Johann George Neukirch

Anfangs-Gründe zur Reinen Teutschen Poesie Itziger Zeit

 

Vorbericht zu den Anfangs-Gründen Der reinen Teutschen Poesie itziger Zeiten.

 

Text
Editionsbericht
Literatur

 

&. 1.

 

[1] DIe Poesie / eine edle Gabe GOttes und galante Wissenschafft politer Welt, ist zu allen Zeiten in grossen Estim gewesen, so daß nicht nur die allerhöchsten Häupter Geistliches und Weltliches Standes, sondern auch viele Kriegs Helden, der Adel und Kern von gelehrten Leuten Bürgerlicher Extraction sich derselben gewiedmet und diejenigen, so sich darinnen vor andern hervorgethan, in hohen Werth gehalten.

&. 2.

[2] Es konte nicht anders seyn ; man hielte sie theils vor was Göttliches und Himmlisches, weil solches herrliche Talent nicht allen, sondern nur einigen und fast aus Gunst beygeleget würde; theils auch vor eine fähige Wissenschaft, darinnen die Göttliche und weltliche Weißheit mit Nachdruck könne vorgetragen werden, der Menschen Hertzen und Gemüther mit desto leichterer Mühe zu gewinnen; daher sie auch der unvergleichliche Lohenstein die erste Wiege der Weißheit genennet.

&. 3.

Doch wie alle Disciplinen und Wissenschafften, so Liebens- und Lobenswürdig sie sind, ihre Neider und Tadler finden: so hat die Poesie gleiche Fatalität erleiden müssen; wiewohl die Menge ihrer Liebhaber weit grösser gewesen, als die kleine Zahl ihrer Feinde. Unter den alten Philosophis hat schon Plato davor gehalten, daß man keine Poeten in der Republic leyden solte; und zu unsern Zeiten hat des Welt-beruffenen Tanaquilli Fabri Sohn gleiches Nahmens, äber nicht gleichen Verstandes mit dem Vater, in seiner Läster-Schrifft: de futilitate Poëtices die Poesie und Poeten auf eine unverantwortliche Weise durchgezogen; dem aber der Hr. Prof Korthold und ein gelehrter Leipziger Magister Fridericus Gvilielmus Schüzius in einer soliden Disputation gründlich wiederleget und ihn dadurch zu einen ewigen Stillschweigen gebracht. Wie dann auch kein vernünfftiger Mensch weder den Vorurtheilen des Platonis bey[3]pflichten, noch den Lästerungen des Tanaquilli Fabri Gehör geben, sondern der Poesie ihr gehöriges Lob und Hochachtung mittheilen wird.

&. 4.

Gleichergestalt ist auch unsere löbliche teutsche Poesie noch in grossen Estim, so daß wir fast in einem Seculo Poëtico leben, da von allen Orten her der liebliche Gesang teutscher Schwanen gehöret wird; Ja es hat fast das Ansehen, als wolle sich selbige an keinen gewissen Ort unsers geliebten Vaterlandes mehr binden lassen. Die Poetische Sonne, so zuerst in Schlesien in reiner Klahrheit aufgegangen, läuft nunmehro alle 10 Creyse von Teutschland durch und theilet ihre angenehme Strahlen allen Provinzen in gleicher Würckung mit. Ja es zeigen die schönen Geburthen der Poeten, daß unter den kalten Climate von Teutschland so wohl bon Esprit als bel Esprit anzutreffen sey, ob es gleich der neidische und hochmüthige Franzose Bouhours dieser tapfern und politen Nation nicht zustehen wollen, wovon zu conferiren die gelehrte Vorrede des Herrn M. Meisters in seinen unvorgreifflichen Gedancken von teutschen Epigrammatibus.

&. 5.

