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[1] DIe Poesie / eine edle Gabe GOttes und galante Wissenschafft
politer Welt, ist zu allen Zeiten in grossen Estim gewesen,
so daß nicht nur die allerhöchsten Häupter Geistliches und Weltliches Standes,
sondern auch viele Kriegs Helden, der Adel und Kern von gelehrten Leuten
Bürgerlicher Extraction sich derselben gewiedmet und diejenigen,
so sich darinnen vor andern hervorgethan, in hohen Werth gehalten.
[2] Es konte nicht anders seyn ; man hielte sie theils vor was Göttliches
und Himmlisches, weil solches herrliche Talent nicht allen, sondern nur
einigen und fast aus Gunst beygeleget würde; theils auch vor eine fähige
Wissenschaft, darinnen die Göttliche und weltliche Weißheit mit Nachdruck
könne vorgetragen werden, der Menschen Hertzen und Gemüther mit desto
leichterer Mühe zu gewinnen; daher sie auch der unvergleichliche Lohenstein
die erste Wiege der Weißheit genennet.
Doch wie alle Disciplinen und Wissenschafften, so Liebens- und Lobenswürdig
sie sind, ihre Neider und Tadler finden: so hat die Poesie gleiche
Fatalität erleiden müssen; wiewohl die Menge ihrer Liebhaber weit grösser
gewesen, als die kleine Zahl ihrer Feinde. Unter den alten Philosophis hat
schon Plato davor gehalten, daß man keine Poeten in der Republic leyden
solte; und zu unsern Zeiten hat des Welt-beruffenen Tanaquilli Fabri Sohn
gleiches Nahmens, äber nicht gleichen Verstandes mit dem Vater, in seiner
Läster-Schrifft: de futilitate Poëtices die Poesie und Poeten auf eine
unverantwortliche Weise durchgezogen; dem aber der Hr. Prof Korthold und ein
gelehrter Leipziger Magister Fridericus Gvilielmus Schüzius in einer soliden
Disputation gründlich wiederleget und ihn dadurch zu einen ewigen
Stillschweigen gebracht. Wie dann auch kein vernünfftiger Mensch weder
den Vorurtheilen des Platonis
bey[3]pflichten, noch den Lästerungen des Tanaquilli Fabri Gehör geben,
sondern der Poesie ihr gehöriges Lob und Hochachtung mittheilen wird.
Gleichergestalt ist auch unsere löbliche teutsche Poesie noch in grossen
Estim, so daß wir fast in einem Seculo Poëtico leben, da von allen
Orten her der liebliche Gesang teutscher Schwanen gehöret wird; Ja es
hat fast das Ansehen, als wolle sich selbige an keinen gewissen Ort unsers
geliebten Vaterlandes mehr binden lassen. Die Poetische Sonne, so zuerst
in Schlesien in reiner Klahrheit aufgegangen, läuft nunmehro alle 10 Creyse
von Teutschland durch und theilet ihre angenehme Strahlen allen Provinzen
in gleicher Würckung mit. Ja es zeigen die schönen Geburthen der Poeten,
daß unter den kalten Climate von Teutschland so wohl bon Esprit als bel
Esprit anzutreffen sey, ob es gleich der neidische und hochmüthige
Franzose Bouhours dieser tapfern und politen Nation nicht zustehen wollen,
wovon zu conferiren die gelehrte Vorrede des Herrn M. Meisters in seinen
unvorgreifflichen Gedancken von teutschen Epigrammatibus.
Jedoch so grossen Ruhm itzo unsere Poesie verdienet, so ist sie doch nicht
zu allen Zeiten also gewesen. Denn da die alten Teutschen mehr auf die
Ubung der Waffen als Polirung der Sprache und Poesie bedacht waren, sind
freylich ihre Poetische Geburthen, wie ihre Sprache etwas rauh
[4] gewesen. Unterdessen wird doch niemand ihr Alterthum in Zweiffel
ziehen, indem sie so alt als die Sprache selber ist. Tacitus nennete es
schon zu seiner Zeit Carmina antiqua, wodurch sie aus Mangel der Schrifft
das Andencken ihres Ursprunges und die vortrefflichen Thaten ihrer Helden
auf die Nachkommen fortgepflantzet, welche Gewohnheit noch zu Taciti Zeiten
im Gebrauch gewesen und biß auf Carolum M. gedauret. Ihre Poeten hiessen
Barden und die Lieder Bar, die Tacitus Barditus nennet.
