Friedrich Gottlieb Klopstock

 

 

Von der Sprache der Poesie

 

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Literatur: Klopstock
Literatur: Klopstock-Rezeption
Literatur: Der nordische Aufseher

 

[221] Die Sprache meines zweyten Vaterlandes, und diejenige, in welcher ich schreibe, haben so viel Aehnliches miteinander, daß ich mir schmeichle, folgende Anmerkungen werden denen nicht mißfallen, welche die deutsche Sprache lieben, wenn sie gleich ihre mütterliche noch mehr lieben. Vielleicht theile ich ihnen auch über den Ausdruck der dänischen einige Gedanken mit, wenn ich mit ihren Eigenschaften noch bekannter geworden bin.

Ich weiß nicht, ob es wahr ist, was man in vielen Büchern wiederholt hat, daß bei allen Nationen, die sich durch die schönen Wissenschaften hervorgethan haben, die Poesie eher als die Prosa zu einer gewissen Höhe gestiegen sey. Soviel ist unterdeß gewiß, daß keine Nation weder in der Prosa noch in der Poesie vortrefflich geworden ist, die ihre poetische Sprache nicht sehr merklich von der prosaischen unterschieden hätte.

Die Griechen, und wer wird ihnen den vollkommensten poetischen Ausdruck absprechen? unterschieden diesen von dem prosaischen nicht allein auf alle Arten, auf welche es Nationen [222] von Geschmack immer gethan haben; sie giengen noch weiter, und thaten es selbst durch den veränderten Klang der Wörter. Eben das Wort, das auch in Prosa gebräuchlich war, wurde, durch eine Sylbe mehr oder weniger, durch Hinzusetzung, Wegnehmung, oder Verändrung eines Buchstabens, zum poetischen Worte gemacht.

Die Römer ahmten den Griechen zwar in dieser letzten Unterscheidung der Prosa und der Poesie nur selten nach; aber wie sehr ist gleichwohl der Ausdruck des Cicero und des Virgil unterschieden?

Nach der langen Barbarey sind die schönen Wissenschaften zuerst nach Italien gekommen. Wer weiß nicht, daß die italienische Sprache, diese älteste Tochter der römischen, auf die meisten Vorrechte ihrer Mutter Anspruch macht? Sie hat eine nicht geringe Anzahl Wörter, die der Poesie allein gewidmet sind. Der Vers berechtiget sie, den Klang der Wörter zu verändern; und sie ist ungemein biegsam, jeder Wendung eines poetischen Gedankens zu folgen.

Die Franzosen, welche die Prosa der Gesellschaften, und was derselben nahe kömmt, mit der meisten Feinheit und vielleicht am besten in Europa schreiben, haben ihre poetische Sprache unter allen am wenigsten von der prosaischen unterschieden. Einige von ihren Genies haben selbst über diese Fesseln geklagt, die sich die Nation von ihren Grammaticis und von ihren Petitsmaitres hat anlegen lassen. Unterdeß [223] würde man sich sehr irren, wenn man glaubte, daß ihre Poesie gar nicht von ihrer Prosa unterschieden wäre. Sie ist dieß bisweilen sehr, und wenn sie es nicht ist; so haben wir wenigstens das Vergnügen, da, wo wir bey ihnen den poetischen Ausdruck vermissen, schöne Prosa zu finden: ein Vergnügen, das uns diejenigen unter den Deutschen selten machen, welche an die wesentliche Verschiedenheit der poetischen und der prosaischen Sprache so wenig zu denken scheinen.

Ich würde den poetischen Ausdruck der Engelländer für den stärksten, und für denjenigen halten, der sich, den griechischen und römischen ausgenommen, am meisten von der Prosa unterschiede; wenn sie nicht so viele fremde Wörter, und mit ihnen alle Nebenbegriffe derselben in ihre Sprache aufgenommen hätten. Diese Nebenbegriffe bey den aufgenommnen Wörtern zu denken, ist mindstens denen unter den Engelländern und Fremden unvermeidlich, welche die Sprachen kennen, aus denen jene Wörter entlehnt sind. Ich gebe zu, daß die englische Sprache gleichwohl auch viel Eignes habe, und ich rechne unter dieß Eigne selbst den neuen Schwung, den sie den ausländischen Wörtern manchmal zu geben gewußt hat; allein man wird, auf der andern Seite, auch nicht leugnen können, daß ihr neuer, kühner und glücklicher poetischer Ausdruck, den Nebenbegriffen der aufgenommnen oft sehr prosaischen Wörter, nicht selten unterliege.