Jedoch so grossen Ruhm itzo unsere Poesie verdienet, so ist sie doch nicht zu allen Zeiten also gewesen. Denn da die alten Teutschen mehr auf die Ubung der Waffen als Polirung der Sprache und Poesie bedacht waren, sind freylich ihre Poetische Geburthen, wie ihre Sprache etwas rauh [4] gewesen. Unterdessen wird doch niemand ihr Alterthum in Zweiffel ziehen, indem sie so alt als die Sprache selber ist. Tacitus nennete es schon zu seiner Zeit Carmina antiqua, wodurch sie aus Mangel der Schrifft das Andencken ihres Ursprunges und die vortrefflichen Thaten ihrer Helden auf die Nachkommen fortgepflantzet, welche Gewohnheit noch zu Taciti Zeiten im Gebrauch gewesen und biß auf Carolum M. gedauret. Ihre Poeten hiessen Barden und die Lieder Bar, die Tacitus Barditus nennet. Diese nun, da sie nicht zu alten Zeiten gleiche Zierde und Annehmlichkeit blicken lassen, sondern nach und nach excoliret worden; so pfleget man sie auch in drey Alter einzuutheilen, so daß man macht
Das 1. Alter von Anfang der teutschen Sprache biß auf Carolum. M.
Das 2. Alter von Carolo M. biß auf Opitzen.
Das 3. Alter von Opitzen biß auf unsere Zeiten
.

&. 6.

Von der Poesie erster Zeit ist zu bedauren, daß wir nichts aufzuweisen haben, als was uns Tacitus davon meldet, wie sie nehmlich gewisse Lieder gehabt, wenn er de moribus Germanorum cap.2. spricht: Celebrant carminibus antiquis. quod unum apud illos memoriæ & Annalium genus est, Tuistonem Deum terra editum & Filium Mannum originem gentis conditoresq; und zu Ende des 2. Buchs seiner Annalium sagt er von den [5] Cheruscischen Fürsten und teutschen Feldherrn Arminio: Canitur adhuc barbaras apud gentes; Græcorum annalibus ignotus, qui sua tantum mirantur. Woraus wir den Inhalt ihrer Gedichte und Lob-Gesänge wahrnehmen und daraus schliessen können 1) daß schonlängst vor Taciti Zeiten uhralte Gedichte unter den Teutschen üblich gewesen, wodurch sie ihre Geschichte auf die Nachkommen gebracht. 2) Daß diese Lieder ein Stück ihres Gottesdienstes ausgemacht und dann 3) daß man die Lob-Gesänge von den tapfern Arminio durch gantz Teutschland gesungen, so daß sie auch dem Tacito nicht müssen unbekant gewesen seyn, inden er hin und wieder in seinen Schrifften den Inhalt derselben anführet. Daher irret Olaus Rudbec in seiner Atlantica lib. IV. cap. 24. wenn er das Alterthum der teutschen Poesie uns will streitig machen. Welchen gelehrten und seine Alterthümer alzusehr erhebenden Schweden, der berühmte Morhof in seinem Unterricht von der teutschen Sprache und Poesie Part. II. c. 6. gründlich geantwortet, und der teutschen Poeterey Alterthum wieder ihn behauptet. Diese uhralten teutschen Lieder, so viel ihrer zu bekommen gewesen, hat Carolus M. fleißig zusammen gesucht, selbst abgeschrieben und auswendig gelernet, wie uns davon Eginhartus in Vita ejus folgende Nachricht hinterlassen: Quod barbara & antiquissima carmina, quibus veterum regum actus & bella cantantur, scripserit, memoriæque mandaverit. Um welche Alterthümer wir nach und nach, theils [6] in dem grossen interregno, theils gantz und gar in dem Dreyßig-Jährigen Kriege gekommen sind, da der muthwillige und in solchen Dingen unerfahrne Soldate vollends ruiniret, was noch hier und da in den Clöstern und Bibliothequen davon verhanden gewesen. Und stehet also dahin, ob diejenigen alten Carmina, so annoch in den Closter-Bibliothequen zu St. Gall, zu Eichstädt und zu St. Emeran in Regenspurg auf Pergament geschrieben sollen zu finden seyn und wovon Hoffmannswaldau in der Vorrede seiner Gedichte Meldung thut, von der Sorte der alten Lieder sind, davon Tacitus und Eginhartus gedencket; oder nicht vielmehr von der mittleren Zeit. Wäre also zu wünschen, daß diese alte Gefangene endlich zu ihrer Freyheit gelangten, den Gelehrten zur Curiosité und der teutschen Nation zur Ehre das Tages-Licht schauen möchten.

