne, nicht was mein Freund Brentano und ich dafür
gethan, ungeachtet es gern geschehen, sondern was innerlich darin ist und weht, die
frische Morgenluft altdeutschen Wandels. Wär ich ein Bienenvater, ich würde sagen, es war
der lezte Bienenstock, er wollte eben wegschwärmen, es hat uns wohl Mühe gemacht,
ihn im alten Hause zu sammeln, bewahrt ihn, stört ihn nicht, genießt seines Honigs wie
recht. Unrecht ist es, für die einzelne Schönheit einer Gegend aufzuwecken, den sie in schönere
Träume vertieft, darum kein näheres Wort über die bedeutende Schönheit jedes einzelnen dieser
Lieder, blos literarische Merkwürdigkeit ist meines Wissens keins, jedes athmet, pulsirt
in sich, lauter frische, spielende, ringende Kinder, keine hölzerne Puppen, die selbstechte
Dichter, aus Angewohnheit des Bildens, ihren echten Kindern nachmachen. –
Dem verständigen Leser wird dies zum aufmerkenden Lesen genügen; was die Recensenten anbelangt, sie
lesen dies so wenig als das übrige, wir lesen sie dafür eben so wenig, so sind wir miteinander
im ewigen Frieden.
Heidelberg im Juli 1805.
[Die Anmerkungen stehen als Fußnoten auf den in eckigen Klammern angegebenen Seiten]
[426] *) lch verstehe hier unter Sentimentalität das Nachahmen und Aufsuchen des
Gefühls, das Schauspielen mit dem Edelsten, was nur im Spiele damit verloren gehen kann,
nicht verstehe ich darunter jene Sentimentalität, das
menschliche Gefühl wie es im Einzelnen sich ausdrückt, wogegen die
Neuntödter, die philosophischen Schüler wohl schreiben (auch wohl wirken,
wenn kein lebendiger Volksgeist es aufhebt), und darinn zusammen
kommen, mit der ersten schimpflichen Sentimentalität zu demselben Mittelpunkte,
zur Seligkeit eines Steins in Unempfänglichkeit und Unfruchtbarkeit der Lust.
Keine Schule ist hiemit besonders bestimmt, sondern alle,
denn wie die Begeisterung der Pythia mit Ermattung verbunden, so den
Philosophen die Schüler. Die Philosophen [427] sind ewige Nilmesser einer entwichenen
Gottesfluth und Erhebung, ihre Schüler wollen aber das Unmögliche leisten,
zu messen was nicht mehr vorhanden ist.
zurück
[429] *)
Ich kann mich nicht enthalten die wunderbar herrliche Vorrede Georg Forsters zu seinen
frischen Liedlein, Nürnberg 1552., als eines meiner liebsten
Herzblätter zur Erläuterung des Gesagten mitzutheilen.
"Freundlicher lieber Singer, und der edlen Musik Liebhaber. Es sind in
einigen Jahren unter andern Gesängen so bisher gedruckt worden, mancherley Teutsche
Liederbüchlein durch den Druck ausgegangen, wie aber
die zum Theil seyn, will ich denen, so des Gesanges einen Verstand haben
zu bedenken geben.
Ich übergebe mein Liederbüchlein, damit alte Teutsche Lieder, so doch noch,
wenn ich sagen dürfte, schier die besten sind, sammt ihren Meistern, welche
mit der Musik auferzogen, umgegangen, und ihr Leben damit beschlossen
haben, nicht ganz und gar vergessen, und an ihrer statt nicht viel ungereimte neue Kompositionen,
die doch gar keine rechte Teutsche liederische Art
haben, gebraucht würden; sondern daß ich auch die mit solchen schlechten
Liedern zerstörte, schöne und liebliche Kunst der Musik, welche bey den Alten ehrlich,
und in großen Würden gehalten, möchte erhalten und fördern.