Es ist schon lange her, daß Luther die Deutschen durch die Art, auf welche er die poetischen Schriften der Bibel über[224]setzt hat, von dem Unterschiede der prosaischen und poetischen Sprache hätte überzeugen können. Aber sie haben von diesem grossen Manne überhaupt weniger gelernt, als sie von ihm hätten lernen sollen. Opitz hat sie nach ihm an jenen Unterschied von neuem erinnert; Haller noch stärker: allein sie scheinen noch immer daran zu zweifeln.

Wenn man alle Stufen des prosaischen Ausdrucks hinauf gestiegen ist; so kömmt man an die unterste des poetischen. Die höchste prosaische und die letzte poetische scheinen sich ineinander zu verlieren. Es ist dem Redner, wenn er in seinem stärksten Feuer ist, nicht allein erlaubt; sondern er muß sich auch einige Schritte höher erheben, als er gewöhnlich soll. Auch der Poet darf, nachdem ihm die Personen, die er aufführt, oder die Sachen, die er vorstellt, dazu Gelegenheit geben, sich ein wenig weiter herunterlassen, als es ihm überhaupt zu thun erlaubt ist. Allein niemals dürfen sie auf beyden Seiten zu weit gehn. Doch die Regeln, wie weit sie gehn, und nicht gehn sollen, gehören zu meiner Materie nicht.

Um dasjenige, was ich sagen werde, genauer zu bestimmen, muß ich gleich Anfangs anmerken, daß ich von dem Unterschiede der Gedanken und Empfindungen nicht rede, die der prosaische Scribent, und derer, die der Poet vor andern ausdrücken soll. Wenn ich dies thun wollte; so würde ich vor allen festsetzen: Daß es Gedanken und Empfindungen, oft nur einen gewissen Grad, eine Wendung, eine Art von Ausbildung derselben gibt, die allein in der Poesie; und an[225]dre, die nur in Prosa gebraucht werden müssen. Dieß weiter auszuführen, würde aus zwo Ursachen überflüssig seyn. Der gute Poet weiß es schon; und Leser von Geschmack finden Wahrheiten von dieser Art lieber in Gedichten selbst, als in Untersuchungen der Kritik. Ich werde daher nur von dem Ausdrucke dieser verschiednen Gedanken und Empfindungen etwas weniges sagen. Ich gebe zugleich zu, daß noch vieles, welches ich unberührt lasse, davon gesagt werden könne.

Wenn man den Gedanken hat; so wählt man das Wort, welches ihn ausdrückt. Wenn wir das rechte Wort nicht wählen; so tun wir eben das, was derjenige thut, der durch eine Mine etwas sagen will, und dem die Mine mislingt. Es ist dem Zuschauer oder dem Leser unangenehm, daß sie uns entweder nicht genung verstunden, oder daß sie die vergebne Mühe bemerkten, mit der wir uns bestrebten, uns zu erklären.

Die Poesie soll überhaupt vielseitigere, schönre und erhabnere Gedanken, als die Prosa, haben. Wenn wir sie ausdrücken wollen; so müssen wir Wörter wählen, die sie ganz ausdrücken. Hier finden wir gleich Anfangs eine nicht geringe Anzahl, von denen wir gar keinen Gebrauch machen können. Sie haben in dem Munde des Volks allen ihren Nachdruck verloren, oder sie haben niemals einigen gehabt. Die Sprache hat also für den Poeten weniger Wörter, und dieß ist der erste Unterschied der Poesie und der Prosa. Wir finden ferner viele Wörter, die zwar, in dieser oder jener Art der Poe[226]sie, noch edel genung wäre, die es aber für die Art, in der wir arbeiten, nicht sind; ein neuer Unterschied, mindstens für diejenigen, die in jener Art der Poesie schreiben. Wie werden wir diesen Mangel ersetzen? Denn wir haben nun wirklich eine ärmere Sprache. Noch eine Anmerkung; so ist sie es noch mehr. Gewisse Wörter sind zwar edel genung; aber wir können sie, wegen ihres Uebelklangs, oder auch wegen des Sylbenmasses, das wir gewählt haben, nicht brauchen.

Die edlen und für die Poesie vorzüglich brauchbaren Wörter sind, fürs erste, diejenigen, die keine niedrige oder lächerliche Nebenbegriffe veranlassen. Der Richter von der Niedrigkeit oder dem Lächerlichen der Nebenbegriffe ist allein der Geschmack. Die Franzosen finden vieles lächerlich, das es nicht ist. Wir treffen hier den rechten Punkt, wenn wir ihnen, in einer gewissen Entfernung, folgen.

