Erdmann Neumeister

 

Die Allerneueste Art / Zur Reinen und Galanten Poesie zu gelangen.

Vorbereitung.

 

Text
Editionsbericht
Literatur

 

I.

[1] WIr machen den Anfang zur Teutschen Poesie. Doch es würde viel zu weitläufftig / und vielen zu verdrießlich fallen / wenn wir so wohl von dem Ursprung der Poesie insgemein / als von unserer Teutschen insonderheit reden wolten. Nicht weniger werden wir von derselben Nutzen und Eigenschafft nicht viel Wesens machen. Weil es ohnedem nichts unbekandtes ist. Curiösen Gemühtern aber könte ich des berühmten Morhoffs gelehrten Tractat: Unterricht von der Teutschen Sprache und Poesie, recommandiren.

II. Das wird mir niemand läugnen können / daß die Poesie etwas Göttliches in sich begreiffe / und hierinnen den Rang vor allen andern Disciplinen habe. Ja / wenn ich so reden darff / so concentriret sich die verborgene Krafft und Quintessenz einer Sprache in einem Verse oder Carmine.

[2] III. Und mich dünckt, der angebohrne Genius lehret uns dieses von Natur. Denn das ist ausgemacht / wenn uns an der Affection eines Patrons / oder an den Caressen eines Frauenzimmers etwas gelegen / so nehmen wir insgemein die Zuflucht zur Poesie, welche uns darinnen rahten soll.

IV. Ja / weil es das galanteste Studium, so scheinet die Natur selbst entweder eckel / oder nicht allzu freygebig damit zu seyn / weil sie nicht allen Gelehrten ein solch Naturel mittheilet / das sich zur Poesie schicket.

V. Wer sich nun dergleichen Glückseeligkeit rühmen kan / dem werden die Verse so netto fliessen / daß er sich bisweilen über sich selbst verwundern wird / woher dieser und jener Einfall komme; Da sich hingegen ein anderer offt einen ganzen Tag über einem Disticho zermartern muß.

VI. Deswegen darff sich aber keiner abschrecken lassen / welcher nicht einen Poetischen Planeten zum Gebuhrts-Zeichen gehabt. Oeffters ist die Kunst so milde / und ersetzt / was uns die Natur nicht gönnen wollen. Ob es nun wohl etwas langsam gehet / so gehet es doch gewiß und gut. Ich sagte öffters / aber nicht allezeit / und braucht eine genaue Untersuchung dieses Dicti: Invita Minerva nihil facies.

VII. Zwar auch der vollkommenste Poet wird empfinden / daß der Genius Poëticus offtmahls gleichsam eigensinnig / und nicht gleich parat ist / wenn er uns im Versmachen aufwarten soll:

VIII. Inzwischen gibt es doch Mittel / womit man ihn caressiren / und / zu unsern Diensten auffmuntern kan.

[3] IX. Die meisten möchten den Wein vor das beste ausgeben. Wie ihn denn etliche gar der Poeten ihren Caball nennen / worauf sie ihre Sinnen am fertigsten tummeln könten. Ich weiß / welche sich mit dem Brantweine herum tummeln. So muß auch der Toback eine Poetische Bachmatte abgeben / zumahl / wenn er mit gutem Biere / Theé, Coffeé &c. gesattelt wird.

X. Andere können nicht eine Zeile ausbrüten / wenn sie nicht in einsamer Gelassenheit sind / oder sich an einem luftigen Orte eines Gartens oder Aue befinden. Daher man auch einen anmuhtigen Spatzierweg einen Poeten-Gang zu nennen pfleget.

XI. Mir ist eine gewisse Person bekandt / welche alle ihre Verse / mit Respecte zu melden / aussch --- Denn wenn er sich nicht bey dem geheimden Bürgermeister befindet / wo man mit niedergelassenen Bein-Kleidern Audientz haben muß / so ists ihm nicht möglich / etwas auszusinnen. Zwar ob gleich der Ausfall garstig / so sind dennoch die Einfälle recht gut / und stincken nicht; Wie jenes gekrönten Poeten in Jena, der seine Carmina auf einer so saubern Fabrique machte.