&. 7.

Das andere Alter der teutschen Poererey, so wir Carolo M. und den folgenden löblichen Teutschen Käysern zu dancken, gibt uns zwar durch einige hinterlassene monumenta ein grosses Licht; doch würde es viel größer gewesen seyn, wann Aventinus, nach Gesneri Bericht, seine Germaniam Illustratam, herausgegeben, da er in dem ersten Buche de carminibus antiquis, quibus Cornelius Tacitus usus est & quæ Carolus M. auxit & recentiores corrupere zu handeln versprochen; ingleichen wann Schilteri sein Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum völlig ans [7] Licht kommen. So müssen wir uns einiger massen vergnügen, was uns Morhof, Hoffmannswaldau, Omeis, und andere davon hinterlassen. Sonderlich war die Poesie mitler Zeit unter dem Friderico Barbarossa eine rechte Ubung des Adels, so daß auch Durchlauchtige Personen, Kriegs-Helden und der vornehmste Adel beyderley Geschlechts darinnen um gewisse aufgestellte Præmia certirten. Doch litte die so herrlich blühende Poesie, wie andere Wissenschafften, ihren Abfall unter den Creutz-Zügen; und wo sie nicht die so genanten Meister-Sänger noch in etwas unterstützet, wäre sie beynahe gar untergangen. Von diesen Meister-Sängern findet man in Elsaß, Schwaben und Francken noch einige Uberbleibsel; von ihrem Ursprunge aber, Fortgang, Liedern, Gesetzen, zuverläßige Nachricht in des Wagenseils Commentatione de S. R. I. libera Civitate Norinbergensi, wobey zu conferiren Cyriaci Spangenbergs Werck von der edlen und hochberühmten Kunst der Music, ingleichen Hahnemanns Anmerckungen über Opitii Buch von der teutschen Prosodie; Tentzel in seinen Monathlichen Unterredungen, in Monat Novemb. 1691. pag. 912 - 947. Und Omeis in seiner Anleitung zur teutschen Reim- und Dicht-Kunst p. 33. sqq. Sonst sind merckwürdig in diesem andern Alter die Carmina Illustris puellæ Germanæ, die HROSVITA geheissen. Die Historie des Ritter Theurdancks, Reinicke. Voß, Froschmäußlers und Hanß Sachsens Gedichte etc.

&. 8.

[8] Das dritte Alter, worinnen unsere teutsche Poesie ihre rechte Reinigkeit und Anmuth gefunden, fänget man billig von Martin Opitzen aus Boberfeld in Schlesien an: Denn dieser unvergleichliche und in vielen Wissenschafften und Sprachen geübte und belesene Mann hat unsere Poesie in eine gantz andere Form gegossen, indem er gewisse pedes formirte und die alte Gewohnheit durch Zehlung der Sylben abschaffete, weil unsere Sprache wegen der vielen Consonantium nicht so gelinde pronunciret werden kan, als etwan die Italiänische und Frantzösische, deren Poeten noch itzo auf keine pedes, sondern auf die Zahl der Sylben sehen. Hierdurch nun hat die alte Rauhigkeit vergehen und ein reiner Fluß in den Versen erfolgen müssen. Da Er nun hierinnen keinen Vorgänger gehabt: so gebühret ihm auch deßfalls der Ruhm alleine; so daß ihm unser Geliebtes Vaterland eben so viel zu dancken hat als Griechenland dem Homero; Rom dem Virgilio; Franckreich seinem Ronsard und Italien seinem Tasso. Dieser berühmte Opitz hat an allen Orten und zu allen Zeiten theils viel würdige, sonderlich an seinen berühmten Landes-Leuten, dem Hoffmannswaldau, Lohenstein, Abschatz, Canitz, an den Gryphiis, Mühlpfort und Neukirchen etc. theils auch viel unwürdige Nachfolger gehabt, welche man nach Alphabetischer Ordnung lesen kan in der schönen Dissertation de Poëtis Germanicis des Herrn Neumeisters.