Diese nun, da sie
nicht zu alten Zeiten gleiche Zierde und Annehmlichkeit blicken lassen, sondern
nach und nach excoliret worden; so pfleget man sie auch in drey Alter
einzuutheilen, so daß man macht
Das 1. Alter von Anfang der teutschen Sprache biß auf Carolum. M.
Das 2. Alter von Carolo M. biß auf Opitzen.
Das 3. Alter von Opitzen biß auf unsere Zeiten.
Von der Poesie erster Zeit ist zu bedauren, daß wir nichts aufzuweisen
haben, als was uns Tacitus davon meldet, wie sie nehmlich gewisse Lieder
gehabt, wenn er de moribus Germanorum cap.2. spricht: Celebrant carminibus
antiquis. quod unum apud illos memoriæ & Annalium genus est, Tuistonem Deum
terra editum & Filium Mannum originem gentis conditoresq; und zu Ende des
2. Buchs seiner Annalium sagt er von den
[5] Cheruscischen Fürsten und teutschen Feldherrn Arminio:
Canitur adhuc
barbaras apud gentes; Græcorum annalibus ignotus, qui sua tantum mirantur.
Woraus wir den Inhalt ihrer Gedichte und Lob-Gesänge wahrnehmen und daraus
schliessen können 1) daß schonlängst vor Taciti Zeiten uhralte Gedichte
unter den Teutschen üblich gewesen, wodurch sie ihre Geschichte auf die
Nachkommen gebracht. 2) Daß diese Lieder ein Stück ihres Gottesdienstes
ausgemacht und dann 3) daß man die Lob-Gesänge von den tapfern Arminio
durch gantz Teutschland gesungen, so daß sie auch dem Tacito nicht müssen
unbekant gewesen seyn, inden er hin und wieder in seinen Schrifften den
Inhalt derselben anführet. Daher irret Olaus Rudbec in seiner
Atlantica lib. IV. cap. 24. wenn er das Alterthum der teutschen Poesie
uns will streitig machen. Welchen gelehrten und seine Alterthümer
alzusehr erhebenden Schweden, der berühmte Morhof in seinem Unterricht
von der teutschen Sprache und Poesie Part. II. c. 6. gründlich geantwortet,
und der teutschen Poeterey Alterthum wieder ihn behauptet. Diese uhralten
teutschen Lieder, so viel ihrer zu bekommen gewesen, hat Carolus M.
fleißig zusammen gesucht, selbst abgeschrieben und auswendig gelernet,
wie uns davon Eginhartus in Vita ejus folgende Nachricht hinterlassen:
Quod barbara & antiquissima carmina, quibus veterum regum actus & bella
cantantur, scripserit, memoriæque mandaverit. Um welche Alterthümer
wir nach und nach, theils
[6] in dem grossen interregno, theils gantz und gar in dem Dreyßig-Jährigen
Kriege gekommen sind, da der muthwillige und in solchen Dingen unerfahrne
Soldate vollends ruiniret, was noch hier und da in den Clöstern und
Bibliothequen davon verhanden gewesen. Und stehet also dahin, ob
diejenigen alten Carmina, so annoch in den
Closter-Bibliothequen zu St. Gall,
zu Eichstädt und zu St. Emeran in Regenspurg auf Pergament geschrieben
sollen zu finden seyn und wovon Hoffmannswaldau in der Vorrede seiner
Gedichte Meldung thut, von der Sorte der alten Lieder sind, davon Tacitus
und Eginhartus gedencket; oder nicht vielmehr von der mittleren Zeit. Wäre
also zu wünschen, daß diese alte Gefangene endlich zu ihrer Freyheit
gelangten, den Gelehrten zur Curiosité und der teutschen Nation zur Ehre
das Tages-Licht schauen möchten.
