Text
Editionsbericht
Literatur
Lyrisches Gedicht,
wörtlich übersetzt, ein
Leiergedicht,
d. i. ein Gedicht, welches zur Leier
gesungen wird. Allein da sowol die Leier bei uns ein verächtliches
Tonwerkzeug geworden ist, als auch der Umstand, daß man diese Gedichte
ehemahls mit der Leier zu begleiten pflegte, kein wesentliches Kennzeichen
dieser Dichtart abgeben kann; indem nicht nur zu einigen Arten derselben
auch die Flöte gebraucht, sondern auch wol andere, als
lyrische
Gedichte, mit der Leier begleitet wurden: so kann jene wörtliche Übersetzung ihres
ehemahligen Namens jetzt nicht mehr für eine schickliche Benennung derselben
gehalten werden. Sulzer und andere haben gezeigt, daß
Fülle der Empfindung, die in Gesang ausbricht,
das Wesen dieser Dichtart ausmache. Dem zufolge
müßte man sie entweder
Empfindungsgedichte
oder
Singgedichte
nennen. Allein
diese letzte Benennung ist schon, für Cantate üblich; es bliebe daher nur jene
erste übrig; allein, genauer betrachtet, eignet auch sie sich nicht dazu, die
lyrischen Gedichte von andern Dichtungsarten gehörig abzusondern; denn alle andern
Gedichte haben es ja auch mit Empfindungsdarstellungen zu thun.
Alles wohl erwogen, scheint mir unser
Gesang
die beste Deutsche Benennung dafür zu sein. Denn, daß der Sprachgebrauch dieses
Wort (insofern es das, was gesungen wird, und nicht die Handlung des Singens bezeichnet)
im gemeinen Leben schon zu einer Benennung der Kirchengesänge insbesondere
gestempelt hat, scheint dem Versuche, es in jener allgemeinern Bedeutung für
lyrisches Gedicht
überhaupt, gebräuchlich zu machen, kein unüberwindliches Hinderniß in den Weg zu legen.
Irgend ein tonangebender Dichter brauchte nur eine Sammlung von lyrischen Gedichten
unter dem Titel:
Gesänge,
herauszugeben; und wir brauchten uns nur zum Gesetz zu machen,
überall, wo von Gesängen zum Kirchengebrauche die Rede ist, uns der bestimmteren
Benennung,
Kirchengesang,
zu bedienen: so würde jener alte Volkssprachgebrauch sich nach und
nach verlieren, und dieser neue an seine Stelle treten.
Erstdruck und Druckvorlage
Wörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unserer Sprache
aufgedrungenen fremden Ausdrücke.
Ein Ergänzungsband zu Adelungs Wörterbuche.
Zweiter Band F - Z.
Braunschweig: In der Schulbuchhandlung 1801, S. 450.
Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck
(Editionsrichtlinien).
PURL: https://hdl.handle.net/2027/uc1.a0012925574
URL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10711894
PURL: http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN556271092
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