Ferner sind für die Poesie vorzüglich brauchbare Wörter, die wirklich etwas sagen, und nicht nur zu sagen scheinen. Mich deucht, die Deutschen können bey dieser Untersuchung nie zu sorgfältig seyn. Ihre Sprache hat wirklich noch eine nicht geringe Anzahl von Wörtern dieser Art.

Es ist nicht nöthig, zu sagen, daß Wörter von ausgemachter Stärke unter die für die Poesie brauchbarsten gehören; allein es möchte vielleicht nicht überflüßig seyn, die Deutschen zu erinnern, daß diejenigen Wörter, die mit Ge[227]schmack zusammen gesetzt sind, unter die von ausgemachter Stärke zu zählen sind. Es ist der Natur ihrer Sprache gemäß, sie zu brauchen. Sie sagen sogar im gemeinen Leben: Ein gottesvergeßner Mensch. Warum sollten sie also den Griechen hierinnen nicht nachahmen, da ihnen ihre Vorfahren schon lange die Erlaubniß dazu gegeben haben?

Der poetische Ausdruck soll sich nicht immer, besonders in gewissen Dichtarten, durch die Stärke unterscheiden; er kann dieß auch oft, nachdem ihn der Gedanke dazu veranlaßt, durch angenehme und sanfte Wörter thun. Unterdeß verdient keine von Horazens Anmerkungen öfter wiederhohlt zu werden, als diese: Ihr sucht angenehm zu seyn; und ihr seyd ohne Nerven, ohne Seele!

Die deutsche Sprache, die nun anfängt gebildet zu werden, hat noch neue Wörter nöthig. Ich rechne unter die neuen auch einige wenige veraltete, die sie zurücknehmen sollte. Aber, durch die Neuheit an sich selbst erhält ein Wort keine Vorzüge. Ausser dem, daß sein Schicksal sehr von der ungezwungnen Ableitung oder Zusammensetzung abhängt; so befördert, oder hindert auch seine Aufnahme die Güte oder Unbrauchbarkeit des Stammworts, von welchem es entstanden ist. Sogar eine zu nahe Verwandtschaft mit einem andern Worte von niedriger Bedeutung, kann dem neuen Worte schaden. Himmling hätte man nicht wagen sollen, weil dem Leser Himmeln dabey einfallen könnte. Wenn ein Deutscher aus einem Alten einen Ausdruck, der

[228] ein Bild zeigt, bloß übersetzt und dazu in seiner Sprache ein ebenso edles Wort wählt, als Virgil, oder Homer in der seinigen gebraucht hatte; so kann derjenige, der ihn mit Recht tadeln will, nur folgendes anführen. Ihm misfällt entweder das Bild selbst; oder er tadlet den Dichter, daß es sich in seine Stelle nicht so gut schickt. Ist keyne von beyden seine Ursache; so ist er verdrießlich darüber geworden, daß fusus im Deutschen hingegossen heißt. Ausser den bisher angeführten Eigenschaften guter Wörter, sie seyn neu, oder schon aufgenommen, kömmt es noch sehr, wenn sie gut bleiben sollen, auf die Stelle an, wo sie stehn. Sie sind dem Gedanken, den sie ausdrücken sollen, alsdenn erst angemessen, wenn sie an der rechten Stelle stehn. Der Leser macht besonders hier eine beständige, zwar sehr schnell gedachte, aber dennoch genaue Vergleichung zwischen dem Gedanken und dem Worte. Er fühlts, was wir haben sagen wollen, was wir gesagt, und was wir nicht gesagt haben.

Die Anmerkungen, die ich bisher über die Güte der Wörter gemacht habe, gelten zwar größtenteils auch von der Prosa; allein es ist die Pflicht des Dichters, sie mit noch genauerer Sorgfalt zu beobachten.

Wenn er mit der Wahl der Wörter glücklich gewesen ist; so erhebt er sich auch, durch die veränderte Ordnung derselben, über die Poesie. Nur selten sind die Leidenschaften, welche die Prosa ausdrückt, so lebhaft, daß sie eine nothwendige Veränderung der eingeführten Wortfügung er[229]fordern. Die Poesie erfordert dieselbe oft. Denn die Abschilderung der Leidenschaften ist dasjenige, was in einem guten Gedichte herrschen soll. Die Regel der zu verändernden Wortfügung ist die: Wir müssen die Gegenstände, die in einer Vorstellung am meisten rühren, zuerst zeigen. Die Stellen, wo in dem Gedichte die Einbildungskraft herrscht, sollen ein gewisses Feuer haben, das sich der Leidenschaft nähert. Eine neue Ursache, die Wörter anders, als nach der gewöhnlichen Ordnung der Prosa, zusammen zu setzen. Doch dürfen wirs hier nicht mit gleicher Kühnheit tun. Eine fast unmerkliche Verändrung der Wortfügung möchte auch denen Stellen manchmal angemessen seyn, wo wir zwar vornehmlich beschäftigt sind, den Verstand zu unterhalten, aber uns auch erinnern, daß wir es als Poeten tun müssen. Bisweilen darf uns sogar der dadurch zu erreichende Wohlklang veranlassen, die Wörter zu versetzen. Ich meine nicht, daß es geschehen soll, den Vers bloß zu machen; sondern ihm durch diese Hülfe eine gewisse glückliche Wendung zu geben.

