Text
Editionsbericht
Literatur: Bodmer
Literatur: Poetologische Lyrik
5 | [3] AUch Teutsche können sich auf den Parnassus schwingen, Und nach des Südens Kunst geschickt und feurig singen. Erzehle Critica der Dichter lange Reyh, Die <Teutschland> aufgestellt, doch laß nicht Schmeicheley Und falsche Höflichkeit die blöde Feder führen |
10 | Erzehle nicht nur die so Teutschland herrlich zieren, Erzehle den Stamm zugleich der am Geschmacke schwach Der Schönheit Spuhr verfehlt' und ihr Gesetze brach. Der bessere Geschmack war lang' herum geirret. Vom schlimmeren Geschmack verdrungen und verwirret. |
15 | Sein Fuß stuhnd nirgend fest, sein Licht war ungewiß Schoß es gleich hier und da durch Nacht und Finsterniß. Die Barden sangen erst, in Ehrfurcht-vollen Gründen Die Götter, so daselbst verschlossen in den Rinden, Die nie das Beyl verwundt, das Jagd-Horn nie erschreckt; |
20 | Das Wild gieng unbesorgt, so weit der Wald gestreckt [4] Der Erden hohlen Schooß in krause Schatten hüllte, Und ein verruchtes Hertz mit Furcht und Schrecken füllte, Wo heute Saat und Trift am offnen Himmel steht, Der Bauer mit dem Pflug, die Heerde weiden geht. |
25 | Sie sangen einen Held, der vor die rohen Sitten Und wilde Strengigkeit der Vörder-Welt gestritten; Der Höflichkeit und Pracht mit Abscheu von sich stieß; Der Kunst und Wissenschaft den Weg zur Knechtschaft hieß. Sie sangen die Revier, die Insuln voller Wonne, |
30 | Wo der verblichne Geist in einer andern Sonne Sich auf das neue regt, so daß der fahle Tod Ein Weg zum Leben sey, ein Ausgang aus der Noht; Mit diesem schmeichlenden, politschen Aberglauben Den allerletzten Feind des Stachels zu berauben. |
35 | Dann wann auch nach dem Tod das Leben in uns wohnt, Wer ist so weibisch-feig der dieses Leben schont? Wer darf nicht in den Tod mit festen Schritten gehen? Wer darf dem Scheusal nicht frey unter Augen stehen? Sie haben Rom zuerst vor Schrecken bleich gemacht, |
40 | Wann durch ein feurig Lied die Teutschen aufgebracht Der Waffen strengen Sturm herunter fallen liessen, Um des Poeten Lob ihr Leben zu vergiessen. Der Inhalt ihres Lieds kan nicht erhabner seyn: Ob auch der Ausdruck groß, das Maß der Sylben rein; |
45 | Bleibt ewig unbekandt, die grauen Stunden haben Den Dichter und Gesang in dunckle Nacht begraben. Die Mönchen kamen drauf, der Barden schlimmres Blut; Und erbten ihren Haß: Sie übten ihre Wuth Nicht an der Stadt allein und an der Römer Ländern; |
50 | Dasselbe Schicksal solt auch den Geschmack verändern Gelehrsamkeit und Witz und Künste untergehn, Und bey der Tyranney der Aberglauben stehn. Sie schlossen mit dem Leib auch die Vernunft in Bande. Man glaubte desto mehr je minder man verstande. |
55 | Nach ihrer Meynung war die Dummheit Frömmigkeit. Sie herrschten viele Jahr in tieffer Dunckelheit. [5] Nach langem sah man sich ein schwaches Licht entzünden, Die Sprache fieng sich an mit Regeln zu verbinden. Man schloß den neuen Vers in mehre Sylben ein; |
60 | Die dorfften aber kurz, lang, oder beydes seyn, Falls sie nur den Accent recht auf den Abschnitt setzten, Ob alle Worte sonst die Quantitet verletzten; Sie plagten sich nicht selbst mit selbst-gesuchter Pein, Worinn die Teutschen jezt zu schädlich sinnreich seyn. |
65 | Sie lehrten ihrem Vers noch nicht auf Füssen gehen, Und wußten auch kein Wort von Jamben und Trocheen, So wenig sie Florenz zum Wohlklang nöthig acht, Wiewohl das Ohr ihm nicht mit Wachse zugemacht. Von Hohen Stauffens Hauß, das Cron und Apfel führte, |
70 | Und auch Sicilien mit starcker Faust regierte, Entsprang aus finstrer Nacht der ungewohnte Strahl Und schimmerte von dar durch Teutschlands weiten Saal. Wir hören noch mit Lust die edle Mutter singen, Die für der Tochter Wohl ein Dancklied Gott zu bringen |
75 | Die sanfte Laute stimmt, und preißt den werthen Tag, An welchem sie mit ihr in Kindes-Wehen lag. Wir sehen ihr das Kind selbst in dem Herzen liegen. Des Frühlings helle Pracht bringt ihr nicht mehr Vergnügen, Als dessen Mund zu sehn; In Augen thuts ihr wohl. |
80 | Sie lobt und liebt es auch, wie eine Mutter sol. Sie führt' es an der Hand biß in der Tugend Schrancken, Und lehrt' es von der Seuch des Lasters nicht erkrancken. Vertrau dich nicht mein Kind dem-süß-beredten Mann, Sie kleiden mehrtheils sich in Nebel-Kappen an, |
85 | Verstecken schlau den Schalck, bedacht auf unsern schaden; Bethört dich einst ihr Lob, must du die Wangen baden Aus deiner Augen Quell. Es ist ein altes Recht, Selbst die Natur befahls dem menschlichen Geschlecht, Die Männer solten uns wie auf den Händen tragen, |
90 | Und freundlich nöthigen; wir züchtiglich versagen: Ergeben wir uns dann nach lieblichem Gesperr, Und wohl-anständgen Stoltz, so muß der junge Herr Vor die Ergebung uns den schönsten Danck bezeugen, [6] Und seinen höhern Geist zu uns hernieder neigen. |
95 | Die zarte Liebe führt mit Macht die Meisterschafft. Gesezt daß hunderter und mehrer Herzen Krafft In einer eingen Brust beysammen möchte liegen, So wird ihr kürzlich doch die Liebe angesiegen. Sie schweifft und schwermt herum, unsichtbar als ein Geist. |
100 | Falls ihrer Almacht doch dein Herze sich entreist: Ob einer andern dann das Kränzgen schöner steht, Wann man ein Ritter-Spiel zu schaun nach Hofe geht, So seh ichs ohne Neid, sie kan sich schöner tragen; An Tugend kan sie dir den Vorzug nicht versagen. |
105 | Doch Liebe leider! macht die zärtsten Herzen wund, Und wann es ihr beliebt auch wiederum gesund. Also hat Weinsbecks Frau die Laute angestimmet, Mit zärtlichem Affect, worinn der Geist noch glimmet. Mit Conradinens Blut zerrann die kurze Pracht, |
110 | Und <Teutschland> fiel zurück in die barbarsche Nacht. Kein Dantes kam hernach, wie im Ausonschen Lande, Der den versengten Grund an Stygis schwartzen Strande Mit frechem Fuß betrat, sich durch das Chaos drang, Und wiederum heraus mit mächtgen Flügeln schwang; |
115 | Durch abentheurliche fantastisch-wilde Welten, Bis sich die müden Füß im Sternen-Estrich stellten, Da er den heisern Thon, der erst so hart erklang, Verkehrt in lieblichen süs-schallenden Gesang. Die Sonne lief indeß den Thierkreiß auf und nieder, |
120 | Und bracht in langer Reyh die Jahr und Zeiten wieder, Als Brand Gewähr-Mann ward daß auch ein teutsches Haupt Zum dencken aufgelegt, des Geistes nicht beraubt. Der Narr war sein Gesang, (Materie zu verschwenden) Den er mit Fleiß und Müh gesucht in allen Ständen, |
