Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte

 

Benjamin Neukirch

Vorrede

 

Text
Editionsbericht
Literatur

 

[1] ES giebet viel leute / welche die deutsche poesie so hoch erheben / als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere / welche sie gantz erniedrigen / und nichts geschmacktes daran finden / als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern / als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles / was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: Es gehet ihnen / wie den kleidernarren / deren etliche alles alte / die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen / was in einem oder dem andern gutes stecket. Wir dürffen uns mit unsrer Poesie so klug nicht düncken / daß wir die ausländer dagegen verkleinern wolten. Denn wir haben noch einen grossen berg vor uns und werden noch lange klettern müssen / ehe wir auff den gipffel kommen / auff welchem von denen Griechen Homerus und Sopho[2]cles , von denen Römern Horatius und Maro gesessen. Mit den Hochzeit- Begräbniß- und Namens-Gedichten / damit sich alle knaben in der schule qvälen / ist es fürwahr nicht ausgerichtet. Es gehöret mehr zu einem dichter; und die vers-macher / welche uns eine zeitlang her mit regeln überschüttet / mögen sich so viel einbilden / als sie wollen / so haben doch die meisten davon die Poesie mehr verstümpelt / als ausgebessert. Denn ihr ganzes absehen ist / eine leichtsinnige schreib-art einzuführen / vermöge welches man einen gantzen bogen voll verse / ohne sonderliche bemühung / hinschmieren möge. Von scharffsinnigen bey-wörtern aber / von klugen erfindungen / und von unterscheidung der guten und falschen gedancken / sagen sie nichts; Da doch dieses die seele und die wesentliche theile eines rechtschaffenen gedichtes seyn. Daher entspringen so viel pfuscher / welche auff allen hochzeiten die Venus einführen bey allen begräbnissen den tod ausschelten; Und wenn es ja hoch kommt ihrer Phyllis ein lied vom sterben hersingen / welches offt mehr todt als der sänger / und kälter / als seine gebietherin selber ist. Zwar haben sie ihre entschuldigung: Man müste aus der Poesie kein handwerck machen / und die jugend bey zeiten zurück halten / damit sie sich nicht zu ihrem schaden darinnen vertieffte. Allein / wenn die guten leute fein ehrlich sagten / was zu einem Poeten erfordert würde / und nur diejenigen [3] zum dichten ermahnten / welche die natur dazu erkohren andere aber bloß einen verß recht urtheilen und unterscheiden lehrten, so hätten sie dieser entschuldigung nicht vonnöthen. Es sind keine seltzamere thiere / als Poeten: Denn sie lassen sich wie die paradies-vögel / alle tausend jahre kaum einmahl sehen. Rom hatte bald acht hundert jahr gestanden / ehe es den berühmten Virgilius erlebte; Und es ist fast keine provintz / welche uns nicht etliche helden oder gelehrte gegeben; Aber der gange kreys der welt rühmt sich kaum etlicher rechtschaffenen Poeten. Darum hat es so grosse noch nicht / als man meynet; Denn es gehört gar viel dazu, ehe man sich in der Poesie vertieffen kan. Daß aber viel junge leute damit die zeit verderben / und die andern guten künste an die seite setzen / rühret von der unerfahrenheit ihrer lehrer her / welche ihnen einbilden / man brauche zum dichten nichts / als verße machen; da sich doch alle wissenschafften in einem Poeten / nicht anders als in einem centro versammlen müssen / und derjenige nichts gutes schreiben kan / welcher nicht alles, was es schreibt / mit augen gesehen / mit ohren gehöret / und an seiner eigenen person erfahren hat. Die fürnehmsten von den alten Poeten lebten bey hofe, und wurden durch öffteres umgehen mit klugen leuten so ausgemustert / daß sie an die schulfüchsereyen / mit welchen wir das papier anietzt beflecken / nicht einst gedachten. Sie hatten [4] dabey sehr wohl studiert; sie waren die lehrmeister der guten sitten / und hatten von allem / was uns nur in den verstand und in die sinnen fällt eine gründliche känntniß und wissenschafft. Zudem lebten sie zu einer zeit / da man die galanten studia sehr wohl verstund / da die Römische waffen auffs höchste stiegen / und unter der glückseligen regierung des Käysers Augustus ein ieder gelegenheit genug fand sich groß zu machen. Wenn sie denn etwas dichten wolten / so thaten sie es entweder zu ihrer Lust / oder für grosse Herren / oder bey seltzamen und besondern begebenheiten. Hernach überlasen sie dasjenige, was sie machten / wohl zwanzig mahl / und strichen offt beßre verße aus / weder ihre nachfolger geschrieben haben. Darum konten auch ihre gemächte nicht anders als herrlich seyn; und ist kein wunder / daß sie bey allen ihren nachkommen einen so unsterblichen preiß und ruhm erworben. Hingegen lernen von uns die meisten ihre klugheit in der schule / bekümmern sich mehr um worte als gute sachen / und fangen schon an Poeten zu werden / ehe sie noch einmahl wissen was verße seyn. Wir leben über dieses in einem lande / wo die künste wegen vieler herrschafften zertheilet sind / wo man mehr von einem glase wein / als liedern hält; Die wenigsten die galanterie noch recht verstehen / und die Cavaliers diejenige für schulfüchse schelten / welche die Frantzosen für beaux esprits erkennen. Wir [5] leben auch zugleich zu einer zeit / da die Deutschen fast nicht mehr Deutsche seyn; Da die ausländischen sprachen den vorzug haben / und es eben so schimpfflich ist / deutsch zu reden / als einen schweitzerischen latz oder wamst zu tragen. Hierzu kommet unsre eigne unachtsamkeit / daß wir unsere fehler gar zu geringe achten / alles hinsudeln / wie es uns in die feder fleust / und lieber zehen bogen schlimme verße / weder sechs zeilen gute machen; Und denn ferner die thorheit derjenigen / welche den lorbeer-krantz um 10. thaler erkauffen / und dadurch den herrlichen namen eines Poeten / welcher über drey oder vieren in der welt noch nicht gebührt / vielen ehrlichen gemüthern vereckeln / ungeachtet sie nichts davon haben / als die mühe / daß sie bey unterzeichnung ihres namens etliche buchstaben mehr / als andere / schreiben. Und dieses alles ist ursache / warum die Poesie in Deutschland nicht höher gestiegen. Allein / so schlecht sie ist / so ist sie doch noch in solchem stande / daß wir uns derselben nicht gäntzlich schämen dürffen; und handelt der gute Jesuit Bouhours sehr-thöricht / wenn er uns unter die Moscowiter und Barbarn zehlet. Wenn man denen frantzösischen verßen den reim / und den einhalt ihrer löbgedichte die lügen benähme / so würden sie alle beyde sehr fahl aussehen. Denn die ersten sind ohne reimen nichts weniger als verße / indem sie allenthalben den thon verletzen; Die andern aber so [6] schmeichelhafftig / daß man mit ihrer schwachheit muß mitleiden haben. Hingegen ist die deutsche Poesie viel zärtlicher / und läst nicht allein im scandiren denen syllben ihren natürlichen klang / sondern nimmt auch den accentum pronunciationis, das ist / die emphasin eines ieden wortes sehr wohl in acht / und verdoppelt gleichsam allemahl daselbst / wo die krafft der rede stecket / den thon / welches weder die Lateiner noch Griechen gethan. Wir wollen zum exempel den berühmten / und meines erachtens den nachdrücklichsten verß des Virgilius nehmen:

