Daniel Georg Morhof

 

Unterricht Von Der Teutschen Sprache und Poesie /
deren Uhrsprung / Fortgang und Lehrsätzen.

 

Von den Generibus Carminum.
Von den Oden

Editionsbericht
Literatur: Morhof
Literatur: Ode

 

Das XI. Cap.
Von den Generibus Carminum.

Einhalt.

 

DIe Genera Carminum werden allhie gar kurtz abgehandelt. H. Schævii Exempel derselben generum, so aus des Horatii Oden übersetzet. Die allgemeine Eintheilung der Carminum. Jambische. Trochaische. Trochaici mit Abſchnitten. Dactylische und Anapäſtiſche. Ob sie Herr Buchner erfunden. Sie sein schon bey den alten Teutschen gewesen. Dactylische Reimen. Dactylische Verse klingen besser / wann sie mit andern pedibus und metris unterbrochen. Pedes compositi wie bey den Lateinern / so bey den [619] Teutschen. Es können bey den Teutschen viel metra nach den Lateinischen gemacht werden. Glycon-Ithyphall- und Phalæcische Ode bey Herrn Tscherning. Alcaicum, Elegiacum, Asclepiadeum, Anacreonticum Carmen bey den Teutschen. Andre arten der Lateiner können füglich nach gemacht werden.

DIe genera Carminum die bey den Teutschen vorkommen / und theils aus der Natur der Füsse / und dem Gebände fliessen / theils von frembden Sprachen abgesehen werden / sein von vielen Autoribus so außgeführet / daß wenig hinzu zusetzen. Daß wir aber dieses Stück nicht umhin gehen / so wollen wir die weitläufftigen Lehrsätze und Exempel andern überlassen / und nur allhie / was etwa sonderliches vorfällt erwehnen. Daß es auch nicht an Exempeln fehle / so sollen zu ende dieſes Wercks 17. aus des Horatii 1. Buche übersetzte / und noch nie heraußgegebene Oden / in deren jeglicher ein sonderlich genus vorgestellet wird / hinangehänget werden. Diese [620] hat D. Henricus Schævius Sehl. ein Mann von grossem Geist und vielen Wissenschafften / vormahliger Professor des Stetinischen Gymnasii, und mein Lehrmeiſster / gemacht: der ihm selbst das beste Denckmahl seines Ruhmes hätte stifften können / wann ihn nicht der Tod zu frühzeitig hinweg gerissen. Die genera Carminum werden 1. nach den Füssen / 2. nach den Strophen und Reimschlüssen / 3. nach der Materia eingetheilet. Die letzte art beruhet nicht auff die Prosodia, sondern auff der Erfindung. Nach den Füssen sein erstlich die Jambische. Die metra die von ihnen gemacht werden / können biß auff 16. Sylben außgedehnet werden. Hierüber kan man nicht wol schreiten. wie man auch unter vier Sylben nicht gehen kan. Die Abwechselung der Mānlichen und Weiblichen kan auff vielerley arten geschehen / und hat Herr Weise zwölff derselben vorgestellet. Eines aus allen Gattungen der Jamborum gemischtes wird man finden in der Ubersetzung [621] Od. 1. lib. 1. Horat. Eben diese Bewandniß hat es mit dem Trochaischen genere dessen ein gemischtes Exempel auß der 2. Ode vorgestellet wird. Man macht in Trochaicis in gewissen regionibus Cæsuras oder Abschnitte / welche die sonst matte Trochaische Verse etwas lebhafft machen: deren Exempel wird aus der 3. Ode gegeben. Dergleichen Cæsuræ können auch in andern metris nachgemacht werden / entweder mit oder ohne Reime / davon Harstörffer in seinem Poetiſchen Trichter in der fünfften Stunde handelt. Wiewoll die gereimten Cæsuræ hieher nicht eigentlich gehören / dann sie machen eine andre art von metro, daß nach Strophen eingetheilet wird. Die Dactylische und Anapæſtische Carmina gehen nicht über die vierzehn und funffzehn Sylben deren Exempel aus der 4. und 5. Ode des Horatii darunten zu sehen. Selbige soll Herr Buchner im Teutschen erfunden haben / welches ihm viel auffbürden / und hat ihm Caldenbach lib. 1. Lyric. Od. 12. [622] ein Lobgetichte deßhalben zugeschrieben / da er doch selbst der Ehren gern entbehren will. Dann man findet schon unter den alten Teutschen Carminibus, die Goldastus heraußgegeben p. 399. dergleichen Verse; Er führet aus dem Ulrich von Lichtenstein einige an / die also lauten:

Swer folget dem schilde / der soll es enblanden
Dem liebe / dem gute / dem Hertze / den Handen
Das lonet vil hohe mit hohem gewinne
Dü vil werdu minne. etc

Man könte auch wol Dactylischer Reimen sich gebrauchen / wie die Hollānder thun: Aber bißher hat bey den Teutschen niemand solches gethan / nur daß Der Hr. von Bircken in seiner Anweisung zur Teutſchen Poesie cap. 5. n. 33. etliche solche Carmina zur Probe gesetzet / wie dises

Wird mich der Himmel noch immer begnädigen /
            sol mir kein Eiferer /
            Neidischer Geiferer
Meine zufriedenheit können beschädigen

Sonst lautet es fast besser / wann die Dactylischen entweder mit Trochæis unter[623]brochen / wie Harstörffer davon einige Exempel beybringt; als dieses:

Lieblicher JEsu / hertzliche Wonn
Heiliger Heiland / güldne Sonn /

Oder wann Dactylische und Trochaische Anapæstische und Jambische Wechselweise gesetzet werden: Dann die hüpffende art dieses metri hat etwas Kindisches an sich / welches sehr dadurch gemehret wird / wann man so viel alliterationes und paronomasias mit hinein bringt / das etliche für eine Zierlichkeit halten / ja wol gar unter die Lehrsätze dieses generis bringen / denen ich durchauß keinen Beyfall geben kan. Wie man nun im Lateinischen pedes compositos hat / so kan man sie auch im Teutschen haben / und kan man viel aus denselben zuammen gesetze metra nach der Lateinischen art ersinnen / die nicht so übel klingen / wann nur die in den Teutschen übliche quantitas in acht genommen wird. Ja ich halte dafür / dz man auch allerhand genera erfinden könne / wann man die pedes und versus auff [624] gewisse art, in ihren Strophis verwechselt/ die auch bey den Lateinern nicht im gebrauch sein. Solcher generum sein unterschiedliche schon zur Probe gegeben. Die Glycon-Ithyphall- und Phalæcische Ode bey Herrn Tscherning in seinem Vortrab des Sommers an Johann Heermann / gibt eine so liebliche Vermischung / daß es das Ohr und Gemüth ergetzet. deren Anfang lautet also:

O daß Castalis mir nicht fleuſt!
Wie er andermahl sich ergeust /
O daß Erato von mir setzt!
Die sonst meine Gedancken wetzt
    Ein Getichte zu singen /
    Als ich meinte zu bringen /
Wo sich Himmel und Feuer in mir rührte
Als mein eifriger Geist Apellisirte.

Er sagt Appellisirte: weil Herr Apelles zu erst dergleichen Art geschrieben. Dem Alcaico, welches der Herr Tscherning in seinem Frühling p. 394. hat / fehlet nichts an Zierlichkeit und Wollaut. In meinen Getichten wird sich auch eins dergleichen art finden. Betulius hat in seiner Anweisung cap. 3. gar ein Elegiacum, dessen Anfang dieser:

[625] Lasse ja / laß dich nicht den Wein und die Weiber bethören:
  Dann die Weiber und Wein schaden auff einerley weiß.
Weiber und Wein die können Leib und Kräffte versehren:
  Weiber und der Wein stellen die Füsse auff Eiß. etc

Diß klinget aber nicht so woll / weiln die Verse allzu lang und die pedes sich allzu offt āndern. Die vielbändige Oden schicken sich besser hiezu; und will ich mich verpflichten daß ich die meisten davon von im Teutschen so nachmachen will / davon daß sie nicht unlieblich sein sollen. Das Asclepiadeu mit dem Glyconico vermischt ist bey Betulio l. c. Anacreontica hat man häuffig. Von dem Sapphico ist im folgenden ein mehres. Warum solte man nicht den Jonicum à Majore & Minore, Dactylicum, Alcmanicum, Archilochium Dicolon, Hipponactium und die andre unter sich vermischte metra nachmachen können? Wer es nur versuchen will / und die Worte und Reime zu seinen Willen hat / dem wird es nicht fehlen / und [626] wundert mich sehr/ daß da man so viele Neuerungen gemacht / auch hierauff nicht mehr beflissen gewesen ist. Aber wir schreiten zu den üblichen arten der Getichte / die bey den Teutschen nach den Strophen eingetheilet.

 

Das XV. Cap.
Von den Oden.

Einhalt.

 

[699]DIe Verbindung der Music und der Verse ist sehr alt. Wird von der Natur gelehrt / und ist bey allen Völckern gebräuchlich. Ode ist ein Sing-Getichte. Ronsard hat diß Wort zu erst in Frantzösischer Sprache gebraucht / und will diee art Carminum in derselben auffgebracht haben. Die alte art der Music ist verlohren. Arias Barbosa. Isaacus Vossius, Franciscus Patricius. Die Music der heutigen Oden ist sehr unterschieden von der alten. Odæ des Horatii in die Music gesetzet. Die Oden sein nach verschiedenen Instrumentis Musicis abgesungen. Die eintheilung der Oden in Strophas. Die Italiäner haben in Lyrico Carmine sich sonderlich hervor gethan. Stances. Die heutigen Oden sein nach Vossiii Meinung nicht zur Music bequem. Die Oden die gesungen werden müssen anders eingerichtet werden. Solche sein schwerer zu machen als andere. Zieglers Urtheil. Die Redensart in den Oden komt der Heldenart am nähesten. Oden werden zu allerhand Sachen gebraucht. Geistliche Oden. Hymni der alten. Des Sehl. Herrn. Lutheri Geistliche Lieder. Wer[700]den vor allen andern gerühmet. Gesänge vor Lutheri Zeit. Pſalmi ὶδιωτιϰοὶ, plebeii. Was dieselbe gewesen. Solche sein verboten worden in Concilio Laodiceno. Was durch die psalmos poeticos verstanden werde. Noëls. Die alten Kirchengesänge sollen ohne grosse Uhrsachen nicht geändert werden. Campanellæ Hymni. Die Vollenkommenheit der Psalmen Davids. Odæ morales, Heroicæ, amatoriæ. Schertz-Oden. Diræ Scheltlieder. Gewisse Schlußverse in Odis Wiederholunge der Wörter und Verse in Carmine. Figuræ Dictionis & affectuum sein insonderheit in Odis in acht zunehmen. Exempel aus dem Flemming. Metra darin die Oden zu verfassen. Der Trieb der Natur thut das meiste. Der ὲνϑουσιαςμὸς muß bey den Erfindungen sein. Die ersten Einfälle sein die besten. Exempel derer / die ihre erste Einfälle durch Verbesserung verschlimmert Es können bißweilen verschiedenen Poeten gleiche Gedancken / ja dieselben Verse einfallen. Dessen Exempel.