125 | Und wie sie sich verkappt, als Weise auszusehn, Und wie sie sich bemüht die Nahmen zu verdrehn, Und ihm ihr thöricht Thun vor Weisheit aufzubinden, So hat er doch gewußt den Gauch im Nest zu finden. Sein Geist war aufgeweckt und heiter seine Brust |
130 | [7] Wann er die Narren zehlt' erweckten sie ihm Lust. Wie er denn glücklich war mit Kurzweil-vollen Bildern, Wovon die Aehnlichkeit ins Auge fällt, zu schildern. Allein soll auch der Vers die Red' und Schreibens-Art Ein Sächsisch Ohr erfreun, so muß es nicht zu zart |
135 | Nicht schwach und leckern seyn. Ich muß fürwahr die Alten Vor glücklicher als uns, wo nicht vor weiser halten, Daß sie dieß kleine Glied gewöhnt zur Strengigkeit. Ihr wohl gehärtet Ohr blieb Stich-und Schlag-befreyt, Wann gleich der rauhe Vers gleich einem Wald-Strom brüllte, |
140 | Und heisrer Wörter Zorn die Lufft mit knarren füllte. Ein Mißthon in dem Reim, ein Wort das nicht mehr ganz, Von seinem vörder-Theil gestümmelt bis zum Schwanz, Kan heut zu Tage noch dem Engelsmanne schmecken, Der so wie Brand gethan die Sylben pflegt zu recken, |
145 | Und sich bey dem Geschmack doch wohl-gesittet glaubt. Gewiß der zärtliche lebt vieler Lust beraubt. Nach Branden kam ein Kopf von Rabelais verwandten Deß Nahme Fischart war, der Liebling der Bachanten, Ein Geist der aufgelegt zur Possenreisserey, |
150 | Als ob er mit dem Leib von einer Erden sey. Wiewohl, daß wir ihn nicht an seinem Lobe kräncken, Er konte wann er wolt, natürlich-scherzhaft dencken. So hat sein glücklich Schiff zwar einen lust'gen Grund Und giebt doch die Natur in starcken Proben kund. |
155 | Durchsichten, Wasserfäll', als so verschiedne Bühnen, Character, Neigungen, auch Reden und Machinen; Dies alles fehlt hier nicht. Der Rhein und Lindmag schauten Bestürzt und voller Lust die neuen Argonauten. Allein sein altes teutsch steht ihm zu sehr im Licht. |
160 | Ein Sächsisch Auge sieht den schönen Innhalt nicht. Erasmus hatte längst die München-Brut der Hunnen Vom Schauplaz weggeschreckt, die Kunst war schon ersonnen Dadurch man Wort und Red in Erzt und Meßing gießt, Dadurch die Wissenschafft der Vorwelt sich entschließt. |
165 | [8] So weit kam teutsche List. Drauf sah man die Camönen Sich auch die kalte Lufft in Norden angewöhnen. Die Künste fanden sich von selber wieder ein; Der Seelen ihr Geschmack, die Urtheils-Krafft, ward rein, Geschwind und ohne Müh, nachdem man von den Alten |
170 | Desselben wahre Schnur und rechtes Maß erhalten. Gemach legt' auch die Sprach ihr wüstes Wesen ab, Und wuchse schöner auf, nach Richtschnur, Maß und Stab. Doch langsam und mit Müh, inmassen der Gelehrte Das ewige Latein mit mehrer Frucht verehrte. |
175 | Als wann das teutsche nur für Hand-Geschäffte wär, Für weiblichen Verstand, an Krafft und Anmuth leer. Bis Opitz zeigete daß nur ein Kopf der Sprache, Die reiche Redens-Art und Nachdruck nicht gebrache, Daß sie gelenckig ist, Verstellung leiden kan, |
180 | Nicht starr an Hals und Stirn, daß sie bald Himmel-an In prächtiger Gestalt ansehnlich-edel steiget, Bald ohne Niedrigkeit sich wider Erd-wärts neiget, Und Ziel und Maß behalt, und einer Schüssel gleich, Die auch an niedlichen und warmen Speisen reich. |
185 | Versteh alsdann allein, wann Opitz in ihr dencket. Gib acht wie sein Gedicht sich so verschieden lencket, Nachdem's die Regung heißt, die er entzünden will; Wie er befliessen folgt dem vorgesetzten Ziel. Wann im Vesuvius die Bilder scheußlich blöcken, |
190 | Und starcke Geister selbst vermögend sind zu schrecken, Ein schrecklicher Begriff stets an den andern streifft, Und sich das gräßliche mit jeder Zeile häufft: Ist Zlatna gegentheils erfüllt mit sanfften Zügen, Das menschliche Gemüth in neue Luft zu wiegen, |
195 | Wovon der Bürgers-Mann in einer grossen Stadt Bey Jahren eingesperrt ein schwach Empfindniß hat. Weil mancher dicker Bau und stinckend wüster Graben Die Lüffte da gehemmt, mit Gifft erfüllet haben. Falls er dann eines Tags sich auf das Land verfügt, |
200 | So wird er jeden Schritt mit neuer Lust vergnugt: Die wechslende Gestalt der frisch-gekleidten Erden [9] In Dörffer außgesetzt, in Wälder, Gärten, Heerden, Der liebliche Geruch von Blumen, Graß, und Kraut, Ein Mägdgen, welches melckt, ein jeder Schall und Laut, |
205 | Ein jedes Land-Gesicht, erquicket sein Gemüthe, Und gießt ihm frische Krafft und Kuhlung ins Geblüte. Damit wir auch hierzu recht aufgeleget würden, Bestrebt er sich den Geist des Zeuges zu entbürden, Der den Genuß des Lands verkürtzend stören kan. |
210 | Er reisset aus der Brust den blind-gebohrneu Wahn, Der Furcht für dem erweckt, was besser wird verehret; Der im Gehirn erdicht, was wurcklich doch versehret; Der auch die Lust versagt, worvon kein Unglück kömmt; Mit einem Strohmann ficht; die Neigung anderst stimmt; |
215 | Den ersten Jammer mehrt mit frisch-geholten Sorgen. Dann Opitz war die Quell der Weißheit nicht verborgen, Die Socrates entdeckt, und stets ein Weiser trinckt, Dem in des Lebens Rausch das Haubt und Hertze sinckt. Sein Vielgut wird davon in manchen Strohm getheilet, |
220 | Das Antlitz aufgeklärt, die Traurigkeit geheilet: Dadurch besiegt' er auch das Ungefäll der Zeit, Worinn er lebete, wiewohl das herbe Leid Viel Wehmuth-reiche Vers' ihm in die Sinnen legte, Zuerst doch in die Brust, nachdems ihn bald bewegte, |
225 | Wann sein Geschlecht und Volck gedrückt des Unglücks Hand, Gleich zärtlich an Gefühl, an Geist und an Verstand. Zwar zärtlich am Gefühl, doch tapfer an dem Hertzen, Er dorfte selbst mit Mars dem Land-Bezwinger schertzen, Und sang sein falsches Lob gewürzt mit Salz und Spott. |
230 | Er war ein bessrer Freund vom holden Liebes-Gott. Hinwieder liebten ihn Cupido und die Liebe, Und senckten in sein Herz nur ihre sanften Triebe, Erwärmend ohne Brand, starck doch nicht über Macht. Liebt' er die lichte Haut, der Glieder reine Pracht; |
235 | Er liebte gleich so sehr den Geist und das Gemüthe, Das Hertz voll Freundlichkeit und gleich-gesinnter Güte. Als Mars zu seiner Zeit erwacht' auf Raub und Brand Und Amors Reich verheert, ihn selbst hernach verbannt So floh er und mit ihm die Venus zum Poeten |
240 | [10] In Flaviens Gestalt mit reizendem erröthen, Der liebreich sie empfieng und bald ihr Priester ward, Sie lehrten ihm ihr Recht: Er schrieb der Venus Art Mit Amors Feder auf, daß jeder sie erkennet, Der jemahls selbst geliebt, und noch im lesen brennet, |
245 | Denn Amor räumte sich ihm willig selber ein; Und saß ihm in der Brust nicht in dem Haupt allein. In was für einer Art sich Opitz je bestrebt, Wann er jezt niedersteigt, wann er sich dann erhebt, Der Stadt Gedränge flieht und auf ein Feld entweichet, |