Das andere Alter der teutschen Poererey, so wir Carolo M.
und den folgenden
löblichen Teutschen Käysern zu dancken, gibt uns zwar durch einige
hinterlassene monumenta ein grosses Licht; doch würde es viel größer
gewesen seyn, wann Aventinus, nach Gesneri Bericht, seine Germaniam
Illustratam, herausgegeben, da er in dem ersten Buche de carminibus
antiquis, quibus Cornelius Tacitus usus est & quæ Carolus M. auxit &
recentiores corrupere zu handeln versprochen; ingleichen wann Schilteri
sein Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum völlig ans
[7] Licht kommen. So müssen wir uns einiger massen vergnügen, was uns
Morhof, Hoffmannswaldau, Omeis, und andere davon hinterlassen. Sonderlich
war die Poesie mitler Zeit unter dem Friderico Barbarossa
eine rechte Ubung des
Adels, so daß auch Durchlauchtige Personen, Kriegs-Helden und der vornehmste
Adel beyderley Geschlechts darinnen um gewisse aufgestellte Præmia certirten.
Doch litte die so herrlich blühende Poesie, wie andere Wissenschafften,
ihren Abfall unter den Creutz-Zügen; und wo sie nicht die so genanten
Meister-Sänger noch in etwas unterstützet, wäre sie beynahe gar untergangen.
Von diesen Meister-Sängern findet man in Elsaß, Schwaben und Francken
noch einige Uberbleibsel; von ihrem Ursprunge aber, Fortgang, Liedern,
Gesetzen, zuverläßige Nachricht in des Wagenseils Commentatione de S. R. I.
libera Civitate Norinbergensi, wobey zu conferiren Cyriaci
Spangenbergs Werck
von der edlen und hochberühmten Kunst der Music, ingleichen Hahnemanns
Anmerckungen über Opitii Buch von der teutschen Prosodie; Tentzel in seinen
Monathlichen Unterredungen, in Monat Novemb. 1691. pag. 912 - 947. Und Omeis
in seiner Anleitung zur teutschen Reim- und Dicht-Kunst p. 33. sqq. Sonst
sind merckwürdig in diesem andern Alter die Carmina Illustris puellæ
Germanæ,
die HROSVITA geheissen. Die Historie des Ritter Theurdancks, Reinicke. Voß,
Froschmäußlers und Hanß Sachsens Gedichte etc.
[8] Das dritte Alter, worinnen unsere teutsche Poesie ihre rechte Reinigkeit
und Anmuth gefunden, fänget man billig von Martin Opitzen aus Boberfeld in
Schlesien an: Denn dieser unvergleichliche und in vielen Wissenschafften und
Sprachen geübte und belesene Mann hat unsere Poesie in eine gantz andere Form
gegossen, indem er gewisse pedes formirte und die alte Gewohnheit durch
Zehlung der Sylben abschaffete, weil unsere Sprache wegen der vielen
Consonantium nicht so gelinde pronunciret werden kan,
als etwan die Italiänische
und Frantzösische, deren Poeten noch itzo auf keine pedes, sondern auf die Zahl
der Sylben sehen. Hierdurch nun hat die alte Rauhigkeit vergehen und ein
reiner Fluß in den Versen erfolgen müssen. Da Er nun hierinnen keinen
Vorgänger gehabt: so gebühret ihm auch deßfalls der Ruhm alleine; so daß ihm
unser Geliebtes Vaterland eben so viel zu dancken hat als Griechenland dem
Homero; Rom dem Virgilio; Franckreich
seinem Ronsard und Italien seinem
Tasso. Dieser berühmte Opitz hat an allen Orten und zu allen Zeiten
theils viel würdige, sonderlich an seinen berühmten Landes-Leuten, dem
Hoffmannswaldau, Lohenstein, Abschatz, Canitz, an den Gryphiis, Mühlpfort
und Neukirchen etc. theils auch viel unwürdige Nachfolger gehabt, welche
man nach Alphabetischer Ordnung lesen kan in der schönen Dissertation de
Poëtis Germanicis des Herrn Neumeisters.
