Friedrich Rudolph Ludwig von Canitz

 

Text
Editionsbericht
Literatur: Canitz
Literatur: Poetologische Lyrik

 

                                  Von der Poesie.

 

5   AUf! säume nicht mein Sinn ein gutes Werck zu wagen /
Und aller Tichterey auf ewig abzusagen;
Gib weiter kein Gehör / wenn die Syrene singt /
Und such ein ander Spiel / das bessern Nutzen bringt.
Wie? sprichst du / soll ich schon ein Zeitvertreib verschweren /
10   Dadurch ich bin gewohnt die Grillen abzukehren /
Das mir in Sicherheit bißher die Stunden kürtzt /
An statt daß mancher sich aus Lust in Unlust stürtzt /
Der / weil ein schwartzer Punct im Würffeln ausgeblieben /
Zuletzt aus dem Besitz der Güter wir getrieben.
15   Ich thu mir schon Gewalt / wenn ich viel Thorheit seh /
Die ich bescheidentlich mit schweigen übergeh;
Das aber ding' ich aus / nicht zu des Nechsten Schaden /
Nein; sondern nur mein Hertz der Bürde zu entladen /
Daß ich durch einen Reim / was ich den gantzen Tag /
20   Geduldig angemerckt / mir selbst vertrauen mag.
Denn schenck' ichs keinem nicht / kein Ort ist den ich schone /
Von schlechten Hütten an / biß zu des Königs Throne.
Ein bärtiger Heyduck / der wie ein Cherubim /
Die Streit-Axt in der Hand / die Augen voller Grimm /
25   Der Außerwählten Sitz verschleußt für meines gleichen /
Muß wie ein schüchtern Reh von seiner Wacht entweichen /
Wenn mein gerechter Zorn erst anzubrennen fängt /
Und sich biß in den Schooß des blinden Glückes drengt /
Die Larve vom Gesicht des Lasters weg zu reissen;
30   Weh dem der thöricht ist / und dennoch klug wil heissen!
Denn wo sein Name nur sich in die Verse schickt /
So wird er alsofort dem - - - - beygerückt.
In meinem Schüler-stand / auf den bestaubten Bäncken /
Hub sich die Kurtzweil an; Solt' ich auf Sprüche dencken /
35   (Die man gezwungen lernt / und länger nicht bewahrt /
Als biß der kluge Sohn / nach Papageyen Art /
Sie zu der Eltern Trost / dem Lehrer nachgesprochen /)
So ward mir aller Fleiß durch Reimen unterbrochen /
Da mahlt' ich ungeübt in meiner Einfalt ab /
40   Wenn Meister und Gesell / mir was zu lachen gab;
Biß nach und nach die Zeit den Vorhang weggeschoben /
Und mir / was scheltens werth / hingegen was zu loben /
Was Hof und Kirch und Land / und Stadt für Wunder hegt /
Und was mir selber fehlt getreulich ausgelegt.
45   Das mach' ich mir zu nutz / und durch des Himmels Güte
Werd' ich je mehr und mehr bestärckt / daß ein Gemüthe /
Wenn es der Tyranney des Wahnes obgesiegt /
Und seine Freyheit kennt / gantz Peru überwiegt;
[62] Das ists / was offt mein Kiel schleußt in gebundnen Sätzen;
50   Was mich nun dergestalt in Unschuld kan ergätzen /
Wozu mich die Natur - - - - halt ein verführter Sinn /
Drum eben straff' ich dich / weil ich besorget bin /
Es möchte / was itzund / noch leicht ist zu verstören /
Sich endlich unvermerckt / in die Natur verkehren;
55   Wo hat Justinian das strenge Recht erdacht /
Durch welches ein Phantast wird Vogel-frey gemacht?
Und da ein weiser Mann dis für was grosses schätzet /
Daß man noch keinen Zoll auf die Gedancken setzet /
Ist wol der beste Raht / man seh' und schweige still /
60   Und stelle jedem frey / zu schwermen wie er wil /
Indem es fast so schwer die rohe Welt zu zwingen /
Als mancher Priesterschafft das Beicht-Geld abzubringen.
Ein Spiegel weiset uns der Narben Heßlichkeit /
Doch wird er offtermahls deswegen angepeyt.
65   Du meynst zwar / was du schreisst / sol nie das Licht erblicken /