250 | Die Heerden dann verläßt und wider heimwerts schleichet, Die Schönen jezt besucht, am Fenster wache hält, Von dar sich vor den Thron durchleuchter Herren stellt; Wann er uns Schrecken, Furcht, Betrübniß, heitre Sinnen, Lieb, Ehrfurcht, Gütigkeit, bedacht ist einzuspinnen; |
255 | So bleibt er Opitz stets, die Musen gehn ihm nach Und er begleitet sie an Hippocrenen Bach. Er lehrt im Ladisla den wahren König kennen, Der ohne Ueberdruß sich höret Menschen nennen, Der mit der Majestät die Menschlichkeit vergleicht, |
260 | Die Gnade mit der Macht. Sein feines Lob erreicht, Daß selbst ein träger Fürst, den er zur Lehre rühmet, Derselbe wünscht zu seyn, für den er wird beniehmet. Sonst weis't hier Opitz auch wie Nordens Tapferkeit Von Südens Kriegs-Art sich an Rauheit unterscheidt. |
265 | Wie hoch sich Opitzs Geist vom niedern Schwarm erhoben, Bewundre bist du weiß in zwo durchlauchten Proben: Einmahl, wo er den Mensch, Natur und Schöpfung singt; Und durch des Machers Plan mit festen Schritten dringt, Hernach wo er voll Geists ein höher Wunder preiset, |
270 | Das Liebe sonder Ziel und End und Maß beweiset, Wie der des Himmels Spring und erstes Rad bewegt, Die Gottheit beygesetzt, die Menschheit angelegt: Man sah ihn dorten gehn, wo Jordans Brunquell fliesset, Und wo Siloah Bach die reine Fluth ergiesset. |
275 | Der Zeug war göttlich-hoch, verwundersam und tieff, Die Arbeit ebenfalls. [11] Wie wann der Phönix jezt nach dem Egypt'schen Theben Den Flug gerichtet hat, zu legen Geist und Leben, Das ganze Vogel-Heer ihn voll Verwundern sieht, |
280 | So seltsam an Gestalt, an Farbe, Kraft, Gemüth: So sah man damahls auch den ein'gen Opitz fliegen, Und auf der Flügel Krafft sich wohlbedächtig triegen. Gryph, Tscherning, Flemming, Rist, von Abschatz, Mühlpfort, Dach, Und zehen andre mehr sahn ihm begierig nach, |
285 | Ermunterten sich offt und spannten ihr Gefieder; Umsonst, der Cörper zog den Geist zur Erden nieder. Sie stellen hier und dar an eines Verses Bord Ein wohl-geschildert Bild, ein glücklich-kühnes Wort, Man sieht sie manchem Ding, Geist, Thun und Wesen geben, |
290 | Das sonst unwesentlich, unthätig, leer an Leben; Dadurch sticht ihr Gedicht mit schimmer-reichem Glantze, Da man's nicht hofft, hervor, allein wo bleibt das gantze? Ob die Gedancken wahr, so sind sie auch gemein, Die Neigung ist nicht hoch. Der Vers ist vielleicht rein, |
295 | Nach Zahlen, Maß, Gewicht, kunstmässig abgemessen, Wär in dem Inhalt nicht Zahl, Maß, Gewicht, vergessen. Kopf, Fuß und Glieder sind einander selten gleich; An Wörtern sind sie mehr, als an Gedancken reich. Fehrn ists daß selbige sich in einander sencken, |
300 | Sie geben euch nichts heim zu fühlen noch zu dencken, Dieweil es ihnen fehlt am Philosophschen Geist, Der den Poeten erst in seinen Vortheil weißt, Bis auf den innern Grund der Dinge durchzudringen. Daran war Opitz reich und zog aus allen Dingen |
305 | Der Wahrheit schönste Zierd und beste Kraft herbey; Dadurch wrd sein Gedicht inwendig schön und neu Die andern fliegen auf, damit sie plötzlich fallen, An eignem Leben leer, gleich aufgeschlagnen Ballen. Gryph wußte noch nicht wohl, was recht zu wissen ist, |
310 | Eh man die Satzungen des Trauer-Spieles list, Wie durch Beschreibungen die Sachen auszudähnen; [12] Wie künstlich aufzuziehn, wie artig zu beschönen; Wodurch das süsse Leid und Schrecken sich erweckt, Durch was für Schlüssel man des Herzens Spring entdeckt, |
315 | Geschweige, daß er sich bemühte einzusehen, Auf was für einem Grund die Trauer-Spiele stehen, Was ihre Kunst befiehlt, was sie für Reglen liebt, Was sie für Art und Maß dem Ding und Umstand giebt, Er wußte nicht, daß sie von viel verschiedenen Stücken, |
320 | Die künstlich eingelegt sich fein zusammen schicken, Nur ein Gewebe webt, nur einen Cörper schleußt, An welchen jedes Glied nett in das andre fleußt, Der ungeheuer wird, wie Mißgeburten lassen, Wann alle Theile nicht genau zusammen passen. |
325 | Ein zorniges Gestirn hat Waldau hergebracht, Den Schlesischen Marin, der frech und unbedacht, Von Opitz sichrem Gleiß begunte auszugleiten, Er wandte sich von ihm, jedoch zur lincken Seiten, Und sah sich unverwarnt auf einem duncklen Weg, |
330 | Lieff in der Irr herum, durch Dornbusch und Gehäg, Nach einem falschen Schein. Er ward zuerst verleitet, Hernach verführt er selbst; Sein Irrthum ward verbreitet, Und steckte Teutschland an, daß bis auf diesen Tag Der Schuler sich davon nicht leicht befreyen mag. |
335 | Ihm fehlt es an Verstand, den Geist geschickt zu lencken, Und in die Fabel selbst der Wahrheit Schein zu sencken Das schönste, zierlichste, von Bildern einzusehn Und was gemein und schlecht mit Fleiß vorbeyzugehn. Bey ihm bekam der Geist den Rang vor dem Verstande |
340 | Daß er an Wahrheit statt ein Sinnen-Spiel erfande, Und auf wahrscheinliches, das noch erträglich war, Umstände banete, die falsch sind offenbahr. Er pflanzt Metaphoren aus metaphorschen Worten. Hier wird er ungereimt, und unerträglich dorten. |
345 | Hat er einst für ein Ding ein ähnlich Bild erdacht, Und statt des rechten Worts ein fremdes angebracht, Was dann vor Sachen sich im Bilde nur eräugnen, Die hält er sich befugt dem Urbild zuzueignen, [13] Gesetzt daß sie sich nur in einem ähnlich seyn, |
350 | Gesetzt sie haben sonst zusammen nichts gemein; Ist stets an Tropis reich, wann er sie stets vergeudet Und ohne Ziel und Maß das Ding und Wort verkleidet. Er hüllet die Begriff in Gleichniß und Figur, Als einen Kercker ein, verbirgt uns die Natur, |
355 | Und meidt die Deutlichkeit, die uns nichts fremdes bringet, Die uns mit Bantams Wahr nicht in Verwundrung singet. Mit solchem falschen Witz düngt Hofmann sein Gedicht, Und weis't wie Janus Kopf ein doppeltes Gesicht. Indessen prangt' er hoch mit dem gemischten Witze |
360 | Und setzte sich voll Wahn auf des Parnaßus Spitze. Bewundrer fehlten nicht; der hochgefärbte Schein Nahm bald das junge Volck von leichten Sinnen ein. Den Lohenstein zuerst, der von dem Neid besessen Den Kranz ihm von dem Haubt zu reissen sich vermessen, |
365 | Und in dem Eifer-Streit, zu seiner eignen Schand, (Verlust war rühmlicher) unglücklich überwand. Er braucht ein Gleichniß nicht zu einem Leitungs-Faden, Nein, sondern nur den Kopf der Bürde zu entladen, Wormit die Wissenschafft, die drinnen ungeschickt |