&. 9.

[9] Zu dem dritten Alter sind auch zu ziehen die teutschen Societäten, deren intention war / die teutsche Sprache und Poesie zu excoliren, wiewohl sie es nicht allemahl getroffen haben. Davon sind viere sonderlich bekant.

1. Die Fruchtbringende Gesellschafft oder der teutsche Paimen Orden, Anno 1612 den 24. Augusti zu Weymar gestiftet, wozu. der Herr Caspar von Teutleben ein rechter Patriot am meisten geholffen und dadurch als ein Teutleben der teutschen Sprache gleichsam ein neues Leben geschencket. In diesen Orden war allemahl ein Reichs-Fürst das Oberhaupt; Opitz selbst ist darinnen unter dem Nahmen des Gekrönten ein würdiges Mitglied gewesen.
2. Die Teutsch-gesinnte Genossenschafft oder die Rosen-Lilien-u. Negelein-Zunfft, welche Philipp Zesen von Furstenau Anno 1642 in Hamburg gestiftet.
3. Der gekrönte Blumen Orden an der Pegnitz, oder die so genannte Pegnitz-Schäferey, so Herr George Philipp Harsdörffer, ein Nürnbergischer Patricius Anno 1642. gestiftet. Diese haben Morhof, Neumeister und Menantes ziemlich verächtlich tractiret; Denen aber Omeis, in seiner Reim- und und Dicht-Kunst pag. 54.sqq. mit einer besondern modestie geantwortet, und seinen [10] Orden als ein würdiges Mitglied gehöriger massen defendiret.
4. Die Schwanen-Gesellschafft an der Elbe, die Herr Johann Rist Comes Palat. Cæsar. und Prediger zu Wedel an der Eibe Anno 1660, aufgerichtet. Von welchen Genossenschafften die erste, andere und vierdte nicht sonderlich mehr im Flor seyn.

&. 10.

Da nun Opitz und andere berühmte Poeten, so ihm glücklich gefölget, auch in Zukunfft viele Nachfolger haben möchten: so fragen Liebhaber der edlen Poesie nicht unbillig, wie die Sache anzugreiffen sey, wenn man in dieser galanten Wissenschafft was rechtschaffenes præstiren wolle? Denen man billig mit dem Axiomate der Alten die Antwort ertheilet, welches sie bey Erlernung der Künste und Wissenschafften gebrauchten, nehmlich: Natura incipit, Ars dirigit, Exercitatio perficit, indem sich solches auch hauptsächlich auf unsere Poesie appliciren lässet: denn die Natur, die Kunst und die Ubung machen einen guten Poeten.

&. 11.

Von dem Poetischen Naturell, welches in der Poesie den Anfang machet, hat es von undencklichen Jahren her geheissen: Poëta non fit, sed nascitur, wodurch angezeiget wurde, daß ein Poet nicht überall und zu allen Zeiten anzutreffen, sondern es sey rara avis in terris. Denn da ein Land offt viele Helden, Gelehrte und Künstler hervor [11] brächte; wären doch die Poeten gar dünne gesäet. Es ist auch wahr; Der berühmte Virgilius ließ sich erst durch seine unvergleichliche Poesie sehen. da Rom albereit 800 Jahr gestanden, und schon durch viele Helden-Thaten den benachbarten Potenzen ein Schrecken war. Ja es scheinet die Natur mit dieser edlen Gabe nicht allzufreygebig zu seyn, weil sie nicht allen ohne Unterscheid dieses herrliche Talent mittheilet, sondern nur dann und wann einem klugen Kopfe das Vermögen schencket, sich durch die Poesie gefällig, berühmt und groß zu machen.