Aber nicht allein die Wahl guter Wörter, und die geänderte Verbindung derselben unterscheiden den poetischen Perioden von dem prosaischen. Es sind noch verschiedne von denen anscheinenden Kleinigkeiten zu beobachten, durch welche Virgil vorzüglich geworden ist, was er ist.

Ich nehme an, daß die Wörter des Perioden und die Ordnung derselben, der Handlung, die der Periode aus[230]drücken soll, gemäß sind. Aber gleichwohl gefällt er noch nicht genung. Hier ist eine Redensart, wo nur ein Wort seyn sollte. Und nichts tödtet die Handlung mehr, als gewisse Begriffe in Redensarten ausdehnen. Es kann auch bisweilen das Gegentheil seyn. Hier sollte eine glückliche Redensart stehen. Der Gedanke erfordert diese Ausbildung. Dort sind die Partikeln langweilig, welche die Glieder des Perioden fast unmerklich verbinden sollten. Sie sinds, unter andern, wenn sie zu viel Sylben haben. Ein: dem ungeachtet, könnte die schönste Stelle verderben. Sie sinds ferner, wenn sie da gesetzt werden, wo sie, ohne daß die Deutlichkeit, oder der Nachdruck darunter litte, wegbleiben konnten. Das doch, mit dem man wünscht, gehört vornehmlich hierher. In einer andern Stelle stand die Interjection nicht, wo sie stehen sollte. Das Ach fing den Perioden an; und es hätte glücklicher vor den Wörtern gestanden, welche die Leidenschaften am meisten ausdrücken. Ein andermal hat der Verfasser nicht gewußt, von welcher Kürze, und von welcher Stärke das Participium gewesen seyn würde. Darauf hat er es wieder gesetzt, wo es nicht hingehörte.

Wenn in den poetischen Perioden zu diesen Fehlern noch die beyden größern kommen, daß die Hauptwörter theils nicht gut gewählt, theils nicht nach der Natur der Handlung geordnet sind, so haben wir eine Statüe, die weder Bildung noch Stellung hat. Alles ist kraftlos und ohne Charakter. Die eine Hand ist zu groß; der eine Fuß zu breit. Die Gelenke sind geschwollen. Sie hat nichts Fleischiges, [231] kein Leben. Gleichwohl sehn wir, daß der Hauptgedanke des Künstlers gut war. Aber er ist unter dem Ausdrucke erlegen. Die besten Gedanken sind in der Gefahr, auf diese Art verdorben zu werden.

In vielen poetischen Schriften, welche die Deutschen noch nicht zu lesen aufhören, sind diese Fehler beinahe gar nicht vermieden worden. Es sind nur wenige, in welchen man nach den Grundsätzen, davon ich einige angeführt habe, gearbeitet hat. Allein diese wenigen haben die Sprache noch nicht völlig so bilden können, wie sie, nach ihrer Natur, gebildet werden sollte. Die Mittel, die zu diesem Zwecke näher führen könnten, scheinen mir folgende zu sein.

Die deutsche Sprache ist reich; allein sie hat nicht selten einen unnützen Ueberfluß. Sie kann nicht zu streng in der Enthaltung von solchen Wörtern und Redensarten seyn, die, wenn man es genau untersuchte, nicht einmal in Prosa geduldet werden sollten. Wenn man diese Wörter wegnimmt, so ist die Sprache dadurch zwar noch nicht arm geworden; aber es würde doch gut seyn, jenen sehr entbehrlichen Ueberfluß durch einen wahren Reichtum zu ersetzen. Ich meine gar nicht, daß sich jeder, dem es nur einfällt, in diese Ersetzung mischen solle. Selbst die wenigen guten Skribenten sollten es mit der behutsamsten Sorgfalt und Beurtheilung tun. Auf die feurige Stunde der Ausarbeitung muß, besonders auch in Absicht auf den Ausdruck, die kältere der [232] Verbeßrung folgen. Und nie darf diese ihren Rechten etwas vergeben.