[9] Zu dem dritten Alter sind auch zu ziehen die teutschen Societäten,
deren intention war / die teutsche Sprache und Poesie
zu excoliren, wiewohl
sie es nicht allemahl getroffen haben. Davon sind viere sonderlich bekant.
1. Die Fruchtbringende Gesellschafft oder der teutsche Paimen Orden,
Anno 1612 den 24. Augusti zu Weymar gestiftet, wozu. der Herr Caspar
von Teutleben ein rechter Patriot am meisten geholffen und dadurch als
ein Teutleben der teutschen Sprache gleichsam ein neues Leben geschencket.
In diesen Orden war allemahl ein Reichs-Fürst das Oberhaupt; Opitz
selbst ist darinnen unter dem Nahmen des Gekrönten ein würdiges Mitglied gewesen.
2. Die Teutsch-gesinnte Genossenschafft oder die Rosen-Lilien-u.
Negelein-Zunfft, welche Philipp Zesen von Furstenau Anno 1642 in Hamburg
gestiftet.
3. Der gekrönte Blumen Orden an der Pegnitz, oder die so genannte
Pegnitz-Schäferey, so Herr George Philipp Harsdörffer, ein
Nürnbergischer Patricius Anno 1642. gestiftet. Diese haben Morhof,
Neumeister und Menantes ziemlich verächtlich tractiret; Denen aber
Omeis, in seiner Reim- und und Dicht-Kunst pag. 54.sqq. mit einer
besondern modestie geantwortet, und seinen
[10] Orden als ein würdiges Mitglied gehöriger massen defendiret.
4. Die Schwanen-Gesellschafft an der Elbe, die Herr Johann Rist
Comes Palat. Cæsar. und Prediger zu Wedel an der Eibe Anno 1660,
aufgerichtet. Von welchen Genossenschafften die erste, andere und
vierdte nicht sonderlich mehr im Flor seyn.
Da nun Opitz und andere berühmte Poeten, so ihm glücklich gefölget, auch
in Zukunfft viele Nachfolger haben möchten: so fragen Liebhaber der edlen
Poesie nicht unbillig, wie die Sache anzugreiffen sey, wenn man in dieser
galanten Wissenschafft was rechtschaffenes præstiren wolle? Denen man
billig mit dem Axiomate der Alten die Antwort ertheilet, welches sie bey
Erlernung der Künste und Wissenschafften gebrauchten, nehmlich: Natura
incipit, Ars dirigit, Exercitatio perficit, indem sich solches auch
hauptsächlich auf unsere Poesie appliciren lässet: denn die Natur, die
Kunst und die Ubung machen einen guten Poeten.
Von dem Poetischen Naturell, welches in der Poesie den Anfang machet,
hat es von undencklichen Jahren her geheissen: Poëta non fit, sed nascitur,
wodurch angezeiget wurde, daß ein Poet nicht überall und zu allen Zeiten
anzutreffen, sondern es sey rara avis in terris. Denn da ein Land offt
viele Helden, Gelehrte und Künstler hervor
[11] brächte; wären doch die Poeten gar dünne gesäet. Es ist auch wahr;
Der berühmte Virgilius ließ sich erst durch seine unvergleichliche Poesie
sehen. da Rom albereit 800 Jahr gestanden, und schon durch viele
Helden-Thaten den benachbarten Potenzen ein Schrecken war. Ja es
scheinet die Natur mit dieser edlen Gabe nicht allzufreygebig zu seyn,
weil sie nicht allen ohne Unterscheid dieses herrliche Talent mittheilet,
sondern nur dann und wann einem klugen Kopfe das Vermögen schencket,
sich durch die Poesie gefällig, berühmt und groß zu machen.