370 | Auf einem Hauffen liegt, die schwache Hirnschal drückt. Und was noch fremder ist, er brauchts zu überführen, Den zweiflenden Verstand dadurch mit Macht zu rühren, Obs gleich nicht auf dem Grund einförmger Sachen ruht, Wie ein unstreitiges bekanntes Beyspiel thut. |
375 | Es ist ein leichtes Ding dergleichen umzukehren, Sich darmit wieder den, der sie erfand, zu wehren. Ein solches Gleichniß ist vielmehr ein Ungleichniß, Und fället einen Mann mit seinem eignen Spieß. Nach solchen nur allein ist Lohsteins Sinn gerichtet. |
380 | Es sey, daß er ein Spiel von Traurenden erdichtet, Das in dem innersten das Hertz erschüttern soll, So ists an Seufzer statt von Gleichniß-Wörtern voll; Es sey, daß Marc-Anton, daß Sophonisba sprechen, Pflegt unterm Umhang stets er selbst hervorzustechen. |
385 | Sie zeigen Lobensteins gelehrte Schul-Figur [14] In seiner eigenen unlaugbaren Natur. Als seine dunckle Sprach in Kißling-harten Thönen Auf dem Parnaß erklang, erschracken die Camönen, Die Furcht ergriffe sie, daß Meister Klingsohr käm |
390 | Und einen Ueberfall des Berges unternähm. Sie flohen Schrecken voll auf dessen beyde Spitzen Und liessen Lohenstein in seinen Sümpfen sitzen. Mit Lohsteins Wissenschaft, doch sittsamer an Geist, Kam Postel an den Fluß, der vom Parnassus fleußt, |
395 | Homer, Euripides, nebst dem Virgil und Tassen, Und andre Dichter mehr, die an dem Huf-Quell sassen, Entzündten sein Gemüth, und führten ihm die Hand; Umsonst, dieweil ihm Bley gefesselt den Verstand. Er hat den Gratien kein Opfer abgeschlachtet, |
400 | Und ihre holde Macht aus Kaltsinn nur verachtet. Der Dinge gleiche Reyh und wohl-gestimmte Welt, Die Tasso nach Homer schon in einander hält, Hat Postel aufgelößt, das Theil vom Theil getrennet, Daß jedes wiederum im ersten Chaos rennet. |
405 | Was dorten Wage-Recht nach Spur und Bleymaß steht, Sich nach Gesetzen fügt und sondert, kommt und geht, Verliehrt hier Spuhr und Ziel. Man geb ihm Ottoberten, Von Hochbergs albern Sohn, zum kleineren Gefehrten. Auch du o Amthor bist von Lohsteins Stamm und Hauß |
410 | Ein nicht geringes Haubt, doch siehst du mager aus, Wann sich dein kleiner Kopf mit Marons Helme decket; Wie wann ein Liebes-Geck das welcke Haubt verstecket In einen Wald von Haar. Die Stimm ist leiß und matt Wir greiffen lauter Schwulst und Wind an Fleisches statt: |
415 | "Eneas drang anjetzt bis in des Waldes Mitten, Als seine Mutter ihm entgegen kam geschritten. Es war ein Jungfern-Bild von Kleid und Angesicht: Ihr leichter Waffen-Zeug auf Spartisch zugericht: So wie Harpalyce geschmücket zu Pferde sitzet, |
420 | [15] Wann sie den Thracer-Gaul mit scharffen Spohren ritzet, Und selbst des Hebers Strohm im Lauff beschämen kan Nach gleicher Art war hier die Venus angethan. Sie gieng als Jägerin, den Bogen auf den Rücken: Ein lang und flatternd Haar sah man den Scheitel schmücken; |
425 | Die Knie waren bloß: Ein Gürtel hielt den Rest Des aufgeschürtzten Rocks durch seinen Knotten fest. Sie nahm das erste Wort: Kahm euch auf diesen Wegen, Ihr Männer, keine nicht von meiner Schaar entgegen, Die Köcher Pfeil und Spieß, mit sich herummer trug, |
430 | Und einen bunten Luchs um ihre Schultern schlug, Und die ein schäumend Schwein, an dem sie sich gewaget, Mit munterem Gelaut allhier vorbey gejaget? Hier schwiege Venus still. Ihr Sohn versetzte drauf: Es hält sich keine hier von deinen Schwöstern auf. |
435 | Du aber schönes Bild, wie soll ich dich benennen? Ich kan nichts irrdisches in deinem Wesen kennen. Der Kehlen süsser Thon, den selbst der Himmel stimmt, Zeugt, daß was göttliches auf deinen Lippen schwimmt". * * * Es klange nicht so kahl, als Maron selber redte. |
440 | Gedanck und Rede war erhaben, sittsam, nette; Ob unter Marons Geist die teutsche Sprache fällt, So hat ihn Amthors Schuld doch mehr als sie verstellt. Die prächtge Sittsamkeit, die man am Römer ehret, Ward hier in mattes Zeug weitschweiffig umgekehret. |
445 | Versuche du, Elpin, der edlen Sprache Krafft, Entdecke ihren Schatz in deiner Wissenschafft; In deinem Vers bekömmt vielleicht die teutsche Rede Mehr Nachdruck und mehr Glantz und schallet nicht so blöde. "Eneas nahm zu sich Achates nur allein |
450 | Und gieng mit starckem Schritt tieff in das Land hinein. Er wandelte getrost auf ungebahnten Wegen, [16] Da trat ihm Venus selbst in fremdem Schmuck entgegen, Wie sich das Frauen-Volck zu Lacedämon kleidt, Und wie Harpalyce gerüstet zu dem Streit |
455 | Die Pferde müde jagt, des Heber Flusses Wogen Mit rennen überholt. Es hieng ein feiner Bogen Auf ihrem Schulter-Blat, wie Jägers Sitten sind, Ihr Haar war aufgelößt und floge nach dem Wind. Die Knie waren bloß, der Schweif von ihrem Kleide |
460 | Mit Spangen aufgeschürtzt. Saht ihr auf dieser Heide, Nahm sie das erste Wort, nicht irgend eine Magd Mit Köcher und mit Pfeil, umgürtet zu der Jagd, Mit einem bunten Fell von einem Luchs behangen, Die vielleicht irre gieng, vielleicht mit heissen Wangen |
465 | Und schallendem Gehetz ein schäumend Schwein gejagt? Gebt mir davon Bericht. Die Göttin Venus fragt; Der Venus edler Sohn ertheilt ihr zum Bescheide Mit zweifelndem Gemüth: Auf dieser weiten Heide Ward keine solche Magd anheut von uns verspürt, |
470 | Das Ohr von keinem Schall der Jagenden gerührt; O schönes Weib, wenn ich nur nicht im Nahmen fehle, Denn die Gestalt läßt nicht, die angenehme Kehle Schallt nicht, wie eines Weibs, das sterblich ist wie wir; Du bist von Götter-Art; Das Herz versicherts mir". |
475 | * * * Dieß sind die Häubter nun die weit und breit regierten, Und eine lange Reyh auf ihren Irrthum führten, Gepuztes, prächtigs Volck in güldenem Gewand, Das mehr durch äussern Schein als durch Verdienst bekannt. Doch die versaurte Stirn schien von verlohrnen Sorgen |
480 | Und Schul-Gelehrsamkeit manch tieffen Falt zu borgen. Inzwischen aber blieb der Musen reine Schaar Nicht an Verehrern bloß, ihr Tempel und Altar Nicht unbesuchet stehn, ihr Quell und Berg nicht öde. Es fehlte nicht an Kunst, Geschmack, und schöner Rede. |
485 | Man woge hier und dort mit Kunst-erfahrner Hand Die Sußigkeit des Klangs und trifftigen Verstand. [17] Doch Musa laß uns auch der Dichter Nahmen wissen; Sie waren nur um Lob in deinem Dienst befliessen. Zum ersten nennet sie, o freyer Caniz dich, |
490 | Der von des Hofs Gedräng in sich hinein entwich, Und mit gelindem Hohn der Narren sittsam lachte, Ein höflicher Satyr, der philosophisch dachte Und höflich lebete; sein Vers ist sanft und leicht, Wiewol der Inhalt schwer; sein Grund nicht trüb und seicht. |