 

ES hat nichts eine grössere Macht über den Menschlichen Geist / als wann ein schönes wollgesetztes Carmen mit der Music verbunden wird / dann die Music gibt den Versen gleichsam [701] ein Leben / dadurch die Gemüther auffgemuntert / und zu allerhand Bewegungen gereitzet werden. Daher ist gekommen / daß wann man etwas auff die Nachkommen fortbringen wollen / man solches in Gesānge verfasset / da man noch die Schreibkunst nicht gehabt. Wann unter dem Pöbel etwas seltzames sich begibt / so pflegen sie reimende Sprichwörter davon zu machen. Dann sie bilden ihm viel ehe die Wörter ein / die eine harmoniam bey sich führen. Weiln nun das metrum nicht allein belustiget / sondern auch die Rede gleichsam befestiget und verewiget / so hat man zu dem Gottesdienst und der Helden Lob solche Gesānge erwehlet. Es ist nicht unglāublich / daß auch vor der Sündfluth dergleichen gewesen. Nach derselben sind keine ältere als des Mosis seine / welchen hernach die Heidnischen gefolget / die Campanella gar artig degeneres Prophetas nennet. Solche Carmina sind bey den Griechen Oden / bey den Teutschen Lieder genant. Das Wort [702] Ode ist ein Griechisch Wort / so nun auch bey den Teutschen fast das Bürgerrecht gewonnen. Ronsard hat es zu erst in Frantzösischer Sprache gebraucht / will auch die Lyrica metra in derselben zu erst erfunden haben; dem aber einige den Clement Marott vorwerfen / der die Psalmen Davids schon vorhin in gewisse Lieder gebracht. Hievon kan mit mehren beym Menagio in seinen Anmerckungen über Malherbe Poemata p. 563, 564, 565. gelesen werden. Auff was Weise die alte Lyrica Carmina gesungen / davon ist wenig Nachricht über / nur daß einige so etwas oben hin davon geschrieben; es were dann das Arias Barbosa ein Lusitanus, dessen Nicolaus Antonius in seiner Bibliotheca Hispanicâ gedencket / etwas sonderliches hervor gebracht. Dann er saget von ihm: Scripserat ille Relectionem magnificam doctam uberemque, in qua multa questus est, quod non modo Musice temporum vitio indignam passa est jacturam duorum generum enarmo[703]nici & chromatici, cum tempestate nostra vix diatonico cantetur; sed etiam quod pcriere vocum syllabarumque tum poeticæ tum communes pronunciationes. Dieses Buch aber ist mir nie zu Gesichte kommen. Eben dieses hat Isaacus Vossius in seinem gelehrten Buch de Poematum Cantu & viribus Rhythmi weitlāufftig dargethan. Aber die art und Weise zu Singen ist von niemand recht entdecket / und ist noch woll das beste und vollständigste hierin / was Francisc. Patricius in seinen Büchern della Poetica insonderheit lib. 5, 6, 7. part. 2. nach Anleitung der alten Musicorum geschrieben / dessen sich einige sehr fleissig in ihren grossen Büchern gebraucht / und ihn kaum zu nennen gewürdiget. Dieſes ist gewiß / daß die Music an der quantitate pedum und dem metro gebunden gewesen / und vermeinet Voſſ. der p. 37. und 38. eine Odam aus dem Horatio und die Frantzösische Ubersetzung des Sorbiers derselben entgegen setzet / daß da man im Lateinischen durch alle Stro[704]phas richtige numeros hat / im Frantzösischen und also auch im Teutschen in jeglichen Strophis eine neue Melodiam haben müsse. Und dieses kan auch nicht anders sein / wann die Music auff der quantitate pedum gegründet wird. Jedennoch bezeuget der Autor de la connoissance des bons livres trait 3 p. 214. daß jemand die Odas Horatianas in die Music gesetzet. Nous avons veu de nostre temps qu'un scavant & curieux Musicien avoit mis en Air les Odes d'Horace, & les faisoit chanter dans des Concertes pour nous donner des épreuves de la Musique ancienne. Ich bilde mir aber gäntzlich ein / es sey diese Music / nicht anders als die heutiges Tages übliche geweſen. Die alten metra haben ihre Music bey sich gehabt / und haben durch die Krafft der pedum, wann sie auff gewisse arten gesungen worden / die Gemüther bewegen können / da die heutigen nicht anders als durch die Krafft der Wörter bewegen. Die alten Musici haben über jegliche Sylben der [705] Verse ihre notas gesetzt / wodurch man wissen können / was vor einen Thon man darzu singen oder spielen müssen / von den sieben tropis oder modis, Dorio, Æolio, Phrygio etc. Derer Carminum die gesungen worden / sein vielerley arten gewesen. Man hat auch nicht einerley Spielwerck dazu gebraucht / von deren aller richtigen Außtheilung Fr. Patricius in dem andern Theil seiner Poetica weitläufftig zu lesen ist. Man hat auch singende Tragœdien und Comœdien gehabt / davon im folgen Cap. ein mehres. Ja es sein alle arten der Getichte gesungen worden / es sey bey den Götzendiensten / bey Gästeretzen / bey öffentlichen Spielen oder sonsten gewesen. Die Heroici und Elegiaci haben gleichfalls eine art von singen gehabt. Die Oden aber sein insonderheit zu der Music bequem gewesen / wegen der Eintheilung in gewisse membra oder strophas. Diese hat ihre Richtigkeit mehrentheils gehabt / aber Pindarus hat grössere von vielen Versen bestehende [706] periodos gemacht / und sie in drey Theile getheilet / Stropham, Antistropham, und Epódon. Man hat auch auff den Theatris eigene Oehrter gehabt / so Odea genant worden / darauff man diese Carmina gesungen. Wie die Eintheilung der alten Oden gewesen / und was für Thöne zu denselbigen gebräuchlich / davon finden wir zwar einige Nachricht bey den alten Musicis: Aber wir können doch dieselbe nicht in gewisse Reguln setzen; Franc. Patricius hat dieses sehr fleissig zusammen gelesen della Poetic. part. 2. lib. 6. p. 284. & ſeqq. woselbſt die beste Nachricht kan gefunden werden / und nach ihm oder vielmehr aus ihm hat Kircherus in seiner Musurgia auch davon gehandelt / der aber in vielen geirret / wie Marcus Meibomius in den Anmerckungen über die alten Musicos erweiset. Die Italiāner haben wie Tasson davor hält die allerbesten Odas geschrieben / so gar daß sie auch / wie er meinet / den Alten hierin zuvor