Wie bald kan aber dis auch dir eins mißgelücken?
Von deinem schönen Zeug / entdeck ich / wie mich deucht /
Schon manch geheimes Blat / das durch die Zechen fleucht;
So wirst du ein Poet / wie sehr du es verneinest;
70   Wer weiß ob du nicht bald in offnem Druck erscheinest;
Vielleicht wird dein Gedicht / des Müßigganges Frucht /
Noch bey der späten Welt einmahl hervor gesucht /
Und zwar mit Juvenal in einem Pack gefunden /
Wenn man ihn ohngefehr in Leschpapier gewunden.
75   Schreibt dir dein bester Freund / der deinen Raht begehrt /
So scheints / als hieltest du ihn keiner Antwort wehrt /
Bringt jemand ein Gewerb / das auf dein Wohlergehen /
[63] Auf Ehr und Vortheil zielt; du läßt ihn draussen stehen;
Triffst du Gesellschafft an die ein Gespräch ergetzt /
80   Wo der Bekümmertste sein Leid beyseite setzt /
So runtzelst du die Stirn in so viel hundert Falten /
Daß du offt für ein Bild des Cato wirst gehalten /
Ein jeder wolte gern erfahren was dich quält;
Indessen schleichst du fort / weist selbst kaum was dir fehlt;
85   Dein Hauß wird zugesperrt die Schlösser abgespannet /
So wie's ein Zaubrer macht / wenn er die Geister bannet /
Und da die halbe Welt / von aller Arbeit ruht /
Weckst du den Nachbar auf / den des Camines Glut
Und späte Lampe schreckt / die dich im Fenster zeigen /
90   Als woltst du Thurm und Dach aus Mond-Sucht übersteigen /
Warum? was ficht dich an? was ists? was macht dich toll?
Ein Wort; was für ein Wort? das hinten reimen sol.
Verdammte Poesie! mein Sinn / laß dich bedeuten /
Eh ich dir Niese-Wurtz darff lassen zubereiten;
95   Greiff erst die Fehler an / die du selbst an dir siehst /
Eh du der andern Thun / durch deine Hechel ziehst;
Doch solt ich hier die Müh / dich zu erforschen / nehmen /
Wir müßten / ists nicht wahr? uns für einander schämen.
Kurtz: wer das Richter-Amt auf seinen Schultern nimmt /
100   Der seh / daß sein Gesetz mit seinem Wandel stimmt.
Wird doch die Cantzel roht wenn ein erhitzter - - -
Der geilen Heerde schwatzt / von Sodom Rach und Feuer /
In Cloris Gegenwarth / die noch verwichnen Tag
In dem verliebten Arm des treuen Hirten lag.
105   Ists müglich / kan dir noch die Tichter-Kunst gefallen?
Gib Achtung / bitt ich dich / wie unsre Lieder schallen /
[64] Und was für eine Bruth / man allenthalben heckt /
So weit sich das Gebieth des Teutschen Bodens streckt.
Durch Opitzs stillen Bach gehn wir mit trocknen Füssen /
110   Wo sieht man Hoffmanns Brunn / und Lohnsteins Ströhme fliessen?
Und / nehm ich Bessern aus / wem ist wol mehr vergönnt /
Daß er den wahren Quell der Hyppocrene kennt?
Wer itzt aus Pfützen trinckt / tritt in Poeten Orden/
So daß der Helicon ein Blocksberg ist geworden /
115   Auf welchem das Geheul des wilden Pans erthönt /
Der seine Sänger-Zunfft mit Hasen-Pappeln krönt.
Vor alters / wo mir recht / ward nie ein Held besungen /
Wenn er nicht durch Verdienst sich in die Höh geschwungen;
Und eine Redens-Art die göttlich solte seyn /
120   Die ward zu solcher Zeit den Sclaven nicht gemein.
Wo lebt itzt der Poet / der dis Geheimniß schonet?
So bald er einen merckt / der ihm die Arbeit lohnet /
Wird seinem Pegasus der Sattel aufgelegt /
Der ein erkaufftes Lob biß an den Himmel trägt;
125   Den wir mit solcher Post so offt zum Zorne reitzen /
Und öffter noch vielleicht / als sich die Sterne schneutzen.
Daß grossen theils die Welt in träger Lust verdirbt /
Und sich um wahren Ruhm so selten mehr bewirbt /
Ist der Poeten Schuld: Der Weyrauch wird verschwendet /