495 | Zween andre führt der Ruhm mit ihm auf einem Wagen, Den hat uns Schlesien und den die Schweiz getragen. Gib acht, wie der Affect in Günthers Rede blitzt, Wiewohl ihn die Vernunft mit eisern Waffen schützt. Wann er sein Elend klagt, muß jeder sich ergeben; |
500 |
Nur um des Vaters Hertz mußt' Ertz und Eisen schweben. Sieh dann, wie Haller dort mit starck-gesetzten Muth Verrätherische Blick ins Menschen Busen thut; Und selbst auch der Vernunfft, die uns zu Menschen machet, So wie der Tugenden uud ihrer Ohnmacht lachet. |
505 | Ihr Stylus sticht hervor nach sehr besondrer Art. Des Schlesiers ist starck, nachdrücklich, doch was hart, Dieweil er stets ein Ding, das vor sich nicht bestehet, Kein eignes Wesen hat und nur mit andren gehet, Als was selbst-ständigs mahlt, mit Geist und Thun beseelt; |
510 | Gut wanns mit Maaß geschicht. Wahr ist es, er erwehlt Ein metaphor'sches Bild mit glücklichem Verstand Von Landes-Ubungen, und weist des Künstlers Hand Indem er Sprüchen selbst der Neuheit Anmuth borget, Und alles fällt ihm ein, und kommt ihm unbesorget. |
515 | Des Schweizers Schreibens-Art wird von Figuren licht, Aus welchen ein Begriff hervor ans Taglicht bricht, Worauf das Gleichniß-Wort, als seinem Grund bestehet, Gleichwie der Erden Ball sich um die Axe drehet. Bey ihm gab der Begriff den späthern Ausdruck her, |
520 | Und sein nicht leichter Vers ist von Gedancken schwer. [18] Wann dieses edle Paar die sanfte Lauten rühret, Wird Klang und Harmonie durch Brust und Blut geführet; Dann zeugt sich holde Lust, und ein vergnügtes Thun, Die Sorgen schlaffen ein, die schlimmen Wünsche ruhn. |
525 | Um ihren Wagen her seh ich drey andre hüpfen, Und mit der Wahrheit Scherz, und Ernst mit Spott verknüpfe. Den Dithmars, der vom Perß' und reichen Juvenal Mit künstlichem Betrug viel schöner Federn stahl; Den Holsten Wernicke, der Wahr und Falsch nicht mengte, |
530 | Und seinen reinen Witz mit Unwitz nicht besprengte, Der das geschminckte Nichts in Waldaus Lied erkannt, Und der's auch ohne Furcht ein buntes Nichts genannt Der dritte kam hervor von den berühmten Linden, Die Mutter feiner Zucht sich lehrreich zu verbinden; |
535 | Sang dieser ungefehr der Liebe keusche Glut, "So trieb der Griechen Kunst die Flammen in das Blut. Fünf andern scheint die Welt in prächtig-schönem Lichte, Der Mensch ein würd'ger Stoff zu einem Lob-Gedichte. Von Besser preist und singt, was ein entschloßner Held |
540 | Aus rechter Rache thut, bedeckt ein weites Feld Mit Waffen und mit Streit, durchläufft der Ordnung Glieder, Dehnt Reyh und Flügel aus, und schliesset sie dann wieder, Rückt anwerts oder hält, fällt plötzlich in die Quer, Selbst in dem wildsten Qualm wird ihm der Kopf nicht schwer. |
545 | Der Vers ist leicht und sanfft, die Schreib-Art so bescheiden, Daß sie recht furchtsam scheint, die Farben zu vermeiden, Und was die Poesie mehr an Figuren liebt, Was ihr den schönsten Glantz und Thun und Leben giebt. Er schreibt wie einer soll, der Welt-Geschichten schreibet, |
550 | Und Zeugen stellen muß, bevor ihm jemand gläubet. Ein Held ist nicht allein im Sturm und Treffen groß, Wann sein erhitztes Blut in allen Versen floß, Ein Held bleibt stets ein Held, auch im gemeinen Leben, [19] Und weiß sich selbst im Spiel und Kurzweil zu erheben. |
555 | Dergleichen Helden stellt uns König vor Gesicht, Der in des Friedens Schooß sich einen Krieg erdicht, Den Kinder, Mütter, Bräut', und Frauen nicht beklagen. Die so verschiedne Art zu stürmen und zu schlagen, Die tausend Königen unsterblich Lob gebracht, |
560 | Hat er mit einem Heer und spielend nachgemacht; Er sie, du König ihn. Wem ist wie dir vergönnet, Daß er der Pferde Kopf und Sitten alle kennet, Du Pferde-Bändiger! Wann dann die fromme Schlacht Vergnügt geschlossen ist, so folgt in stoltzer Pracht |
565 | Ein feyrlich Gastgebot in sinnreich schönen Reyhen, Und unverwirrter Zahl. Was Aug und Kehl erfreuen, Das Ohr vergnugen kan, hat hier der Seneschall Und Trucksäß wohl besorgt. Pomp herrschet überall. Hier scheinen Pracht und Kunst, den kühnsten Streich zu wagen, |
570 |
Der höheren Natur zum Wett-Streit abzusagen. Der Vers ist männlich zwar, jedoch geziert und zart, Ist sittsam doch behertzt, voll, doch nicht schwer und hart. Nur könnt er hier und dar mehr von der Prosa weichen, Und öffters seine Hand der ächten Dichtung reichen. |
575 | An einem andern Hof, nach einem andren Plan, Setzt auch Heräus starck die Lob-Trompeten an. Er weiß ein grosses Lob durch seines Geists Vermögen In einem höhern Licht im Ausdruck auszulegen. Sein angefüllter Vers gibt den Gedancken nach, |
580 | Und ist an Worten mehr, als an Begriffen schwach. Ihm folget Preussens Pietsch und könnt ihn übersteigen, Trät schädliche Begier des Witzes Kunst zu zeigen, Nicht dem Verstand zu nah, und fieng der Neigung Gang Mit bleyern Armen auf. Nun stockt sich sein Gesang. |
585 | Zu diesen muß ich hier auch Neukirchs Nahmen fügen, Nicht daß er am Parnaß weit aufwerts sey gestiegen, [20] Nur, weil er ohne Furcht die kühne That gewagt, Des Lohsteins falscher Lehr großmüthig abgesagt, Das, was er jung verehrt, im Alter ausgepfiffen, |
590 | Und mehr verworffen hat als Hancke noch ergriffen. Sonst ist sein Telemach fürwahr derselbe nicht, Von welchem Fenelon nach dem Homero spricht. Der wahre Telemach war an Gestalt und Wesen Und Sitten königlich, sein Ausdruck auserlesen, |
595 | Dem Mann und Ding gemäß, gesetzt und wohl bedacht: Des Neukirchs seiner scheint entblößt von edler Pracht, Von sehr gezwungnem Gang, verstört an Stirn und Minen. Die Rede muß dem Thon und nicht der Sache dienen, Ist unstet und verstellt. Doch Musa laß uns sehn, |
600 | Und Neukirchs Telemach selbst auf die Bühne stehn. "Calypso weinte noch. Ulyssens hartes scheiden Gieng ihr an Seel und Hertz. Was bey so bittrem Leiden Unüberwindlich schien, stets neuen Schmertz gebahr, War leider! daß sie nicht wie Menschen sterblich war. |
605 | Ihr kühles Grottenwerck sprang ohne Klang und Lieder: Die Nymphen schlugen nur die blöden Augen nieder; Sie selber schwieg und sah' der Floren reiche Bahn, Die hier beständig blüht, offt aber traurig an. Denn alle Lust war hin. Klee, Majoran, Narcissen, |
610 | Und was sie nur betrat, das sprach auch von Ulyssen, Dem sie vor kurtzem noch hier gegen über saß; Der hier so offt mit ihr an einer Taffel aß. Sie stund offt unbewegt hart an des Meeres Füssen. So viel es Wellen warff, ließ sie auch Thränen fliessen: |