thun. Es ist dieses zum Theil war; dann sie [707] wissen die Redensart treflich zu erhöhen / wobey doch auch bißweilen viel Mißbrāuche vorfallen. Wir haben auch in der Teutschen Sprache / einige von Flemming / Hoffmanswaldau und andern geschrieben / die wir den Italiānern wol entgegen setzen können. Diese der Italiäner Oden / wie auch die Teutschen haben ihre gewisse Stances, welche deßhalben so genant werden / daß man am Ende der Strophen etwas verziehen muß / dann wie Dantes sagt / in esse stà e si rinchiude tutto l'artificio della Canzone. Darum werden auch in den achtzeiligen Stancen, darin ihr genus Epicum besteht / die beiden letzten Verse / der Schlüssel genant. Aber es will sich die Music so nicht dazu schicken / wie zu den alten Lateinischen Oden. Voſſius sagt p. 35. Si quis ad Odas se conferat, quales Fuluius Testius & innumeri alii scripserunt, illæ, elegantissimæ licet, cantari tamen nequeunt propter diversitatem numerorum. Eadem est ratio eorum Carminum, quæ ipsi vo[708]cant rimas octavas, quæ nec ipsa uno eodemq; cantus genere animari possunt Neq; tamen me fugit & illa quoq; vulgo cantari verum hâc conditione quælibet etiam prosa cantari possit. Deßhalben spricht Vossius, daß bey den Italiānern nur die poemata zur Music bequem gehalten werden / darin keine strophen sich finden. Wir suchens mit den Teutschen Odis so genau nicht. Dann wann die erste Strophe einer Ode in die Music gesetzet / so müssen die folgenden denselben Gesang annehmen / er schicke sich dazu oder nicht / da bißweilen die sensus versuum zerrissen werden / die Music auff die Worte sich nicht reimet. Man nehme nur eine Ode auß dem Flemming Tscherning und andern / und setze die erste Strophe in die Music / selten wird man finden / daß die übrigen recht dazu bequem sein werden. So muß nun dero wegen einer / der eine Ode die gesungen werden soll / machet / nothwendig die Music verstehen / und wann die erste Strophe in die Music [709] gesetzet / alle andere darnach richten / und wo müglich mit jeden Verß den senum zum wenigsten auff die helffte schliessen. Ja er kan gar eine schon erfundene Melodey nehmen / und darnach das metrum einrichten / welches ich vielfältig gethan. Solches komt Jsaaco Vossio am vorerwehnten Ohrte woll lächerlich vor. Aber die zu unser Zeit übliche Music legt uns diese Nothwendigkeit auff. Wiedrigen falls würde man gar übelklingende Lieder machen Herr Ziegler urtheilet gar woll hievon: "Gewiß / es will unter den generibus carminum nicht alleine vor sich / sondern auch / und zwar um so viel desto mehr wenn sie in die Musik gesetzet werden sollen / ein jedwedes seine sonderliche qualitet und Eigenschafft haben / da man denn dem componiſten die Worte so treuge nicht vorlegen darff / sondern man muß denselben einen feinen Nachdruck und nach gelegenheit der materie eine gebûhrende stärcke oder schwäche geben / auch die commata zu rechter Zeit [710] schneiden und den Verß nicht wie eine Saue von der Weide lauffen lassen. Ich bekenne es / wenn Ich eine Ode zur Musik machen sol / so wird sie mir allezeit duppelt sauer/ als wann ich sie vor mich und nach meinem gefallen machen darff." Ich wolte auch davor halten / daß man zwar außerlesene Wörter in den Liedern die gesungen werden / aber keine gar hohe und Metaphorische Redensarten gebrauchen solle: Dann wann die Wörter nicht verständlich sein / daß man zugleich mit den Thon den vollenkommenen Verstand der Wörter haben kan / so hat solches keine Krafft in Bewegung der Gemüther. Sonsten ist eine Ode / insonderheit wann sie nicht gesungen wird / der höhesten Redensart fähig. J. C. Scaliger saget: proximè ad Heroici Carminis majestatem accedit. Ja sie übersteigt selbſt die Heldenart; dann es sein audaciores Metaphoræ und andere Redensarten zu gelassen / die man in Heroico genere nicht gebrauchen kan. Wann die [711] alte Prosodia der Music auch im Teutschen were / so könte man Thöne und Wörter ohne grossem Nachdencken verstehen. Aber ietzo muß die deutlichkeit des Carminis, der undeutlichen Musick zu Hülffe kommen. Es können alle Sachen sich zu den Oden schicken / Geistliche / Sittliche / Liebreitzende / Kriegrische und dergleichen mehr: da dann zum Theil auch die Redensart sich nach der materie schicken muß. Was die Geistlichen anlanget / so sein bey den Griechen und Lateinern des vielfältigen Götzendienstes halber unterschiedliche Arten derselben gewesen / welche Franc. Patricius in seinem andern Theil della poetica nach der länge erzehlt. Das gemeine Wort / damit sie genennet worden ist Hymnus ein Lobgesang. Bey den alten ward die höheste Redensart in denselben gebraucht / im Teutschen aber wird der Music und des gemeinen Gebrauchs halber eine Maasse hierin zu halten sein. Es sein aber die Geistlichen Lieder nicht alle Hymni, son[712]dern haben auch andere verschiedene Arten unter sich. Wir müssen hie von den Liedern gedencken / die der Sehl. Herr Lutherus gemacht / welche voll Geistes und nachdrücklicher Wörter sein / dar in ein richtiges metrum ist: dann er hat gar genau auff die Sylben gesehen / welches von den Frantzosen und Italiānern nur am meisten in acht genommen wird. Die quantitas ist zwar nicht allezeit beobachtet; Es müssen aber solche kleine Fehler in so wichtigen Dingen / da die Wörter und der Verstand vollenkommen / über sehen werden. Dann man würde der Vollenkommenheit eine Gewalt anthun / wann man hierin etwas āndern wolte. Vor Lutheri Zeiten sein auch verschiedene Hymni und Geistliche Lieder auch im Pabstthum schon geschrieben / darin etliche nicht so gar übel gemacht / und des Alters halben in Ehren zu halten / und hat mir einer berichtet / daß ein absonderlich Gesang-Buch von denselben zusammen gelesen und [713] jemand heraußgegeben / das ich aber nicht gesehen. Man hat im übrigen Hr. Risten / Hn. von Stöcken / und vieler anderer Geistliche Lieder / welche ihren Fleiß hierin rühmlich angewandt / und niemand unbekant sein. Hr. Rölings seine Geistliche Oden sein voll Tieffsinnigkeit und an Erfindung reich. In der alten Kirchen hat man keine andre Psalmen zugeben wollen / als die aus den Büchern der Heil. Schrifft genommen / nemblich die Psalmen Davids und andre Lobgesänge. Die sonsten gemacht wurden / würden ψαλμοὶ ἰδιωικοὶ Pſalmi Plebei genant / und waren verboten in öffentlichen Versamlungen zu singen. Davon sagt der LIX. Canon des Concilii Laodiceni also: ὅτι οὐ δε̃ι ἰδιωτικοὺς ψαλμοὺς λέγεσϑαι ἐν τῆ ἐκκλησία, οὐδὲ ἀκανόνιστα βιβλία. Quod non oportet plebeios Psalmos in Ecclesiâ legere; aut libros non canonicos. Balſamon und Zonaras erwehnen allhie in ihren Anmerckungen / daß unter den Psalmis Plebeis die Psalmi Salomonis verstanden werden / [714] die man damahls gehabt / und nicht für auffrichtig gehalten. Es erhellet aber aus unterschiedlichen Oehrtern der Historiæ Ecclesiasticæ des Eusebii, das viele Psalmi von privatis gemacht / die man in den Kirchen gesungen / wie dergleichen einer bey dem Clemente Alexandrino am Ende seines dritten Buchs sich findet auff den Herrn Christum / und auch Plinius lib. 10. Ep. 97. von den Christen solches erwehnet. Von den Therapeutis (davon doch noch zweiffelhafftig ob sie Christen gewesen) schreibt Eusebius lib. 2. c. 17. ποιοῦσιν ἄσματα καὶ ὕμνους ἐις τὸν ϑεὸν, διὰ παντίων μέτρων καὶ μελῶν ῥυϑμοῖς σεμνοτέροις χαράσσοντες. Cantica & hymnos omni metrorum genere rhythmis gravioribus conficiunt. Widerum lib. 5. c. 28. sagt er / daß viel Psalmen von den gläubigen Brüdern geschrieben / die Christum als einen wahren GOtt loben und erkennen / und lib. 7. c. 30. von dem Paulo Samosateno, daß er die zu Christi Ehren gemachte Psalme / unter diesem [715] Vorwand abgethan/ daß sie neulich erstlich / und nicht von den alten gemacht / welches dann der Synodus so wieder ihn außgeschrieben getadelt / weil er dadurch die Ehre Christi angefochten. Ist also gläublich daß solcher Pſalmen viel in der Kirchen gewesen / welche aber in dem angeführten Canone deßhalben verbotten worden / weiln man zur Ehren GOttes lieber die von dem Geist GOttes selbst gesetzte / als die von Menschen erdachte Hymnos gebrauchen wolllen. Valesius hat dieses angemerckt in seinem Commentario über den Euseb. lib. 7. c. 24. Disertè prohibetur ne Psalmi ἰδιωτικοὶ id est à privatis hominibus compositi in Ecclesiâ recitentur. Invaluerat enim hæc consuetudo, ut multi Psalmos in honorem Christi componerent, eosque in Ecclesiâ cantari facerent. Deßhalben wurden auch κανονικοὶ ψάλται in den Kirchen bestellet / welche gewisse Psalmen auff gewisse art und Weise singen müsten / wie Bevereggius in den Anmerckungen ü[716]ber den XV. Canon. Conc. Laodiceni weitläufftiger außführet / und insonderheit der Cardinal Bona in seiner Psalmodia: S. Agobardus, der im Jahr 840. gestorben / dessen Wercke der Stephanus Baluzius heraußgegeben / handelt hievon auch in einem absonderlichen Buch de divinâ Psalmodia. Dann er spricht: Reverenda concilia Patrum decernunt nequaquam plebeios psalmos in Ecclesia decantandos, & nihil poëtice compositum in divinis laudibus usurpandum. Durch welche letzten Verse der Baluzius verstehet levia carmina & faciles versus, cujusmodi sunt, quæ moteta hodie dicimus. Zu dessen Beweiß führt er einen Ohrt an aus den Gulielmo Durandi, Episcopo Mimatensi, in seinem andern Buche de modo generalis concilii celebrandi cap. 19. deretur valde honestum esse, quod cantus indevoti & inordinati motetorum & similium non fierent in Ecclesia. Diese haben sie aber nur bloß einmahl im Jahr bey dem Weynachtfest gebrauchet / [717] welche Gesänge Noels das ist Natalitia mina genant worden. Pasquier des Recherches de la France l. 4. ch. 14. beschreibt diese Nouels daß sie gewesen / Chansons spirituelles faites en l'honneur de la Nativite de nostre Seigneur. Es ist aber auch diß Wort gebraucht worden / wann das Volck Königen und Fürsten ein Freuden Geschrey gemacht / da sie dasselbe ihnen zu geruffen / wie Pasquier weitläufftiger an selben Ohrte anführet. Dieses habe ich bey dieser Gelegenheit von den Geistlichen Gesängen beybringen wollen / in welchen man es gerne bey dem alten bleiben lässet. Der Heilige Agobardus ist sehr sorgfältig hierin gewesen; daß er nichts hat zugeben wollen / als was auß den Büchern der Heil. Schrifft genommen / wie aus seinem Buche de cortectione Antiphonarii zu sehen. Der Baluzius thut denckwürdig hinzu. Constat res semel receptas in Eccleſia non facile mutari, cautioresque in his rebus debere esse Pontifices, ne ministerium eorum vi[718]tuperetur. Sic Urbanus VIII. hymnos correxit, & tamen semper hymni antiqui canuntur in Ecclesiâ. Deßhalben erinnert auch Campanella Poeticor. c. 8. art. 2. daß man auff einige kleine Fehler des metri nicht so gar genau in den Geistlichen Gesängen sehen soll. Non tam metri curanda est regula, quam sonus auribus gratus & doctrina recondita bene restricta & destillata. Si S. Thomas mensuras inspexisset, non sic altè locutus esset, mirabili lepore doctrinam profundissimam exprimendo. Derselbe Autor, der ein Mann von seltzamer und wunderlicher Wissenschafft gewesen / hat selbst einige Hymnos geschrieben / wie er art. 4. an dem vorigen Ohrte schreibet: Nos triplicem Psalmodiam scripsimus de rerum naturâ: in primâ cælestia & incolas, in secunda terrestria, in tertia hominem cecinimus & Dei laudes ex his & gratiarum actiones expressimus. Fecimus & poemata metaphysica, unum de summa potentia, unum in tribus cantilenis de summâ sapientiâ: [719] unum de primo Amore: duo de summo bono. Er hat auch an denselben Ohrte art. 1. gar artig dargethan / wie in den Psalmen Davids alle arten der Carminum, so viel ihr sein mögen enthalten; Drum man billig demselben als einem Göttlichen Wercke seiner Vollenkommenheit halber den Vorzug geben muß.