Der deutsche Poet, der zu unsern Zeiten schreibt, findet eine Sprache, die männlich, gedankenvoll, oft kurz, und selbst nicht ohne die Reize derjenigen Annehmlichkeit ist, die einen fruchtbaren Boden schmückt, wenn sie mit sparsamer Ueberlegung vertheilt wird; und die, wenn man sie zu sehr verschwendet, ein Blumenbeet aus einer schönen Gegend macht. Sie kann gleichwohl, wie mich deucht, auf zwo Arten noch weiter ausgebildet werden. Die eine ist: Ihre Skribenten richten sich nach der Wendung, die sie einmal genommen hat. Sie gehen auf dem Wege fort, den Luther, Opitz und Haller (ich nenne diese großen Männer nicht ohne Ursache noch einmal) zuerst betreten haben. Die andre Art ist: Sie ahmen der griechischen Sprache, der römischen und einigen unsrer Nachbarn nach: jenen, weil sie durch Meister gebildet worden sind, deren Werke in allen Jahrhunderten Muster bleiben werden; und diesen, in so fern sie theils von jenen ersten Mustern gelernt haben, theils eigne Schönheiten besitzen. Der glückliche Maler, der seine eigne Kolorit hat, die ihn nachahmungswürdig macht, wird sich nicht schämen, von andern großen Meistern zu lernen, ob er sich gleich sehr dabey hüten wird, dasjenige, was er entlehnt, auf eine Art anzubringen, die seiner eignen nicht angemessen wäre. Die Römer ahmten den Griechen auf diese Art. nach. Und [233] vielleicht hat die deutsche Sprache noch mehr Verwandtschaft mit der griechischen, als die römische mit ihr hatte. Wie glücklich die Engländer und Italiener in der Nachahmung jener beiden Sprachen oft gewesen sind, weiß jeder, der sie gelesen hat. Daß Ronsard es nicht war, daran ist weder Homers und Virgils, noch Corneilles Sprache schuld.

Die Grenzen dieser Nachahmung können viel bestimmter bei dieser und jener Stelle gezeigt, als durch allgemeine Regeln festgesetzt werden. Ich werde mich nur auf Eine Untersuchung einlassen.

Jede Sprache hat ihre Idiotismos. Man nimmt öfters Ausdrücke für Idiotismos an, die es zwar insofern sind, daß sie wirklich in einer Sprache so oft vorkommen, daß sie ihr allein eigen zu seyn scheinen; die aber gleichwohl keine grammaticalischen Idiotismi sind. Ich habe oft gefunden, daß man wider die Uebersetzung eines solchen Idiotismi am Ende nichts mehr sagen konnte, als daß man diesen Gedanken in dieser Sprache nicht denken wollte. Welches besonders deßwegen lächerlich war, weil man zugegeben hatte, daß er in der andern Sprache schön wäre.

Die Römer gingen so weit, daß sie auch die grammatikalischen Idiotismos der Griechen nachahmten. Meine Meinung ist nicht, daß die Deutschen dieses auch thun sollen; (ob ich gleich nicht zu viel zu wagen glaube, wenn ich die spar[234]same Nachahmung einiger Wortfügungen ausnehme) ich meine nur, daß sie sich das Geschrey derjenigen, welche die platte Sprache des Volks allein für gut Deutsch zu halten scheinen, nicht abhalten lassen sollen, den Griechen und Römern in ihren glücklichen Ausdrücken der Poesie nachzuahmen. Viele von diesen Ausdrücken könnten zwar auch, weil sie oft von ihnen gebraucht werden, Idiotismi heißen; sie sind aber vielmehr, auf der Seite des poetischen Ausdruckes überhaupt, anzusehn, und dieß so sehr, daß dabey gar nicht mehr die Frage von der Grammatik irgend einer Sprache ist, sondern von den Regeln desjenigen poetischen Ausdrucks, der in jede gebildete Sprache aufgenommen zu werden verdiente.