Allein wann wir unsere Zeiten ansehen, dürffte man fast sagen: Poëta &
fit & nascitur. Denn wir haben die schönste Gelegenheit, den
vollkommensten Apparatum und die deutlichsten Anleitungen dazu, an welchen
Überfluß es den Alten, bey welchen das erste Sprichwort entstanden,
gefehlet zu haben scheinet. Wo nun zu diesem apparatu vollends ein
glückliches Naturell das seinige beyträgt, kan es nicht fehlen,
daß man in dieser edlen Wissenschafft nicht was sonderliches verrichten
solte
Das Naturell soll ein gewisser Göttlicher Einfluß in die Gemüther der
Poeten seyn, Krafft welchen sie vortreffliche Einfälle hätten, und solche
unvergleichliche Sachen unverhofft und ohne Mühe hervor brächten, welche
sie bey deren Uberlesung kaum für ihre eigne Arbeit halten könten. Bey den
[12] Griechen hieß es ὲνϑουσιαςμὸς, bey den Lateinern Furor poeticus, Vena
oder Indoles poëtica; bey uns Teutschen aber ein gutes Naturell,
Poetischer Geist oder Trieb, wovon weitläufftig und ausführlich handeln
Zentgraphius & Petrus Petitus de Furore Poetico, ingleichen Korthold in
seiner Disputation sub Præsidio Muhlii de Enthusiasmo Poetico.
Doch ist ein Unterscheid zu machen unter dem Enthusiasmo Poetico und einem
fähigen Naturell; dieses bleibet immer in seinem guten Zustande und kommet
uns bey aller Gelegenheit und zu aller Zeit zustatten; aber jener, nehmlich
der Enthusiasmus kommet nicht stets, sondern will erwartet seyn. Allein
wann solcher Poetische Geist beginnet zu wallen, hat man in einer Stunde mehr
gute Einfälle, als uns sonst wohl in einigen Tagen nicht einfallen können.
Es bindet sich solcher an kein Alter, wie dann Heinsius, Grotius und
Torquatus Tassus schon in ihren 8ten biß 9ten Jahre die schönsten Verse
geschrieben; ja er zeiget sich bisweilen bey einer Familie, als bey Brüdern,
wie an den Opitiis, Felleris und Carpzoviis; und bey Vater und Sohn,
wie an den Scaligeris, Heinsiis, Gryphiis und andern mit Verwunderung
zu ersehen; ja bißweilen gar auf Handwercks-Leute, wie an Opitz,
Fellern und Hanß Sachsen zu sehen.
Fraget man: Wo dieser Enthusiasmus
eigent[13]lich herrühre? so ist der meisten ihre Meynung, daß er entweder
von GOtt, vom Satan oder andern natürlichen Ursachen seinen Ursprung nehme.
Kein vernünfftiger Christ wird in Zweiffel ziehen, daß die Psalmen und
Lieder der Propheten im Alten Testament und die andächtigen und erbaulichen
Lieder des Neuen Bundes von GOttes Eingebung und Triebe herrühren. Ob aber
auch die Prophezeyungen etlicher Poeten als des Lotichii vom Untergange der
Stadt Magdeburg; Nostradami von den Begebenheiten unterschiedlicher
Fürstlichen Häuser und Simon Dachs von der Königlichen Preußischen Crone
hieher gehören, das hat der unvergleichliche Buddeus in einer zu Halle
gehaltenen Disputation über die Frage: An naturali homines polleant
vaticinandi facultate, gründlich gewiesen.
Von des Teuffels Eingebung rühren ausser Zweiffel her alle geile Huren- und
Sauff Lieder, wodurch man den unreinen Heydnischen Schand-Göttern Veneri und
Baccho auf eine unverantwortliche Weise Opfer bringet; ingleichen alle
gereimte Pasqville und Sau-Zoten in den Hochzeit-Gedichten; die
Expressiones mögen auch noch so gelehrt, sinnreich und unvergleichlich seyn,
als sie wollen. In welche Classe man auch sehen möchte die Carmina Sybillina,
von welchen letzteren gedachter Petitus und Korthold zu
conferiren sind.