Insonderheit dieweil bey allen Fröhlichkeiten und Kurzweilen, frische gute
Teutsche Lieder zu singen, oder auf den Instrumenten zu brauchen gebräuchlich:
Durch welches denn viel unnützes Geschwätz, unflätisch Zutrinken,
darzu zänkisch und haderlich Spielen, und andere Laster möchten
verhindert werden. Wie ich denn oft von einem trefflichen theuren Manne
gehört habe, als er sagt, daß unter allen Kurzweilen, damit man die Zeit
zu vertreiben führt, er kein göttlichere, ehrlichere, und schönere [430] Kurzweil
wüste, denn die liebliche Musik, daß alle andere Kurzweile, als Spielen,
Fechten, Ringen, Springen, dahin gericht wären, daß sich ein jeder nur
aufs beste befließe, damit er dem, mit welchem er solch Kurzweil übet,
möchte überliegen, angewinnen, und zu bevortheilen, daraus denn mancher
Unrath und Zank und Hader entspringe. Die Musik aber hat kein
andres Fürhaben, denn daß sie gedächte, wie sie
nur die Einigkeit der Stimmen mit allem Fleiß
möchte erhalten, und aller Mißhellung wehren."
Der schönen Auswahl dieses Mannes dankt unsre Sammlung mehrere der
besten Lieder, woraus zu ersehen, daß Verdienst nicht untergehen kann.
zurück
[431] *) Lorenz Medicis (Life of Medicis by Roscoe I. 296.) der in der Welt zu
Hause, wie ein andrer in seinen vier Wänden, verstand den Werth des Dialekts und schrieb
zuerst in der Bauernsprache seines Landes.
zurück
[435] *) Herr Koch, dem ich bey dieser Gelegenheit für manche literarische Mittheilung meinen Dank
abstatte, bemerkt den Einfluß der Flagellanten auf den Untergang vieler weltlicher Lieder in seinem schätzbaren Handbuche.
Sie entstanden während der großen Pestzeiten. Merkwürdig ist, daß in
zwey sehr verschiedenen Chroniken, in der Straßburger und der Limpurger, immer dasselbe ganz
schlechte Lied von ihnen angeführt wird. Vielleicht stammen aus den damaligen Gesinnungen
die allgemein verbreiteten Todtentänze.
zurück
[436] *) Es würde angenehm lauten, alles durchzugehen, was zu verschiedenen Zeiten genialisch genannt
worden, wo aus dem zersplitterten Geiste der lebende Baum entwickelt wurde:
Kennen doch viele erst seine Festigkeit aus dem Gewichte, wodurch es zerreißt. Dem Takte nach sezte man Genie
in schnelle, stoßweise, wenn gleich noch so unbedeutende Produktion, in pralende Schwatzhaftigkeit,
und unvermögende Planmacherey, sein Boden schien der Schmutz jeder Art, den Vorüberziehenden
muste es seine Früchte auf den Kopf fallen lassen, in allem Sturm seine Blätter
schlaff und jämmerlich senken, in der Ruhe immer rauschen, als wenn ein Sturm ginge.
Die Vögel die zutraulich darauf nisteten tückisch hinunter werfen, schnell empor in
falsches unbrauchbares Holz muste es schießen, um schnell zu
fallen. Wer verwundert sich nach solchen Antichristen Talent verhaßt, Nichtigkeit geehrt
zu finden. Die Wortspielerey unsrer Zeit hat Kunst und Genie einander entgegengesezt;
viel Kunst und wenig Genie, wird von den
elendesten Nachahmereyen gesagt. Keiner ist ohne Genie, wenn gleich manche Werke der <Kunst>
ohne sind, der eine kann die Tropfen zählen, dem andern ists ein Platz[437]regen, der
eine steht im Nordlichte, der andre siehts in der Ferne. Wenn Genie das Schaffende genannt werden kann, so
ist Kunst die Art der Erscheinung dieses Geschaffenen. Genie ohne Kunst, wäre Luft ohne
Beschränkung, Kunst ohne Genie wäre ein Punkt ohne alle Dimension.
zurück
[437] *) Die verkehrten Versuche einiger Gutgesinnten zur Herstellung und Ermunterung des Volksliedes
durch Sammlungen, die weder den niedern Ständen gefielen, noch die höheren <befriedigten>,
übergehe ich, meine Achtung in gleichem Sinne ihrem Sinne zu bezeugen.