130   Und manchem Leib und Seel um die Gebühr verpfändet /
Daß die Unsterblichkeit ihm nimmer fehlen kan /
Der wie ein Erden Schwam sich kaum hervor gethan /
Und den sonst anders nichts vom Pöbel unterscheidet /
Als daß ein blöder Fürst ihn an der Seite leidet /
135   Da er für jedes Loth / das ihm an Tugend fehlt /
Ein Pfund des eitlen Glücks und schnöden Goldes zehlt.
Man denckt und schreibt nicht mehr / was sich zur Sache schicket /
[65] Es wird nach der Vernunfft kein Einfall ausgedrücket;
Der Bogen ist gefüllt / eh man an sie gedacht;
140   Was groß ist / das wird klein / was klein ist / groß gemacht;
Da doch ein jeder weiß / daß in den Schildereyen
Allein die Aehnlichkeit das Auge kan erfreuen /
Und eines Zwerges Bild die Artigkeit verliert /
Wenn er wird in Gestalt des Riesen aufgeführt.
145   Wir lesen ja mit Lust Aeneas Abentheur /
Warum? stößt ihm zur Hand ein grimmig Ungeheur /
So hat es sein Virgil so glücklich vorgestellt /
Daß uns / ich weiß nicht wie / ein Schröcken überfällt.
Und hör' ich Dido dort von Lieb und Undanck sprechen /
150   So möcht ich ihren Hohn an den Trojanern rächen;
So künstlich trifft itzund kein Tichter die Natur /
Sie ist ihm viel zu schlecht / er sucht ihm neue Spuhr:
Geußt solche Thränen aus die Lachens-würdig scheinen /
Und wenn er lachen wil / so möchten andre weinen.
155   Ein Teutscher ist gelehrt wenn er sein Teutsch versteht /
Kein Wort kömmt für den Tag das nicht auf Steltzen geht.
Fällt das geringste vor in diesen Krieges-Zeiten /
So dünckt mich hör ich schon die Wetter-Klocke leuten /
Ein Flammen-schwangrer Dampff beschwärtzt das Lufft-Revier /
160   Der Straal-beschwäntzte Blitz bricht überall herfür /
Der grause Donner brüllt / und spielt mit Schwefel-Keilen;
Der Leser wird betrübt / beginnet fort zu eylen /
Biß er ins Truckne kommt / weil doch ein Wolcken-Guß /
Auf solchen starcken Knall / nothwendig folgen muß /
165   Und läßt den armen Tropff der Welt zur Straffe reimen /
Wie ein Beseßner pflegt in seiner Angst zu scheumen /
Geht wo ein Schul-Regent in einem Flecken ab /
Mein GOtt! wie rasen nicht die Tichter um sein Grab;
Der Tod wird ausgefiltzt / daß er dem theuren Leben /
170   Nicht eine längre Frist / als achtzig Jahr gegeben;
[66] Die Erde wird bewegt / im Himmel Lerm gemacht /
Minerva wenn sie gleich in ihrem Hertzen lacht /
Auch Phöbus und sein Chor / die müssen wider Willen /
Sich traurig / ohne Trost / in Flohr und Boy verhüllen.
175   Mehr Götter sieht man offt auf solchem Zettel stehn /
Als Bürger in der That mit zu der Leiche gehn;
Ein andrer von dem Pfeil des Liebens angeschossen /
Eröffnet seinen Schmertz mit hundert Gauckel-Possen /
Daß man gesundern Witz bey jenem Täntzer spührt /
180   Den die Tarantula mit ihrem Stich berührt;
Was er von Kindheit an aus Büchern abgeschrieben /
Das wird mit Müh und Zwang in einen Verß getrieben;
Die Seuffzer / wie er meynt / erweichen Kieselstein /
Die voll Gelehrsamkeit und wohl belesen seyn.
185   Des Aetna Feuer-Klufft muß seiner Liebe gleichen /
Und aller Alpen Eyß / der Liebsten Kälte weichen /
Indessen aber wird das arme Kind bethört /
Und weiß nicht was sie fühlt / wenn sie dergleichen hört;
Ja wenn ihr Coridon gebückt vor ihren Füssen /
190   Der Klage Bitterkeit ein wenig zu versüssen /
Nichts anders als Zibeth und Ambra von sich haucht /
Und sie kein Biebergeil zum Gegenmittel braucht /
So mag des Mörders Hand was ihm von seinem Tichten
Noch etwan übrig bleibt / auf ihre Grabschrifft richten.