Flectere si nequeo Sŭperos, Acheronta movebo.

Da stecket in denen beyden wörtern Superos und Acheronta die emphasis, und würde ohne zweifel einer / der es in prosa sagte / das wort Superos lang und also aussprechen:

Si Sūperos nequeo flectere, Acheronta movebo.

Inzwischen hat es der Poet kurtz gesetzt / und ungeachtet man im lesen dem thone helffen kan / so klinget es doch nicht so natürlich und ungezwungen / als im deutschen / da ich ihn nicht allererst suchen darff / und beyde der tonus scansionis und pronunciationis genau zusammen treffen. Z. e. Wenn ein Deutscher des Virgilii verß in prosa übersetzen solte / würde er sagen: Wenn mich der himmel [7] nicht hören will / so mag die hölle helffen. Dieses kan er nun mit eben dem nachdruck und ohne veränderung des thons im verse folgender gestalt sagen:

Hört mich der himmel nicht / so mag die hölle rathen.

Was das schmeicheln belanget / so sind die Deutschen in entgegenhaltung der Frantzosen noch unerfahren; und ungeachtet auch diese sich entschuldigen könten / daß sie andre sachen mehr auffgefegt / und Corneille durch seine Tragœdien / Scudery mit seinem Alarich, Boileau mit seinen Satyren sich zum wenigsten ja so bekandt / als andre mit ihren unnöthigen lob-sprüchen gemacht; so hat doch der erste die krafft der Griechen noch nicht erreicht; der andere keinen sonderlichen ruhm erworben / und der dritte das meiste dem Juvenalis und Horatius abgeborget. Zwar läst man ihnen gantz gerne die ehre / daß sie im erfinden sehr hurtig und in ausbildung ihrer gedancken gantz artig seyn: allein so geschwinde ihre erfindungen gebohren werden / so bald nehmen sie auch wieder ein ende / und müssen die Frantzosen selbst gestehen / daß ihre gemüths-art / und man möchte fast auch sagen / ihre sprache / zu ausführung eines vollkommenen helden-gedichtes sich nicht wohl schicket. Gleichwohl sind nicht allein sie / sondern auch einige der unsrigen der festen meynung / daß wir ihnen im dichten noch nicht das wasser reichen / und ein Deutscher so scharffsinnige [8] gedancken zuführen nicht einmahl fähig sey. Nun könte man solche leute zwar bald beschimpffen / wenn man ihnen nur die gedichte der Jesuiten oder anderer gelehrter leute in latein fürlegte; indem es doch eines ist / ob man lateinisch oder deutsch was gutes schreibet: Allein wir wollen uns so weit hier nicht bemühen / sondern den beweißthum näher suchen / und erstlich zeigen / wie weit die Poesie bey uns gestiegen: hernach aber / worinnen sie noch zuverbessern sey. Der erste / welcher den deutschen Poeten die bahn gebrochen / ist Opitz gewesen. Ein mann / welcher so viel verstand / als feuer / viel sprachen zu seinen diensten / und von allen wissenschafften eine gründliche und ungemeine känntniß gehabt. Ich will eben mit Buchner nicht sagen / daß er die Poesie so hoch erhoben / daß ihm alle die andern nur folgen müssen: Es ist aber unstreitig daß er darinnen mehr gethan / als man meynet / und daß viel versmacher in Deutschland leben / welche die kräffte dieses Poeten noch nicht erkennet. Sein lob-gedichte auff den könig von Pohlen ist unverbesserlich / und begreifft nebst denen nachdrücklichen bey-worten / heroischen gleichnissen und kurtz gesetzten redens-arten / viel schöne gedancken. Ich will zu seiner vertheidigung nur etliche setzen. p.2. lin. 5. sagt er:

[9] ” ” ” ” Du würdest könig seyn /
Und wäre nichts um dich / als dein verdienst allein
Du bist von jugend auff dem lobe nachgegangen:
Es hört so keiner auff / als du hast angefangen.
Was sonst in langer zeit kein herr verrichten kan /
Das hastu offtermahls auff einen tag gethan. etc.

