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Editionsbericht
Literatur
Von den Reden sei es also hiermit ein Ende. Ueber den Vortrag derselben aber, meine ich, müssen wir nächstdem reden, und dann werden wir was gesagt werden darf, und wie gesagt vollständig erwogen haben. – Da sagte Adeimantos, Dieses verstehe ich nicht, wie du es meinst. – Aber, sprach ich, Du mußt es doch. Vielleicht nun wirst du es so besser einsehen. Ist nicht alles was von Fabellehrern und Dichtern gesagt wird eine Erzählung entweder geschehener Dinge, oder jeziger oder künftiger? – Was wol anderes? sagte er. – Und führen sie es nicht entweder in einfacher Erzählung aus, oder in einer in Darstellung eingekleideten oder in beiden zusammen? – Auch dieses, sprach er, muß ich erst noch genauer verstehen. – So scheine ich ja, sprach ich, gar ein lächerlicher und unverständlicher Lehrer zu sein! Ich will also, wie die welche sich auf Reden nicht verstehen, nicht im allgemeinen, sondern ein einzelnes Stük heraus nehmend versuchen, dir an diesem zu zeigen wo ich hinaus will. Sage mir also, kennst du den Anfang der Ilias, wo der Dichter sagt, Chryses habe den Agamemnon gebeten seine Tochter loszugeben, dieser aber sei zornig geworden, und jener, da er nichts ausgerichtet, habe die Achaier vor dem Gotte verwünscht? – Sehr gut. – Du weißt also auch, daß bis zu diesen Versen, und er flehete allen [177] Achaiern, Aber zumeist den Atreiden, den zween Heerfürsten der Völker, der Dichter selbst redet, und auch gar nicht darauf ausgeht unser Gemüth anderwärts hin zu wenden, als ob ein Anderer der Redende wäre als er selbst, daß er aber das folgende, als ob er selbst der Chryses wäre, redet, und sich alle ersinnliche Mühe giebt uns dahin zu bewegen, daß uns nicht Homeros scheine der Redende zu sein, sondern der alte Priester. Und fast die ganze übrige Erzählung hat er auf diese Art eingerichtet von den Begebenheiten in Ilion sowol als in Ithaka und der ganzen Odyssee. – Allerdings, sagte er. – Erzählung nun ist doch beides, wenn er Reden vorträgt, und wenn das zwischen den Reden. – Wie sollte es nicht! – Aber wenn er irgend eine Rede vorträgt, als wäre er ein Anderer: müssen wir nicht sagen, daß er dann seinen Vortrag jedesmal so sehr als möglich dem nachbildet, den er vorher ankündigt daß er reden werde? – Das müssen wir sagen. Denn wie könnten wir anders! – Nun aber sich selbst einem Andern nachbilden in Stimme oder Geberde, das heißt doch den darstellen dem man sich nachbildet? – Was sonst? – In einem solchen Falle also, scheint es, vollbringen dieser und andere Dichter ihre Erzählung durch Darstellung. – Allerdings. – Wenn nun nirgends der Dichter sich selbst verbergen wollte: so würde er dann seine ganze Erzählung ohne Darstellung verrichtet haben. Damit du aber nicht sagst, daß du wieder nicht verstehst, wie das geschehen könne will ich es dir vortragen. Wenn nemlich Homeros, nachdem er gesagt, daß Chryses gekommen sei Lösung für seine Tochter darzubringen, und die [178] Achaier zu bitten vornemlich aber die Könige, nachher nicht, als wäre er Chryses, weiter redete, sondern noch immer als Homeros: so wisse daß es dann keine Darstellung wäre, sondern einfache Erzählung. Sie würde aber so ohngefähr lauten; ich muß sie jedoch ohne Silbenmaaß vortragen, denn ich bin nicht dichterisch. Nachdem der Priester gekommen, wünschte er jenen, daß die Götter ihnen geben möchten nach der Einnahme von Troja wohlbehalten zu bleiben, sich selbst aber daß sie die Tochter losgäben für dargebotene Entschädigung und aus Scheu vor dem Gotte. Als er nun dieses gesagt, begrüßten ihn ehrerbietig die Andern und pflichteten ihm bei; Agamemnon aber befahl ihm ergrimmt jezt fortzugehn und auch nie wiederzukehren, damit ihm dann nicht auch der Stab und der Lorbeer des Gottes unnüz wären. Ehe aber seine Tochter loskäme, sagte er, solle sie bei ihm in Argos alt werden. Und gehn hieß er ihn, und ihn nicht reizen, damit er wolbehalten heimkehren möge. Der Alte als er dies vernommen, fürchtete sich und ging schweigend fort. Als er aber das Lager hinter sich hatte, betete er vieles zum Apollon, bei allen Namen ihn anrufend und ihm in Erinnerung bringend und anrechnend was er ihm jemals bei Erbauungen von Tempeln und Darbringung von Opfern wolgefälliges geleistet, dafür flehete er nun möchte seine Thränen den Achaiern Apollon vergelten mit seinem Geschoß. Auf diese Art, sprach ich, Freund, macht sich ohne Darstellung eine einfache Erzählung. – Ich verstehe, sagte er. – Verstehe aber auch noch, sprach ich, wie hievon wiederum das Gegentheil erfolgt, wenn jemand das dem [179] Dichter angehörige zwischen den Reden herauswerfend nur die Wechselreden übrig läßt. – Auch dieses, sagte er, verstehe ich, daß es mit den Tragödien eine solche Bewandniß hat. – Und jezt denke ich dir schon deutlich zu machen, was ich vorher nicht vermochte, daß von der gesammten Dichtung und Fabel einiges ganz in Darstellung besteht, wie du sagst die Tragödie und Komödie, anderes aber in dem Bericht des Dichters selbst, welches du vorzüglich in den Dithyramben finden kannst, noch anderes aus beiden verbunden, wie in der epischen Dichtkunst, und auch vielfältig anderwärts, wenn du mich verstehest.
Druckvorlage
Platons Werke von F. Schleiermacher.
Dritten Theiles erster Band.
Berlin: Reimer 1828, S. 176-179 (= Der Staat, III. Buch; 392c – 394c).
PURL: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10237333-6
URL: https://books.google.de/books?id=u5g-AAAAcAAJ
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