Was endlich die natürlichen Ursachen betrifft
[14] wodurch das Ingenium eines Poeten aufgemuntert und der Poeten-Kasten
in ein rechtes Geschicke gebracht wird, werden von vielen zwar viele
angegeben; wir wollen aber derselben nur einige anführen, worunter zu zehlen
1. Ein melancholisches Temperament: Denn dieses
hilfft viel zur Vena Poetica,
sonderlich in tiefsinnigen, traurigen und ernsthafften Gedichten, wo die
Phantasie geschäfftig seyn muß.
2. Der Affect brünstiger Liebe; Daher findet man bey den besten Poeten,
daß ihre sinnreichsten Erfindungen und geschicktesten Ausbildungen aus
diesem feurigen Affect geflossen. Wiewohl sich ein Poet diesen
offt schädlichen Affect nicht zu sehr aufopfern muß, damit er dadurch
nicht unter die Zahl verliebter Narren gerathen möge; oder zu Dingen
verleitet werde, wodurch GOtt erzürnet, das Gewissen verletzet und
Tugend-liebende Hertzen geärgert werden, wovon zu conferiren die
geschickte Vorrede des Herrn M. Rambachs über seine Poetische
Fest-Gedancken.
3. Der Wein / dessen bey sich führende Kräffte und
Spiritus die Poetischen Geister wallend machen sollen. Einige nennen
daher den Wein Poëtarum Caballum, vermittelst welchen sie sich auf dem
Parnasso munter herum zu tummeln vermeynen. Und soll er nach dem
bekanten Vers:
[15] Vina parant animos faciuntque furoribus aptos.
allerdings gute Dienste thun, welches andern zu erweisen überlasse.
Viele fügen diesem mit bey andere Liquores, als Brandtwein, Bier,
Thee und Caffe, wovon sie nicht ausschliessen eine gute Pfeiffe Cnaster,
wodurch ihnen bey auffsteigenden Rauch auch hohe Gedancken aufsteigen sollen.
4. Die Einsamkeit, wo man ein ungestöhrtes Nachsinnen auf die vorhabenden
Sachen haben kan, weil die Sinne durch nichts gestöhret noch die Gedancken
distrahiret werden. Daher lieben viele Poeten Garten- und Lust-Häuser,
Gärten
und Büsche zu ihrer Poetischen meditation, wie es dann auch nichts
ungewöhnliches, daß man eine stille und schattigte Alleé einen Poeten-Gang
zu benennen pfleget.
5. Das fleißige Lesen sinnreicher und geschickter Poeten / sowohl, die
unser geliebtes Vaterland teutscher Nation, als welche andere Länder mit
Ruhm hervorgebracht; denn durch deren unvergleichliche Sachen und feurige
Expressiones werden die Funcken, so in uns verborgen liegen, leicht
entzündet und in angenehme Flammen gebracht. Hierdurch sind viele geschickte
Dichter worden, die vorher darauf nicht gedacht haben. Daher man es auch
vor das beste Mittel hält, die Poetischen Geister zu excitiren.
[16] Allein so gut das Naturell und so glücklich die Poetische Vena
aufgebracht ist, wird doch nichts geschicktes vorgebracht werden / wo
nicht der Kopf mit nöthigen Wissenschafften ausgerüstet ist. Man spricht,
ein Poet sey ein Centrum eruditionis, welches niemand in Zweiffel ziehen
wird. Soll er das Vermögen besitzen, von allen geschickt zu schreiben, so
müssen in ihm, als in einem Mittel-Punct, alle Wissenschafften und Künste
zusammen fliessen nach dem unverwerfflichen Judicio des
Petronii: Neque
concipere neque edere partum mens potest, nisi ingenti flumine literarum
inundata. Sonderlich muß er verstehen
1. Die Hoch-teutsche Sprache nach ihren Grund-Regeln und weitläufftigen
Begriff, damit er nicht falsch schreibe und eine Redens-Art wegen des
Reims, der Construction und Scansion auf vielerley Art geben könne.
