Text
Editionsbericht
Literatur: Canitz
Literatur: Poetologische Lyrik
5 | AUf! säume nicht mein Sinn ein gutes Werck zu wagen / Und aller Tichterey auf ewig abzusagen; Gib weiter kein Gehör / wenn die Syrene singt / Und such ein ander Spiel / das bessern Nutzen bringt. Wie? sprichst du / soll ich schon ein Zeitvertreib verschweren / |
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10 | Dadurch ich bin gewohnt die Grillen abzukehren / Das mir in Sicherheit bißher die Stunden kürtzt / An statt daß mancher sich aus Lust in Unlust stürtzt / Der / weil ein schwartzer Punct im Würffeln ausgeblieben / Zuletzt aus dem Besitz der Güter wir getrieben. |
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15 | Ich thu mir schon Gewalt / wenn ich viel Thorheit seh / Die ich bescheidentlich mit schweigen übergeh; Das aber ding' ich aus / nicht zu des Nechsten Schaden / Nein; sondern nur mein Hertz der Bürde zu entladen / Daß ich durch einen Reim / was ich den gantzen Tag / |
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20 | Geduldig angemerckt / mir selbst vertrauen mag. Denn schenck' ichs keinem nicht / kein Ort ist den ich schone / Von schlechten Hütten an / biß zu des Königs Throne. Ein bärtiger Heyduck / der wie ein Cherubim / Die Streit-Axt in der Hand / die Augen voller Grimm / |
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25 | Der Außerwählten Sitz verschleußt für meines gleichen / Muß wie ein schüchtern Reh von seiner Wacht entweichen / Wenn mein gerechter Zorn erst anzubrennen fängt / Und sich biß in den Schooß des blinden Glückes drengt / Die Larve vom Gesicht des Lasters weg zu reissen; |
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30 | Weh dem der thöricht ist / und dennoch klug wil heissen! Denn wo sein Name nur sich in die Verse schickt / So wird er alsofort dem - - - - beygerückt. In meinem Schüler-stand / auf den bestaubten Bäncken / Hub sich die Kurtzweil an; Solt' ich auf Sprüche dencken / |
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35 | (Die man gezwungen lernt / und länger nicht bewahrt / Als biß der kluge Sohn / nach Papageyen Art / Sie zu der Eltern Trost / dem Lehrer nachgesprochen /) So ward mir aller Fleiß durch Reimen unterbrochen / Da mahlt' ich ungeübt in meiner Einfalt ab / |
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40 | Wenn Meister und Gesell / mir was zu lachen gab; Biß nach und nach die Zeit den Vorhang weggeschoben / Und mir / was scheltens werth / hingegen was zu loben / Was Hof und Kirch und Land / und Stadt für Wunder hegt / Und was mir selber fehlt getreulich ausgelegt. |
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45 | Das mach' ich mir zu nutz / und durch des Himmels Güte Werd' ich je mehr und mehr bestärckt / daß ein Gemüthe / Wenn es der Tyranney des Wahnes obgesiegt / Und seine Freyheit kennt / gantz Peru überwiegt; [62] Das ists / was offt mein Kiel schleußt in gebundnen Sätzen; |
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50 | Was mich nun dergestalt in Unschuld kan ergätzen / Wozu mich die Natur - - - - halt ein verführter Sinn / Drum eben straff' ich dich / weil ich besorget bin / Es möchte / was itzund / noch leicht ist zu verstören / Sich endlich unvermerckt / in die Natur verkehren; |
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55 | Wo hat Justinian das strenge Recht erdacht / Durch welches ein Phantast wird Vogel-frey gemacht? Und da ein weiser Mann dis für was grosses schätzet / Daß man noch keinen Zoll auf die Gedancken setzet / Ist wol der beste Raht / man seh' und schweige still / |