Wenn man die hebräische Sprache allein als eine morgenländische ansehn wollte; so würde man leicht darauf verfallen können, die Nachahmung derselben, wegen des zu großen Unterschieds der abendländischen und der morgenländischen Sprachen, schlechterdings zu verwerfen. Allein man hört mit Recht auf, sie bloß in diesem Gesichtspunkte anzusehn, wenn man anmerkt, daß die Verfasser des Alten Testaments (ich betrachte hier ihre Werke bloß als menschliche) das Uebertriebne der morgenländischen Sprachen, ohne ihrem Feuer und ihren glücklichen Kühnheiten etwas zu vergeben, vermieden haben; daß wir, mit ihrer Art sich auszudrücken, schon vertraut geworden sind; und daß sie uns Begriffe sagen lehren, die für uns so wichtig sind, und von welchen wir fast keine Spur in den heidnischen Skribenten finden. Diese Umstände zusammengenommen machen den [235] poetischen Ausdruck des Alten Testaments besonders denen, die heilige Gedichte schreiben, zu einer reichen Quelle der Nachahmung, die ihnen dann am besten gelingen wird, wenn sie dem morgenländischen Ausdrucke, wo er am kühnsten ist, in einer gewissen Entfernung zu folgen wissen.

Gebildete Sprachen haben vieles miteinander gemein; und vieles, das sie voneinander unterscheidet. Ich will nur etwas von dem, das einige nachahmungswürdige Sprachen von einander unterscheidet, anführen. Die feurige bildervolle Kürze der hebräischen Sprache; die Fülle, und die angemeßnen feinen Bestimmungen der griechischen; den Anstand, die Würde und den hohen Ton der römischen; die Stärke und die Kühnheit der englischen; die Biegsamkeit und die Annehmlichkeit der italienischen; und die Lebhaftigkeit und sorgfältige Richtigkeit der französischen, wird die männliche und ungekünstelte deutsche Sprache desto glücklicher erreichen, je freyer die Art und je reifer die Wahl seyn werden, womit sie nachahmen wird.

Es scheint mir, daß eine von ihren guten Eigenschaften eine gewisse Biegsamkeit sey, etwas von dem Tone andrer Sprachen anzunehmen. Derjenige würde mich falsch erklären, der glaubte, daß ich ihrem Originalcharakter hierdurch etwas vergeben wollte. Sie könnte vielleicht mehr geben, als sie nimmt. Sie ist, wie die Nation, die sie spricht. Sie denkt selbst, und bringt die Ge[236]danken andrer zur Reife. Man wird mir also die Gerechtigkeit wiederfahren lassen, und von mir glauben, daß, wenn ich wünsche, daß sie einige angenehme, oder starkgezeichnete Züge der Alten und Ausländer entlehnen möge, um sich vollends zu bilden, daß ich weit entfernt bin, mich dadurch für diejenige sclavische Nachahmung zu erklären, welche die Hälfte Deutschlands angesteckt zu haben scheint, und die es noch dahin bringen kann, daß die Ausländer glauben werden, die Deutschen am richtigsten von andern Nationen zu unterscheiden, wenn sie dieselben Nachahmer nennen

 

 

 

 

Erstdruck und Druckvorlage

Der nordische Aufseher.
Bd. 1, 1758, 26. Stück, 18.5., S. 221-236.
Text: ohne Überschrift, gez. K.
Titel u. Zuweisung: in Inhaltsverz. - Bd. 3, S. XIV.


Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck (Editionsrichtlinien).

URL: https://books.google.fr/books?id=FxcwGbEq7SkC

 

 

Zeitschriften-Repertorium

 

Kommentierte und kritische Ausgabe

 

 

 

Werkverzeichnis


Verzeichnis

Boghardt, Christiane / Boghardt, Martin / Schmidt, Rainer: Die zeitgenössischen Drucke von Klopstocks Werken.
Eine deskriptive Bibliographie.
2 Bde. Berlin u.a.: de Gruyter 1981.



[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias.
Erster Band. Koppenhagen: Lillie 1755.
PURL: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:3:1-342053
PURL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10860138
PURL: https://resolver.sub.uni-hamburg.de/kitodo/PPN1798119811

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Geistliche Lieder.
Erster Theil. Kopenhagen u. Leipzig: Pelt 1758.
PURL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10924969
PURL: https://hdl.handle.net/2027/inu.30000115346854
URL: https://books.google.com/books?id=akdXAAAAcAAJ

Klopstock, Friedrich Gottlieb: Von der Sprache der Poesie.
In: Der nordische Aufseher.
Bd. 1, 1758, 26. Stück, 18.5., S. 221-236.
URL: https://books.google.fr/books?id=FxcwGbEq7SkC

Klopstock, Friedrich Gottlieb: Gedanken über die Natur der Poesie .
In: Der nordische Aufseher.
Bd. 2, 1759, 105. Stück, 21.9., S. 381-388.
URL: https://books.google.fr/books?id=BVbSi-GlWjUC