XII. Doch diese und andere Remedia sind nicht bey allen von gleicher Wirckung. Ein jeder muß mit sich selbst eine Probe anstellen / was ihm am bequemsten und besten falle.

XIII. Mich dünckt aber dieses solte wohl vor ein Universal-Mittel passiren: Man nehme einen guten Poeten zur Hand / und lese eine Passage dergleichen Verse / wie man zu machen Vorhabens ist / [4] etlichemahl durch / so wirds hernach gehen / als wenns geschmiert wäre. Zum wenigsten habe ichs probat befunden / und meinen Kopf dadurch in die Falten richten können.

XIV. Und weil doch die Affecten in der Poesie unterschiedlich seyn / so wird dieses ein grosses zur Schönheit eines Verses beytragen / und die Ausarbeitung desselben facilitiren / wenn man sich den Affect, welchen man im Carmine exprimiren soll / wol imprimiret / und das Gemüht eben eine solche Stellung annimmt / wie es die Beschaffenheit der Materie erfordert.

XV. Endlich habe ich dieses wahrgenommen / daß uns die äusserste Noht / wenn wenig Zeit mehr übrig / am besten secondiret / und die hastigen Verse offtmahls weit besser gerahten / als wenn man ein balb Mandel Federn darüber zerkauet hat. Manche sparens auch alles eben deshalben bis auf die letzte Stunde / allein auf diese Weise pflegt es auch nicht allemahl wohl zu gerahten.

XVI. Wenn ich noch eins erinnern darf / so sind die Ingenia Poëtica auch nicht einerley. Etliche schicken sich bloß zun Jambischen / andere zu Trochäischen / andere zu Dactylischen Versen. Etlichen fliessen die Arien besser / als lange Carmina; Etliche können ein gut Madrigal machen denen die Kunst in Sonnetten fehlen will. Wiederum haben viele einen flüßigen Stylum, andere haben den prächtigen in ihrer Gewalt. Andere sind anders geartet. Worzu nun einer am meisten incliniret / so wolte ich ihm rahten / daß er darbey bliebe, und es excolirte.

[5] XVII. Wie demnach insgemein davor gehalten wird / daß die Poeten gebohren / und nicht gemacht werden / so ist unser Naturel in vielen Stücken wie ein kostbarer Stein / der noch nicht geschnitten und poliret ist. Wenn er aber dermassen ausgearbeitet wird / so spielet er desto schöner. Gleicher Gestalt muß auch in der Poesie die Kunst der Natur die Hand bieten.

XVIII. Und das sind nichts mehr / als gewisse Regeln / welche sich aber selbst nach der Art und Beschaffenheit der Sprache und Poesie richten müssen.

XIX. Denn sonst möchte ein jedweder Phantaste sich etwas aussinnen, und es andern als Poetische Gesetze vorlegen wollen / die doch wehrt wären / daß sie auf des Pontii Pilati geheimde Secretariat-Stube ins Archiv getragen würden.

XX. Unser Vorsatz ist anitzo Teutsche Verse machen zu lernen; Und daher müssen wir uns allerdings nach der reinen Mund-Art unserer heutigen Sprache reguliren.

XXI. Das weiß ohnedem schon ein jeder / daß die Alten auch Teutsche Verse gemacht. Doch wer sie vor D. Luthers Zeiten betrachtet / derselbe mus lachen / oder doch zum wenigsten das Maul rumpfen.

XXII. Anbey aber wird nicht geleugnet / daß die Realitæt bisweilen nachdrücklich gnung ist / und sich heut zu Tage mancher Poet in Folio damit in ein Bocks-Horn müste jagen lassen. Hans Sachse der alte ehrliche Nürnbergische Schuster, hat nicht selten eine solche Emphasin in seinen Reimen / welche uns verwundernd machen kan.

[6] XXIII. Also muß man damit umgehen / wie ein Marckscheider / welcher Gold und Silber klüglich abzusondern weiß / und die übrige unnütze Materie vor die Thür schüttet.