&. 12.

Allein wann wir unsere Zeiten ansehen, dürffte man fast sagen: Poëta & fit & nascitur. Denn wir haben die schönste Gelegenheit, den vollkommensten Apparatum und die deutlichsten Anleitungen dazu, an welchen Überfluß es den Alten, bey welchen das erste Sprichwort entstanden, gefehlet zu haben scheinet. Wo nun zu diesem apparatu vollends ein glückliches Naturell das seinige beyträgt, kan es nicht fehlen, daß man in dieser edlen Wissenschafft nicht was sonderliches verrichten solte

&. 13.

Das Naturell soll ein gewisser Göttlicher Einfluß in die Gemüther der Poeten seyn, Krafft welchen sie vortreffliche Einfälle hätten, und solche unvergleichliche Sachen unverhofft und ohne Mühe hervor brächten, welche sie bey deren Uberlesung kaum für ihre eigne Arbeit halten könten. Bey den [12] Griechen hieß es ὲνϑουσιαςμὸς, bey den Lateinern Furor poeticus, Vena oder Indoles poëtica; bey uns Teutschen aber ein gutes Naturell, Poetischer Geist oder Trieb, wovon weitläufftig und ausführlich handeln Zentgraphius & Petrus Petitus de Furore Poetico, ingleichen Korthold in seiner Disputation sub Præsidio Muhlii de Enthusiasmo Poetico.

&. 14.

Doch ist ein Unterscheid zu machen unter dem Enthusiasmo Poetico und einem fähigen Naturell; dieses bleibet immer in seinem guten Zustande und kommet uns bey aller Gelegenheit und zu aller Zeit zustatten; aber jener, nehmlich der Enthusiasmus kommet nicht stets, sondern will erwartet seyn. Allein wann solcher Poetische Geist beginnet zu wallen, hat man in einer Stunde mehr gute Einfälle, als uns sonst wohl in einigen Tagen nicht einfallen können. Es bindet sich solcher an kein Alter, wie dann Heinsius, Grotius und Torquatus Tassus schon in ihren 8ten biß 9ten Jahre die schönsten Verse geschrieben; ja er zeiget sich bisweilen bey einer Familie, als bey Brüdern, wie an den Opitiis, Felleris und Carpzoviis; und bey Vater und Sohn, wie an den Scaligeris, Heinsiis, Gryphiis und andern mit Verwunderung zu ersehen; ja bißweilen gar auf Handwercks-Leute, wie an Opitz, Fellern und Hanß Sachsen zu sehen.

&. 15.

Fraget man: Wo dieser Enthusiasmus eigent[13]lich herrühre? so ist der meisten ihre Meynung, daß er entweder von GOtt, vom Satan oder andern natürlichen Ursachen seinen Ursprung nehme. Kein vernünfftiger Christ wird in Zweiffel ziehen, daß die Psalmen und Lieder der Propheten im Alten Testament und die andächtigen und erbaulichen Lieder des Neuen Bundes von GOttes Eingebung und Triebe herrühren. Ob aber auch die Prophezeyungen etlicher Poeten als des Lotichii vom Untergange der Stadt Magdeburg; Nostradami von den Begebenheiten unterschiedlicher Fürstlichen Häuser und Simon Dachs von der Königlichen Preußischen Crone hieher gehören, das hat der unvergleichliche Buddeus in einer zu Halle gehaltenen Disputation über die Frage: An naturali homines polleant vaticinandi facultate, gründlich gewiesen.

&. 16.