Er muß die Fähigkeit haben, alle vorkommende Sachen, mit saubern,
geschickten und annehmlichen Worten auszudrücken und durch gute Ausbildungen
der schlechten Invention ein Geschicke zu geben. Diese Hoch-teutsche Sprache
zu excoliren muß er anfangs seine Zuflucht nehmen zu den besten Politicis,
Gelehrten und Poeten: denn bey diesen ist die Reinigkeit der Sprache zu
suchen, indem sie allenthalben und an keinen gewissen Ort von Teutschland
gebunden ist; massen an den meisten Orten, wo man das
[17] sauberste Hochteutsch redet, ein rechter Kenner der hochteutschen
Sprache dennoch wohl einige Fehler finden kan.
2. Die Oratorie. Denn ist die Poesie eine Tochter der Wohlredenheit,
so muß derjenige, so ihre schöne Tochter haben will, vorher mit der Mutter
vertraulich umgegangen seyn, damit sie ihm zu der invention, disposition
und elocution den Weg bahne, den er in Ersteigung des Parnassi zu gehen
nöthig hat, um endlich diese seine Geliebte zu umarmen.
3. Die Physic,
die Moral, die Erfahrung, die Historie und andere Wissenschafften, soll
er anders gute Einfälle in der Invention, allusion, illustration und
Amplification haben, in Vorstellung der Gemüths-Bewegungen glücklich
seyn, und sich durch eine gelehrte, scharfsinnige und nachdrückliche
Schreib-Art gefällig machen.
Allein gleichwohl schrieben die alten Poeten so schön, und doch waren sie
mit so vollkommenen Wissenschafften nicht ausgerüstet, wie wir sie heutiges
Tages haben. Wer schreibet so geschickt wie Virgilius? so annehmlich wie
Ovidius? so sinnreich wie Horatius? Es ist wahr;
allein sie lebten zu den
Zeiten des glückseligen Augusti dessen Hoff ihnen
eine vollkommene Academie
war. Die herrlichen Præmia und die sonderbahre
Hochachtung und Estim brachte
diese vortrefflichen Ingenia zu einer æmulation,
so daß es immer einer
[18] dem andern an geschickten Gedichten zuvor that, welches, so es noch
heute, und nicht vielmehr das Gegentheil, beobachtet würde, solte manch
gutes Ingenium, die schönsten Gedichte zu schreiben, ohne Zweiffel
angereitzet werden.
Ein gutes Naturell, mit solchen Wissenschafften ausgezieret, machet
sodann sich mit Vortheil bekant, die Grund-Sätze der Poesie, wann es was
ordentliches und geschicktes will zu Marckte bringen. Es lernet nicht nur,
was zur blossen Prosodie gehöret, als die Lehren vom Accent,
von Pedibus,
von Reimen und unterschiedlichen Vers-Arten, sondern auch die Structur einzeler
Verse, und aus denselben die Ausarbeitung gantzer Strophen und endlich
vermittelst solcher die Ausführung gantzer Gedichte. Denn das blosse Naturell
ist nicht hinlänglich, sondern es ist wie ein roher Diamant, welcher zwar
seinen Werth hat; aber erst durch die Kunst seinen vollkommenen Glantz und Zierde
erhalten muß.
Es haben gar viele weitläufftige Lehr-Sätze von der Poesie geschrieben,
davon wir nur einige berühren wollen, als Opitz, Buchner, Zeesen,
Harsdörffer, Morhof, Weise, Roth, Omeis, Hübner, Ludewig, Menantes
oder vielmehr Neumeister, welche einem Anfänger in der Poesie nicht ohne
Trost lassen. Ja einige haben von einzelen Stücken der Poesie geschrieben,
als von dem Reimen der Herr Hübner in der ersten Edition seines
[19] Poetischen Handbuchs; Von der Elocution M. Johann Jänichen Gymnas.
Halens. Rector; von Madrigalen der Hr. Ziegler;
von Epigrammatibus M. Meister;
von Cantaten der Herr Menantes seinen Theatralischen Gedichten
etc. welchen
überhaupt ihr gebührendes Lob gehöret; wiewohl immer einer dem andern
an Deutlichkeit und Geschicke zu übertreffen scheinet.