XXIV. Zur Zeit der Reformation, wie alle Künste, so wurde auch die Poesie reformiret.

XXV. Doch weil das Werck noch nicht gantz gehoben / kam endlich Opitz / der untersuchte die Kunst-Griffe genauer. Er hatte vor sich den gelehrten Heinsium, welcher die Holländische Poesie in Aufnehmen brachte. Weil nun beyde Sprachen einander gar nahe befreundet / versuchte jener im Hochteutschen / was dieser im Niederteutschen gethan / welches sich dann glücklich practiciren ließ. Und ihm / als einem geschickten Vorgänger sind bisher alle Poeten nachgegangen. Da mancher wohl noch weiter scheinet gekommen zu seyn / viel aber auch etliche Meilen zurücke blieben sind. Wir wollen sehen / wie weit mit Gottes Hülffe wir gelangen können.

XXVI. Zwar es wird doch niemand so artig seyn / und mit Gewalt ein Poet ex professo heissen wollen. Wer diesen Titul affectiret / der mag entweder einem Comiti Palatino etliche Thaler in die Gacke werffen / Der wird ihn μετὰ πολλῆς φαντασίας darzu krönen; oder er muß die Zeit seines Lebens nicht anders vornehmen / als Verse schmieden.

XXVII. Doch wer jenes thun wolte / der möchte sich in Verdacht sehen / daß er ehrgeitzig sey / ja daß er ein geschickter Bæota wäre / wie die meisten Poëtæ larvati sind. Und wer das letzte ergriffe / den möch[7]ten gescheute Leute vor ein inutile terræ pondus, manche wohl gar vor einen Narren halten.

XXVIII. Die Zeiten sind vergangen / da grosse Herren einen Poeten mehr respectirten / als einen geheimten Raht. Die ungeschickten Kerles sind zu gemein worden. Wolten sie sich itzo mit Gewalt darzu dringen / möchten sie eher die Bestallung eines Pritzsch-meisters / oder / wenn man das Kind bey seinen Nahmen nennen will / eines kurzweiligen Rahts und Hof-Narren bekommen.

XXIX. Wir wollen uns daran begnügen lassen / daß wir einen Vers schreiben lernen, dessen wir uns vor niemand schämen dürffen / sondern so wohl Patronen und guten Freunden damit aufwarten / als uns selber ein Vergnügen machen können.

XXX. Es wird gar nicht schweer fallen / wenn wir erstlich wissen / was zu einem Getichte gehöret / und wie es aussiehet / welches etliche Capitul ausmachen wird. Hergegen bekümmern wir uns woher leichtlich eine Invention zu nehmen / wie dieselbe wohl einzurichten / und endlich wohl auszuarbeiten sey; das gleichfalls in gewisse Capitul abgefasset ist.

XXXI. Und also werden wir zwey Theile unsers Collegii Poetici haben / davon wir das erste die PRÆPARATION; das andere die OPERATION nennen können. Und daß wir diese bequemen Terminos aus Herr Weisens curiösen Gedancken erborgen / wird der vornehme Mann uns hoffentlich vergönnen.

XXXII. Itztberührtes Buch ist sehr schön / und möchten wir dadurch auf die Gedancken gerahten: [8] Ob wir uns mit gegenwärtigen Collegio nicht vergebene Müh machten / weil wirs doch nicht besser ausführen können / als es der gelehrte Mann gethan? Es ist nicht ohne. Allein ich will nicht erwähnen / daß viel Genera und andere Dinge darinnen weggelassen / weil ers nicht so wohl vor Anfänger in der Poesie, als vornemlich vor solche Leute geschrieben hat / welche bereits in Versen etwas gethan; sondern ein jedweder mag beydes gegen einander halten / so wird sich der Unterschied finden / daß ihm nichts abgestohlen / noch eine Krähe mit fremden Federn geschmücket worden. Inzwischen wollen wir den Defect ersetzen / und alles so deutlich machen, daß auch einer welcher noch gar nichts von der Poesie weiß / eine ganz leichte Manuduction finden wird.