615 | Und Auge, Sinn und Hertz war stets dahin gewandt, Wo jüngst Ulyssens Schiff und er zugleich verschwand. Indem sie weint und seufzt, kommt auf den Wassers Wogen Hier eine Ruderbanck, und dort ein Mast geflogen: Der angeschwemmte Sand, der sie vorhin erschreckt, |
620 | Wird plötzlich um und um mit Segeln überdeckt, Sie siehet Balcken, Thau, und halbgebrochne Stangen, [21] Die alle Zeugen seyn, was Aeolus begangen. Sie siehet weiter hin zwo Menschen an der See. Des einen graues Haupt schien weisser als der Schnee; |
625 | Der andre ja wohl jung, doch lang und außerlesen, Und hertzhafft wie der Fürst von Ithaca gewesen. Sein königlicher Gang entdeckt ihr nach und nach, Es sey Ulyssens Sohn, der muntre Telemach. Allein ob Götter mehr, als Menschen gleich ergründen; |
630 | Kan doch Calypso nicht mit allem Witze finden, Wer der von Majestät und Anmuth doch dabey So sehr gezierte Greiß an seiner Seite sey. Denn was der Ober-Rath der Götter nicht gewillet, Den Niedern kund zu thun, bleibt diesen auch verhüllet: |
635 |
Und also war noch nicht Calypsen offenbar, Daß Mentor, den sie sah, Minerva selber war. Gleichwohl lacht ihr das Hertz, daß sie nach so viel Wunden Im Telemach das Bild Ulyssens wieder funden: Und daß auf gleicher See, die ihr den Vater nahm, |
640 |
Der Sohn durch Wind und Sturm an ihre Gräntzen kam. Sie gehet auf ihn zu mit dräuenden Geberden. Was will, was, spricht sie, soll aus dieser Kühnheit werden? Weist du Verwegner nicht, wie fremde du auch bist, Daß, wer mein Land betritt, des blassen Todes ist? |
645 |
Sie suchte durch die Wort, voll Grimm und voller Schrecken, Der Freude süssen Trieb arglistig zu verstecken, Die dennoch mit Gewalt ihr aus den Augen brach, Als Telemach darauf, wer du auch Schönste, sprach, Mensch oder Göttin bist, (ob gleich aus deinem Blicke, |
650 |
Die Gottheit leicht erhellt,) kan wohl mein Ungelücke Das mir den Vater nahm, und mich zu mehrer Pein An diese Klippen wirfft, dir unempfindlich seyn? Was für ein Vater? Fuhr Calypso fort zu fragen. Ulysses, sprach der Printz. Mehr brauch ich nicht zu sagen. |
655 |
Du hast, o Göttin, ja von Helden wohl gehört, [22] Die zehen Jahr gekriegt und Jlium zerstört. Er war von ihrer Zahl. Sein Nahm ist aller Enden Von Griechen hoch geacht: Die Krafft von seinen Händen Hat Asien gefühlt: Und war es rathens Zeit, |
660 |
So überwog sein Witz noch seine Tapferkeit. Jetzt schwimmet er verrirrt auf wilden Meeres-Wellen: Streicht alle Tieffen durch bis an die Klufft der Höllen, Und sucht sein Vaterland, das dennoch, wie es scheint, Für seinem Vater flieht". |
665 |
Dies ist nicht Telemach, den Fenelon gepfleget, Und ihm Gedanck und Wort in Haupt und Mund geleget, Da eines allezeit fürs andre scheint gemacht, Gleich wie ein enges Wamms, der alten teutschen Tracht, Sich an die Glieder schließt, und die Gestalt entdecket, |
670 |
Die unsre Kleidungs-Art mit Walfisch-Bein umstecket. Du neue Musa, sprich, wie redte Fenelon? Wie bindet er in eins Gedancken, Wort und Thon? * * * Calypso grämte sich mit Sehnsucht und Verlangen, Seitdem der wackre Held Ulysses fortgegangen. |
675 |
Sie wünschte bey sich selbst ein sterblich Weib zu seyn, Denn die Unsterblichkeit verewigte die Pein. Man hörte sie nicht mehr, wie ehmahls, lieblich singen, Noch von dem süssen Lied ihr Grotten-Hauß erklingen. Sie nehrte ihren Gram und nahm es übel auf, |
680 |
Stört' etwann eine Nymph mit Trost des Schmertzens Lauff. Sie gieng die meiste Zeit nachsinnend, unbegleitet, Auf der beblühmten Fluhr, die rund-um ausgebreitet Wo mit dem weiten Meer ihr schönes Eyland gräntzt, Und jede Jahrszeit durch der Frühling ewig gläntzt: |
685 |
[23] Doch dieser schöne Platz, an statt sie zu erfreuen, War nur allein bequem ihr Leiden zu erneuen, Weil ihr im Sinne lag, wie oft hier Hand in Hand Ulysses sie geführt. Oft stuhnd sie an dem Strand Als unbeweglich, still, die Augen voller Zähren, |
690 |
Jndem dieselben stets sich nach der Spitze kehren, Wo sie Ulysses Kahn in mitten ihrer Klag' Aus dem Gesicht verlohr. An einem hellen Tag Ersieht sie da das Wrack von einem Schiffes-Kiele, Den die Gewalt des Sturms mit ungestümen Spiele |
695 |
Zerbrochen und zerstreut, zerrissen Mast und Rhee. Hernach erblicket sie zween Männer in der See. Den einen schmückten schon der Weisheit graue Haare, Im andern blühten noch der Jugend Frühlings-Jahre, Sein Thun und Wesen war erhaben, edel, reich, |
700 |
Voll Anmuth, Freudigkeit, Ulysses seinem gleich. Der Göttin war auch leicht den Printzen zu erkennen, Ulyssens wahren Sohn. Nur seinen Mitgesell erkannt' ihr Auge nicht, Wiewohl es göttlich war. Ein Gott von höherm Licht |
705 |
Kan den geringren leicht, was ihm beliebt, verhalten. Und Pallas, welche hier in der Gestalt des Alten Den Prink begleitete, wolt' unerkennbar seyn. Inzwischen holten sie das Ufer schwimmend ein. Die Göttin schaut erfreut den anderen Ulyssen, |
710 |
Und priese Sturm und Wind, die ihn hieher verschmissen, In ihr Gebieth und Reich. Sie gieng zu ihm hinan, Verbarg daß sie ihn kannt, und redt ihn zornig an. Was macht dich so behertzt an meinem Strand zu landen, Vermessner junger Mensch? Niemand entrinnt den Banden |
715 |
Wer mein Gebieth betritt. Also bedroht sie ihn. Umsonst, denn ihr Gesicht verrieth des Hertzens Sinn Mit seiner Heiterkeit, und strahlte nur von Güte. Ulyssens Sohn versatzt mit zweifelndem Gemüthe: Weib oder göttlichs Bild! Jedoch die Majestät, |
720 |
Der göttlich-hohe Glantz, und was dich sonst verräth, [24] Läßt keinem Zweifel Raum, o wahre Göttin, schone, Bezeige deine Gnad an einem treuen Sohne, Den Blut und Frömmigkeit den Vater suchen hieß, Und nur des Unglücks Hand an diese Klippen stieß. |
725 |
Wer ist dein Vater denn, begehrte sie zu wissen, Den du so fleissig suchst? Er nennet sich Ulyssen, Erwiedert Telemach, Laertens kluger Sohn, Der mit der Helden Schaar das starcke Jlion Zehn Jahre lang bekriegt; Von seinem höhern Ruhme |
730 |
Erschallt gantz Grecien nebst Priams Fürstenthume, Erhebt, was er im Kampf verrichtet mit der Hand, Doch mehr, was er im Rath vollzogen durch Verstand. Jezt irrt er auf der See; so weit ihr Arm nur reichet Besucht er jede Bay; vor ihm, so scheint es, weichet |
735 |
Und flieht sein Vaterland". † † † Also redt Fenelon, Und bindet so in eins Gedancke, Wort und Thon, Ein jedes sitzet fest in seinen eignen Schrancken, Der Thon zeugt nicht das Wort, das Wort nicht den Gedancken. * * * Sprich Musa! Wer der ist, der so alleine kömmt? |