Nechst den Geistlichen Oden folgen die / welche ein argumentum morale haben / welches sich zu den Oden sehr wol schicket. Wir finden deren unterschiedliche bey Flemming und andern. Die Chinenser halten auff die Poemata moralia am meisten / wie dann ihr Confutius vier Bücher von alten Carminibus, wozu er das fünffte gemacht / nachgelassen. In welchen die gantze Sittenlehre / die art und Weise das Regiment zu führen / und die Exempel der Tugenden begriffen sein. Welche von ihnen in dem grösten wehrt gehalten werden. Die Lobgedichte auff die Helden und ihre Thaten können auch in Oden vorgestellet werden. Dann bey [720] den alten Teutschen und Gothen hat man dergleichen auff dieselben gemacht. Es muß aber alsdann die Redensart ja so hoch sein / als in einem rechten Epico Poemate, und muß mans machen wie Stesichorus, davon Quintilianus lib. 10. c. 1. urtheilet / quod epici carminis onera lyrâ sustinuerit. In Liebessachen ist dieselbe ungleich / nach dem die affectus sollen außgedrücket werden. Klagende oder verlangende Oden / können bißweilen abruptos sensus, tieffsinnige acumina haben / wie die unvergleichliche erste Ode im fünfften Buch des Flemmings. Schertzet man aber / so muß ein gleicher stylus sein / und sind die acumina von solchen fontibus genommen / die mehr ein lachen / als verwundern erwecken. Wir haben verschiedene in Teutscher Sprache; die man zum Exempel vorstellen kan. Der grünen Jugend überflüssige Gedancken verdienen hierin billig ihr Lob. Just Georg Schochs Lust und Blumengarten von hundert Schäffer-Hirten-Liebes- [721] und Tugendlieder / Filidors geharnischte Venus gehören auch hieher. Die Preußsische Lieder insonderheit des Simon Dachen sein sehr gut und insonderheit auff die Music gerichtet. Man kan auch Diras und Sechltlieder schreiben welche dergleichen Redensart haben / wie fast andre Satyræ. Man hat auch in den Odis moralibus und amatoriis etzliche Schlußverse / welche allezeit zu Ende einer Strophen widerholet werden. Diese wollen auch ihre sonderliche Zierlichkeit haben / und zwar also / daß sie gleichsam wie eine Conclusion in einem Syllogismo auff die vorhergehende Verse folgen. Sie schicken sich insonderheit woll zur Music. Sonsten muß man nicht leicht ohn Uhrsach gantze Verse in einem Carmine widerholen. In verschiedenen Carminibus kan es bißweilen wol geschehen / wie wir beym Homero und Virgilio sehen / die offtmahlen einerley Verse an unterschiedlichen Oehrtern gesetzet haben. Der Euripides hat mit einer sentence fünff Tra[722]gœdien geschlossen. Malherbe hat dieses in seinen Frantzösischen Carminibus auch gethan/ deßhalben der Cavallier Marin von ihm in Schertze gesaget / Malherbe wär ein Mann von vielen Feuchtigkeiten / (dann er war den Flüssen sehr unterworffen) aber ein sehr truckner Poet. Alle Figuræ Dictionis & Affectuum überhaupt zieren die Oden treflich / darin der Herr Flemming ein unvergleichlicher Meister ist. Wir könten hie ein gantzes Buch allein mit dergleichen Anmerckungen füllen / wann wir alle sonderliche Umstände eines jeden Carminis, und dessen Theile gar genau erwegen wolten. Die Repetitiones, Anadiploses, Epizeuxes, Anaphoræ, Antitheses, Contentiones etc. sein in grosser Menge bey dem Flemming / welche insonderheit in acht zu nehmen / und von einem Liebhaber der Poesie unter gewisse titul zusammen können gelesen werden. Dann sie haben ein zartes Wesen bey sich / und können die Gemüthsbewegungen kräfftig vorstellen. Dergleichen wider[723]holungs Figuren sein beym Flemming in der 9. Ode des 5. Buchs