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60 | Und stelle jedem frey / zu schwermen wie er wil / Indem es fast so schwer die rohe Welt zu zwingen / Als mancher Priesterschafft das Beicht-Geld abzubringen. Ein Spiegel weiset uns der Narben Heßlichkeit / Doch wird er offtermahls deswegen angepeyt. |
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65 | Du meynst zwar / was du schreisst / sol nie das Licht erblicken / Wie bald kan aber dis auch dir eins mißgelücken? Von deinem schönen Zeug / entdeck ich / wie mich deucht / Schon manch geheimes Blat / das durch die Zechen fleucht; So wirst du ein Poet / wie sehr du es verneinest; |
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70 | Wer weiß ob du nicht bald in offnem Druck erscheinest; Vielleicht wird dein Gedicht / des Müßigganges Frucht / Noch bey der späten Welt einmahl hervor gesucht / Und zwar mit Juvenal in einem Pack gefunden / Wenn man ihn ohngefehr in Leschpapier gewunden. |
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75 | Schreibt dir dein bester Freund / der deinen Raht begehrt / So scheints / als hieltest du ihn keiner Antwort wehrt / Bringt jemand ein Gewerb / das auf dein Wohlergehen / [63] Auf Ehr und Vortheil zielt; du läßt ihn draussen stehen; Triffst du Gesellschafft an die ein Gespräch ergetzt / |
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80 | Wo der Bekümmertste sein Leid beyseite setzt / So runtzelst du die Stirn in so viel hundert Falten / Daß du offt für ein Bild des Cato wirst gehalten / Ein jeder wolte gern erfahren was dich quält; Indessen schleichst du fort / weist selbst kaum was dir fehlt; |
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85 | Dein Hauß wird zugesperrt die Schlösser abgespannet / So wie's ein Zaubrer macht / wenn er die Geister bannet / Und da die halbe Welt / von aller Arbeit ruht / Weckst du den Nachbar auf / den des Camines Glut Und späte Lampe schreckt / die dich im Fenster zeigen / |
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90 | Als woltst du Thurm und Dach aus Mond-Sucht übersteigen / Warum? was ficht dich an? was ists? was macht dich toll? Ein Wort; was für ein Wort? das hinten reimen sol. Verdammte Poesie! mein Sinn / laß dich bedeuten / Eh ich dir Niese-Wurtz darff lassen zubereiten; |
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95 | Greiff erst die Fehler an / die du selbst an dir siehst / Eh du der andern Thun / durch deine Hechel ziehst; Doch solt ich hier die Müh / dich zu erforschen / nehmen / Wir müßten / ists nicht wahr? uns für einander schämen. Kurtz: wer das Richter-Amt auf seinen Schultern nimmt / |
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100 | Der seh / daß sein Gesetz mit seinem Wandel stimmt. Wird doch die Cantzel roht wenn ein erhitzter - - - Der geilen Heerde schwatzt / von Sodom Rach und Feuer / In Cloris Gegenwarth / die noch verwichnen Tag In dem verliebten Arm des treuen Hirten lag. |
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105 | Ists müglich / kan dir noch die Tichter-Kunst gefallen? Gib Achtung / bitt ich dich / wie unsre Lieder schallen / [64] Und was für eine Bruth / man allenthalben heckt / So weit sich das Gebieth des Teutschen Bodens streckt. Durch Opitzs stillen Bach gehn wir mit trocknen Füssen / |
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110 | Wo sieht man Hoffmanns Brunn / und Lohnsteins Ströhme fliessen? Und / nehm ich Bessern aus / wem ist wol mehr vergönnt / Daß er den wahren Quell der Hyppocrene kennt? Wer itzt aus Pfützen trinckt / tritt in Poeten Orden/ So daß der Helicon ein Blocksberg ist geworden / |