Item p. 6.

      ” ” ” Gunst will nicht seyn getrieben /
Ein herr der liebe sucht / der muß zum ersten lieben

Und noch mehr p. 7.

Was kan ein solcher herr für kluge sinnen haben /
Dem allzeit die vernunfft im becher liegt begraben /
Und auff dem glase schwimmt? Wer nichts für leut unb land
Als wein vergossen hat / der macht sich zwar bekandt /
Doch nicht durch tapfferkeit: muß bösen menschen trauen /
Die ihn / und sich / und mich offt zuverkauffen schauen;
Ist seiner diener knecht / und trincket durch den wein
(Wie theuer wasser doch!) viel tausend thränen ein.

Was könte wohl schöner als dieses gesaget werden? Jedoch / womit man nicht meyne / daß er hier allein zu hause sey / will ich noch etwas aus seinem Vesuv anführen. p. 29. sagt er:

” ” ” ” O daß doch alle gaben
Der gütigen natur so viel gebrechen haben!
So mißlich allerseits und unvollkommen sind!
Der erden beste luft verrauschet als ein wind /
Und geht geflügelt durch: das unglück aber wachet /
Eh noch das glücke schläfft: Das thier / so honig machet /
Ist bey der süßigkeit nicht von dem stachel frey:
Wo eine rose blüht / steht auch ein dorn dabey. etc.

Und in seinem Vielgutt p. 56. sagt er:

Es ist ein grösser lob / daß gute leute fragen /
Warum nicht / als warum / dir was wird auffgetragen etc.

It. kurtz darauff:

Zwar köstlich ist es wohl / ein theil der welt regieren /
Herr vieler herren seyn / das schwerdt und scepter führen /
[10] Besitzen gut und blut; doch ist hier minder ruh
Als auff der wilden see / die grimmig ab und zu
Mit ihren wellen jagt / und nie vermag zu stehen.
In einen grossen hof / wo tausend leute gehen
Zu suchen gnad und recht / da schleichen auch hinein
Gefahr / betrug und list. Es führt der grosse schein
Viel schatten hinter sich. Die auff dem throne sitzen
In voller herrlichkeit / und also häuffig schwitzen /
Was meynstu / daß es sey? Der sommer thut es nicht /
Die sonne kan nicht hin: Was aus der stirne bricht /
Ist arbeit und beschwer. So viel hier leute dienen /
Sind ihnen mehrentheils zu dienste selbst erschienen:
Sie ehren nur die macht des fürsten / und nicht ihn /
Und wenn sein glücke fällt / so gehn sie auch dahin.

Endlich will man ein exempel einer satyrischen schreib-art haben / so findet man ſolches p. 57.

Ist ferner diß so gut / ein starckes lob erlangen /
Bekandt seyn weit und breit / mit grossen titel prangen /
Der kaum kan auff den brief der edlen ahnen zahl
Zerstümmelt und zerhackt um einen gantzen saal
Mit wappen und panier in ihrer ordnung weisen?
Ich ehre deinen stand; Doch soll ich dich auch preisen /
So lebe ritterlich / und laß mich unverlacht /
Ob du gleich edel bist gebohren / ich gemacht
Wenn schon ein gutes pferd aus Barbarey nicht kommen /
Wenn seine schlacht schon nicht von Navels ist genommen /
Das sonst nur edel ist / und erstlich trifft das ziel /
Es habe gleich sein graß gefressen wo es will /
So kriegt es doch den preiß. Die bilder / die hier stehen /
Von welcher wegen du pflegst oben anzugehen /
Die ruffen auff dich zu / und schauen/ was du thust.
Folg ihrer tugend nach / hastu zum lobe lust.

Ich höre auff dem geneigten leser mit anführung eines mehrern beschwerlich zu seyn / und ich hätte auch dieses wenige wohl weggelassen / wenn ich es nicht um derjenigen willen thäte / welche meynen daß sie lauter wunder-dinge im Boileau finden / und dennoch nicht wissen / was in unserm allerersten [11] Poeten / dem Opitz / stecket. Es ist keiner von den alten frantzöischen dichtern so glücklich / daß man ihn heutiges tages mehr achten solte: aber gewiß / so lange der welt-kreyß stehet / und die deutsche sprache nur deutsch verbleibet / wird wohl niemand dieses / was ich aus unserm Opitz hier angezogen / weder tadeln noch verbessern können. Und wenn wir uns alle bemüheten / den weg zugehen / den er gegangen; das ist: durch lesung der Griechen und Römer klug zu werden; ihre gedancken mit anmuth anzubringen / und endlich eigne aus unsrem gehirne auszubrüten / so würden wir denen Frantzosen bald näher kommen / und über die ungleichheit unsrer und ihrer schrifften nicht mehr klagen dörffen: massen sie doch alles / was sie sagen / denen alten entweder nachgeafft oder abgestohlen. Nach Opitzen sind Tscherning / Dach und Flemming gefolget / deren erster ihm aber nicht beykommet: Der andere ist unvergleichlich in geistlichen liedern und ungemein glücklich in übersetzung der psalmen / und ist nur schade / daß man seine sachen der welt nicht mehr bekandt gemacht: Den dritten ziehet Herr Morhoff nicht allein Opitzen / sondern auch fast allen andern vor. Allein meines erachtens ist er zwar ein guter Poet / und behält noch wohl heute den ruhm / daß er unter seinen landsleuten am besten gesungen; wenn ich ihn aber bey die drey berühmten männer / Gryphius, Hoff[12]mannswaldau und Lohenstein stelle / so dürffte ich fast von ihm und seines gleichen das urthel fällen / was man vor zeiten von denen helden des königs Davids sagte: Sie waren zwar grosse helden / aber sie kamen nicht an die zahl der drey. Denn diese haben nicht allein den Opitz weit glücklicher als Flemming gefolget; sondern in gewissen stücken auch übertroffen. Und zwar / was den Herrn Gryphius belanget / so ist unstreitig / daß seine gelehrsamkeit unmäßlich / sein verstand unvergleichlich / und so wohl in erfindung als ausbildung der dinge sehr hurtig und schnell gewesen. Seine Tragœdien sind voller krafft / alle bey-wörter wohl ausgesonnen / und wenn ich die warheit sagen soll / so männlich / nachdrücklich und donnernd / daß es ihm keiner von allen seinen nachfolgern hierinnen gleich gethan. In bewegung und vorstellung der affecten hat er ebenfalls etwas sonderliches. Ich will dessen nur ein exempel geben; p. 11. klaget die verlassene wittib des ermordeten Leo Armenius folgender gestalt:

   Du schwefel-lichte brunst der donner-harten flammen /
Schlag loß / schlag über sie / schlag über uns zusammen!
Brich abgrund / brich entzwey / und schlucke / kan es seyn /
Du klufft der ewigkeit / uns und die mörder ein
Wir irren / nein nicht sie! nur uns / nur uns alleine /
Sie auch! doch fern von uns. Wer weinen kan / der weine!
Der augen qvell erstarrt. Wie ists? Wird unser hertz
In harten stahl verkehrt? rückt uns der grimme schmertz
Das fühlen aus der brust? Wird unser leib zur leichen?
Komm / wo der wetter-strahl das haupt nicht will erreichen /
[13] Wofern die erde taub / komm du gewünschter tod!
Du ende schwartzer angst / du port der wilden noth!
Wir ruffen den umsonst / der die betrübten meidet /
Und nur den geist anfällt / der keine drangsal leidet.
Kommt ihr / ihr mörder / kommt und kühlt den heissen muth /
Die hell-entbrannte rach in dieser adern blut. etc.

So fehlet es ihm auch nicht an scharffsinnigen gedancken und denen so genannten lusibus ingenii. Pag. 400. im Stuart führet er den könig also redend ein:

   Was aber klagt ihr an? Vor gieng ich wenig ein /
Itzt leider! nur zuviel / und muß verdammet seyn.
Weil ich das schwerd entblöst / trug ich beschimpffte bande /
Und nun ich frieden will / laß ich den kopff zum pfande.
Habt ihr zum fürsten mich und könig nicht gekrönt?
Warum denn werd ich mehr als sclaven itzt verhöhnt?
Ich könte frau und kind in wollust bey mir wissen;
Itzt muß ich frau und kind und ruh und friede missen.
Mir schwur mein unterthan: itzt bin ich mehr denn knecht!
Gebt antwort! sprecht frey aus! sind eure sachen recht? etc.

Was man aber am meisten an diesem manne bewundern muß / ist / daß er in lustigen sachen eben so glücklich gewesen ist / als in traurigen. Welches sein schwärmender schäfer Horribilicribifax, Dorn-rose und andere wercke gnug bezeugen.

Der Herr von Hoffmannswaldau / welcher ein schüler des Opitzes gewesen / hat ihm doch gantz einen andern weg / als Opitz und Gryphius erwehlet; indem er sich sehr an die Italiäner gehalten / und die liebliche schreib-art / welche nunmehr in Schlesien herrschet / am ersten eingeführet. Zwar muß ich gestehen / daß sein stylus zu Tragœdien oder heroischen gedichten sich nicht wohl schicken [14] würde: allein er hat sich auch an dergleichen dinge niemahls gemacht; sondern hat seine meiste kunst in galanten und verliebten materien angewandt / worinnen er sich auch so sinnreich erwiesen / daß man ihn billig für den deutschen Ovidius preisen mag. Sein Pastor fido ist besser übersetzt / als der Frantzösische; seine grabschrifften sind voller geist; die liebes-briefe / ausser etlichen harten metaphoren / so er von den Welschen behalten / nicht zuverbessern; und aus seinen begräbniß-gedichten kan man sehen / daß es ihm an ernsthafften und moralischen gedancken auch nicht gemangelt: Seine liebes-lieder aber haben ihm nicht allein über alle deutsche / sondern auch über die meisten ausländischen Poeten den sitz erworben / und ich glaube schwerlich / daß ihm denselbigen auch ins künfftige iemand bestreiten wird.