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Geistliche Lieder.
Zweyter Theil. Kopenhagen u. Leipzig: Pelt 1769.
PURL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10113958
PURL: https://hdl.handle.net/2027/inu.30000115346854
URL: https://books.google.com/books?id=SWszAQAAMAAJ

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Oden.
Hamburg: Bode 1771
.
PURL: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:3:1-342339
PURL: http://diglib.hab.de/drucke/lo-3768/start.htm
PURL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10057091
URL: https://books.google.com/?vid=bsb:bsb10057091
URL: http://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_oden_1771

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Die deutsche Gelehrtenrepublik.
Ihre Einrichtung. Ihre Geseze. Geschichte des lezten Landtags.
Auf Befehl der Aldermänner durch Salogast und Wlemar.
Herausgegeben von Klopstock.
Erster Theil. Hamburg: Bode 1774.
PURL: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:3:1-141151
PURL: http://diglib.hab.de/drucke/wa-1636/start.htm
PURL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10733453
PURL: https://hdl.handle.net/2027/mdp.39015078573881
URL: https://books.google.com/?vid=bsb:bsb10733453
URL: http://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774


Klopstock, Friedrich Gottlieb: Sämmtliche Werke.
Bd. 9: Sprachwissenschaftliche Schriften.
Leipzig: Göschen 1855.
PURL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb10106868
PURL: https://hdl.handle.net/2027/hvd.hwfseu

Klopstock, Friedrich Gottlieb: Sämmtliche Werke.
Bd. 10: Vermischte Schriften.
Leipzig: Göschen 1855.
PURL: http://digitalisate.bsb-muenchen.de/bsb10106869
PURL: https://hdl.handle.net/2027/hvd.hwfsev

Klopstock, Friedrich Gottlieb: Gedanken über die Natur der Poesie.
Dichtungstheoretische Schriften.
Hrsg. von Winfried Menninghaus.
Frankfurt a.M.: Insel Verlag 1989 (= insel taschenbuch, 1038).

Klopstock, Friedrich Gottlieb: Oden.
Hrsg. von Karl L. Schneider.
Bibliogr. erg. Ausgabe. Stuttgart: Reclam 2012 (= Reclams Universal-Bibliothek, 1391)

Klopstock, Friedrich Gottlieb: "Lyrische Sylbenmaasse".
Kritische Edition.
Hrsg. von Marit Müller.
Göttingen: Wallstein-Verlag 2024.

 

 

 

Literatur: Klopstock

Auer, Michael (Hrsg.): Klopstock Handbuch. Leben - Werk - Wirkung. Berlin 2023.

Axer, Eva u.a. (Hrsg.): Schreibarten im Umbruch. Stildiskurse im 18. Jahrhundert. Berlin 2024.

Benzi, Laura: Nachahmung und Darstellung. Zur Batteux-Rezeption bei Friedrich Gottlieb Klopstock. In: Euphorion 104 (2010), S. 67-82.

Brandmeyer, Rudolf: Poetiken der Lyrik: Von der Normpoetik zur Autorenpoetik. In: Handbuch Lyrik. Theorie, Analyse, Geschichte. Hrsg. von Dieter Lamping. 2. Aufl. Stuttgart 2016, S. 2-15.

Hainz, Martin A.: Silbenzwang. Text und Transgreß bei Friedrich G. Klopstock, unter besonderer Berücksichtigung des 'Messias'. Tübingen: Narr Francke Attempto 2017.

Hillebrandt, Claudia: Mit den Ohren lesen. Zur akustischen Dimension von schriftfixierter Lyrik und zu drei Stationen einer Sprachklanggeschichte der deutschsprachigen Lyrik (Klaj - Klopstock - Tieck). Frankfurt a.M. 2022 (= Das Abendland; Neue Folge, 47).

Hippe, Christian: Superiorität der Dichtung. Klopstocks Beziehung zur bildenden Kunst. Würzburg 2013.

Jansen, Judith: Das Wissen der Sprache. Stil und Grammatik in der deutschen Spätaufklärung: J. Ch. Adelung und F.G. Klopstock. Würzburg 2022.

Michler, Werner: Kulturen der Gattung. Poetik im Kontext, 1750 – 1950. Göttingen 2015.

Schrader, Hans-Jürgen: Luthers Sprachleistung im Urteil Herders, Klopstocks und Heines. In: Herder - Luther. Das Erbe der Reformation in der Weimarer Klassik. Hrsg. von Michael Maurer u. Christopher Spehr. Tübingen 2019, S. 101-119.

 

 

Literatur: Der nordische Aufseher

Bohnen, Klaus: Der Kopenhagener Kreis und der Nordische Aufseher. In: Ders., G. E. Lessing-Studien. Werke - Kontexte - Dialoge. Kopenhagen u. München 2006, S. 151-169.