Von des Teuffels Eingebung rühren ausser Zweiffel her alle geile Huren- und Sauff Lieder, wodurch man den unreinen Heydnischen Schand-Göttern Veneri und Baccho auf eine unverantwortliche Weise Opfer bringet; ingleichen alle gereimte Pasqville und Sau-Zoten in den Hochzeit-Gedichten; die Expressiones mögen auch noch so gelehrt, sinnreich und unvergleichlich seyn, als sie wollen. In welche Classe man auch sehen möchte die Carmina Sybillina, von welchen letzteren gedachter Petitus und Korthold zu conferiren sind.

&. 17.

Was endlich die natürlichen Ursachen betrifft [14] wodurch das Ingenium eines Poeten aufgemuntert und der Poeten-Kasten in ein rechtes Geschicke gebracht wird, werden von vielen zwar viele angegeben; wir wollen aber derselben nur einige anführen, worunter zu zehlen

1. Ein melancholisches Temperament: Denn dieses hilfft viel zur Vena Poetica, sonderlich in tiefsinnigen, traurigen und ernsthafften Gedichten, wo die Phantasie geschäfftig seyn muß.
2. Der Affect brünstiger Liebe; Daher findet man bey den besten Poeten, daß ihre sinnreichsten Erfindungen und geschicktesten Ausbildungen aus diesem feurigen Affect geflossen. Wiewohl sich ein Poet diesen offt schädlichen Affect nicht zu sehr aufopfern muß, damit er dadurch nicht unter die Zahl verliebter Narren gerathen möge; oder zu Dingen verleitet werde, wodurch GOtt erzürnet, das Gewissen verletzet und Tugend-liebende Hertzen geärgert werden, wovon zu conferiren die geschickte Vorrede des Herrn M. Rambachs über seine Poetische Fest-Gedancken.
3. Der Wein / dessen bey sich führende Kräffte und Spiritus die Poetischen Geister wallend machen sollen. Einige nennen daher den Wein Poëtarum Caballum, vermittelst welchen sie sich auf dem Parnasso munter herum zu tummeln vermeynen. Und soll er nach dem bekanten Vers:

[15] Vina parant animos faciuntque furoribus aptos.

allerdings gute Dienste thun, welches andern zu erweisen überlasse. Viele fügen diesem mit bey andere Liquores, als Brandtwein, Bier, Thee und Caffe, wovon sie nicht ausschliessen eine gute Pfeiffe Cnaster, wodurch ihnen bey auffsteigenden Rauch auch hohe Gedancken aufsteigen sollen.
4. Die Einsamkeit, wo man ein ungestöhrtes Nachsinnen auf die vorhabenden Sachen haben kan, weil die Sinne durch nichts gestöhret noch die Gedancken distrahiret werden. Daher lieben viele Poeten Garten- und Lust-Häuser, Gärten und Büsche zu ihrer Poetischen meditation, wie es dann auch nichts ungewöhnliches, daß man eine stille und schattigte Alleé einen Poeten-Gang zu benennen pfleget.
5. Das fleißige Lesen sinnreicher und geschickter Poeten / sowohl, die unser geliebtes Vaterland teutscher Nation, als welche andere Länder mit Ruhm hervorgebracht; denn durch deren unvergleichliche Sachen und feurige Expressiones werden die Funcken, so in uns verborgen liegen, leicht entzündet und in angenehme Flammen gebracht. Hierdurch sind viele geschickte Dichter worden, die vorher darauf nicht gedacht haben. Daher man es auch vor das beste Mittel hält, die Poetischen Geister zu excitiren.

&. 18.

[16] Allein so gut das Naturell und so glücklich die Poetische Vena aufgebracht ist, wird doch nichts geschicktes vorgebracht werden / wo nicht der Kopf mit nöthigen Wissenschafften ausgerüstet ist. Man spricht, ein Poet sey ein Centrum eruditionis, welches niemand in Zweiffel ziehen wird. Soll er das Vermögen besitzen, von allen geschickt zu schreiben, so müssen in ihm, als in einem Mittel-Punct, alle Wissenschafften und Künste zusammen fliessen nach dem unverwerfflichen Judicio des Petronii: Neque concipere neque edere partum mens potest, nisi ingenti flumine literarum inundata. Sonderlich muß er verstehen