Wir wollen ihm aber lassen / und wenden uns zu dem fürtrefflichen Herrn v. Lohenstein / dessen nahme bereits so weit erschollen / daß er unsre ausblasung nicht mehr vonnöthen hat. Alle seine gedancken sind scharffsinnig / seine ausbildungen zierlich / und wenn ich die wahrheit sagen soll / so findet man in diesem eintzigen fast alles beysammen / was sich in denen andern nur eintzeln zeiget. Denn er hat nicht allein von Opitzen die heroische / von Gryphio die bewegliche / und von Hoffmannswaldau die liebliche art angenommen; sondern auch viel neues hinzu gethan / und absonderlich in [15] sententien / gleichnissen / und hohen erfindungen sich höchst-glücklich erwiesen. Seine Tragœdien sind von den besten. Seine geistliche gedancken voller krafft / und seine begräbniß-gedichte unvergleichlich. In seinem Arminius aber hat er sich als einen rechten Poeten erwiesen / und so viel artige / kurtze und geist-volle dinge ersonnen / daß wir uns nicht schämen dürffen / dieselbigen allen heutigen Frantzosen entgegen zusetzen. Ich weiß wohl / daß die wenigsten ihnen die mühe nehmen / dieses herrliche buch durchzulesen. Darum werde ich hoffentlich nicht unrecht thun / wenn ich einige sinn-gedichte allhier zum exempel anführe / um denenjenigen / welche die Deutschen so hoher gedancken unfähig achten / dadurch die augen zu öffnen. Part. 1. p. 243. hat er über die Olympia / welche zu bewahrung ihrer keuschheit den Armenischen König Artabaces und sich selbst erstach / folgende gedancken:

   Heb Rom Lucretien biß an das stern-gerüste!
Weil sie in adern-brunn den kalten stahl gesteckt /
Nachdem sie vom Tarqvin durch ehbruch war befleckt /
Hier dringt ein reiner dolch durch unbefleckte brüste.
Lucretia ließ zu vorher die schnöden lüste.
Olympia hat nichts von geiler brunst geschmeckt /
Die ihren helden-arm zu strenger rach austreckt /
Eh / als zum ersten mahl sie Artabazes küßte.
   Lucretia verschrenckt dem schänder nur den thron;
Hier büßt der fürsatz ein lust / ehre / leben / kron.
Die nachwelt wird gestehn / die beyder bild wird sehen;
Gold / ertzt und marmol sey Olympien zu schlecht /
Lucretzen holtz zu gut; Lucretzen sey nur recht /
Olympien zu viel durch ihren stich geschehen.

[16] Uber die vermählung Herrmanns und seiner Thusnelda hat er part. 1. p. 1423. folgendes Sonnet:

   Der helden geist ist stahl / ihr hertz aus diamant /
Wenn es mit männern kämpfft; Alleine wachs bey frauen.
Denn adler lieben zwar nur adler / pfaue pfauen;
Doch Alexandern zwingt der geilen Thais brand.
Die spindel Omphalens entweyht Alcidens hand.
Achilles / wenn er liebt / kriegt für den krieg ein grauen.
Anton stirbt als ein weib in einer Mohrin klauen /
Ja auch der götter lieb' ist wahnwitz anverwandt.
   Fürst Herrmann aber liebt mit grosser tapfferkeit.
Denn er vermählet ihm Minerven mit Thusnelden /
Sie ihr den Hercules mit Deutschlands grossen helden.
Und zwischen beyden ist kaum einig unterscheid.
Man weiß nicht / wer sey Mars / wenn sie die waffen üben /
Nicht / wer die liebe sey / wenn sie einander lieben.

Bey dem begräbnisse des Käysers Augustus hat er unter andern sinn-schrifften part. 2. p. 952. auch diese:

   Ihr feinde wißt ihr nicht / mit wem ihr habt gekriegt?
Es ist der erden Mars / der Römer Alexander /
Des grossen Cäsars sohn.   So einer als der ander
Hat den gebrauch an sich: Er kommt / er sieht und siegt.

Item part. 2. p. 953.

   Ist friede gold / so muß der freyheit edler schatz
Sein güldener als gold. Die trägt August euch an:
Rom aber weigert sich zu geben raum und platz /
Weil es vergnügter ihm gehorcht / als frey seyn kan.

Item part. 2. p. 975.

   Der mord-geist der stadt Rom stieg in den pful der höllen /
Und nahm die Furien ihm zu gehülffen an:
Kommt / sagt er / helffet mir einst den Augustus fällen;
Weil arglist / gifft und stahl ihn nicht verletzen kan.
Sie aber wolten nicht sich dessen unterfangen;
Was Furien zu arg / hat Livia begangen.

[17] Und part. 2. p. 1420. beschreibet er die annehmligkeit der liebe solcher gestalt:

   Wenn so viel zucker wär / als schnee /
Und so viel bienen / als der fliegen;
Wenn alle berge Hyblens klee /
Und des Hymettus kräuter trügen /
Aus allen eichen trieff' ein honig von Athen /
Und man auff dörnern nichts als feigen sähe stehn;
   Wenn milch in allen ströhmen fließ' /
Und reben-safft aus allen qvellen;
Wenn alle schleen wären süß /
Im meere lauter nectar-wellen;
Wenn nur jaßminen-oel der wolcken nässe wär /
Der monde nichts als thau von zimmet flößte her;
   Wenn die gestirne schwitzten safft /
Der Würtz und balsam überstiege/
Und dieser süßigkeiten krafft /
In einen geist und kern gediege /
So würde dieser doch bey liebe wermuth seyn:
Denn diese zuckert auch das bittre sterben ein.

Dieses sind nur die geringsten seiner scharffsinnigen gedancken / und wer ihm die zeit nehmen will / die geschichte des Arminius durchzublättern / wird deren wohl tausend finden. Es ist nur schade / daß dieser ungemeine mann über dem schlusse seines werckes sterben müssen / und solches nebst seinen andern schrifften nicht noch einmahl übersehen können. Denn was ihn etliche beschuldigen / daß er an vielen örtern zu hart / oder auch gar zu gelehrt geschrieben / würde ohne zweifel schon längst geändert seyn / wenn ihm die zeit und geschäffte an ausputzung dieser seiner geburten nicht stets gehindert hätten. So aber hat man sie dem leser so lie[18]fern müssen/ wie er sie am ersten zur welt gebracht / und muüssen dannenhero diejenigen / welche sie sehen sie nicht als vollkommene kinder / sondern bloß als erstlinge oder unreiffe früchte betrachten / welche vielleicht gantz anders schmecken würden / wenn sie die sonne seines verstandes noch einmahl beschienen hätte.