zurück
[440] *) Sie tragen viele vortreffliche Instrumente bey sich, warum verachten sie Landesinstrumente,
wie den Dudelsack: den Hochländern nahm man das Schwerdt, weil sie gewöhnlich das Gewehr
wegwarfen und damit fochten, auf den Schiffen weiß man es jezt wieder zu gebrauchen.
zurück
[441] *) Otmars Volkssagen. Bremen 1800. S. 327. Eine Sammlung aus einem kleinen Flecken von Deutschland,
die bis auf einzelne Zusätze und Wortüberfluß als Muster ähnlicher aufgestellt
werden kann. Es ist wie eine neue Welt schöner Erfindung, aber von den meisten vergessen, weil es
weder Veilchensyrup noch Teufelskost, sondern weil es uns führt zu den Veilchen, auch wohl in die
Behausung des Teufels.
zurück
[441] **) Ihr Lehrling war Paracelsus.
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[442] *) Wenn ich es verkehrt <nenne>, wie die Alten in vielen Schulen betrieben, so ist es meine
Erfahrung. An allen Orten des Altdeutschen war nichts, des Lateins zu viel, des Griechischen zu wenig.
Verkehrt nenne ich der Annäherung-Schulen nationale Geschichte, das Eigenste des Volks den
Alten nachzubilden, da doch diese nur wegen dieser erschöpfenden Nationalität vortrefflich sind.
Bis jezt sind unsre Chroniken unsre einzigen Historiker, alle andern in conventioneller
Ziererey und Ansicht versunken, und diese werden in Schulen eben so wenig zugelassen, als die
nationalen epischen Gedichte, ja es möchte den meisten Schulmännern sehr wunderlich noch vorkommen,
wenn ich ihnen die Volkslieder als lehrreicher zur Dekla[433]mation als alle Hallersche Gedichte aufstellte.
Aber wie die Jungen in unsrer Zeit ganz alt unter einander thun müssen, um in die Gesellschaft
der Alten geführt zu werden, und in aller Schlechtigkeit sich früh abzuglühen, so
impft man ihnen einen ästhetischen Ausschlag früh ein, die natürliche Verehrung und
das Gefühl dessen zu unterdrücken, was wir selbst nur im glücklichen Augenblicke
hervorzubringen vermögen. So möchte freylich mancher dieser Knaben mit
edler Herablassung dieser Lieder lächeln.
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[445] *) Dies bezieht sich auf den eigenthümlichen sargartigen Bau des neuen Berliner Schauspielhauses,
an andern Orten haben sie vielleicht die Form nicht, aber denselben todten Inhalt, wie viele haben auch nicht die Uhr
über der Scene, aber dieselbe Langeweile.
zurück
[446] *) Der gewöhnliche Sonntag wird jezt auch in die Arbeit hinein gerissen, darum sieben Werktage,
der Kalender ist wirklich nicht in Frankreich allein geändert.
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[449] *) Phil. von Sittewald Strafschriften. II. B. S. 573.
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[449] **) Bey dem theuren Blutverkaufen der alten Landsknechte ist die Vergleichung mit den heutigen von
Land zu Land sich stehlenden und angeworbenen Soldaten sehr traurig; jene kannten ganz den Werth ihres Lebens,
ließen es sich wohl bezahlen, dienten ihre Zeit mit Ehre, dem Tode mit Bewustseyn, –
diese stürzen sich für einen frischen Trunk in einen frischen Rock, und sehen beym Eintritt
in das Thor, wie sie hinauslaufen können, wenn der Krieg sie überrascht, als welchen sie
gar nicht ansehen mögen.
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[450] *) Es wäre mir leicht einige zu nennen, bey denen recht gute kräftige alte
Bücher verboten, die seichtesten dafür eingeführt, doch hilft das nichts,
vielleicht hilft ihnen diese Betrachtung, um schlechte moralische Komödien-Lieder und Schriften dem
Volke nicht weiter aufzudringen, daß keiner über das Heiligste schlecht schreiben kann,
der nicht selbst schlecht ist, sie werden dann auch den Widerstand des Volks gegen neue Gesangbücher
verstehen lernen.