740 |
Brocks, der kein schlechter Lob auf seine Flügel nimmt, Als nur des Schöpfers selbst. Merckt wie im Theil und Gantzen In Sternen, Feuer, Lufft, in Früchten, Blumen, Pflanzen, Sich Farbe, Schmuck, Gestalt, und Art so vielfach weist, Als vielfach Gottes Kunst und unerschöpft sein Geist : |
745 |
Dennoch hat der Poet in Theilen und im Gantzen In Sternen, Feuer, Lufft, in Fruchten, Blumen, Pflanzen, [25] Die Farbe, Schmuck, Gestalt der bildenden Natur Durch manch geschicktes Wort und fruchtbare Figur So vielfach vorgestellt, daß sich vor seinen Bildern |
750 |
Die Dinge noch so tief im Aug und Hirne schildern. Begreiff dich, dieses Lob verliehrt der Wahrheit Spuhr. Ein solches Lob gereicht zum Vorwurff der Natur. Das beste Meister-Stück ist nur von ihr ein Schatten, Wie gerne Schmeichler auch Natur und Kunst-Werck gatten. |
755 |
Sie ist die älteste, entsprang aus Gottes Haupt, Das, was die Kunst vermag, hat sie von ihr geraubt. Wie sie die Kargheit haßt, so meidet sie verschwenden, Ist reich an mancher Art und prächtig aller Enden: Doch in gewisser Maß, und ihrer Absicht nach, |
760 |
Nicht an dem Ausputz nur, am Wesen tausendfach. Und wer die Kunst mit ihr vermeinet zu vergleichen, Der kan durch seinen Fleiß und Müh mehr nicht erreichen, Als daß er jener Schwäch und Plumpheit uns entdeckt, Was aber prächtiges und hoh's in dieser steckt, |
765 |
Um keinen Grad erhöht. Hat Brockes alles dies in seiner Brust erwogen, Und nie mit falschem Putz Natur und Licht betrogen, Und die Verwunderung, so sie in uns gebiehrt, Samt der geheimen Lust, womit sie Hertzen rührt, |
770 |
Mit Prosa-gleicher Red' und Sprüchen nie gehindert, Mit Vortrag ohne Brand und Anmuth nie vermindert, So sag ich: Brockes ist von göttlichem Geschlecht, Die Menschheit mißt an ihm ihr allgemeines Recht. Undanckbarn steht ihr an, ein Denckmahl ihn zu bauen, |
775 |
Sein Bild in Marmor-Stein und in Porphyr zu hauen? Brocks ist der letzte nicht, ich sehe vor der Thür, Die aus der düsteren letheischen Revier, Wo das Vergessen herrscht, ans offne Tags-Licht führet, Ein Heer von Dichtern stehn. Wann die Natur sich rühret, |
780 |
Und ihre Frühlings-Lust in Thier und Menschen senckt, Wie dann das Bienen-Volck sich um die Fluhren drengt: [26] So wimmelts um das Thor von künfftigen Poeten, Die jetzt noch unberühmt an Lethens Ufer treten. Ich kan schon einige, die nächst am Thore stehn, |
785 |
Mit einem starcken Schritt heranwerts gehen sehn. Theils spornen schon den Grund und breiten ihre Flügel Die Krafft versuchend aus, verlachen Thür und Niegel. Eck, Wilckens, Richey, Zell - - - du muntre junge Schaar, Weint nicht daß aller Ruhm euch vorgelauffen war. |
790 |
Euch bleibt zu neuem Ruhm noch manche Schreib-Art offen Viel Dichtungs-Arten hat kein Teutscher noch getroffen. Ein jeder prüffe sich, und messe seine Krafft, Die Neigung seines Sinns, und Geistes Eigenschafft, Und dann erwehl' er erst, was er besingen wolle, |
795 |
Und lehrne, welchen Styl er an sich nehmen solle. Molierens Lorbeer bleibt noch immer unberuhrt, Der manchen stoltzen Geck im Schauplatz aufgeführt; Und deren Red' und Thun so lebhafft nachgemachet, Daß sie daruber offt unwissend selbst gelachet. |
800 |
Das ist ein Werck vor dich, der du den Mensch gesehn, Nicht seine Rinde nur, weist wie sie sich begehn, In jedem Amt und Stand, wie vielfach Hertz und Sinnen, Was da für lebens-Gründ' und Regeln sich entspinnen, Wie jeder nach dem Wunsch des Hertzens denckt und gläubt |
805 |
Und eine Sittenlehr zum eignen Brauche schreibt. Nur laß dich die Begier nach Beyfall nicht verleiten, Auf Possen ohne Witz und Tugend auszugleiten. Verachte, bist du groß, des Pöbels eiteln Ruhm, Und laß ihn Weis' und Gryph zu ihrem Eigenthum |
810 | Im Fall dein Geist sich mehr vor Klage-Thöne schicket, Und kennest du die Macht, womit das Schicksal drücket, Des Himmels Rache schlägt, wie auf den Pfaden offt Das Schicksal einen findt, wo mans zu fliehen hofft, Weist du, was einem Held, auf den das Unglück streichet, |
815 |
Der Leute Gunst erwirbt, was ihr Gemuth erweichet; [27] Durch was für Umstand sich ein Unfall höher schwellt, Daß er mit mehrer Last den Hörer überfällt, Daß nicht ein Neben-Werck die Haupt-Begegniß hindert, Noch fremde Leidenschafft die nöthige vermindert, |
820 |
Weist du mit was für Kunst des Dramatis Geschicht Geschwind und ohne Zwang im Schauplatz wird verricht, Gespielt und nicht erzehlt, wie die Begebenheiten Aus einem festen Grund, verknüpft, heraus zu leiten, So lege den Cothurn, den griech'schen Stiffel, an, |
825 |
Und schmeichle deinem Sinn mit nicht geringern dann, Als ein gesammtes Volck durch schmertzliches Ergötzen In der Affecten Hitz schier aus sich selbst zu setzen. Dann stärcke deinen Muth zum Fall der Opera, Dann schlag die Augen auf, dieweil ihr Ende nah. |
830 |
Ob noch so mächtige Maschinen sie beschützen, Ob hier die Götter gleich auf trucknen Wolcken sitzen, Ob hier gleich Amphion mit dem Orfeus singt, Und Wild, und Wald, und Berg, der Zauber-Thon bezwingt. Bisher that man zu viel für die geringern Sinnen, |
835 |
Nunmehr sey man bedacht die höhern zu gewinnen. Fühlt jemand in der Brust den buhlerischen Geist, Der ihn der Schönheit Macht und Sitten singen heißt, Der kan dies Thema selbst, das jedens Feder führet, In einem Licht besehn, das niemand noch berühret, |
840 |
Wann er bey seite setzt der Liebe ird'schen Brand, Ihr äusserliches Thun und wandelbaren Stand, Wann er die Liebe mahlt, die im Verstand entspringet, Die nur ein Weiser fühlt, der sich zum Himmel schwinget, Wo du der Schönheit Quell und ew'ger Brunnen bist, |
845 |
Von dem die weibliche ein blosser Außfluß ist. Von dieser Schönheit ward Petrarcha angestecket Und sah ihr himmlisch Bild in Laura dünn verdecket, Die Aufwart, die er macht, ist aus der massen rein, Wie seiner Sehnsucht Art und die Gedancken fein, |
850 |
Als die nicht an der Haut und Farb' alleine kleben, [28] Besondern tiefer gehn und um das innre schweben. Petrarcha war erfüllt mit ihrem Ruhm und Preiß, Als Gott mit diesem Schmuck der Himmels-Ballen Kreiß Mehr zu verherrlichen, sie bald zuruck genommen, |
855 |
Zumahl sie auch zuerst aus seiner Hand gekommen. Hat irgend die Natur in jemands Seel gesenckt Die Hoheit von Verstand, womit sie selbst gedenckt, Hat sie sich ihm entkleidt, die Regeln aufzudecken, Wie Ziel- und Reyhen-Weiß die Ding' in Dingen stecken, |
860 |