Nach abgang dieser dreyen berühmten Männer haben sich in Schlesien Herr Mühlpfort / Herr v. Aßig / und die noch lebenden Herr v. Abschatz / und Herr Gryphius bekandt gemacht / und verdienen absonderlich die letzten / daß man sie unter die stützen unserer verfallenden Poesie wohl zehlen darff. Von auswärtigen / welche durch dichten einigen ruhm erworben / will ich meine gedancken dißmahl verschweigen; man möchte mich / als einen Schlesier für allzu partheyisch halten. Jedoch werde ich hoffentlich nicht sündigen / wenn ich an statt der andern aller des sel. Herrn Morhoffs und Herrn v. Besser gedencke. Der erste schreibt zwar so lieblich nicht / als gelehrt. Er hat aber sehr wohl verstanden / was zu einem gedichte erfordert wird. Der andere ist in beyden sehr glücklich / und hat nicht allein einen scharffen geschmack von guten gedancken / sondern schreibet auch solche verße / welche ein iegliches ohr vergnügen können. Und nun solte man wohl meynen / daß es um die deutsche Poesie sehr wohl beschaffen / und wenig zu ihrer voll[19]kommenheit mehr übrig wäre: Allein / wie ich schon oben erinnert / daß es dem Herrn Opitz noch an zierligkeit / dem Herrn v. Hoffmannswaldau an ernsthafftigkeit / dem Herrn v. Lohenstein aber an zeit gemangelt; also könte ich leicht von allen andern auch etwas zu sagen finden / wenn ich mich nicht selbst für ungeschickt hielte / von leuten / welche klüger sind / als ich / mein urthel zu fällen. Es wird vielleicht anderwärts gelegenheit geben / meine gedancken hierüber auszulassen. Inzwischen wären wir glücklich / wenn sich keine andere leute mehr als solche / wie ich anitzt beschrieben / im dichten übten. Die Poesie würde bald höher steigen / und es wäre ein leichtes / dasjenige/ was etwan noch rückständig ist / nachzuhohlen. Aber so ist das schnattern der gänse so groß / daß man die schwanen davor kaum hören kan; Denn ein ieder Schulmeister will nunmehr verße machen / und ungeachtet man solche arbeit von der gelehrten leicht unterscheiden kan / so verführt man doch dadurch junge leute / und verblendet sie mit so vielen vorurtheilen / daß sie hernach lebenslang von der rechten Poesie keinen geschmack bekommen. Jedoch wäre meines erachtens noch ein mittel / von diesem irr-gange sich auszuwickeln / wenn man nur folgende regeln in acht nehme: Erstlich untersuche man sich selber / ob dasjenige / was uns zur Poesie anreitzet / ein natürlicher trieb / oder nur ein gemachtes ver[20]langen sey. Ist das letzte / so lasse man doch nur das dichten bleiben; Denn gar keine verße zu machen / ist schlechte schande / schlimme aber zu machen / ist etwas närrisches. Die hochzeiten und begräbnisse würden doch wohl vollzogen werden / wenn man gleich nicht allemahl dabey reimte; und wolte man ja einen schatz anbinden / so finden sich noch allezeit gute leute / welche um etliche groschen ein lied / oder ein verdorbenes Sonnet auffsetzen. Verspüret man aber von natur zum dichten eine sonderliche begierde und fähigkeit / so forsche man wieder / wie weit sie gehe / und ob man ein blosser verßmacher/ oder ein galanter dichter / oder in der Poesie groß zu werden gedencke. Das erste ist am allergemeinsten: denn die meisten begnügen sich damit / wenn sie nur auff einen namens-tag oder hochzeit etwas singen / oder ein lustiges lied hinschreiben können; Und solche brauchen zu ihrer vollkommenheit schlechte mühe; wiewohl es besser wäre / wenn sie gar zu hause blieben / und zärtliche ohren mit ihren gedichten nicht erst beschwerten. Zu dem andern gehören feurige und auffgeweckte gemüther / welche in der galanterie sehr wohl erfahren / im erfinden kurtz / in der ausarbeitung hurtig / und in allen ihren gedancken seltzam seyn. Und solchen will ich rathen / daß sie von den Lateinern den Ovidius, Martialis, Ausonius, und auffs höchste den Claudianus; von [21] denen Deutschen den Hoffmannswaldau; von denen Frantzosen aber Boileau, les vers choisis de Bouhours, und die im mercur galant begriffene gedichte lesen: Daß sie niemahls eher schreiben / als biß sie sich dazu geschickt befinden / keine stunde damit verderben / als welche sie zu ihrer ergetzung ausgesetzt / und endlich in allen dingen der mäßigkeit folgen. So kan es nicht anders seyn / als daß sie die hochachtung der gantzen welt erwerben. Die dritten müssen nicht allein an natürlichen gaben viel reicher / sondern auch in erfindungen tieffsinniger / in der arbeit gedultiger / und in der schreib-art fester und mehr poliret seyn. Sie müssen über dieses entweder selbst mittel / oder doch auskömmlichen unterhalt / und zum wenigsten bey ihren amts-geschäfften die freyheit haben / daß sie drey oder vier stunden des tages verschwenden dürffen. Für allen dingen aber müssen sie viel sprachen verstehen / in allen wissenschafften wohlgegründet / in der welt erfahren / durch eigene zufälle gewitziget / ihrer affecten meister / und in urtheilung anderer leute gebrechen vernünfftig seyn. Und alsdenn ist es zeit / daß sie allgemach anfangen Poeten zu werden / welches aber ohne lesung und unterscheidung poetischer bücher nicht wohl geschehen kan. Ich sage / ohne lesung und unterscheidung: Denn man muß nicht alle durchgehends lesen / sondern nur die besten / und zwar diejeni[22]gen / welche uns zu stärckung unsers verstandes / oder zu ausführung unserer materie am meisten dienen. Wir können aber die Poeten in zweyerley sorten / nemlich in alte und neue / und jene wieder in Griechen und Römer / diese in ausländer und einheimische theilen. Unter denen Griechen hat in heroischen gedichten den vorzug Homerus, in Tragödien Sophocles, in Oden Pindarus und Anacreon. Von den Römern kan man in verliebten sachen den Ovidius, in Tragödien den Seneca, in Oden den Horatius, in lob-gedichten den Claudianus, in satyrischen den Juvenalis und Persius, in helden- und schäfer-gedichten aber den unvergleichlichen Virgilius lesen. Die übrigen haben entweder viel falsche gedancken / oder sind doch so beschaffen / daß man sich ohne deren durchblätterung wohl behelffen kan. Von denen heutigen ausländern excelliren sonderlich in