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[450] **) Warum Tiek vor allen frühern Bearbeitern und Herausgebern ein unsterbliches Verdienst
zukommt, das wird jedem mitfühlenden Leser seine herrliche Einleitung zu den <Lalenbürgern>
bewähren; nicht Neugierde, sondern reiner Sinn für ihren Werth bestimmte ihn, er hielt das Große
[451] vom Gemeinen frey. Ich würde der beiden Jahrgänge des von Nicolai besorgten
feinen Almanachs
mit Lob erwähnen, wenn nicht durch die angehefteten schlechten Spässe,
wunderliche Schreibart und Ironie gegen Herder die Wirkung dieser schätzbaren Sammlung aufgehoben worden.
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[452] *) Sie weiß nichts davon, daß die Alten das Schöne gesucht und die Neuen
das unterlassen: Ob es wohl einer kann lassen das Schöne nicht zu finden,
oder es kann finden, wenn er es sucht! Alles was mit Lust im Gemüthe sich
aufthut und findet ist schön, sey es Himmel oder Hölle, nur das Zufällige
ist häßlich, aus kindischen Strichen wird nie ein Apollokopf, und ein Mahler der aus
willkührlichen Punkten Gruppen zeichnet, macht höchstens eine Klingenprobe seines Genies, so der
Dichter aus Endreimen. Der Mahler benutzt was ihm die Erfahrungen über die Farben geben, der Farbe in
seinem verschlossenen Auge sich zu nähern, der Dichter was ihm die Sprache
giebt, schaffend im widerstrebenden Stoff, der Reimer legt witzig zusammen, was lange schon vorhanden,
er leimt eine Blume aus verschiedenen
Blättern zusammen, die Fugen nennt er Originalität, die Leute verwundern sich erst darüber,
dann sehen sie, daß alles daran welkt.
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[453] *) Assonnanz und andre Aeußerungen der Spracheinigung sind den Gebildeten
bis auf unsre Zeit fremd gewesen, von den simpeln Recensenten verspottet,
von ihren Freunden geheimnißvoll angepriesen, das Volkslied hat sie ohne Anmaßung,
erkennt sie ohne Zwang, und zeigt sogar ihren besseren Gebrauch in Werken, die nicht für die
Assonanz gewirkt sind, sondern nur in der Assonanz werden konnten.
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[453] **) Sie hat in der Erfindung der Harmonie ein eichenfestes Haus sich erbaut, nicht in der Harmonie,
wie sie in Büchern steht, sondern wie sie im Kopfe guter lnstrumental-Komponisten, oder solcher
Tonkünstler klingt, welche die Stimme als lnstrument gebraucht haben, in Kirchenmusiken. Daraus
folgt aber nicht die Nothwendigkeit dieser Harmonie, wo die Musik wieder im Worte gebunden erscheint.
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[453] ***)
Aus einem sehr erklärlichen Misverständnisse bey denen, die einer der Künste nur
mächtig sich gern <genügen> wollten, entstand musikalische Poesie und poetische Musik,
wenn aber etwas Poesie werden könnte, wäre es nicht Musik geworden, und umgekehrt.
Diese beyden edlen Sinne des Geistes befinden sich dabey wie in der
Fabel Storch und Fuchs bey gleicher Schüssel.
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[454] *) Wie nur sehr große Künstler andre fremde Meisterwerke lieben können,
so hat auch der Haufe dort eine Abneigung gegen fremdartige Musik. So
lieb es mir wäre, wenn der gute Geist der Zeit am Wiedermusiziren der Volkslieder sich rechtschaffen
übte, so traurig ist mir, daß ich viele der besten Volksmelodieen aus
Unkenntniß nicht mittheilen kann, weil doch
vielleicht nur eine große innere Melodie für jedes vorhanden, ob die früher
oder später einem Menschen ins Ohr fällt, das kann keiner sagen, aufhorchen kann jeder.
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[455] *) Ein trefflicher Aufsatz über Arbeits- Handwerks- Kinderlieder und Tanzlieder, der
besonders den Unterschied zwischen dem deutschen Tanze und dem Reihentanze, so wie die eigene Natur
des Schleifers mit Enthusiasmus entwickelt (im Bragur III. T. S. 207-284.) ist leider nicht vollendet, viele
der dort erwähnten Lieder wünschte ich gerne ganz mittheilen zu können.