Ein Rad in andern Rad; demselben ist vergönnt, Daß er das Meister-Stück der Poesie beginnt. Erscheine, grosser Geist, und singe Ding' und Thaten So theils die Zeit begrub, theils ihr noch nicht gerathen. Ergäntz was sie verbarg, bring vor der Zeit herbey, |
865 |
Was einmahl kommen soll, zwar nicht nach dieser Reyh. Was jemahls die Natur vom Wunderbarn und Grossen In Engeln, Geistern, Mensch, und Cörpern eingeschlossen, Was in den Neigungen und Thaten hohes steckt, Liegt offenbar vor dir, entwickelt, unbedeckt. |
870 | Gefällt dir, wie mich daucht, den Schiffer abzureissen, Der arm und ohne Gelt noch eine Welt verheissen; Wiewohl die grosse Gab, die er so kühn verhieß, Europa lange Zeit mißtrauisch von sich stieß; So melde wie er doch zuletzt in See gegangen, |
875 |
Was auf dem neuen Meer für Wunder ihn empfangen. Als seine Flotte nun im alten Ocean Den nie betretnen Pfad versucht', und um und an Nur Lufft und Wasser stuhnd, war auf des Meeres Rücken Manch wunderbar Gesicht von See-Volck zu erblicken; |
880 |
Wie Triton, Proteus, and Glaucus anzusehn; Und manche Nereis und singende Syren Von seltzamer Gestalt; sie sahen voll Vergnügen, Mit Fittichen von Tuch das neue Wunder fliegen. Der Tag und folgende vergönnte Sterblichen |
885 |
In körperlicher Tracht unsterbliche zu sehn, [29] Die aus der See hervor biß an die Hüften ragten, Und um Colombi Schiff einander spielend jagten: Biß er das vor der Zeit nur fabelhaffte Land, Das selbst der Vogel Heer vor diesem niemahls fand, |
890 |
Das die Natur verdeckt, der Ocean umflossen, Durch Arbeit und Gefahr großmühtig aufgeschlossen. Er warffe voll Begier den Ancker in den Sand, Und drückt den grossen Tritt auf das erfundne Land; Indem er wunderns-voll den Himmel dorten siehet, |
895 |
Der ungewöhnlich hell mit fremden Sternen glühet. So bald die neue Flott durch jenen engen Sund In Panama gelandt, und jetzt am Ufer stuhnd, Lief stracks ein Hof-Gerücht: Aus einem andern Festen Käm ein gebärthet Volck auf schwimmenden Pallästen, |
900 |
Nicht schwärtzlich, sondern weiß. Ein kalter Schauer fuhr Durch Atabaliba; Zugleich ließ die Natur Zwey Unglücks-Zeichen sehn. Des Königs Thron erbebte Dreymahl, und zitterte, und um das Schloß-Dach schwebte Dreymahl ein todtes Feur. Und hätte dazumahl |
905 |
Den König nicht gehemmt des Schicksals höhre Wahl, So hätt er nicht versäumt die Flott' in Brand zu setzen, Und alles Volck am Strand zu opfern seinen Götzen. Dann würde jetzo noch das Schloß von Cusco stehn, Wir würden jetzo noch sein Magokappe sehn. |
910 | Damit auch dein Gedicht nicht menschlich und gemeine, Damit es dir bey Nacht geoffenbahret, scheine, So führe Geister ein, verschieden an Gestalt, An Farbe, Wissenschafft, an Tugend und Gewalt, Die Cörper angelegt, die Wercke ihrer Sinnen, |
915 |
Die Liebe oder Haß erzeugt hat, zu beginnen. Der Handlung, die du singst, erhabenes Gewicht, Woran America mit seiner Freyheit ligt, Ists wehrt, daß Engel selbst mit sorgens-vollen Blicken Nach ihrem Ausgang sehn, und die Geschicht beschicken; |
920 |
Von dir erwartet man, daß du der wissens-Lust, Die unersättlich reitzt, ein süsses Gnügen thust. Bericht denn, wie und was in einer höhern Sphäre [30] Gedacht wird und gethan; Erweitre und vermehre Des Wissens schmalen Schranck. Dir ist nicht unbekandt, |
925 |
Was jene Schaar beginnt, mit der dein Geist verwandt, Die durch dies Gantze fliegt, zwar still und ungesehen; Denn auf dem Leiter-Werck, worauf die Wesen stehen, Fängt, wo du dich befindst, der Geist und Engel an, Hört Mensch und Cörper auf. Du findst in dir den Plan, |
930 |
Was sie ins Himmels Saal; im tieffen Thal der Höllen, Und in der Sternen-Welt bemüht sind zu bestellen. Gesetzt, daß, was du meldst, vom Grund der Wahrheit weicht, So hänget es gleichwohl, so fern das Wissen reicht, An einer Ketten fest, woran kein Ring verfehlet; |
Und Wolf, dem die Natur die Weisheit vorgezehlet, Kan nichts darinne sehn, das selbst sich widerspricht: Und seine Meinung gilt nicht mehr als dein Gedicht. |
Erstdruck und Druckvorlage
Character Der Teutschen Gedichte.
— An erit qui velle recuset
Os populi meruisse, et cedro digna locutus
Linquere nec scombros metuentia carmina nec Thus?
o.O. [Zürich]; o.J. [1734].
Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck
(Editionsrichtlinien).
URL: https://books.google.fr/books?id=6XQ6AAAAcAAJ
URL: https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10105985?
URL: https://archive.org/details/bub_gb_6XQ6AAAAcAAJ
URL: https://collections.library.yale.edu/catalog/2046582
URL: https://doi.org/10.3931/e-rara-17083
Literatur: Bodmer
Axer, Eva u.a. (Hrsg.): Schreibarten im Umbruch.
Stildiskurse im 18. Jahrhundert.
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Bamberger, Gudrun: Netzwerk und Werkpolitik.
Martin Opitz und der Zürcher Literaturstreit
(Gottsched - Bodmer/Breitinger - Triller)
In: Martin Opitz (1597–1639).
Hrsg. von Stefanie Arend u. Johann Anselm Steiger.
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Berndt, Frauke u.a. (Hrsg.): Johann Jacob Bodmers Praktiken.
Zum Zusammenhang von Ethik und Ästhetik im Zeitalter der Aufklärung.
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Domsch, Sebastian: The Emergence of Literary Criticism in 18th-Century Britain.
Discourse between Attacks and Authority.
Berlin u. Boston 2014 (= Buchreihe der Anglia / Anglia Book Series, 47).
Elit, Stefan / Bremer, Kai (Hrsg.): Handbuch Versepik.
Paradigmen - Poetiken - Geschichte.
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Fries, Katja: Poetische Palimpseste.
Parodie und Satire in den literaturkritischen Dichtungen von Johann Jakob Bodmer.
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Hees-Pelikan, Johannes: Johann Jakob Bodmers Arbeit an der Ästhetik.
Göttingen 2024.
Kammer, Stephan: Überlieferung.
Das philologisch-antiquarische Wissen im frühen 18. Jahrhundert.
Berlin u. Boston 2017.
Lütteken, Anett u.a. (Hrsg.): Bodmer und Breitinger
im Netzwerk der europäischen Aufklärung.
Göttingen 2009.
Schwarz, Olga K.: Rationalistische Sinnlichkeit.
Zur philosophischen Grundlegung der Kunsttheorie 1700 bis 1760.
Leibniz - Wolff - Gottsched - Baumgarten.
Berlin u. Boston 2022.
Süwolto, Leonie / Schlieper, Hendrik (Hrsg.):
Johann Christoph Gottscheds Versuch einer Critischen Dichtkunst
im europäischen Kontext.
Heidelberg 2020 (= Germanisch-romanische Monatsschrift; Beiheft, 99).
Sulzer, Johann Georg / Bodmer, Johann Jakob: Briefwechsel.
Hrsg. von Elisabeth Décultot u. Jana Kittelmann.
2 Bde. Basel 2020.
Edition
Lyriktheorie » R. Brandmeyer