geistlichen sachen die Engelländer; in scharffsinnigen / in Oden und in schäfer-gedichten die Welschen; in satyrischen die Holländer; in galanten aber / in lob-gedichten und schau-spielen die Frantzosen. Die einheimischen oder deutschen Poeten lieset man fürnemlich wegen des styli. Weilen aber dieser nach erforderung der materien mancherley ist / so muß man auch hier einen unterscheid machen / und von Opitz und Flemming die heroische; von Gryphius die bewegliche und durchdringende; von Hoffmannswaldau die [23] liebliche / galante und verliebte; von Lohenstein die scharffsinnige / spruchreiche und gelehrte / und also von einem ieden eine besondere schreib-art lernen / und durch deren künſtliche vermischung diejenige zu wege bringen / welche die Lateiner den stylum sublimem nennen. In Comödien haben Herr Gryphius und Herr Weise etwas gethan. Der erste giebet an lustigkeit dem Moliere nichts nach / hat aber mehr auff kurtzweil als durchziehung der laster gesehen. In dem andern ist der stylus gut / ungeachtet seine Comödien / wegen der vielen personen / so er dazu gebrauchen müssen / mit denen regeln des Theatri nicht sehr zusammen stimmen. Es ist auch nicht zu hoffen / daß wir viel bessere erleben werden / weiln es nicht der mühe lohnet Comödien zu machen / wo man nicht zum wenigsten die freude hat / sie spielen zu sehen. Von satyrischen dingen haben wir noch gar nichts auffzuweisen / als was Herr Rachelius geschrieben / und Herr Opitz hin und wieder in seinen gedichten mit eingestreuet. Aber es ist nichts vollkommenes / und es wäre zu wünschen / daß sich iemand fände / welcher uns auch in diesem stücke befriedigen könte. Jedoch / wir fallen zu weit / und schwatzen von dingen / welche die allerwenigsten von uns von nothen haben. Denn unter tausenden ist kaum einer so glückselig / daß er sich zur Poesie rechtschaffen schickete; und so er es ja endlich ist / so gebricht es [24] ihm doch entweder an gedult oder zeit / oder am gelücke in seiner beförderung; und also am fürnehmsten/ welches zu einem dichter erfodert wird / nemlich / an einem frölichen gemüthe. Dannenhero thun diejenigen am besten / welche die mittel-strasse halten / sich bloß auff galante gedichte legen / und um die geheimnisse der hohen Poesie unbekümmert lassen. Allein / weil man auch hierzu / wie schon gemeldet / ohne vorgänger nicht wohl gelangen kan; so hat man dahin gesonnen / wie man ein werck verfertigen möchte / welches aus unserer eigenen leute arbeit bestünde / und den leser / wo nicht in allen / doch in den meisten stücken vergnügen könte. Und dieſes ist die ursache / warum man gegenwärtige gedichte zusammen getragen / und in einem begriffe zeigen wollen / was man in vielen unserer Landsleute bißher umsonst gesucht. Es sind nicht sachen / welche man aus büchern gezogen; sondern die meisten sind entweder noch gar nicht / oder doch nur stückweise gesehen worden. Hierunter führen den vorzug die Hoffmannswaldauischen / von welchen ich wohl sagen kan / daß viel darunter sind / welche die vorhin gedruckten gedancken weit übertreffen. Neben diesen erscheinen etliche noch übrige gedichte vom Herrn von Lohenstein / und wird man hoffentlich nicht übel nehmen / daß man absonderlich dessen Venus hier eingerücket. Sie hat einen solchen nachbar am Hoffmannswaldau / daß sie sich sei[25]ner gesellschafft nicht schämen darff. Die andern / welche so gütig gewesen / und dieses werck durch ihre arbeit vergrössern helffen / wollen lieber unbekandt / als genennet seyn; und zu dem ende hat man keinen eintzigen namen hier ausgedruckt / etliche aber auch nur mit kreutzen bezeichnet. Meines ortes wäre ich so ehrgeitzig nicht gewesen / einige von meinen gedichten mit beyzuschliessen / wenn diejenigen / welche man ausdrücklich hierum ersucht / uns nicht gäntzlich allen beytrag versaget hätten. Denn ich kenne meine unvermögenheit allzu wohl / und bin dem Autori der Dissertation de Poëtis hujus seculi schlecht verbunden / daß er mich so gewaltig ausgestrichen; mich fehler beschuldiget / derer ich nicht einmahl fahig bin; und hingegen dinge an mir gelobet / die er doch ohne zweiffel getadelt hätte / wenn er die regeln der hohen Poesie verstünde. Allein es gehet nicht allemahl wie man will; der herr verleger brauchte noch etliche bogen / derowegen muß man es mir zu gute halten / daß ich sie mit meinen einfällen dißmahl besudelt. Sonsten habe ich mir die kühnheit genommen / so wohl in den Hoffmannswaldauischen sachen / als auch in der Venus des Herrn von Lohenstein/ dasjenige / was unrecht geschrieben war / zu verbessern; das ausgelaßne zu ersetzen / und etliche hohe gedancken / so sie vielleicht ihrer damahligen jugend wegen nicht recht bedacht / in ordnung zu bringen. Ich zweiffle nicht / daß sie es weit glücklicher [26] verrichten würden / wenn sie noch selber lebten; Inzwischen hoffe ich doch auch / daß man sich mit meiner geringen bemühung begnügen werde. Solten etwan die lieder versehen seyn / und etliche / so ich dem Herrn v. Hoffmannswaldau gegeben / einem andern zustehen / so wird sich hoffentlich dieses namens niemand zu schämen / dieser grosse Mann aber auch keinen schimpff davon haben / weiln ich ihm keine zugeeignet / welche nicht denen seinigen in allem gleich geschienen. Allzu freye gedancken habe ich in dieses werck nicht rücken wollen; und dafern ich ja einige darinnen finden / so sind sie wider meinen willen mit eingeschlichen. Endlich hoffet so wohl der verleger / als ich / daß dieses buch nicht allein zu iedermanns belustigung / sondern auch zu vieler erbauung dienen / und manchem den unterscheid zwischen der galanten und pedantischen dicht-kunst zeigen werde. Wird es wohl auffgenommen / so dürffte dieser theil leicht noch einen gebähren / in welchem man alles / was in diesem versehen worden / sich auff das äuserste zu ersetzen bemühen wird. So möchte man sich auch wohl bereden lassen / ehestens der deutschen Poeten scharffsinnige gedancken nebst einer deutschen Mythologie heraus zu geben. Inzwischen ergetze sich der geneigte Leser an diesem wenigen / und fahre wohl!