1. Die Hoch-teutsche Sprache nach ihren Grund-Regeln und weitläufftigen Begriff, damit er nicht falsch schreibe und eine Redens-Art wegen des Reims, der Construction und Scansion auf vielerley Art geben könne. Er muß die Fähigkeit haben, alle vorkommende Sachen, mit saubern, geschickten und annehmlichen Worten auszudrücken und durch gute Ausbildungen der schlechten Invention ein Geschicke zu geben. Diese Hoch-teutsche Sprache zu excoliren muß er anfangs seine Zuflucht nehmen zu den besten Politicis, Gelehrten und Poeten: denn bey diesen ist die Reinigkeit der Sprache zu suchen, indem sie allenthalben und an keinen gewissen Ort von Teutschland gebunden ist; massen an den meisten Orten, wo man das [17] sauberste Hochteutsch redet, ein rechter Kenner der hochteutschen Sprache dennoch wohl einige Fehler finden kan.

2. Die Oratorie. Denn ist die Poesie eine Tochter der Wohlredenheit, so muß derjenige, so ihre schöne Tochter haben will, vorher mit der Mutter vertraulich umgegangen seyn, damit sie ihm zu der invention, disposition und elocution den Weg bahne, den er in Ersteigung des Parnassi zu gehen nöthig hat, um endlich diese seine Geliebte zu umarmen.

3. Die Physic, die Moral, die Erfahrung, die Historie und andere Wissenschafften, soll er anders gute Einfälle in der Invention, allusion, illustration und Amplification haben, in Vorstellung der Gemüths-Bewegungen glücklich seyn, und sich durch eine gelehrte, scharfsinnige und nachdrückliche Schreib-Art gefällig machen.

&. 19.

Allein gleichwohl schrieben die alten Poeten so schön, und doch waren sie mit so vollkommenen Wissenschafften nicht ausgerüstet, wie wir sie heutiges Tages haben. Wer schreibet so geschickt wie Virgilius? so annehmlich wie Ovidius? so sinnreich wie Horatius? Es ist wahr; allein sie lebten zu den Zeiten des glückseligen Augusti dessen Hoff ihnen eine vollkommene Academie war. Die herrlichen Præmia und die sonderbahre Hochachtung und Estim brachte diese vortrefflichen Ingenia zu einer æmulation, so daß es immer einer [18] dem andern an geschickten Gedichten zuvor that, welches, so es noch heute, und nicht vielmehr das Gegentheil, beobachtet würde, solte manch gutes Ingenium, die schönsten Gedichte zu schreiben, ohne Zweiffel angereitzet werden.

&. 20.

Ein gutes Naturell, mit solchen Wissenschafften ausgezieret, machet sodann sich mit Vortheil bekant, die Grund-Sätze der Poesie, wann es was ordentliches und geschicktes will zu Marckte bringen. Es lernet nicht nur, was zur blossen Prosodie gehöret, als die Lehren vom Accent, von Pedibus, von Reimen und unterschiedlichen Vers-Arten, sondern auch die Structur einzeler Verse, und aus denselben die Ausarbeitung gantzer Strophen und endlich vermittelst solcher die Ausführung gantzer Gedichte. Denn das blosse Naturell ist nicht hinlänglich, sondern es ist wie ein roher Diamant, welcher zwar seinen Werth hat; aber erst durch die Kunst seinen vollkommenen Glantz und Zierde erhalten muß.

&. 21.