XXXIII. Und da auch sehr viel andere Prosodien im Drucke / wollen wir keiner etwas von ihrem Wehrte entziehen. Doch will man diese Præcepta mit jenen conferiren / mögen meine Herren Collegen urtheilen / ob ihnen etwas abgestohlen / oder hier etwas neues / und bessers / oder was schlimmers vorgetragen worden.

XXXIV. Wiewohl unser Poetischer Geist würde treflich hungrig davon gehen / wenn wir uns mit blossen Regeln abspeisen liessen. Nein / es müssen auch Exempel vorgesetzt und nachgemacht / und also Theoria und Praxis zugleich conjungiret werden.

XXXV. Ich werde wenig fremde Arbeit borgen. Inzwischen will ich die meinige nicht vor Canonisch und infallibel ausgeben. Zum wenigsten soll mir niemand an den Regeln etwas zu tadeln ha[9]ben / wenn sie bey einem oder dem andern durch die Munsterung passiren müssen. Ein Baumeister macht den Grund-Riß zu einem Hause gut / wornach sich der Zimmermann richten kan; allein er selber kan wol kaum eine Hunde-Hütte bauen. Vielleicht wird aber doch eines und das andere in meinen Versen vorkommen / welches allen nicht so gar mißfallen wird.

XXXVI. Noch eins. Es werden manchmal Exempel von Liebes-Sachen mit unterlauffen. Will aber darbey hoffen, daß sie weder als ein scandalum datum angesehen / noch als ein scandalum acceptum angenommen werden. Ich habe angemerckt / daß alle Poeten den Anfang von solchen Galanterien gemacht. So wird man ja uns nicht in Bann thun? Wenn eine hohe und harte Betheurung erfordert würde, wolte ich sie mit gutem Gewissen ablegen / daß die unschuldigen Verse eine blosse Theorie sind / und von der Praxi nichts wissen oder doch nur guten Freunden in ihrer Passion gedienet haben. Und wer weiß / ob mancher Catholischer Pater bey der Ohren-Beichte so viel Geheimnisse erfähret / als der / der einen Verliebten mit Verse trösten muß. Wer aber lästern will / der mags thun. Man kan einem das Maul so wenig verbiehten / als es vergönt ist / ihm dasselbe mit einem Keile hinter einem Bauerhause zu stopffen.

XXXVII. Endlich so wohl uns eine Lust zu machen als auch die Schnitzer desto eher zu erkennen / wollen wir anderer ihre Carmina absurda, so viel derselben bey jedweder Materie im Vorrahte sind zugleich produciren / und ihnen das Wasser besehen. [10] Weil es aber ein Collegium inter amicos heisset / wird dieses letztere sich das Recht des Sprichworts: Sub rosa; auszubitten haben / und wie man süssen Wein nicht in Eßig-Töpffen aufträgt / so wird bey dem freymühtigen Stylo dis Siegel seyn:

 

Ich bin nun so.

 

 

 

 

Erstdruck und Druckvorlage

Die Allerneueste Art / Zur Reinen und Galanten Poesie zu gelangen.
Allen Edlen und dieser Wissenschaft geneigten Gemüthern / Zum Vollkommenen Unterricht / Mit überaus deutlichen Regeln / und angenehmen Exempeln ans Licht gestellet / Von Menantes.
Hamburg: Liebernickel 1707, S. 1-10.

Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck (Editionsrichtlinien).

PURL: https://hdl.handle.net/2027/mdp.39015008004551
URL: https://archive.org/details/bub_gb_AoxMAAAAMAAJ
URL: https://books.google.fr/books?id=AoxMAAAAMAAJ

 

 

Werkverzeichnis

 

 

 

Literatur

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Dyck, Joachim: Ticht-Kunst. Deutsche Barockpoetik und rhetorische Tradition. Mit einer Bibliographie zur Forschung 1966 – 1986. 3. Aufl. Tübingen 1991 (= Rhetorik-Forschungen, 2).

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Fulda, Daniel / Steigerwald, Jörn (Hrsg.): Um 1700: Die Formierung der europäischen Aufklärung. Zwischen Öffnung und neuerlicher Schließung. Berlin 2016.

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Edition
Lyriktheorie » R. Brandmeyer