 

 

 

 

Erstdruck und Druckvorlage

Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte / nebst einer Vorrede von der deutschen Poesie.
Leipzig: Fritsch 1695, S. 1-26 (ungezählt).

Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck (Editionsrichtlinien).

URL: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte01_1695
URL: http://diglib.hab.de/wdb.php?dir=drucke/wa-1281&pointer=6
PURL: https://hdl.handle.net/2027/uc1.31175035211278
URL: https://books.google.fr/books?id=9JlQAAAAcAAJ

 

 

Werkverzeichnis Neukirch

 

 

 

Literatur

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Dyck, Joachim: Ticht-Kunst. Deutsche Barockpoetik und rhetorische Tradition. Mit einer Bibliographie zur Forschung 1966 – 1986. 3. Aufl. Tübingen 1991 (= Rhetorik-Forschungen, 2).

Florack, Ruth / Singer, Rüdiger (Hrsg.): Die Kunst der Galanterie. Facetten eines Verhaltensmodells in der Literatur der Frühen Neuzeit. Berlin u. Boston 2012.

Genette, Gérard: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Frankfurt a.M. 2001 (= suhrkamp taschenbuch wissenschaft, 1510).

Meid, Volker: Barocklyrik. 2. Aufl. Stuttgart u.a. 2008 (= Sammlung Metzler, 227).

Robert, Jörg: Poetologie. In: Handbuch Literarische Rhetorik. Hrsg. von Rüdiger Zymner. Berlin u.a. 2015 (= Handbücher Rhetorik, 5), S. 303-332.

Steigerwald, Jörn: Galanterie als kulturelle Identitätsbindung: französisch-deutscher Kulturtransfer im Zeichen der "Querelles" (Dominique Bouhours, Christian Thomasius, Benjamin Neukirch). In: Papers from the Conference 'The Fragile Tradition', Cambridge 2002. Bd. 2. Oxford 2004, S. 119-139.

Stockhorst, Stefanie: Reformpoetik. Kodifizierte Genustheorie des Barock und alternative Normenbildung in poetologischen Paratexten. Tübingen 2008 (= Frühe Neuzeit, 128).

Stöckmann, Ingo: Vor der Literatur. Eine Evolutionstheorie der Poetik Alteuropas. Tübingen 2001 (= Communicatio, 28).

Wesche, Jörg: Literarische Diversität. Abweichungen, Lizenzen und Spielräume in der deutschen Poesie und Poetik der Barockzeit. Tübingen 2004 (= Studien zur deutschen Literatur, 173).

Wagniart, Anne: Die Frankophilie der preußisch-sächsischen Hofdichter zu Beginn des 18. Jahrhunderts (Canitz, Besser, König und Neukirch). In: Gallophilie und Gallophobie in der Literatur und den Medien in Deutschland und in Italien im 18. Jahrhundert / Gallophilie et gallophobie dans la littérature et les médias en Allemagne et en Italie au XVIIIe siècle. Hrsg. von Raymond Heitz u.a. Heidelberg 2011, S. 25-38.

Wiedemann, Conrad (Hrsg.): Der galante Stil, 1680-1730. Tübingen 1969 (= Deutsche Texte, 11).

Zymner, Rüdiger (Hrsg.): Handbuch Gattungstheorie. Stuttgart u.a. 2010.

 

 

Edition
Lyriktheorie » R. Brandmeyer