Es haben gar viele weitläufftige Lehr-Sätze von der Poesie geschrieben, davon wir nur einige berühren wollen, als Opitz, Buchner, Zeesen, Harsdörffer, Morhof, Weise, Roth, Omeis, Hübner, Ludewig, Menantes oder vielmehr Neumeister, welche einem Anfänger in der Poesie nicht ohne Trost lassen. Ja einige haben von einzelen Stücken der Poesie geschrieben, als von dem Reimen der Herr Hübner in der ersten Edition seines [19] Poetischen Handbuchs; Von der Elocution M. Johann Jänichen Gymnas. Halens. Rector; von Madrigalen der Hr. Ziegler; von Epigrammatibus M. Meister; von Cantaten der Herr Menantes seinen Theatralischen Gedichten etc. welchen überhaupt ihr gebührendes Lob gehöret; wiewohl immer einer dem andern an Deutlichkeit und Geschicke zu übertreffen scheinet.

&. 22.

Doch weil die meisten davon theils in den Buchläden rar weiden, theils einige Stücke der Poesie gar nicht oder doch wenigstens nicht mit gehöriger Deutlichkeit tractiret: so hoffe der poetisirenden Jugend durch diese Anfangs-Gründe in den meisten Stücken einen deutlichen und hinlänglichen Unterricht zu ertheilen, was zu der üblichen und reinen Poesie itziger Zeiten nothwendig erfordert wird. Verlanget sie Nachricht in der Prosodie, so wird der erste Anfangs-Grund solche unterrichten. Ist sie begierig in der Poetischen Elocution, Invention und Disposition was gefälliges zu erlernen, so wird der 2. 3. und 4te Anfangs-Grund weitläufftige Instruction schencken. Ja will sie sich in galanten Gedichten umsehen, wird der 5te und letzte Anfangs-Grund solche nicht ohne Trost lassen. Summa, an nöthigen Regeln und deutlichen Exempeln ist kein Mangel, damit Sie auch dadurch das andere Requisitum eines Poeten erhalten möge, wovon das Axioma saget: Ars dirigit.

&. 23.

[20] Endlich muß noch hinzukommen die Ubung, nach der Vorschrifft des Axiomatis: Exercitatio perficit. Denn diese leget gleichsam den letzten Stein zu den Poetischen Gebäude. Es ist nicht gnung ein gutes Naturell haben und kunstmäßige Regeln wissen, wer hierinnen eine Fertigkeit und Ruhm erhalten will, muß selber Hand anlegen, und den Anfang erst mit einzelen Strophen, dann mit kurtzen und endlich in langen Gedichten machen, auf unterschiedliche Fälle. Geschiehet dieses nicht, so lernet er wohl von Versen urtheilen; aber keine mit gehöriger Geschicklichkeit ausarbeiten. Zu dem Ende habe nicht nur durch und durch die Præcepta mit deutlichen Exempeln erläutert, sondern auch hinter einem jeden Anfangs-Grund Regeln angehänget, wie man die besten Poeten mit Nutzen lesen, mit Vortheil imitiren, seinen schlechten Stylum und Invention daraus verbessern, und sich also nach und nach dadurch qualificiren möge. Diese Methode halte um so viel leichter und practicabler, je grösser sich der Nutzen gezeiget, so mir und andern daraus erwachsen ist.

&.24.

Das erste Requisitum muß ein angehender Poet besitzen, und das dritte wohl beobachten. Zu dem andern aber werden ihn folgende Grund-Regeln zustutzen, zu deren Abhandlungen wir nun mit GOtt schreiten und dessen Seegen dazu von oben erwarten wollen.

 

 

 

 

Erstdruck und Druckvorlage

Johann George Neukirch: Anfangs-Gründe zur Reinen Teutschen Poesie Itziger Zeit / Welche der Studierenden Jugend Zum besten und Zum Gebrauch seines AUDITORII In Zulänglichen Regeln und deutlichen Exempeln entworffen.
Halle im Magdeb.: Renger 1724, S. 1-20.

Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck (Editionsrichtlinien).

PURL: https://hdl.handle.net/2027/mdp.39015055248606
URL: https://books.google.fr/books?id=xI5MAAAAMAAJ
URL: https://archive.org/details/anfangsgrndezur00neukgoog

 

 

 

Literatur

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Edition
Lyriktheorie » R. Brandmeyer