Bosse, Heinrich: Medien, Institutionen und literarische Praktiken der Aufklärung. Dortmund 2021.

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Kuhles, Doris: Deutsche literarische Zeitschriften von der Aufklärung bis zur Romantik. Bibliographie der kritischen Literatur von den Anfängen bis 1990. 2 Bde. München u.a. 1994.

Rudolph, Andre: Klopstock und der Nordische Aufseher (1758 - 1761). Antideistische Apologetik und christliche Poesie im Zeichen Edward Youngs. In: Wort und Schrift - das Werk Friedrich Gottlieb Klopstocks. Hrsg. von Kevin Hilliard u. Katrin Kohl. Tübingen 2008, 21-40.

Stockhorst, Stefanie: Das 'frühere Vorurteil'. Lessings Kritik an Cramer und dem Nordischen Aufseher (1759-61) als Reflex der Auseinandersetzung mit Mylius. In: Deutsch-Dänische Kulturbeziehungen im 18. Jahrhundert. Hrsg. von Søren Peter Hansen u. Stefanie Stockhorst. Göttingen 2019, S. 83-104.

 

 

Literatur: Klopstock-Rezeption

Arnold, Günter: Herders Nachruf auf Klopstock. In: Literatur als Erinnerung. Winfried Woesler zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Bodo Plachta. Tübingen 2004, S. 133-140.

Gunzenhauser, Isabel: Seraphische Hexameterdichtung. Friedrich Gottlieb Klopstocks Messias und die Ependiskussion im 18. Jahrhundert. Göttingen 2020.

Hagestedt, Lutz / Nebrig, Alexander (Hrsg.): "Wer wird nicht einen Klopstock loben?" Friedrich Gottlieb Klopstocks poetische Innovationen und ihre produktive Rezeption. Berlin 2024.

Hilliard, Kevin u.a. (Hrsg.): Klopstock an der Grenze der Epochen. Mit Klopstock-Bibliographie 1972 – 1992 von Helmut Riege. Berlin u.a. 1995.

Hurlebusch, Klaus: Klopstock und Goethe oder die "Erweckung des Genies". Eine Revision ihres geistigen Verhältnisses. Halle an der Saale 2000.

Jacob, Joachim: Klopstock - Ursprung des deutschen Ästhetizismus. Die Klopstock-Rezeption im George-Kreis. In: Wort und Schrift - Das Werk Friedrich Gottlieb Klopstocks. Hrsg. von Kevin Hilliard u.a. Tübingen 2008 (= Hallesche Forschungen, 27), S. 255-272.

Korte, Hermann: "Gehört mit dem Ohr der Seele". Herders Klopstock-Lektüren und das auditive Lesen im späten 18. Jahrhundert. In: Germanisch-romanische Monatsschrift 59 (2009), S. 355-372.

Lohmeier, Dieter: Herder und Klopstock. Herders Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit und dem Werk Klopstocks. Bad Homburg v.d.H. u.a. 1968 (= Ars poetica; Studien, 4).

Lüchow, Annette: 'Die heilige Cohorte'. Klopstock und der Göttinger Hainbund. In: Klopstock an der Grenze der Epochen. Mit Klopstock-Bibliographie 1972 – 1992 von Helmut Riege. Hrsg. von Kevin Hilliard u.a. Berlin u.a. 1995, S. 152-220.

Martus, Steffen: Werkpolitik. Zur Literaturgeschichte kritischer Kommunikation vom 17. bis ins 20. Jahrhundert; mit Studien zu Klopstock, Tieck, Goethe und George. Berlin u.a. 2007 (= Historia Hermeneutica; Series Studia, 3).

Meyer, Urs: Der "Messias" in Zürich. Die Klopstock-Rezeption bei Bodmer, Breitinger, Waser, Hess und Lavater im Lichte des zeitgenössischen Literaturmarktes. In: Bodmer und Breitinger im Netzwerk der europäischen Aufklärung. Hrsg. von Anett Lütteken u.a. Göttingen 2009, S. 474-496.

Lee, Meredith: Displacing Authority. Goethe's Poetic Reception of Klopstock. Heidelberg 1999.

Zimmermann, Harro: Vom Freiheitsdichter zum Nazi-Idol. Friedrich Gottlieb Klopstock unter den Deutschen. In: Dichter und ihre Nation. Hrsg. von Helmut Scheuer. Frankfurt 1993, S. 68-87.

 

 

Edition
Lyriktheorie » R. Brandmeyer