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115 | Auf welchem das Geheul des wilden Pans erthönt / Der seine Sänger-Zunfft mit Hasen-Pappeln krönt. Vor alters / wo mir recht / ward nie ein Held besungen / Wenn er nicht durch Verdienst sich in die Höh geschwungen; Und eine Redens-Art die göttlich solte seyn / |
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120 | Die ward zu solcher Zeit den Sclaven nicht gemein. Wo lebt itzt der Poet / der dis Geheimniß schonet? So bald er einen merckt / der ihm die Arbeit lohnet / Wird seinem Pegasus der Sattel aufgelegt / Der ein erkaufftes Lob biß an den Himmel trägt; |
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125 | Den wir mit solcher Post so offt zum Zorne reitzen / Und öffter noch vielleicht / als sich die Sterne schneutzen. Daß grossen theils die Welt in träger Lust verdirbt / Und sich um wahren Ruhm so selten mehr bewirbt / Ist der Poeten Schuld: Der Weyrauch wird verschwendet / |
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130 | Und manchem Leib und Seel um die Gebühr verpfändet / Daß die Unsterblichkeit ihm nimmer fehlen kan / Der wie ein Erden Schwam sich kaum hervor gethan / Und den sonst anders nichts vom Pöbel unterscheidet / Als daß ein blöder Fürst ihn an der Seite leidet / |
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135 | Da er für jedes Loth / das ihm an Tugend fehlt / Ein Pfund des eitlen Glücks und schnöden Goldes zehlt. Man denckt und schreibt nicht mehr / was sich zur Sache schicket / [65] Es wird nach der Vernunfft kein Einfall ausgedrücket; Der Bogen ist gefüllt / eh man an sie gedacht; |
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140 | Was groß ist / das wird klein / was klein ist / groß gemacht; Da doch ein jeder weiß / daß in den Schildereyen Allein die Aehnlichkeit das Auge kan erfreuen / Und eines Zwerges Bild die Artigkeit verliert / Wenn er wird in Gestalt des Riesen aufgeführt. |
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145 | Wir lesen ja mit Lust Aeneas Abentheur / Warum? stößt ihm zur Hand ein grimmig Ungeheur / So hat es sein Virgil so glücklich vorgestellt / Daß uns / ich weiß nicht wie / ein Schröcken überfällt. Und hör' ich Dido dort von Lieb und Undanck sprechen / |
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150 | So möcht ich ihren Hohn an den Trojanern rächen; So künstlich trifft itzund kein Tichter die Natur / Sie ist ihm viel zu schlecht / er sucht ihm neue Spuhr: Geußt solche Thränen aus die Lachens-würdig scheinen / Und wenn er lachen wil / so möchten andre weinen. |
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155 | Ein Teutscher ist gelehrt wenn er sein Teutsch versteht / Kein Wort kömmt für den Tag das nicht auf Steltzen geht. Fällt das geringste vor in diesen Krieges-Zeiten / So dünckt mich hör ich schon die Wetter-Klocke leuten / Ein Flammen-schwangrer Dampff beschwärtzt das Lufft-Revier / |
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160 | Der Straal-beschwäntzte Blitz bricht überall herfür / Der grause Donner brüllt / und spielt mit Schwefel-Keilen; Der Leser wird betrübt / beginnet fort zu eylen / Biß er ins Truckne kommt / weil doch ein Wolcken-Guß / Auf solchen starcken Knall / nothwendig folgen muß / |
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165 | Und läßt den armen Tropff der Welt zur Straffe reimen / Wie ein Beseßner pflegt in seiner Angst zu scheumen / Geht wo ein Schul-Regent in einem Flecken ab / Mein GOtt! wie rasen nicht die Tichter um sein Grab; Der Tod wird ausgefiltzt / daß er dem theuren Leben / |