          O du schöne Salibene
          Salibene o du schöne

Gleichen Schlags ist dieses in der 26. Ode desselben Buchs.

     Die getreue Basilene
     Basilene die getreue
     thut stäts / was ich mich stäts freue.

Eine andre art von den Wiederholungen ist in der 22. Ode / in der andern Strophe / auch in der erſten Strophe / der 19. Ode/ in demselben Buche. Macrobius nennet solche amœnas repetitiones Saturn. lib. 5. c. 14. da er von Virgilio redet / und unter andern dieses anführet.

Pan etiam Arcadia mecum si judice certet,
Pan etiam Arcadia dicet se judice victum
.

Campanella Poetic. cap. 8. art. 8. sagt von den Repetitionibus in Hymnis, quod gaudium præstent. Antitheses, Contentiones, Conversiones sein sehr viele bey ihm / z. e. in der 30. Od. des 5. Buchs.

Die Sonne scheint für mich nicht helle /
Mich kühlt die Gluth / mich brennt das Eiß /
[724] Ich weiß und weiß nicht was ich weiß.
Die Nacht tritt an des Tages Stelle.
Jetzt bin ich dort / itzt da / itzt hier
Ich folg’ und fliehe selbſt für mir.

In der 11. Ode desselben Buchs ist dieſes sehr zierlich:

Der freie Wind fährt ohne Zügel /
Ein leichter Pfeil eilt auff Gewinn.
Der starcke Plitz hat schnelle Flügel
Ein schneller Fall schieſt plötzlich hin.
Für ihren Sinnen sind nicht schnelle /
Lufft / Pfeile / Plitz und Wasserfälle.