 

 

 

 

Erstdruck und Druckvorlage

Neben-Stunden Unterschiedener Gedichte.
Berlin: Rudiger 1700, S. 60-66.

Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck (Editionsrichtlinien).

URL: https://www.deutschestextarchiv.de/canitz_gedichte_1700

 

Kommentierte und kritische Ausgabe

 

Werkverzeichnis Canitz

 

 

 

Literatur: Canitz

Fulda, Daniel / Steigerwald, Jörn (Hrsg.): Um 1700: Die Formierung der europäischen Aufklärung. Zwischen Öffnung und neuerlicher Schließung. Berlin 2016.

Kurbjuhn, Charlotte / Martuns, Steffen / Spoerhase, Carlos: Editoriale Aneignung literarischer Werke im 18. Jahrhundert. Vorwort. In: Zeitschrift für Germanistik N.F. 27 (2017), S. 7-16.

Lingnau, Anna: Lektürekanon eines Fürstendieners. Die Privatbibliothek des Friedrich Rudolf von Canitz (1654-1699). Berlin u. Boston 2021.

Martus, Steffen: Anthropologie und Staatsdienst : Friedrich Rudolph von Canitz (1654-1699). In: Anthropologie und Ästhetik. Interdisziplinäre Perspektiven. Hrsg. von Britta Herrmann. Paderborn 2019, S. 243-269.

Meid, Volker: Barocklyrik. 2. Aufl. Stuttgart u.a. 2008 (= Sammlung Metzler, 227).

Mellmann, Katja: Emotionalisierung – von der Nebenstundenpoesie zum Buch als Freund. Eine emotionspsychologische Analyse der Literatur der Aufklärungsepoche. Paderborn 2006 (= Poetogenesis, 4).

Robert, Jörg: Poetologie. In: Handbuch Literarische Rhetorik. Hrsg. von Rüdiger Zymner. Berlin u.a. 2015 (= Handbücher Rhetorik, 5), S. 303-332.

Stockhorst, Stefanie: Reformpoetik. Kodifizierte Genustheorie des Barock und alternative Normenbildung in poetologischen Paratexten. Tübingen 2008 (= Frühe Neuzeit, 128).

Wagniart, Anne: Die Frankophilie der preußisch-sächsischen Hofdichter zu Beginn des 18. Jahrhunderts (Canitz, Besser, König und Neukirch). In: Gallophilie und Gallophobie in der Literatur und den Medien in Deutschland und in Italien im 18. Jahrhundert / Gallophilie et gallophobie dans la littérature et les médias en Allemagne et en Italie au XVIIIe siècle. Hrsg. von Raymond Heitz u.a. Heidelberg 2011, S. 25-38.

 

 

Edition
Lyriktheorie » R. Brandmeyer