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170 | Nicht eine längre Frist / als achtzig Jahr gegeben; [66] Die Erde wird bewegt / im Himmel Lerm gemacht / Minerva wenn sie gleich in ihrem Hertzen lacht / Auch Phöbus und sein Chor / die müssen wider Willen / Sich traurig / ohne Trost / in Flohr und Boy verhüllen. |
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175 | Mehr Götter sieht man offt auf solchem Zettel stehn / Als Bürger in der That mit zu der Leiche gehn; Ein andrer von dem Pfeil des Liebens angeschossen / Eröffnet seinen Schmertz mit hundert Gauckel-Possen / Daß man gesundern Witz bey jenem Täntzer spührt / |
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180 | Den die Tarantula mit ihrem Stich berührt; Was er von Kindheit an aus Büchern abgeschrieben / Das wird mit Müh und Zwang in einen Verß getrieben; Die Seuffzer / wie er meynt / erweichen Kieselstein / Die voll Gelehrsamkeit und wohl belesen seyn. |
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185 | Des Aetna Feuer-Klufft muß seiner Liebe gleichen / Und aller Alpen Eyß / der Liebsten Kälte weichen / Indessen aber wird das arme Kind bethört / Und weiß nicht was sie fühlt / wenn sie dergleichen hört; Ja wenn ihr Coridon gebückt vor ihren Füssen / |
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190 | Der Klage Bitterkeit ein wenig zu versüssen / Nichts anders als Zibeth und Ambra von sich haucht / Und sie kein Biebergeil zum Gegenmittel braucht / So mag des Mörders Hand was ihm von seinem Tichten Noch etwan übrig bleibt / auf ihre Grabschrifft richten. |
Erstdruck und Druckvorlage
Neben-Stunden Unterschiedener Gedichte.
Berlin: Rudiger 1700, S. 60-66.
Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck
(Editionsrichtlinien).
URL: https://www.deutschestextarchiv.de/canitz_gedichte_1700
Kommentierte und kritische Ausgabe
Werkverzeichnis Canitz
Literatur: Canitz
Fulda, Daniel / Steigerwald, Jörn (Hrsg.): Um 1700:
Die Formierung der europäischen Aufklärung.
Zwischen Öffnung und neuerlicher Schließung.
Berlin 2016.
Kurbjuhn, Charlotte / Martuns, Steffen / Spoerhase, Carlos:
Editoriale Aneignung literarischer Werke im 18. Jahrhundert. Vorwort.
In: Zeitschrift für Germanistik N.F. 27 (2017), S. 7-16.
Lingnau, Anna: Lektürekanon eines Fürstendieners.
Die Privatbibliothek des Friedrich Rudolf von Canitz (1654-1699).
Berlin u. Boston 2021.
Martus, Steffen: Anthropologie und Staatsdienst :
Friedrich Rudolph von Canitz (1654-1699).
In: Anthropologie und Ästhetik.
Interdisziplinäre Perspektiven.
Hrsg. von Britta Herrmann.
Paderborn 2019, S. 243-269.
Meid, Volker: Barocklyrik.
2. Aufl. Stuttgart u.a. 2008 (= Sammlung Metzler, 227).
Mellmann, Katja: Emotionalisierung – von der Nebenstundenpoesie zum Buch als Freund.
Eine emotionspsychologische Analyse der Literatur der Aufklärungsepoche.
Paderborn 2006 (= Poetogenesis, 4).
Robert, Jörg: Poetologie.
In: Handbuch Literarische Rhetorik.
Hrsg. von Rüdiger Zymner.
Berlin u.a. 2015 (= Handbücher Rhetorik, 5), S. 303-332.
Stockhorst, Stefanie: Reformpoetik.
Kodifizierte Genustheorie des Barock
und alternative Normenbildung in poetologischen Paratexten.
Tübingen 2008 (= Frühe Neuzeit, 128).
Wagniart, Anne: Die Frankophilie der preußisch-sächsischen Hofdichter
zu Beginn des 18. Jahrhunderts (Canitz, Besser, König und Neukirch).
In: Gallophilie und Gallophobie
in der Literatur und den Medien in Deutschland und in Italien im 18. Jahrhundert /
Gallophilie et gallophobie dans la littérature et les médias en Allemagne
et en Italie au XVIIIe siècle.
Hrsg. von Raymond Heitz u.a.
Heidelberg 2011, S. 25-38.
Edition
Lyriktheorie » R. Brandmeyer