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[455] **) Doch zur Probe einige aus dem Jahre 1802.
1) Aus einem räthselhaften Quodlibet, oder eine Kaskonade:
Potz tausend, schaut fort läuft die Katz,
Geh Plasl lauf, halts auf,
Ein jeder Mensch hat seinen Schatz,
In diesem Lebenslauf.
Als d' Jungfer noch ein Jungfer war,
Hats keine mehr seyn mögen,
Ich wust es alles auf ein Haar,
Ihr Pelz der hing voll Regen.
2) Aus einer Beschreibung der Neuigkeiten im Prater:
Auch ist eine Hütte, wie ihr wohl wißt,
Da läst man sich wägen, wie schwer als man ist,
Ich ging auch einmal hin,
Z' wissen, wie schwer ich bin?
Der Kerl war ein Flegel, er sprach: Hörts der Herr,
Sie sind gewiß ein Schneider und sind gar nicht schwer.
[456] Wer damit nicht zufrieden, noch mehr sehen will,
Geh grade von da aus zum Ringlspil,
Da drehen sich zwey und zwey
Rund herum in der Reih,
Oft schreien die Medeln, nicht gar so geschwind,
Es ist nicht wegen meiner, es ist wegens Kind.
Das Verhältniß dieser Lieder zu den Nationalopern
der dortigen Vorstädte, wird schon aus diesen Proben fühlbar, die meisten
dieser Singespiele sind der Anlage nach schön, ungeschickt und leer in der Sprache,
gewöhnlich aber nur durch Fortsetzungen unangenehm.
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[457] *) Ungedruckte Reste alten Gesanges von Elwert. Marburg 1781. wo er dieselben Lieder als Herder mittheilt,
sind sie besser, Herder konnte sich der
Kritik nicht entladen. Elwert sagt sehr klar: Der Mensch nur, der im wehenden Abendwind den Schlafgesang der
Vögel belauscht, nur der konnte in voller Wehmuth zum Liebchen seufzen: Wenn ich ein Vöglein wär und
nur zwey Flügel hätt, flög ich zu dir. Aber es kamen andre Zeiten und die
Volkslieder erstarben in meinem Kopfe unter dem Wuste von wissenschaftlichem Unkraute. Alle Blumen in euren
Gärten sind Kinder des Feldes und Waldes. Sie hatten sanfte Farben von der Natur, aber sie luxurirten zulezt
und wurden oft grell durch überflüßigen Saft. Tausend solcher Sträußer
blühen im hohen Grase, unsre Gelehrten stolpern vorbey, indem sie die hohen Felsen messen,
Thürme, Städte und all die großen Wunder der Natur anstaunen.
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[460] *) Götz von Berlichingens ritterliche Thaten. S. 117.
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[460] **) Vergl. Relicks of the Welsh Bards by Ed. Jones.
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[460] ***) Zur Ehre der Deutschen kann man sagen, daß sie nicht Erfinder dieser
Höllenkünste der Rezensirbuden und des kritischen Waschweibergeschwätzes sind,
ungeachtet dergleichen Mode bey ihnen insonders gefaßt. Doch
sind hiebey immer noch wie ein Wirthshaus erster Klasse von einem der
vierten zu unterscheiden, die ernsthaften Dikasterien, wo freylich auch oft die Akten über Stadtneuigkeiten
vergessen werden, von den telegraphischen Büreaus aller literarischen Misere durch ganz Deutschland. Dem
freyen Sinne für Kunst und Wissenschaft sind auch diese lezteren an sich
lieb als Wiedererscheinung einer gewissen Gelehrsamkeitseinbildung, die wohl jedem als Kind der Gelehrsamkeit
vorausgeht, aber dieser freye Sinn ist selten, der größte Theil der Leser nimmt an Kunst und Wissenschaften
gar keinen Theil, ihn reizt nur das Handelnde, das Bewegliche [461] in den Gelehrten, er kommt endlich zu der
wohlgefälligen Meinung, daß die ganze Gelehrtenrepublik nichts als ein Ameisenhaufen sey, der alles belaufe,
kneife und beschmutze, um einigen armseligen Weihrauch zusammen zu bringen.