Doch weil die meisten davon theils in den Buchläden rar weiden,
theils einige Stücke der Poesie gar nicht oder doch wenigstens nicht mit
gehöriger Deutlichkeit tractiret: so hoffe der poetisirenden Jugend durch
diese Anfangs-Gründe in den meisten Stücken einen deutlichen und
hinlänglichen Unterricht zu ertheilen, was zu der üblichen und reinen Poesie itziger
Zeiten nothwendig erfordert wird. Verlanget sie Nachricht in der Prosodie,
so wird der erste Anfangs-Grund solche unterrichten. Ist sie begierig in
der Poetischen Elocution, Invention und Disposition was gefälliges zu
erlernen, so wird der 2. 3. und 4te Anfangs-Grund weitläufftige Instruction
schencken. Ja will sie sich in galanten Gedichten umsehen, wird der 5te und
letzte Anfangs-Grund solche nicht ohne Trost lassen. Summa, an nöthigen
Regeln und deutlichen Exempeln ist kein Mangel, damit Sie auch dadurch das
andere Requisitum eines Poeten erhalten möge,
wovon das Axioma saget: Ars
dirigit.
[20] Endlich muß noch hinzukommen die Ubung, nach der Vorschrifft
des Axiomatis: Exercitatio perficit. Denn diese leget gleichsam den
letzten Stein zu den Poetischen Gebäude. Es ist nicht gnung ein gutes
Naturell haben und kunstmäßige Regeln wissen, wer hierinnen eine Fertigkeit
und Ruhm erhalten will, muß selber Hand anlegen, und den Anfang erst mit
einzelen Strophen, dann mit kurtzen und endlich in langen Gedichten machen,
auf unterschiedliche Fälle. Geschiehet dieses nicht, so lernet er wohl von
Versen urtheilen; aber keine mit gehöriger Geschicklichkeit ausarbeiten. Zu
dem Ende habe nicht nur durch und durch
die Præcepta mit deutlichen Exempeln
erläutert, sondern auch hinter einem jeden Anfangs-Grund Regeln angehänget,
wie man die besten Poeten mit Nutzen lesen, mit Vortheil imitiren, seinen
schlechten Stylum und Invention daraus verbessern,
und sich also nach und
nach dadurch qualificiren möge. Diese Methode
halte um so viel leichter und
practicabler, je grösser sich der Nutzen gezeiget,
so mir und andern daraus
erwachsen ist.
Das erste Requisitum muß ein angehender Poet besitzen, und das dritte wohl beobachten. Zu dem andern aber werden ihn folgende Grund-Regeln zustutzen, zu deren Abhandlungen wir nun mit GOtt schreiten und dessen Seegen dazu von oben erwarten wollen.
Erstdruck und Druckvorlage
Johann George Neukirch:
Anfangs-Gründe zur Reinen Teutschen Poesie Itziger Zeit /
Welche der Studierenden Jugend Zum besten und Zum Gebrauch seines AUDITORII
In Zulänglichen Regeln und deutlichen Exempeln entworffen.
Halle im Magdeb.: Renger 1724, S. 1-20.
Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck
(Editionsrichtlinien).
PURL: https://hdl.handle.net/2027/mdp.39015055248606
URL: https://books.google.fr/books?id=xI5MAAAAMAAJ
URL: https://archive.org/details/anfangsgrndezur00neukgoog
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Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen.
Tübingen 1970.
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In: Handbuch Lyrik. Theorie, Analyse, Geschichte.
Hrsg. von Dieter Lamping.
2. Aufl. Stuttgart 2016, S. 2-15.
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Deutsche Barockpoetik und rhetorische Tradition.
Mit einer Bibliographie zur Forschung 1966 – 1986.
3. Aufl. Tübingen 1991 (= Rhetorik-Forschungen, 2).
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Facetten eines Verhaltensmodells in der Literatur der Frühen Neuzeit.
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Meid, Volker: Barocklyrik.
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Kodifizierte Genustheorie des Barock und alternative Normenbildung in poetologischen Paratexten.
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Stuttgart u.a. 2010.
Edition
Lyriktheorie » R. Brandmeyer