Ich könte dieses mit allerhand Exempeln und Gegenhaltungen der Grichschen und Lateinischen Poeten klārer machen / wann es nicht allhie zu weitlāufftig were. Die Metra können in den Oden vielfältig sein; Trochaische schicken sich am besten / da man ein Verlangen vorstellet / in Sittlichen und Liebessachen / Jambische in Schertz- und Schelt-Gedichten / Anapæstische und Dactylische / wann man etwas lustiges vorstellet. Dann es würde sehr übel klingen / wann man sie in traurigen Sachen gebrauchen wolte. Die vielerley [725] arten der Reimgebānde sind droben schon berühret. Woselbst ich auch von denen nach den Lateinischen eingerichteten metris erwehnung gethan / deren unterschiedliche auch im Frantzösischen von dem Pasquier des Recherches de la France liv. 7. ch. 12. als ein Elegiacum, Phaleucus, Oda Sapphica, Jonicum à Minore angeführet werden. Der Trieb der Natur / oder wie ihn die Poeten nennen / der ἐνϑουσιασμὸς ist das vornehmste in dieser Sachen. Derselbige gibt den Erfindungen ein leben / und wird in den Oden durch die Musick erwecket / und gereitzet. Es lässet sich auch eine Ode viel besser machen / wann man die Melodey ihm vorhero vorstellet / und die Verse nach derselben einrichtet. Dieser ἐνϑουσιοσμὸς ist etwas/ das von einer sonderlichen Glückseeligkeit der Natur komt / und durch die Kunst und und Nachsinnen bißweilen nur gehindert wird. Es ist zu mercken daß insgemein die ersten Einfälle als welche aus diesem Trieb entstehen die besten sein / welches [726] ich offt an mir selbst war genommen. Dann ich pflege in verfertigung eines Carminis alles was mir über einer Sachen einfāllt so fort zu Papier bringen / ohne Ordnung / ohne Connexion, halbe / gantze Verß / damit mir die ersten Gedancken nicht aus dem Sinn fallen. Unter diesen sein allezeit die mir ohne sonderlichen Nachdencken beykommen die besten / die ich aber so fort oder nachgehends durch weiters Nachsinnen hinzusetze / und aus einigen fontibus, die die Kunſt eröffnet / herhole / entfernen sich was mehr von den Sachen / und haben den Nachdruck nicht. Wann diese erst angemerckt / die gleichsam wie ein Chaos sein dessen was darauß gemacht soll werden / so findet sich die Außarbeitung leicht. Worin man endlich nicht zu eilen hat / sondern je mehr man drüber nachsinnet / je besser wird die Arbeit sein. Da man dann zum ersten auff des gantzen Carminis und als dann der andern Strophen-Schluß wie zu einem Ziel / darauff alles abdrücket / [727] sehen muß. Solte man diese Vorarbeit vorbey streichen lassen / und nur so fort den Auffsatz beschleunigen / so würde man den Trieb hemmen / und mitten in dem Wercke bestecken bleiben. Gilt also im Carmine nicht allezeit das Sprichwort der Griechen δευτέραι φροντίδες σοφῴτερα sondern man verdirbt / an der Erfindung insonderheit / leicht etwas wann man zu viel drüber nachsinnet / und durch all zu grosse Kunst / die natürlichkeit einer Sachen verdunckelt / wie jener Mahler / qui manum tollere de tabula nesciebat. Claude Binet hat in dem Leben des Ronsards, von seinen Poematibus solches angemerckt: Aucuns, spricht er / ont trouvé la correction, qu'il a faite en ses œuvres en quelques endroits moins agreable, que ce qu'il avoit premierement conceu: comme il peut avenir principalement en la Poesie, que la premiere fureur est plus naive, & que la lime trop des fois mise, en lieu d'éclaircir & polir, ne fait qu'user & corrompre la trempe. Les doctes qui [728] verront sans passion ses derniers conceptions en jugeront. Es hat Pasquier in seinen Recherches liv. 6. ch. 7. daßelbe von ihm auffgeschrieben und sich über ihn beklaget / daß er drey Jahr vor seinem Tode / da er von dem Podagra und andern Schwachheiten übernommen / die besten und artigsten Carmina auß seinen Wercken hinweg gethan / und viele Verse also geändert / daß die scharffsinnigsten Reden verlohren gegangen. Er berichtet ferner / daß ein ander das verworffene wieder den Autorem selbst zu behaupten gesonnen / und dem andern Druck seiner Wercke hinbey fügen wollen. Mit dem Torquato Tasso ist es gleichfalls so ergangen / daß er durch vermeinte Verbesserung an seinem so herrlichen Poemate viel verdorben. Durch diesen Tichterschen Trieb komt es bißweilen / daß verschiedene Poeten nicht allein einerley Einfälle sondern gar einerley Verse und Worte haben / da doch niemand des andern seine Carmina gesehen oder gelesen. Dessen ist [729] merckwürdiges Exempel bey dem Menage in seinen observationibus über Malherbe p. 255. 256. 257. von M. de Racan, welcher gantzer vier Verse gemacht / die hernach in des de Matthieu Tablettes de la vie & de la mort ihm von einem andern gezeiget worden / da er doch mit hohen Eiden betheuret / daß er das Buch nicht gekant noch gesehen. So hat auch Leonard Salviat. in seinem ersten Buch seiner Avertissemens de la langue Italienne berichtet / das ein Poet seiner Zeit / der des Cardinalen Bembo seine Sonnetten niemahls gesehen / eines gemacht daß des Bembi seinem durchauß gleich gewesen. Es kan auch offt geschehen / daß jemand Wörter und Verse im Gedächtniß hat / da er vergessen wo und ob er sie gelesen / welche bey Gelegenheit sich unter seinen eignen Gedanken verstecken / wozu die Reime bißweilen den Weg bahnen. Der Herr Menage verheißt in einer sonderlichen Dissertation de furtis & imitatione Poetarum hievon zu handeln.

 

 

 

 

Erstdruck und Druckvorlage

Daniel Georg Morhof: Unterricht Von Der Teutschen Sprache und Poesie / deren Uhrsprung / Fortgang und Lehrsätzen. Wobey auch von der reimenden Poeterey der Außländer mit mehren gehandelt wird.
Kiel: Reumann 1682, S. 618-626 u. 699-729.

Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck (Editionsrichtlinien).

URL: https://books.google.fr/books?id=RdVlI-6uIfIC
URL: https://www.deutschestextarchiv.de/morhof_unterricht_1682
URL: https://mdz-nbn-resolving.de/bsb11273532

 

 

 

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Edition
Lyriktheorie » R. Brandmeyer