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[462] *)
Der Schein, was ist der, dem das Wesen fehlt?
Das Wesen, wär es? Wenn es nicht erschiene?
Göthe's Eugenie.
Auch das ist wahr, jedes an seiner Stelle.
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[462] **) Diese Sammlung sey dem Leser eine Probe von dem, was wir wünschen.
Wer der Gelegenheit und Lust ermangelt, was er entdeckt, bekannt zu
machen, dem erbiethen wir uns, mein Freund Clemens Brentano in
Heidelberg und ich in Berlin (abzugeben im Viereck n. 4.) zur schnellen
Herausgabe. Die zahlreichen Schweizer-Lieder (beym Staubbach wurden
mir unzählige gesungen, aber ich konnte keines verstehen und herausbringen), verdienten ganz
besonders eine treue Aufzeichnung von einem würdigen Gelehrten des Landes, es giebt
große Heldengedichte noch unter dem Volke, so liest ein alter Mann in Meiringen ein sehr merkwürdiges Gedicht
über die Entstehung des Völkchens den Reisenden vor. Sehr willkommen
würden mir klargedachte Zeichnungen zu diesen Gedichten seyn, die in
ihrer gestaltreichen bestimmten Darstellung dem Zeichner ein Schatz von
Erfindung seyn können, wenn er ihn besprechen und heben kann. Ihn aufmerksam auf solche einzelne
Bilder zu machen, würde vielleicht das Vergnügen rauben und ihm nur die Arbeit lassen.
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[463] *) Vergl. die Zueignung des Buches.
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Druckvorlage
Des Knaben Wunderhorn.
Alte deutsche Lieder gesammelt von L. A. v. Arnim und Clemens Brentano.
Bd. 1.
Heidelberg u. Frankfurt: Mohr u. Zimmer 1806, S. 425-464.
Editionsrichtlinien.
Des Knaben Wunderhorn online
Kommentierte und kritische Ausgaben
Erstdruck
Berlinische Musikalische Zeitung.
Jg. 1, 1805:
Nr. 20, S. 80
Nr. 21, S. 83
Nr. 22, S. 86-88
Nr. 23, S. 90-91
Nr. 26, S. 103.
URL: https://digipress.digitale-sammlungen.de/
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/101949921
URL: https://archive.org/details/BerlinischeMusikalischeZeitungBd.11805 [1805]
URL: https://archive.org/details/BerlinischeMusikalischeZeitungBd.21806 [1806]
Kommentierte Ausgabe
Literatur: Arnim
Brandmeyer, Rudolf: Poetiken der Lyrik: Von der Normpoetik zur Autorenpoetik.
In: Handbuch Lyrik. Theorie, Analyse, Geschichte.
Hrsg. von Dieter Lamping.
2. Aufl. Stuttgart 2016, S. 2-15.
Büttner, Urs: Poiesis des 'Sozialen'.
Achim von Arnims frühe Poetik bis zur Heidelberger Romantik (1800 - 1808).
Berlin u.a. 2015 (= Studien zur deutschen Literatur, 208).
Buschmeier, Matthias: Theo-Philologie.
Ludwig Achim von Arnims Von Volksliedern.
In: Sprache und Literatur 40 (2009), H. 103, S. 77-92.
Duff, David: Romanticism and the Uses of Genre.
Oxford 2009.
Duff, David (Hrsg.): The Oxford Handbook of British Romanticism.
Oxford 2018.
Fambach, Oscar: Der romantische Rückfall in der Kritik der Zeit.
Die wesentlichen und die umstrittenen Rezensionen aus der periodischen Literatur
von 1806 bis 1815, begleitet von den Stimmen der Umwelt. In Einzeldarstellungen.
Berlin 1963 (= Ein Jahrhundert deutscher Literaturkritik. 1750 – 1850. Bd. V).
Mit umfangreicher Dokumentation zur Aufnahme des "Wunderhorns".
Genette, Gérard: Paratexte.
Das Buch vom Beiwerk des Buches.
Frankfurt a.M. 2001 (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft, 1510).
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Kontroversen um Volksdichtung in den Heidelbergischen Jahrbüchern und ihrem Umkreis.
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Edition
Lyriktheorie » R. Brandmeyer